Post aus Portugal #06 | Der Weg ist das Ziel (29.04.)

Teil 1, Teil 2


Dinge, die nie auf meiner Bucket-Liste standen, die ich nun trotzdem abhaken kann: In einer spanischen Kleinstadt, von der ich vorher noch nie gehört habe, auf dem Boden eines Bahnhofs schlafen, zugedeckt mit einer Rot-Kreuz-Decke.

Trotz windschützender Wand und Rucksäcke war es draußen irgendwann zu ungemütlich. Die Kälte kroch unter die Decke, meine beiden Jacken, die ich trug, meine Kleidung, bis in die Knochen hinein.

Gegen halb zwei verzogen wir uns in die Wartehalle, um uns ein Plätzchen zu suchen. Der einzige noch freie Raum war eine Gasse, die für den Weg zum Klo freigehalten worden war. Ich befand, ein Klogässchen müsste ausreichen und legte mich an den Rand.

In der verklärenden Erinnerung meines Kurzzeitgedächtnisses hatte ich auf dem Bahnhofsvorplatz eine halbwegs bequeme Schlafposition gefunden. Hier gelingt mir das nicht so recht. Auf dem Rücken liegend, tun die Fersen weh, drehe ich sie nach außen, schmerzen die Knöchel.

In der Seitenlage drückt wiederum mein Beckenknochen unangenehm auf den Betonboden. Oder der Betonboden auf meinen Beckenknochen. Das ist eine Frage der Perspektive. Allerdings mit dem gleichen Resultat: Aua.

Foto aus einem fahrenden Bus. Draußen fährt ein LKW vorbei.
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Post aus Portugal #05 | Lost in Zamora (28.04.)

Teil 1


17.30 Uhr. Seit mittlerweile fünf Stunden steht unser Zug irgendwo zwischen Madrid und Zamora in der prallen Sonne. Eine circa 80-jährige Frau im angrenzenden Waggon hat Kreislaufprobleme, unter den Reisenden sind zwei Familien mit Säuglingen.

Wir wissen, dass ganz Spanien – und Portugal – keinen Strom haben, ansonsten sind wir von der Außenwelt abgeschnitten. Ohne Informationen, was genau passiert ist und was als nächstes geschehen wird. Ob, wann und wie wir hier wegkommen.

Trotz ausgefallener Klimaanlage, stickiger Luft und nicht mehr funktionsfähigen Toiletten ist die Stimmung entspannt. Geradezu gelöst. Niemand beschwert sich, niemand wird laut, niemand verwünscht Renfe, die spanische Bahn. Die Situation wird hingenommen, wie sie ist. Seneca, der alte Stoiker, wäre begeistert.

Ich möchte mir nicht ausmalen, was in Deutschland in so einer Lage los wäre. Hier scherzen die Menschen miteinander, verteilen Wasser aus dem Bordbistro, erkundigen sich gegenseitig nach dem Wohlbefinden.

So harmonisch wie es hier zugeht, flechten wir uns gleich Haarkränze aus Blumen, tanzen barfuß im Kreis und singen: „Kumbaya, my lord, kumbaya“.

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Post aus Portugal #04 | Es steht ein Zug im Nirgendwo (28.04.)

12.40 Uhr. Unser Zug steht. Dabei sollte er fahren. Von Madrid nach Vigo. Tut er aber nicht. Schon seit zehn Minuten.

Stattdessen hat er irgendwo in der kastilischen Walachei gehalten. Draußen ist nicht viel zu sehen. Keine Ortschaften oder Ansiedlungen weit und breit. Nur Landschaft. Davon ziemlich viel. Links und rechts erheben sich kleinere Hügel, die Vegetation rangiert farblich von dunklem Grün bis verdorrtem Braun.

Der Zug macht keine Anstalten, sich wieder in Bewegung zu setzen. Als regelmäßiger Kunde der Deutschen Bahn findest du das erstmal nicht ungewöhnlich. Da hältst du auch mal mitten auf der Strecke. Wegen Personen in den Gleisen, noch belegten Bahnsteigen im nächsten Bahnhof, Stellwerkproblemen oder so etwas.

Gerade haben wir aber keine Ahnung, warum der Zug nicht fährt. Es gibt keine Durchsage, keine Erläuterung, keine Informationen. Garnichts.

Da ist die Deutsche Bahn vorbildlich. Die klärt in der Regel sehr zügig auf, was das Problem ist und warum die Fahrt nicht fortgesetzt wird. Vielleicht haben die deutschen Zugbegleiter*innen damit mehr Erfahrung als ihre spanischen Kolleg*innen von Renfe.

Eine gute Viertelstunde später betritt ein Schaffner den Waggon und spuckt einen Wortschwall in Maschinengewehrgeschwindigkeit aus. Ich meine, die Worte „Strom“ (energia) und „ganz Spanien“ (toda España) herauszuhören.

Da ich meinen Spanischkennt-nissen nicht ganz vertraue – zu Recht, denn ich spreche kein Spanisch –, frage ich einen Mit-reisenden über den Gang, ob ich das richtig verstanden habe. Das Englisch des Mannes ist unwe-sentlich verständlicher als die Ansage des Schaffners, aber er bestätigt meine Vermutung. („No electricity, whole country.“)

Kein Strom im ganzen Land, hört sich nicht gut an. Ich habe genügend apokalyptische End-of-the-world-Katastrophen-Thriller gelesen und verfüge über ausreichend schwarzmalende Phantasie, dass ich mir irgendetwas zwischen Sabotage, Hackerangriff und Terrorismus zusammenreime.

Ein Zug der irgendwo auf einer Bahnstreck steht. Davor laufen Menschen auf und ab und telefonieren.
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Post aus Portugal #03 | Schlaflos in Madrid (27.04.)

Madrid ist die lauteste Stadt der Welt. Oder wenigstens eine der lautesten. Steht zumindest im Internet. Aufgrund der anekdotischen Evidenz der gestrigen Nacht bin ich geneigt, dieser Aussage zuzustimmen.

Fußballfans grölten, Touris sangen, Besoffskis krakeelten, Verkehr brummte, Autos hupten, Menschen stritten, Hunde bellten, Verwirrte kreischten, Polizeisirenen sirenten. Irgendwann entsorgte dann jemand auch noch Leergut im Altglascontainer. Nicht rücksichtsvoll sanft, sondern dynamisch schwungvoll. Damit auch wirklich jede Flasche lautstark zersplittert.

Dafür habe ich prinzipiell Verständnis. Sehr großes sogar. Wenn du Flaschen in den Container schmeißt, muss es scheppern. Sonst macht das keinen Spaß. Aber vier Uhr früh ist vielleicht nicht die ideale Uhrzeit dafür.

Gegen halb sieben kam die Nachbarschaft allmählich zur Ruhe. Eine knappe Stunde später startete in der nicht so weiten Ferne Trommelgetöse, um die Teilnehmer*innen des heute stattfindenden Marathons, anzufeuern.

New York trägt den Beinamen „Die Stadt, die niemals schläft“, aber ich glaube, Madrid leidet ebenfalls unter erheblicher Schlaflosigkeit.

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Post aus Portugal #02 | Wer zu früh kommt, den bestraft trotzdem manchmal das Leben. Aber nur fast. (26.04.)

8.40 Uhr. Der AVE 9370 nach Madrid steht abfahrbereit am Gleis 4 des TGV Bahnhofs Avignon. Der Bahnsteig ist menschenleer, die Türen sind bereits geschlossen. In der Ferne schaut eine Schaffnerin prüfend nach links und rechts. Gerade als sie dem Zugführer Bescheid geben will, dass es losgehen kann, erscheinen plötzlich eine Frau und ein Mann auf der Bildfläche.

Bepackt mit großen und kleinen Rucksäcken, Taschen und Beuteln hetzen die beiden schwitzend und kurzatmig, so schnell es das Gepäck erlaubt, zum Ende des Zugs, betätigen den Türöffner und springen in den Waggon, im Hintergrund wedelt die Schaffnerin hektisch mit den Armen. Kaum hat sich die Tür wieder verschlossen, setzt sich der TGV in Bewegung.

Was wie der Anfang einer mittelmäßig lustigen deutschen Komödie anmutet („Mit der Bahn in den Wahn“), ist leider unser Leben, und die zwei Hauptdarsteller*innen sind meine Frau und ich.

Blick aus einem Zugfenster auf einen großen Fluss in der Nähe von Avignon
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Post aus Portugal #01 | Reisen mit dem Zonk (25.04.)

„Wir benötigen einen Arzt oder eine Ärztin. Wenn es einen Arzt oder eine Ärztin unter Ihnen gibt: Bitte kommen Sie in Wagen 5.“

Meine Frau und ich sitzen im ICE Richtung Mannheim, haben bereits 20 Minuten Verspätung und nach dieser Durchsage, die einen längeren Aufenthalt in Fulda, dem nächsten Halt, nach sich ziehen wird, müssen wir uns endgültig von unserem Anschluss-TGV verabschieden.

Das ist natürlich nervig, aber um das eigene Karma nicht überzustrapazieren, sollte man sich darüber jedoch nicht allzu sehr aufzuregen. Gut, wir müssen nun mehrfach umsteigen, sind erheblich länger unterwegs und die neuen Sitzplatzreservierungen kosten uns rund 30 Euro. Dafür werden wir allerdings auch nicht in Fulda im Krankenwagen abtransportiert. Das möchte man ja prinzipiell nicht und noch weniger in der hessischen Provinz.

Wir haben also nicht gerade das Tor mit dem Hauptgewinn abbekommen, aber auch nicht den Zonk. Dass wir Avignon kurz nach Mitternacht erreichen, drei Stunden später als geplant, fühlt sich allerdings zumindest ein wenig nach Zonk an.

Zwei Bilderrahmen, die nebeneinander hängen.

Auf dem linken Bild steht "Today is a perfect", auf dem rechten "Day to be happy"

Durch die merkwürdige Anordnung liest sich der Text wie "Today day is a to be perfect happy."
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Familien-Gedöns der Woche (550): The End

Die DSGVO, so beliebt wie Zitronat, Orangeat, Rosenkohl und Kapern. Daher auch diese Woche der Hinweis: Durch die eingebetteten Posts der diversen Social-Media-Plattformen können deren Betreiber wahrscheinlich irgendetwas herausfinden, was Sie im Internet so machen. Und zwar weil ich die Posts nicht hinter leserinnenunfreundlichen opt-in-Verfahren versteckt habe. Wenn Sie das nicht möchten, ziehen Sie am besten schnell weiter. Allen anderen viel Spaß beim Lesen.

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Am 17. Mai 2014 erschien die erste Folge der “Familien-Tweets der Woche”, fast auf den Tag elf Jahre später endet das Familien-Gedöns der Woche. Damals war Angela Merkel Bundeskanzlerin, Barack Obama US-Präsident, die AfD noch nicht im Bundestag und Corona nur als mittelmäßiges Bier bekannt. Ob die Zeiten damals besser waren? Ich weiß es nicht, rückblickend erscheinen sie auf jeden Fall unbeschwerter.

Elf Jahren Familien-Gedöns bedeuten schätzungsweise 22.000 Tweets und Posts von mehr als 1.500 Social-Media-User*innen, über 200.000 Likes und fast fünf Millionen Zugriffe hier auf dem Blog. Es bescherte mir unzählige Begegnungen, Bekanntschaften und sogar Freundschaften mit ganz wundervollen Menschen. Dem Familien-Gedöns habe ich außerdem zu verdanken, dass ich Buch-Verträge bekommen habe und einen Teil meiner Erwerbsarbeit mit dem Schreiben (halbwegs) lustiger Texte verbringen kann. Vielen Dank.

Mein großer und demütiger Dank gilt den Leser*innen, allen, die mich über die Jahre auf lustige Familien-Posts aufmerksam gemacht haben, und ganz besondere den Eltern, die auf den Social-Media-Kanälen einen Einblick in ihren Alltag gegeben und uns zum Lachen gebracht haben. Vielen Dank.

Die letzte Ausgabe des Familien-Gedöns ist eine Hommage an die vielen Menschen, die ich durch das Familien-Gedöns kennenlernen durfte, die meine Social-Media-Leben bereichert und mir sehr viel Freude bereitet haben. Vielen Dank.

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In elf Jahren Familien-Gedöns hatte ich nur zwei unverhandelbare Regeln: keine Tweets mit Hashtag und keine eigenen Tweets zu veröffentlichen. Ersteres habe ich nicht immer eingehalten, mit letzterem breche ich nun das erste Mal. Ich starte mit meinem erfolgreichsten Familien-Tweet, mit dem ich bis heute Möbel- und Autohäuser eröffne.

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Familien-Gedöns der Woche (549)

Die DSGVO, so beliebt wie Zitronat, Orangeat, Rosenkohl und Kapern. Daher auch diese Woche der Hinweis: Durch die eingebetteten Posts der diversen Social-Media-Plattformen können deren Betreiber wahrscheinlich irgendetwas herausfinden, was Sie im Internet so machen. Und zwar weil ich die Posts nicht hinter leserinnenunfreundlichen opt-in-Verfahren versteckt habe. Wenn Sie das nicht möchten, ziehen Sie am besten schnell weiter. Allen anderen viel Spaß beim Lesen.

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Wie jeden Freitag, das beste Familien-Gedöns der Woche. Auch diesmal ist die Auswahl gekennzeichnet durch Intransparenz, Subjektivität und Inkompetenz.

„Mama? Hast du geguckt?“ „Nein.“ „Gut. Ich hab auch keinen Quatsch gemacht.“

— Frau Koralle (@fraukoralle.bsky.social) 9. Mai 2025 um 12:03
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Familien-Gedöns der Woche (548)

Die DSGVO, so beliebt wie Zitronat, Orangeat, Rosenkohl und Kapern. Daher auch diese Woche der Hinweis: Durch die eingebetteten Posts der diversen Social-Media-Plattformen können deren Betreiber wahrscheinlich irgendetwas herausfinden, was Sie im Internet so machen. Und zwar weil ich die Posts nicht hinter leserinnenunfreundlichen opt-in-Verfahren versteckt habe. Wenn Sie das nicht möchten, ziehen Sie am besten schnell weiter. Allen anderen viel Spaß beim Lesen.

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Bevor es zu den Familien-Posts geht, hier ein Hinweis in eigener Sache:

Der große Philosoph Stephan Remmler hat einmal den weisen Satz gesagt: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“ Das Familien-Gedöns der Woche ist bekanntermaßen keine Wurst und hat somit irgendwann ein Ende.

Ziemlich genau elf Jahre lang habe ich Begebenheiten, Beobachtungen und Erlebnisse aus dem Familienleben gesammelt und jeden Freitag veröffentlicht. Inzwischen sind meine eigenen Kinder 21 und 18 und bereits ausgezogen beziehungsweise beschäftigen sich damit, was sie studieren können.

Da fühlt es sich für mich allmählich etwas merkwürdig an, weiter Sprüche aus dem Familienleben zu kuratieren. Als bärtiger, mittelalter Mann hänge ich ja auch nicht alleine auf dem Spielplatz ab und schaue kleinen Kindern beim Schaukeln, Rutschen und Toben zu. Somit wird es vielleicht Zeit, dass sich jemand anderes um das Sammeln von Familien-Social-Media-Postings kümmert.

Der Abschied soll aber nicht zu abrupt kommen und daher gibt es inklusive heute noch drei Ausgaben des Familien-Gedöns der Woche. Viel Spaß dabei.

"Papa, du kannst machen, dass etwas schmeckt obwohl es nicht lecker aussieht." Die Sechsjährige macht gute Komplimente.

— Mare (@marewiemeer.bsky.social) 26. April 2025 um 19:34
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Post aus Portugal #00 | Goodbye Deutschland

Friedrich Merz wird Anfang Mai Bundeskanzler und meine Frau und ich verlassen Deutschland. Ein starker, wenn nicht gar spektakulärer Texteinstieg, der Haltung, die richtige Gesinnung sowie Entschlossenheit suggeriert und uns in bestem Lichte erscheinen lässt.

Der einzige Wermutstropfen dabei: Der Satz ist grob irreführend. Der Merzsche Amtsantritt und unsere Auslandspläne liegen nur zufällig zeitlich beieinander. Unsere Planung begann schon vor circa zwei Jahre und hatte nichts mit einem möglichen Wahlsieg des sauerländischen Mr.-Burns-Verschnitts zu tun.

Sie müssen sich aber nicht sorgen, dass wir einen auf „Goodbye Deutschland“ machen und wie Moni und Bernd nach Brasilien auswandern und an der Copacabana eine Cocktail-Bar eröffnen, weil wir Strand und Sonne spitze finden und uns in „Manni‘s Durstschänke“ so gerne fertig gemixte Caipis reinlöten. Und uns hält von unserem Vorhaben auch nicht ab, dass wir kein Wort Portugiesisch sprechen und unsere fehlende Sprachkompetenz nur noch von unserer mangelnden gastronomischen Erfahrung unterboten wird.

Eine Reihe von Gepäckstücken auf dem Boden eines Bahnhofs. (Ein großer bräunlicher Trekking-Rucksack, ein kleiner grauer Rucksack, eine Einkaufstasche, ein bunt gestreifter Beutel, ein kleiner schwarzer Rucksack, ein großer lilafarbener Trekking-Rucksack.)
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