Eine kleine Wochenschau | KW03/2025: Guten Appetit (Teil 2)

Teil 1


17. Januar 2025, Berlin/Frankfurt

Neuer Tag, neues URL-Angebot. Heute: Internetseepferdchen.de. Spitze.

Hier ein paar Seepferdchen-Fun-Facts:

  • Seepferdchen sind die einzigen Tiere, bei denen Männchen schwanger werden können und sich um die Brutpflege kümmern.
  • Trotzdem eignen sich Seepferdchen-Hengste nicht vollumfänglich als Vorzeige-Feministen. Balz-Rivalen schlagen sie gerne mal den Schädel ein. Mehr toxische Männlichkeit geht kaum.
  • Zur Kommunikation nutzen Seepferdchen unterschiedliche Laute. Bei der Balz spezielle Klickgeräusche, auf der Jagd lautes Geklicke und unter Stress Brummtöne. Begegnet Ihnen ein brummendes Seepferdchen, halten Sie besser Abstand. Sonst laufen sie Gefahr, aufs Maul zu bekommen. Vor allem wenn das Seepferdchen sie als Rivalen betrachtet.
  • In der Regel leben Seepferdchen monogam. Gelegenheit macht allerdings Liebe. In Aquarien war zu beobachten, wie ein Seepferdchen an einem Tag mehr als zehn Tête-à-Têtes mit Artgenossen hatte. Anscheinend war das der Hugh Heffner unter den Seepferdchen.
  • In der griechischen Mythologie zogen Seepferdchen die goldene Kutsche von Poseidon. Was die Frage aufwirft, wie klein der Meeresgott und seine Kutsche waren, dass Seepferdchen als Zugtiere ausgereicht haben.
  • Seepferdchen haben keine Zähne, sondern eine Pipettenschnauze, mit der sie aus dem Hinterhalt ihre Beute einsaugen. Durchaus erfolgreich, denn Jungtiere verputzen bis zu 4.000 Kleinstkrebse am Tag. Was ungefähr meiner Dominosteine-Quote in der Adventszeit entspricht.
  • Im 18. Jahrhundert nahmen stillende Italienerinnen eine Seepferdchen-Trunk zu sich, um die Milchqualität zu optimieren. Mich hätte das als Kind sehr belastet, wenn ich durch meine Ernährung unzählige Seepferdchen auf dem Gewissen hätte.

Alfred Brehm – genau, der mit „Brehms Tierleben“ – fand, Seepferdchen seien langweilige und geistlose Geschöpfe. Das gleiche sagen Seepferdchen vielleicht über Alfred Brehm.

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Fahrt nach Frankfurt. Mein ehemaliger Kollege J. feiert morgen Geburtstag. Seinen 50. Eigentlich wollte meine Frau mitkommen, aber weil sie sich eine fiese Ohrmuschelentzündung eingefangen hat, muss sie zuhause bleiben.

Vor fast 20 Jahren haben J. und ich in der gleichen Agentur gearbeitet und hatten einen gemeinsamen Kunden. Ein US-amerikanisches Solar-Unternehmen, für das wir die Eröffnung einer Fabrik in Frankfurt (Oder) begleiteten.

Manchmal haben wir zusammen Medientrainings gegeben. Das hat immer Spaß gemacht. Da konntest du in den Rollenspielen Geschäftsführern und CEOs unverschämte Fragen stellen und ihnen anschließend vorhalten, was sie alles falsch gemacht haben. Selbstverständlich immer konstruktiv und wertschätzend.

Ich kann mich noch erinnern, als mein Vater 50 wurde. Ich war damals 17 und schenkte ihm ein T-Shirt mit einem Jugend-Foto von ihm und der Reinhard-Mey-Liedzeile „50, was jetzt schon?“ Mein Vater hat es als Schlafshirt benutzt. Zumindest so lange, bis ich ausgezogen bin.

Hoffentlich schenken mir die Kinder im Sommer kein T-Shirt mit einem Jugendfoto von mir.

18. Januar 2025, Frankfurt

Morgens joggen am Main. Obwohl die Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts liegen, ist die Dichte an Läufern in kurzen Hosen bemerkenswert hoch. Hessen scheinen härter als Berliner zu sein. Vielleicht auch nur härter als ich.

Am Ufer tummeln sich Gänse. Erstaunlich viele und erstaunlich große. Ob ich wohl eine körperliche Auseinandersetzung mit einer Gans gewinnen würde? Bin eher skeptisch und mache einen möglichst großen Bogen um die Tiere.

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Abends Geburtstagsfeier. Die beginnt in einem japanischen Restaurant im Erdgeschoss des Hauses von J., das er vor Jahren von seinen Eltern geerbt hat.

In der Einladung war lapidar von „japanischen Leckereien“ die Rede, was sich als reichlich untertrieben herausstellt. Wir bekommen dort das beste Sushi, das ich jemals gegessen habe. Das liegt sehr wahrscheinlich daran, dass der Typ einen Michelin-Stern hat. Das einzig schlechte daran: Ich werde nie wieder normales Sushi essen können, ohne wie ein abgehobenes, versnobtes Arschloch zu sagen: „Das ist aber nicht so gut wie damals bei Masa.“

Später geht die Feier unten im Keller weiter. Mit improvisierter Bar und klapprigem DJ-Pult. Strahlt alles starke 90er-Jahre-Berliner-Underground-Club aus.

Wie es sich für circa 50-Jährige gehört, die nicht mehr so oft weggehen und deswegen Party ausgezehrt sind, ist die Stimmung gleich top. Bin um 3 Uhr im Bett und hoffe, später den Wecker nicht zu überhören.

19. Januar 2025, Frankfurt/Berlin

Sitze im ICE, als mir meine Frau ein Foto von sich schickt. Ihr geht es zwar besser, aber nun ist nicht nur ihr Ohr geschwollen, sondern auch die Wange. Meine Antwort, sie sähe ein wenig so aus, als hätte sie am Watschenbaum gerüttelt, möchte ich nicht als mangelnde Empathie verstanden wissen, sondern als therapeutische Maßnahme. Lachen ist schließlich die beste Medizin.


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Eine kleine Wochenschau | KW03/2025: Guten Appetit

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


13. Januar 2025, Berlin

Werbung auf Insta für eine Foodtracking-App. Anhand von Fotos, die du von Lebensmitteln knipst, spuckt diese Informationen zu Nährwertangaben und Kalorien aus. Bebildert ist das mit einem Kinder-Bueno-Riegel und einer Banane. Unter dem Schokoriegel steht ein Daumen-runter-Emoji, unter der Banane geht der Daumen nach oben.

Auch auf die Gefahr hin, wie ein fortschrittsfeindlicher Boomer zu klingen: Für diese Einschätzung brauche ich keine App. Eine App, die mir immer, wenn ich nach einem Riegel greife, eine Ohrfeige verpasst, nähme ich dagegen sofort.

Ein rosa Pissoir an einer Wand mit schwarzen Fliesen.
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Familien-Gedöns der Woche (533)

Die DSGVO, so beliebt wie Zitronat, Orangeat, Rosenkohl und Kapern. Daher auch diese Woche der Hinweis: Durch die eingebetteten Posts der diversen Social-Media-Plattformen können deren Betreiber wahrscheinlich irgendetwas herausfinden, was Sie im Internet so machen. Und zwar weil ich die Posts nicht hinter leserinnenunfreundlichen opt-in-Verfahren versteckt habe. Wenn Sie das nicht möchten, ziehen Sie am besten schnell weiter. Allen anderen viel Spaß beim Lesen.

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Wie jeden Freitag, das beste Familien-Gedöns der Woche. Auch diesmal ist die Auswahl gekennzeichnet durch Intransparenz, Subjektivität und Inkompetenz.

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Eine kleine Wochenschau | KW02/2025: Warum liegt hier überall Schnee? (Teil 2)

Teil 1


Es schneit den ganzen Tag. Das braucht nach Weihnachten auch kein Mensch. Vor allem ich nicht. Weil ich keine geeigneten Schneebekleidung habe. Ich besitze schon seit so vielen Jahren keine Winterjacke mehr, dass ich mich gar nicht mehr erinnere, wie meine letzte aussah.

Stattdessen ziehe ich zwei Fleece-Jacken übereinander an und darüber zusätzlich eine Art Dufflecoat, der auch schon bessere Zeit gesehen hat, was aber ziemlich lange her ist. Ein Ensemble, das die Kälte nur bedingt abhält und mir obendrein ein leicht michelinmännchenhaftes Aussehen verleiht. Insbesondere wenn in der Adventszeit der Plätzchen- und Stollenkonsum ausgeufert ist.

Meine einzigen gefütterten Stiefel habe ich vor vielen Jahren bei meinen Eltern mitgenommen. Sie gehörten ursprünglich meinem Vater und sind mir etwas zu weit. Alle paar Jahre kaufe ich mir gut gefütterte Thinsulate-Handschuhe, die nach ein paar Wochen nicht mehr auffindbar sind. (Ich habe den Sohn im Verdacht, der sich gegen solche Anschuldigungen vehement verwehrt.) Zurzeit trage ich meine Laufhandschuhe und darüber Fleece-Handschuhe, von denen ich nicht weiß, wie sie in unseren Besitz gelangt sind.

Jeden Winter nehme ich mir vor, im Laufe des Jahres eine warme Jacke zu kaufen. Am besten zum Ende der Saison, wenn sie schön billig sind. Das vergesse ich dann wieder, bis plötzlich im Dezember oder Januar Schnee fällt und ich fröstelnd in meiner Fleece-Jacken-Dufflecoat-Kombi rumlaufe.

Aber dieses Jahr werde ich daran denken. Ganz bestimmt. Oder ich nehme bei meinem nächsten Besuch im Westerwald einfach eine ausrangierte Winterjacke meines Vaters mit.

10. Januar 2025, Berlin

Heute ist Ehrentag der Zimmerpflanze. Diesen Anlass möchte ich nutzen, um unserem Ficus Benjamini zu gedenken. Der ist mehr als 25 Jahre alt, wir haben ihn bei IKEA gekauft, als wir unsere erste Wohnung in Berlin bezogen.

Der Benjamini ist von schlanker Gestalt und spärlichem Wuchs. Weil er sehr sensibel ist. Wenn du ihm zu nahe kommst, wirft er Blätter ab. Wenn du ihn von der Seite anschaust, wirft er Blätter ab. Wenn du an ihn denkst, wirft er Blätter ab. Und wenn du nichts davon tust, wirft er ebenfalls Blätter ab.

Auf Kreta habe ich mal in einem Garten einen Benjamini gesehen mit einem dicken Stamm wie bei einem hundert Jahre alten Baum und einer dicht bewachsenen Krone, durch die kein Sonnenstrahl drang. Ich war erstaunt, dass Benjaminis so aussehen können und hatte Zweifel, dass dieser Riese und das kümmerliche Exemplar in unserem Wohnzimmer tatsächlich miteinander verwandt sind. (Während ich dies schreibe, wirft unser Benjamini wahrscheinlich gerade empört ein paar Blätter ab.)

Aber unser Benjamini hält es seit mehr als einem Vierteljahrhundert bei uns aus. Das hat bisher keine Zimmerpflanze geschafft und zeugt von Resilienz, Ausdauer und Überlebenswillen.

In diesem Sinne: Alles Gute zum Ehrentag der Zimmerpflanze, lieber Benjamini.

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Der Sohn muss ein Paket in einem Kiosk in der Ottostraße abholen. Dort war er noch nie, nach einer Viertelstunde kommt er sichtlich irritiert zurück. In den Spätis, die er kenne, arbeiteten ausnahmslos Araber oder Türken im Späti, erklärt er. „Dann geh ich dort rein, steht da plötzlich ein alter weißer Mann hinter der Theke.“ Der Sohn schüttelt ungläubig den Kopf.

Die Öffnungszeiten seien auch komisch, fährt er fort. Montag bis Freitag von sechs bis 18 Uhr, samstags bis 16 Uhr und sonntags geschlossen. Der Sohn versteht die Welt nicht mehr. Wenn das alle machten, wo könne man dann am Samstagabend um 23 Uhr Energy-Drinks kaufen?

11. Januar 2025, Berlin

In meinem First-World-Problems-Universum ist heute der erste Tiefpunkt des immer noch recht jungen Jahres. Wir räumen Weihnachten zurück auf den Schrank.

Als erstes schmücken wir den Baum ab und stellen ihn runter an die Straße, anschließend verstauen wir die Weihnachtsdeko und den Adventskranz aus dem Flur in die Kisten und stellen sie oben auf unseren Schlafzimmerschrank.

Nun ist es die nächsten acht Wochen dunkel, feucht und kalt. Also, genauso wie im Dezember, aber ohne Vorfreude auf das Weihnachtsfest, ohne besinnliche Stunden mit der Familie und ohne Stollen, Makronen und Dominosteine.

Das einzige, was bleibt, sind Tannennadeln, die du noch Monate in irgendwelchen Ecken und Ritzen findest, sowie die überflüssigen Weihnachtspfunde – Stichwort Stollen, Makronen und Dominosteine –, die dich ebenfalls noch die nächsten Monate begleiten. Schönen Dank auch.

12. Januar 2025, Berlin

Schaue morgens in der Frühe aus dem Schlafzimmer. Die Nacht hat sich noch nicht verzogen und die Straße ist in Dunkelheit gehüllt. Gegenüber geht der Prediger vorbei, über seinen Kopf hält er eine längliche Stablampe, die ihm den Weg erhellt. Ein merkwürdiges Bild.

Möglicherweise ist der Prediger ja unser Licht und unsere Hoffnung in diesen düsteren Zeiten. Wenn er nicht gerade vor dem Kloster steht und die katholische Kirche aufs Übelste beschimpft. (Vielleicht aber auch genau dann.)


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Eine kleine Wochenschau | KW02/2025: Warum liegt hier überall Schnee?

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


06. Januar 2025, Berlin

Gestern Abend hatte es geschneit, die Gehwege und Bäume waren weiß gezuckert, unsere Straße präsentierte sich fast schon als idyllisches Winterwonderland. (Lediglich leichte Abzüge in der B-Note für das Dixieklo, das vor dem Nachbarhaus steht.)

Nachts dann Regen, für heute sind zweistellige Temperaturen angesagt, an den gestrigen Schnee erinnern nur noch ein paar schmutzige Matschreste am Straßenrand. Von Idylle keine Spur mehr. Wie es sich für den ersten Montag des Jahres gehört.

Ein kleiner Schneemann, der auf braunem Untergrund mit ein paar letzten Schneeresten steht
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Familien-Gedöns der Woche (532)

Die DSGVO, so beliebt wie Zitronat, Orangeat, Rosenkohl und Kapern. Daher auch diese Woche der Hinweis: Durch die eingebetteten Posts der diversen Social-Media-Plattformen können deren Betreiber wahrscheinlich irgendetwas herausfinden, was Sie im Internet so machen. Und zwar weil ich die Posts nicht hinter leserinnenunfreundlichen opt-in-Verfahren versteckt habe. Wenn Sie das nicht möchten, ziehen Sie am besten schnell weiter. Allen anderen viel Spaß beim Lesen.

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Wie jeden Freitag, das beste Familien-Gedöns der Woche. Auch diesmal ist die Auswahl gekennzeichnet durch Intransparenz, Subjektivität und Inkompetenz.

Sohn möchte heute nicht in den Sport. "Dich verschrecken ist mein Sport, Mama" Schön. Schönschönschön

— Krassie 🐝 (@kratzie.bsky.social) 8. Januar 2025 um 14:08
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Eine kleine Wochenschau | KW01/2025: Alles neu? (Teil 2)

Teil 1


02. Januar 2025, Berlin

Ziehe mit dem Sohn los, um Laufschuhe zu kaufen. Zu Weihnachten hat er mir einen Start beim Frankfurt Marathon geschenkt. Und für sich. Das heißt, das Geschenk ist das gemeinsame Projekt und die Zeit, die wir zusammen für die Vorbereitung aufbringen müssen. Und die ist bitter nötig, denn die längste Strecke, die der Sohn je gelaufen ist, sind zehn Kilometer und das ist schätzungsweise acht bis neun Jahre her.

In dem Sportgeschäft muss der Sohn zunächst aufs Laufband. Damit der Verkäufer sich einen Eindruck von seiner Laufbewegung sowie etwaigen Fehlstellungen und -belastungen verschaffen kann. Das Laufband ist irrtümlich auf 22km/h eingestellt und der Sohn muss im Marathon-Weltrekord-Tempo rennen, um nicht von dem Band befördert zu werden.

Der Verkäufer ist peinlich berührt, ob der falschen Einstellung der Maschine, und gleichzeitig schwer beeindruckt, dass der Sohn die Geschwindigkeit geschafft hat. Nun wissen wir, dass der Sohn fit genug ist, 30 Sekunden mit Eliud Kipchoge mitzuhalten. Nun haben wir noch knapp elf Monate Zeit, damit seine Kondition für 42 Kilometer reicht.

03. Januar 2025, Berlin

Seit Dezember ist „Wenn ich groß bin, werde ich Gott“ im Buchhandel erhältlich. Deswegen muss ich zwei Exemplare an die Deutsche Nationalbibliothek und eins an die Zentral- und Landesbibliothek schicken. Das schreibt das Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek (DNBG) und die Pflichtablieferungsverordnung (PflAV) sowie das Pflichtexemplargesetz (PflExG) vor.

Zuwiderhandlungen können mit bis zu 10.000 Euro bestraft werden. Da musst du schon eine Menge Bücher verkaufen, um das zu bezahlen.

Ich finde die Vorstellung ein wenig bizarr, dass die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt und Leipzig Millionen von Büchern aufbewahrt. Noch bizarrer ist die Vorstellung, dass dort mein Büchlein neben Werken wie „Der Zauberberg“, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ oder „Der geteilte Himmel“ steht. Müssten Thomas Mann, Heinrich Böll und Christa Wolf das noch erleben, würden sie sich wahrscheinlich erschießen. Damit sie sich dann im Grabe umdrehen könnten.

04. Januar 2025, Berlin

Sitze in der Küche und fummle mir mit einem Wattestäbchen im Mund an der Wange rum. Das Wattestäbchen ist Teil eines DNA-Kits, das meine Frau dem Sohn und mir zu Weihnachten geschenkt hat und mit dem du eine Gen-Analyse durchführen lassen kannst, woher deine Vorfahren stammen.

Ich bin ein wenig skeptisch. DNA-Test, Gen-Analyse und ethnische Abstammung hat einen leicht unangenehmen Beigeschmack von Rassenlehre. Außerdem hast du keine Ahnung, was der Anbieter mit deinen DNA-Informationen alles macht. (Dazu hätte ich beim Registrieren das Kleingedruckte lesen müssen.)

Anderseits finde ich es interessant, mehr über meine Herkunft zu erfahren. Meine Frau und die Tochter haben den Test bereits vor ein paar Jahren gemacht. Dabei kam unter anderem raus, dass die Tochter einen mehr als 16-prozentigen skandinavischen Teil in sich trägt, den meine Frau nicht hat.

Folglich muss er aus meiner Familie kommen und ich kann darauf hoffen, dass meine Urahnen Wikinger waren. Das wäre ein interessantes Small-Talk-Thema. Außerdem könnte ich in Unterhaltungen regelmäßig einflechten: „Wie wir Wikinger zu sagen pflegen.“ Allein dafür lohnt sich der Test.

05. Januar 2025, Berlin

Das neue Jahr ist fast schon eine Woche alt. Aber immer noch jung genug, um sich etwas vorzunehmen. Gute Vorsätze fassen, Ziel formulieren, einen Plan schmieden. Einen guten Plan. Vielleicht auch einen nicht so guten. Hauptsache irgendeinen. Damit ich nicht planlos durch 2025 irre.

Ich mag gute Vorsätze und Jahrespläne. Dann sehe ich mein zukünftiges Ich vor mir und das gefällt mir so viel besser als mein gegenwärtiges. Der Ende-2025-Christian ernährt sich ausgewogen und dehnt sich regelmäßig, ist zielstrebig und prokrastiniert weniger, meldet sich bei alten Freunden und vergisst keine Geburtstage, ist nicht so lethargisch und unternimmt Sachen, informiert und engagiert sich. Ein toller Typ.

Ein Jahresplan ist quasi die halbe Miete. Wie früher an der Uni, wenn du Texte kopiert hast. Da hattest du das gute Gefühl, dass du schon etwas getan hast. Bis du nicht mehr verdrängen konntest, dass du noch gar nichts gelernt hast, sondern dafür die Artikel sorgfältig lesen und verstehen musst. Das war richtig mühselig.

Genauso ist das mit Jahresplänen. Da ist die Umsetzung auch total anstrengend. Um mein neues und vor allem besseres Ich zu werden, muss ich mich ausgewogener ernähren und regelmäßig dehnen, mich bei alten Freunden melden und keine Geburtstage vergessen, zielstrebig sein und weniger prokrastinieren, nicht so lethargisch sein und Sachen unternehmen, mich informieren und engagieren. Puh.

Vielleicht sollte ich mir für 2025 lieber vornehmen, nachsichtiger und zufriedener mit meinem Gegenwarts-Ich zu sein. (Und mich etwas ausgewogener ernähren.)


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Eine kleine Wochenschau | KW01/2025: Alles neu?

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


30. Dezember 2024, Berlin

Jahresendeinkauf bei Penny. Die Situation im Eingangsbereich ist unübersichtlich. Die einen warten auf Einkaufswägen, die anderen stehen am Pfandautomaten an.

Ein abgerissener Typ spricht mich an. Ob ich auch Pfand zurückgeben wolle. Ich verneine, ich bräuchte einen Wagen.

Dann fragt er unvermittelt, ob ich ABBA kenne. „Die Band?“, frage ich zurück. Er nickt. „Ja“, erwidere ich zögerlich. „Die Lieder habe ich gesungen“, sagt er. „In einer Cover-Band?“, frage ich. Er schüttelt den Kopf. „Die Lieder sind von mir.“ Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Vor allem weil er danach sagt: „Die von den Beatles auch. Und von Tupac.“

Aufkleber auf einem Laternenpfahl, auf dem steht: Something about nix.
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Familien-Gedöns der Woche (531)

Die DSGVO, so beliebt wie Zitronat, Orangeat, Rosenkohl und Kapern. Daher auch diese Woche der Hinweis: Durch die eingebetteten Posts der diversen Social-Media-Plattformen können deren Betreiber wahrscheinlich irgendetwas herausfinden, was Sie im Internet so machen. Und zwar weil ich die Posts nicht hinter leserinnenunfreundlichen opt-in-Verfahren versteckt habe. Wenn Sie das nicht möchten, ziehen Sie am besten schnell weiter. Allen anderen viel Spaß beim Lesen.

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Wie jeden Freitag, das beste Familien-Gedöns der Woche. Auch diesmal ist die Auswahl gekennzeichnet durch Intransparenz, Subjektivität und Inkompetenz.

Der Tag neigt sich, die Teenager werden aktiv. Man kennt es auch von Chinchillas oder Hamstern.

— Buddenbohm (@buddenbohm.bsky.social) 31. Dezember 2024 um 18:02
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Eine kleine Wochenschau | KW52/2024: Besuch in der Heimat (Teil 2)

Teil 1


27. Dezember 2024, Westerburg/Stahlhofen

Nachmittagsspaziergang am Wiesensee. Bewegung tut ja immer gut und außerdem ist es ganz schön, mal anderthalb Stunden nichts zu essen.

Der Wiesensee ist ein circa 80 Hektar großer, aufgestauter, künstlicher See. Mit Golfhotel, Segelverein und Seecafé. Aber zurzeit ohne Wasser. Das wurde vor ungefähr zwei Jahren abgelassen, um die Stauanlage und den Damm zu sanieren. Somit ist der Wiesensee eigentlich kein See mehr, sondern nur noch Wiese.

Weil in der Zwischenzeit das Gras so hoch gewachsen war, wurde der See, der kein See mehr ist, mit Spezialmaschinen gemäht. Bei SWR 4 lassen sich dazu mehrere Berichte finden.

Weil der wasserlose See die Menschen vor Ort bewegt. Ende Juli fand sogar eine Demo mit rund 120 Teilnehmer*innen statt. So richtig mit Schildern und Sprechchören. Organisiert hatte den Protest die Initiative „Wasser für den Wiesensee“, die sich bei der Namensgebung anscheinend von „Brot für die Welt” inspirieren ließ.

Auf der Kundgebung übergab die Initiative eine Liste mit 2.200 Unterschriften an den Verbandsgemeindebürgermeister. Der musste sich dann rechtfertigen, warum die Wasserlosigkeit des Wiesensees schon so lange anhält. In dem Medienbericht ist von einer aufgeheizten Stimmung die Rede, mit Zwischenrufen und Pfiffen der Demonstrierenden.

Mit dem Verbandsgemeindebürgermeister bin ich auch zur Schule gegangen. Wir waren im gleichen Mathe-LK. Was wohl aus mir geworden wäre, wenn ich im Westerwald geblieben wäre? Vielleicht wäre ich sein Pressesprecher. Eher unwahrscheinlich, da er bei der CDU ist. Dann schon eher mittelloser Stadtschreiber, der bei seinen Eltern wohnt, weil er sich keine eigene Wohnung leisten kann. (Wahrscheinlich bekommen meine Mutter und mein Vater beim Lesen gerade nervöses Augenzucken.)

Unser Spaziergang um den See ist auch ohne Wasser idyllisch. Der Himmel ist blau und die Sonne strahlt. Ich weiß nicht, wann ich in Berlin das letzte Mal die Sonne gesehen habe.

Auf dem Rückweg spricht uns an einem Parkplatz eine Frau an. Ihr Autoschlüssel tue nicht das, was er soll, nämlich das Auto öffnen. Der Ersatzschlüssel läge in ihrem Rucksack im Fußraum unter der Rückbank und sie wisse nicht weiter.

Nach mehreren Versuchen öffnet sich zumindest der Kofferraum. Durch die halb umgeklappte Rückwand quetsche ich mich mit wenig Geschick, noch weniger Anmut und gar keiner Würde nach vorne und angle den Rucksack hervor.

Der Ersatzschlüssel funktioniert zunächst ebenfalls nicht richtig. Der Sohn krabbelt daher bis nach vorne zum Fahrersitz, um die Tür von Hand zu öffnen, wobei er auch nicht gerade aussieht, als verdiene er seinen Lebensunterhalt als Schlangenmensch im chinesischen Staatszirkus. (Ich schreibe dies mit größter väterlicher Zuneigung.)

Schließlich lässt sich das Auto mit dem Ersatzschlüssel wenigstens manuell öffnen. Die Frau ist erleichtert und wir haben unsere gute Tat des Tages vollbracht.

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Meine Frau und ich schlafen in meinem alten Kinderzimmer, von dem außer ein paar aufgeklebten Sternen an der Decke und meinem alten Schreibtisch nicht viel kinderzimmeriges übriggeblieben ist.

Auf ein Schränkchen haben meine Eltern einen Adventskalender hingestellt, den ich für sie zur Grundschulzeit gebastelt habe. Aus 24 Streichholzschachteln, in vier Sechser-Reihen, mit Goldpapier und aufgemalten Sternen verziert.

Den Inhalt haben meine Eltern ebenfalls aufgehoben. Kleine Bildchen, Mini-Basteleien, erstaunlich viele Ein-Pfennig-Münzen und verschiedene Gutscheine:

  • Einmal Frühstückstisch decken
  • Einmal Straße Keren (Schnee schippen)
  • Zweimal abtrocknen

Außerdem, aus welchen Gründen auch immer, für eine Tube U-hu für meinen Vater. Keine Ahnung warum. Ich kann mich nicht erinnern, dass er viel gebastelt hätte. Vielleicht hatte ich seinen Kleber bei der Herstellung des Adventskalenders aufgebraucht und wollte ihm per Gutschein einen neuen zukommen lassen.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Gutscheine jemals eingelöst habe. Möglicherweise ist der Adventskalender ein Wink meiner Eltern, ich solle endlich die verdammte Straße kehren, und mein Vater hätte gerne mit 40-jähriger Verspätung seinen Alleskleber.

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Abends, viertel nach zehn. Warte mit dem Sohn nicht am Erlebnis- sondern am Busbahnhof auf den 460er nach Montabaur. Von dort fährt der Sohn um 23.10 Uhr mit zurück nach Berlin, weil er morgen wieder ins Brauhaus muss.

Ein Bus fährt ein, mir ist unklar, ob es unserer ist. Ich gehe an die Tür, der Fahrer ignoriert mich zunächst, erst als ich dezent an die Scheibe klopfe, betätigt er missmutig den Türöffner. Auf meine Frage, ob er nach Montabaur führe, erwidert er in einem Tonfall, der heimelige Berlin-Gefühle ihn mir hervorruft, was denn an dem Bus stünde.

Trete einen Schritt zurück und lese laut vor: „ww mobility“. „Genau, ich hab’ Feierabend“, grummelt der Busfahrer.

Dass mobility und Feierabend kaum gegensätzlicher sein können und dass da eher „ww immobility“ stehen müsste, verkneife ich mir. Ich habe nicht den Eindruck, dass der Mann an einem herrschaftsfreien Diskurs im Habermasschen Sinne interessiert ist, bei dem nur das bessere Argument zählt.

Schließlich kommt doch noch der 460er. Über den Gang weg sitzen zwei junge Frauen, circa Anfang 20. So wie sie sich aufgebrezelt haben, vermute ich, sie sind auf dem Weg zu irgendeinem Club. Mit einer Dose „Monster“ trinken sie sich die nötige Energie für die Nacht an.

Eine der beiden ruft irgendwo an. Ihre Freundin trüge eine Jeans, ob sie damit reinkäme, will sie wissen. „Eine Belanciara“, raunt die andere, in der Hoffnung damit zu punkten. Der Gesprächspartner teilt ihr mit, das sei in Ordnung, so lange niemand aussähe, als ginge er zum Sport.

Angesichts meiner schwarzen Jogginghose hätte ich demnach keine Chance an der Tür. Mein Alter könnte auch ein Problem sein. (Stichwort: „Kommen die jetzt schon zum Sterben hier hin?“)

In Montabaur leiste ich dem Sohn noch eine halbe Stunde in der zugigen Bahnhofshalle Gesellschaft. Der Warteraum ist geschlossen. Ein Zettel weist darauf hin, dieser sei aufgrund wiederholter Vandalismusvorfälle nur zu den Arbeitszeiten des Service-Personals geöffnet. Mein Vater meint später dazu, dann sei er wohl nie auf.

Auf der Rückfahrt sitzen wir immerhin zu neunt im Bus. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Menschen nachts um kurz vor halb zwölf mit dem ÖPNV durch den Westerwald fahren.

Als wir Westerburg erreichen, fährt kurze Zeit später auch noch ein Zug nach Limburg. Da soll noch einer sagen, der ländliche Raum hätte nichts vom Deutschlandticket.

28. Dezember 2024, Montabaur/Berlin

11.20 Uhr. Der ICE von Montabaur nach Köln ist ungewöhnlich voll. Während meine Frau und ich uns zu unseren reservierten Plätzen vorwühlen, bleibt die Tochter im Eingangsbereich stehen. Der Schaffner, der sie kontrolliert, lässt sie in der angrenzenden ersten Klasse sitzen („Mein Weihnachtsgeschenk für Sie.“) und einen Lieblingsgast-Keks gibt er ihr auch noch.

Als er zu uns kommt, sind die Kekse alle und wir gehen leer aus. Schlimm, diese Zweiklassengesellschaft. Oder wir sind für ihn einfach keine Lieblingsgäste. Auch schlimm.

Später ist der Gott der Bahnreisenden nicht mehr ganz so gnädig mit der Tochter. Ihr Zug nach Kiel hat ordentlich Verspätung. Aber nicht genug. Ihr Zug kommt in Kiel 57 Minuten später als geplant an und damit drei Minuten zu früh für die 25-Prozent-Entschädigung.

Meine Frau und ich müssen von Köln nach Berlin wieder im 6er-Abteil sitzen. Mit einer weiteren Frau und einer alleinreisenden Mutter mit ihrem circa achtjährigen Sohn und ihrer knapp einjährigen Tochter. Das Baby ist gut gelaunt und bietet mir ihren angesabberten Haferkeks an, ich lehne dankend ab.

In Hagen steigen die drei um. Während sich die Mutter umzieht, drückt sie mir ihre Tochter in den Arm. Entweder sehe ich sehr, sehr vertrauenswürdig aus oder die Frau ist sehr, sehr leichtsinnig. Die Kleine bedankt sich, indem sie mir fröhlich lachend auf die Brille tatscht.

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Der Rest der Fahrt verläuft ereignisarm. Als wir am Berliner Hauptbahnhof ankommen, sind in der Ferne Böller zu hören. Willkommen zuhause.


Ein herzliches Dankeschön allen Leser*innen, die das ganze Jahr über so fleißig die Wochenschau gelesen, kommentiert und geteilt haben. Ich wünsche Ihnen einen ruhigen Silvesterabend und einen guten Start ins neue Jahr. Möge 2025 phantastisch werden.


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