Bevor ich nach Lissabon kam, hatte ich mich mit dem Thema Stadtheiligen nicht sonderlich viel beschäftigt. Und mit „nicht sonderlich viel“ meine ich „gar nicht“.
In Lissabon ist das nicht möglich. Die Stadt hat nicht nur einen, sondern gleich zwei Schutzpatrone: Den Heiligen Vinzenz und den Heiligen Antonius. Die beiden sind allgegenwärtig. Mit Statuen, Kirchen, Gemälden und Festen. Vor allem im Juni.
Aber wer waren die zwei zu Lebzeiten? Was hat sie als Menschen ausgezeichnet? Und warum wurden sie heiliggesprochen?
Fragen, die Sie wahrscheinlich nicht die Bohne interessieren und die ich nicht beantworten kann. Tauchen Sie stattdessen mit mir ein in eine Welt der Vielnamerei, der Vielgebeinerei und der Vielschutzpratonerei.

Vinzenz: Der Lissaboner Stadtpatron, der nie in Lissabon war
Offizieller Schutzpatron von Lissabon ist der Heilige Vinzenz. Beziehungsweise der Heilige Vinzenz von Saragossa, um genau zu sein. Auch bekannt als Vinzenz von Valencia, Vinzenz der Märtyrer, Vinzenz von Osca oder Vinzenz der Diakon.
Jemand mit so vielen Namen ist normalerweise entweder auf der Flucht oder Protagonist der neuen Staffel von Tinder-Schwindler. Bei Heiligen ist das anders. Die sind so beliebt, dass ganz viele Orte sie für sich reklamieren und ihre Städtenamen an sie ranklatschen.
Falls Sie in dem Namenssammelsurium vergeblich nach Lissabon gesucht haben, liegt das nicht an ihrer mangelhaften Lesekompetenz. Der gute Vinzenz hatte Zeit seines Lebens schlichtweg nichts mit der portugiesischen Hauptstadt zu tun. Sofern mich meine dreiminütige Internet-Recherche nicht täuscht, war er sogar nie in Portugal gewesen.
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Über seine Herkunft ist nicht viel bekannt. Nur dass er gegen Ende des 3. Jahrhunderts in Osca zur Welt kam. Studiert hat er in Saragossa, dort ernannte ihn Bischof Valerius später zum Diakon.
Die Römer, die sich damals die iberische Halbinsel unter den Nagel gerissen hatten, waren nicht die größten Christen-Fans. Sie verhafteten Vinzenz und brachten ihn nach Valencia, wo er als Märtyrer starb. (Ein Euphemismus dafür, dass er vorher auf unvorstellbar brutale Art und Weise gefoltert wurde. Die Stichworte zerdehnte Glieder, von Haken zerrissen, glühender Rost und Glasscherbenlager sollen genügen, um Ihre Phantasie anzuregen.)
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Wie der tote Vinzenz im 8. Jahrhundert die Küste der Algarve erreichte, da sind sich die Historiker beziehungsweise Quellen wie Portugalforum.de, Ökumenisches Heiligenlexikon oder Letzte Bratwurst vor Amerika uneins. Aber er tat es. In der Nähe von Sagres. Damit war er schon mal in Portugal gelandet, für die nächsten dreihundert Jahre hatte er dann erstmal seine Ruhe.
Bis Mitte des 12. Jahrhundert Alfons der I. – beziehungsweise seine Armee – Lissabon nach rund 400 Jahren maurischer Herrschaft zurückeroberte. Daraufhin ließ er die Gebeine des Heiligen Vinzenz nach Lissabon bringen. Das hatte er vorher versprochen und was man verspricht, muss man halten. Da war der erste Alfons ganz Ehrenmann. Warum er seinen militärischen Sieg mit einem Leichnam feierte, ist eine andere Frage.
Gut zwanzig Jahre später – gut Ding will schließlich Weile haben – kamen die Vinzenz-Überreste schließlich in der Stadt an. Seitdem werden sie in der Kathedrale von Lissabon aufbewahrt.
Wahrscheinlich. Denn Gebeine von ihm sollen ebenso in verschiedenen Klöstern und Kirchen in Rom, Saragossa, Saint-Benoît, Castres, Chantelle, Orbigny, Le Mans, Ax-les-Thermes, Eger und Wien liegen. Möglicherweise haben Heilige mehr Extremitäten als Normalsterbliche.
Mit der Ankunft der Knochen ernannte Alfonso I. Vinzenz zum Lissaboner Stadtheiligen. Das Boot, mit dem der Leichnam (oder was auch immer) ankam, sowie die beiden Raben, die während der Überfahrt aufpassten, dass ihn keine Aasgeier anknabbern, wurden auf dem Stadtwappen verewigt, der Heilige selbst nicht. Dafür bekam er eine große Statue und ein eigenes Kloster.
Der Feiertag des Heiligen Vinzenz ist der 22. Januar und wird mit einer bischöflichen Messe sowie einer Prozession durch Lissabon begangen.

Der Heilige Vinzenz ist nicht nur für das Wohlergehen Lissabons und seiner Bewohner*innen zuständig. Im Nebenerwerb sorgt er zusätzlich für den Schutz von Schülern, Brotverwaltern – bitte fragen Sie mich nicht, was das ist –, Ziegelbrennern, Töpfern, Dachdeckern, Seeleuten, Weinbauern und Weinbergwächtern, Webern und Holzfällern, Schneidern und Hutmachern, Federvieh und Kaffeehäusern.
Außerdem hilft er bei Körperschwäche und Darmkrankheiten sowie beim Wiederfinden abhanden gekommener Sachen. Ein wahrer Tausendsassa und Hustler, der so viel arbeitet, dass Friedrich Merz einen feuchten Schlüpper bekommt.
Antonius: Der Turbo-Heilige und Party-Patron
Damit der gute Vinzenz mit seinen vielen Side-Jobs keinen Burnout erleidet, teilt er sich den Lissaboner Schutzpatronen-Posten mit dem Heiligen Antonius. Dieser firmiert ebenfalls unter mehreren Bezeichnungen. Eventuell ist das so ein Heiligending, um sich wichtig zu machen. Je mehr Namen, desto dicker die Hose.
Bekannt ist er zum einen als Heiliger Antonius von Lissabon, wo er 1195 – plus/minus ein paar Jahre – als Sprössling einer portugiesischen Adelsfamilie zur Welt kam, zum anderen als Heiliger Antonius von Padua, wo er 1231 das Zeitliche segnete.
Manchmal heißt er auch Antonius vom Kinde Jesus, weswegen er auf Darstellungen gerne mit dem Jesusbaby auf dem Arm auftritt. Wobei der Sohn Gottes häufig mit nacktem Po auf einer Bibel sitzt. Wahrscheinlich hat Antonius niemand erklärt, dass es so etwas wie Windeln gibt.

Antonius war zunächst Augustiner-Chorherr, wechselte dann nach zehn Jahren den Verein und ging ab 1220 für die Franziskaner an den Start. Viel unterwegs war er auch, unter anderem in Marrakesch, Bologna, Sizilien, Assisi und Südfrankreich, um nur einige seiner Stationen zu nennen.
Bereits zu Lebzeiten schrieb man Antonius zahlreiche Wunder zu. Als beispielsweise die Bewohner von Rimini keinen Bock auf seine Predigt hatten, soll er stattdessen am Ufer des Meeres zu den Fischen gesprochen haben, die ihm andächtig lauschten.
Für mich klingt das weniger nach einem Wunder, sondern eher danach, dass Antonius rhetorischen Fähigkeiten gar nicht so groß waren, wie immer behauptet, und Fische diesbezüglich nicht sonderlich anspruchsvoll sind.
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Aufgrund seiner großen Beliebtheit wurde Antonius bereits elf Monate nach seinem Tod heiliggesprochen. Bis heute eine Turborekord der Heiligsprechung. Vermutlich haben sich die Fische bei Papst Gregor IX für ihn eingesetzt.

Auch Antonius hat mehrere Schutzpatronen-Jobs am Laufen. Unter anderem gilt er als Beschützer der Armen, der Bäcker, der Schweinehirten, der Bergleute, der Reisenden und der Sozialarbeiter, der Frauen und Kinder, der Pferde und Esel sowie der Ehen.
Zusätzlich rufen die Menschen ihn bei Unfruchtbarkeit, Fieber, Pest, Schiffbruch, Kriegsnöten, Viehkrankheiten und beim Wiederauffinden verlorener Dinge an. Letzteres ist ja eigentlich die Aufgabe von Vinzenz. Vielleicht sollte einer der beiden dafür sorgen, dass die Sachen gar nicht erst verschusselt werden.
Als würde das alles nicht schon reichen, soll der Antonius obendrein zu einer guten Geburt, zum Altwerden, zu einer guten Ernte und zum reichen Pilzfund verhelfen. Wie er bei all diesen Aufgaben fokussiert bleibt, ist mir ein Rätsel. Ich tippe auf Ritalin-Missbrauch.
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Gefeiert wird der Heilige Antonius am 13. Juni. Weil dafür ein Tag nicht ausreicht, finden den ganzen Juni über Stadtfeste – so genannte Arraiais –, Veranstaltungen und Konzerte in Lissabon statt.
Höhepunkt sind am 12. die Antonius-Hochzeiten, bei denen 16 unterprivilegierte Brautpaare vermählt werden, um ihnen eine prunkvolle Vermählung zu ermöglichen, und die „Marchas Populares“, ein großer Umzug durch die Straßen Lissabons. Anschließend wird bis in die Puppen gefeiert. Wer fit genug ist, schleppt sich am 13. zur Antonius-Prozession.
Fazit
Vinzenz ist der offizielle Stadtheilige von Lissabon, Antonius dagegen der Heilige des Volks. Oder Heiliger der Herzen. Ein Resümee, das klingt, als hätte es jemand von ChatGPT abgeschrieben. Was daran liegt, dass ich das getan habe. (Außer den Teil mit dem „Heiligen der Herzen“.)
Dass Vinzenz weniger beliebt als Antonius ist, ist nicht besonders verwunderlich. Als gebürtiger Spanier, der im kalten, grauen Januar mit einer öden Prozession gefeiert wird, hat er einfach schlechte Karten. Dagegen ist Antonius ein Sohn der Stadt, lässt im Juni jede Menge Partys steigen und sorgt zudem für harmonische Ehen. (Und für gute Pilzfunde.) What’s not to like?
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)