Adventskalender 2025 – Tag 13: Der kleine Trommler

„Der kleine Trommler“ – oder „The Little Drummer Boy“ wie er im englischen Original heißt. Ein Lied, das klingt, als hätte sich jemand gefragt: „Wie kann man die maximal chaotische Geburtsszene im Stall noch unerträglicher machen?“ Die Antwort: Durch ein Kind im Percussion-Wahn.

Hellorangener Hintergrund auf dem "Der kleine Trommler" in roter und brauner Schrift steht.

Die Grundstory geht folgendermaßen: Jesus ist zehn Minuten alt, Maria liegt vollkommen fertig im Stroh und denkt: „Rein ging‘s leichter als raus.“ Josef hat noch Blut an den Sandalen und die Hebamme ist ein Esel mit fragwürdiger Ausbildung.

Alle sind übermüdet, keiner hat etwas gegessen, draußen läuft Herodes Amok, drinnen riecht es nach Tier, Schweiß und nassem Heu.

Als Josef und Maria denken, schlimmer kann es nicht mehr werden, geht die Tür auf und ein kleiner Junge kommt rein. Anscheinend ist in der Weihnachtsgeschichte jeder Heti und Pleti ungefragt in den Stall gelatscht, wie es ihm in den Kram passt. (Ja, ihr seid gemeint, Caspar, Melchior und Balthasar.)

Der Knabe räuspert sich und sagt: „Hi Leute, wie geht’s? Ich bin hier, um den Heiland zu feiern. Es gibt da nur ein klitzekleines Problem: Bei mir ist Ebbe in der Kasse und deswegen habe ich keine Kohle für ein Geschenk. Dafür habe ich meine Trommel mitgebracht und könnte ein Ständchen spielen. Wie sieht’s aus? Seid ihr bereit?“

Jeder, der schon mal mit einem Neugeborenen zu tun hatte, weiß:

  • Kein grelles Licht,
  • keine hektischen Bewegungen,
  • keine lauten Geräusche
  • und vor allem: kein Trommelsolo direkt neben dem Baby

Jetzt wäre der Zeitpunkt für Josef, um einzuschreiten und zu sagen: „Digger, denkst du, du bist Oskar Matzerath, oder was? Pack deine verdammte Trommel ein und zieh Leine.“ Er zuckt aber nur matt mit den Schultern.

Maria ist ebenfalls zu erschöpft und sagt nur: „Das wär voll lieb.“

Der Junge strahlt und fängt an zu trommeln. Und trommelt und trommelt und trommelt und hört gar nicht mehr auf. Über zehn Minuten drischt der Bub auf die Snare ein, als sei er vom Leibhaftigen besessen.

Josef wippt apathisch vor und zurück, Maria schickt ein Stoßgebet gen Himmel: „Ich hab‘ dir doch deinen Sohn geboren, Gott. Warum testest du mich weiter?“

Jesus denkt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Bitte beende diesen Höllenlärm. Von mir aus kannst du mich ans Kreuz nageln lassen, aber mach, dass dieser Dämon in Kindesgestalt aufhört zu trommeln.“

In diesem Moment beendet der kleine Trommler seine Aufführung. Und Jesus so: „Fuck.“


Der Little Drummer kein unbesungener Held, sondern seine Geschichte wurde vertont. Leider.

Textlich besteht das Lied zu 80 Prozent aus „pa rum pum pum pum“, was ihn zum ödesten Song, der jemals geschrieben wurde, macht. „Pa rum pum pum pum“ ist nicht poetisch, sondern lyrisches Füllmaterial und grenzt an Arbeitsverweigerung.

Wahrscheinlich ist der Song folgendermaßen entstanden:

Songwriter 1: „Lass mal Weihnachtslied machen. Melodie hab’ ich schon.“
Songwriter 2: „Was ist mit Text?“
Songwriter 1 (holt Zettel hervor und liest): „‚Ging ein kleiner Junge, hielt seine Trommel in der Hand.‘ … Das wars. Fällt dir noch was ein?“
Songwriter 2: „Puh, keine Ahnung, ist ja auch gleich 18 Uhr. Mach einfach Trommelgeräusche und fertig ist der Eselstall.“

Zack, Welthit.

Kaum vorstellbar, dass man damit bei anderen Weihnachtsliedern durchgekommen wäre:

  • „Oh Tannenbaum, du grünst nicht nur im pa rum pum pum pum …“
  • Last Christmas, I gave you my pa rum pum pum pum …“
  • „All I want for Christmas is pa rum pum pum pum …“

Melodie, Harmonik und Rhythmus des Liedes passen sich dem Text an: Schlicht, banal und niemanden überfordernd. Im Grunde ein Holzhammer-Ostinato, das dir den Ohrwurm ins Hirn prügelt, bis du beim Zähneputzen vor dich hin „pa rum pum pum pumst“.

Trotzdem oder gerade deswegen gibt es vom kleinen Trommler hunderte von Cover-Versionen. Alle, die etwas auf sich halten – oder sich abgrundtief selbst hassen –, haben sich an dem Lied abgearbeitet: fromme Chöre, Soul-Diven, Punk-Bands, Schlagerstars, Country-Sänger bis hin zu A-capella-Schnulzgruppen und Boybands mit Restakne. Und in jeder Variante wird so ernst und hingebungsvoll „pa rum pum pum pum“ gesungen, als hinge das Seelenheil der Welt davon ab.

Die bekannteste Version ist ein Bromance-Duett von Bing Crosby und David Bowie. Der eine ist der Godfather of Christmas himself, der andere kommt direkt vom Mars, um kurz „Peace on Earth“ einzusingen. Zusammen stehen sie kuschelnd vorm Kamin, als wäre es völlig normal, dass Großvaters Lieblingscrooner mit einem Außerirdischen im Strickpulli „pa rum pum pum pum“ säuselt.

Bei Johnny Cash klingt der „Little Drummer Boy“ weniger nach süßem Stallkind, sondern nach „Ich hab‘ die Trommel im Knast gelernt, du Lappen.“ Bei Bad Religion geht der kleine Trommler nicht andächtig zum Stall, sondern springt mit Anlauf in den Moshpit.

Häufig wurde der kleine Trommler musikalisch verhöhnt und gedemütigt. Zum Beispiel von den Kastelruther Spatzen, der Goombay Dance Band oder Wolfgang „Wolle“ Petry. Darbietungen, bei denen du dich fragst, ob das vielleicht strafrechtlich relevant ist.

Dagegen hat der Ex-Fugee Wyclef Jean das trommelnde Kindchen aus der Vorhölle der Weihnachtsmusik befreit. Sein Auftritt besticht durch einen minimalistischen Bewegungsradius und einen voluminösen, wahrscheinlich leicht entflammbaren Kunstpelzmantel. Nie war der „Little Drummer Boy“ cooler.

Die skurrilste Cover-Variante liefert aber Christopher Lee. Ja genau, Saruman. Irgendwann in seinen 90ern dachte der sich: „Warum nicht ein Metal-Weihnachtsalbum aufnehmen?“ und dröhnt sich durch „The Little Drummer Boy“, als würde der gleich mit einer Armee Uruk-hai in den Stall marschieren. Spätestens da weißt du: Dieses Lied hat alles gesehen.


Aber genug der Musik-Exegese. Schließlich hat das Lied eine wertvolle pädagogisch-moralische Botschaft:

  • Auch wer nichts besitzt, kann etwas schenken.
  • Die Geste zählt, nicht der materielle Wert.
  • Jeder darf so schenken, wie er kann.

Das ist alles richtig, besonders in der Weihnachtszeit wichtig und da willst du nicht widersprechen. Dann kannst du dich allerdings nicht mehr zurückhalten, meldest dich doch aus dem Hintergrund – ganz zaghaft, zurückhaltend und wertschätzend – und fragst: „Aber muss es wirklich ein verdammtes Schlagzeug-Solo sein und wenn ja, warum so viele pa rum pum pum pums?“

Du musst doch nur fünf Minuten nachdenken, da fallen dir Dutzende immaterielle Geschenke ein, die beim Wochenbettbesuch besser ankommen:

  • eine Stunde das Baby halten, damit Maria duschen und schlafen kann
  • den Stall durchfegen
  • etwas zu essen mitbringen, das nicht nach Heu schmeckt
  • einfach leise sein

Da möchtest du schon wissen, wie bei dem Knaben der Entscheidungsfindungsprozess ablief, dass er nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss kam: „Das beste Geschenk für frisch gebackene Eltern und ihr Baby ist ordentliches Gewummse auf einem alten Topf. So laut und so lange wie möglich.“

In dem Zusammenhang fragst du dich auch, was eigentlich bei den Eltern des trommelnden Derwischs so geht. Haben die keinen Lebenswillen mehr oder warum haben sie dem Jungen eine Trommel geschenkt? Und kamen weder Mutter noch Vater auf die Idee, ihren Sohn davon abzuhalten, in den Heuschober zu marschieren und einen auf Led-Zeppelin-Drummer für Arme zu machen? Vielleicht sollte man da mal den psychosozialen Notdienst vorbeischicken.

Allerdings muss man dem kleinen Trommler zugutehalten, dass es noch unpassendere Geschenke für das Jesuskind als ein Trommel-Solo in der Lautstärke eines Düsenjets gibt:

  • Einen Hot-Chip als Hostie
  • Dornenkrone in Babygröße
  • Jochen-Schweizer-Gutschein für ein Meet-and-Greet mit Herodes
  • Kruzifix für die Wand

Bei aller Lästerei über den kleinen Trommler ist das selbstverständlich eine sehr niedliche Geschichte. Da ist ein kleiner Junge, der etwas vorführen will, obwohl er das gar nicht richtig kann, aber voller Eifer bei der Sache ist. (Eltern kennen das von spontanen Zauberaufführungen ihrer Kinder.) Der Bub ist so begeistert und trommelt voller Freude, dass es doch sehr rührend ist.

Gut, er schießt ein wenig übers Ziel hinaus, aber da ist kein böser Wille dabei, sondern er meint es nur gut.

Andererseits wissen wir alle: Der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert. Und mit Percussion-Soli.

Naja, wenigstens hat er keine Blockflöte mitgebracht.


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