Was haben eine Weihnachtsfeier und „Last Christmas“ gemeinsam? Du kannst ihnen im Dezember nicht entkommen und sie sind so erquicklich wie ein eitriges Furunkel am Hintern. Bei dem spürst du aber wenigstens etwas und weiß, dass du innerlich noch nicht tot bist.
Auf Weihnachtsfeiern trinkst du Glühwein, der nach Rentier-Urin schmeckt, isst Dinge, die du nicht magst, und unterhältst dich mit Menschen, die du noch weniger magst.
Tätigkeiten, die einer Weihnachtsfeier vorzuziehen sind: Zahnwurzelbehandlung, Andreas-Gabalier-Konzert, Markus Söder beim Wurstessen zuschauen.

„Bekomm’ Kinder“, haben sie gesagt. „Kinder sind niedlich, machen drollige Dinge und bereichern dein Leben. Was dir niemand gesagt hat: Dass du mit Kindern zu Kita-Weihnachtsfeiern gehen musst.
Auf der Einladung steht: „Gemütliches Beisammensein mit Musik und Bastel-Spaß.“ In echt ist es Flöten-Terror gepaart mit einer „Hole ich mir Salmonellen am Buffet?“-Challenge.
Erster Höhepunkt: das Krippenspiel. Die Kinder haben monatelang geprobt, nun steht da ein überfordertes Vorschulkind im Polyester-Schafkostüm, schwitzt wie auf einer Ziegenfarm in Griechenland und sagt an der falschen Stelle: „Mäh!“
Du hockst auf einem winzigen Stuhl, der für Gartenzwerge konzipiert wurde, deine Kniescheiben verabschieden sich allmählich und vor dir stehen 27 Eltern mit Handys in der Luft und filmen alles im Hochformat für die Ewigkeit.
Als nächstes der musikalische Teil: Die Blockflöten-AG spielt selbstkomponierte Weihnachtslieder. Ein Klangerlebnis, bei dem du dir überlegst: „Wie kann ich mir unauffällig die Ohren abschneiden?“ Stattdessen schließt du die Augen und versuchst, dich in einen transzendenten Zustand der maximalen Gleichgültigkeit zu meditieren.
Anschließend präsentieren die Kinder ihre Weihnachtsbasteleien. Dein Kind hat einen Engel aus Klorollen zusammengeleimt, verziert mit Salzteig-Sternen und einer Lichterkette mit lebensgefährlicher Verkabelung. Eine Mischung aus naiver Kunst, Kubismus und Brutalismus.
Du „ohst“ und „ahst“ vor Verzückung und denkst dabei: „Wie kann ich das später unentdeckt entsorgen?“ („Ja, Schatz, die orangene Tonne im Hof ist für besonders wertvolle Kunstwerke.“)
Was auf einer Kita-Feier nicht fehlen darf: das Mitbring-Buffet. Oder wie es in der Einladung hieß: „Jede Familie zaubert etwas Leckeres.“
Das Ergebnis der kulinarischen Zaubereien ist eine Herausforderung für Augen und Magen:
- drei Kartoffelsalate mit Mayonnaise in unterschiedlichen Graustufen
- eine Dose trockenes Weihnachtsgebäck aus den 80ern
- Gurkenscheiben in Sternenform („etwas Gesundes“), die später unangetastet wieder mit nach Hause wandern
- zwei Liter Kinderpunsch, die wie schlecht gelaunter Traubensaft mit zu viel Zucker schmecken
Später kommt noch der Nikolaus – Bens Vater in einem Kostüm aus der Karnevals-Resterampe – und verteilt Geschenktütchen an die Kinder.
Der Inhalt: Gammelige Erdnüsse, einer von diesen flachen Nikoläusen, bei denen die Schokoabfälle der letzten drei Jahre verarbeitet wurden, und ein Alibi-Apfel, der wochenlang im Keller neben dem Streusalz lag.
Nach zweieinhalb Stunden pädagogischer Besinnlichkeit darfst du gehen. Mit einem Kind auf Zucker-Trip, einer Tüte Bastelabfälle und einem flauen Gefühl im Magen, weil du wider besseren Wissens doch vom Kartoffelsalat probiert hast.
Du hast dich noch nicht richtig von der Kita-Feier erholt, da steht der Bodensatz der adventlichen Zwangsbespaßung an: die Betriebsweihnachtsfeier.
Die kündigt sich immer gleich an. Mit einer Mail im Postfach. „Einladung zur Weihnachtsfeier – wir freuen uns auf euch.“ „Wir“ sind natürlich die Personaler, niemand sonst in der Firma „freut sich auf euch“.
Die Teilnahme ist freiwillig. So freiwillig wie die Steuererklärung. Kommst du nicht, giltst du als „schwierig“. Gehst du aber hin, wirst du Dinge sehen, die du nie wieder entsehen kannst.
Der Dresscode: „Business Casual“. Das heißt, niemand weiß, was er anziehen soll. Die eine Hälfte kommt in Jeans und Pullover, die andere Hälfte sieht aus, als hätte sie sich nicht entscheiden können, ob sie auf eine Trauung oder eine Beerdigung geht.
Ein Kollege taucht im blinkenden Weihnachtsanzug auf. Olaf aus der IT – natürlich. Er findet das lustig, sonst niemand.
Zur Feier wird in ein stadtbekanntes Restaurant eingeladen. Bekannt dafür, dass dort regelmäßig das Gesundheitsamt vorbeischaut. Die Firma muss sparen.
Los geht’s mit einem Sektempfang. Auf nüchternen Magen. Das ist wie Öl ins Feuer gießen, bevor du das Streichholz überhaupt in der Hand hast.
Du versuchst dich unauffällig an den Rand zu stellen. Leider steht da schon Bernhard aus der Buchhaltung. Der dir seit drei Jahren jeden Montag erzählt, der der ÖPNV auch nicht besser wird. Nach dem dritten Sekt geht es eigentlich.
Vor dem Essen dann noch die Chef-Rede. Oder: Bullshit-Bingo in Echtzeit. „Challenges“, „Transformationsprozesse“, „Mission Statement“ „Values“ und „Teamspirit“. Du denkst derweil: „Wie lang ist eigentlich meine Kündigungsfrist?“
Zum Abschluss reißt er noch ein paar zotige Besenkammer-Sprüche. Gabi von Human Resources bekommt nervöses Augenzucken.
Dann endlich das Essen. Meistens Buffet. Das ist wie die Firma: vorne schön angerichtet, hinten Chaos und irgendjemand hat die Ressourcen falsch geplant.
Auf der Anrichte steht:
- Irgendwas mit Rucola, den die Kaninchen übriggelassen haben
- ein totes Tier, das aussieht, als sei es einer altgriechischen Mythensaga entsprungen
- als vegetarische Alternative eine verschämte Kichererbsen-Frikadelle, die lieber Hummus geworden wäre
- Beilagen in silbernen Trögen, die du nicht identifizieren kannst, weil sie unter einem Hektoliter brauner, gallertartiger Masse verschüttet sind
- als Nachtisch Mousse au Chocolat, die zu 70 Prozent aus Sahne besteht, weil das Budget für echte Mousse nicht gereicht hat
Bei der Tischordnung wird es knifflig. Kommst du früh, kannst du selbst bestimmen, bei wem du sitzt. Wahrscheinlich fällt dir aber niemand ein.
Bist du zu spät, hockst du neben dem viel zu motivierten Azubi, der merkwürdigen Kollegin, die dir 135 Bilder ihrer drei Katzen zeigt, oder neben Micha aus dem Einkauf, der in seiner Jugend ostwestfälischer Meister im Rhönradturnen war. Das weißt du, weil er dir das schon auf der letzten Weihnachtsfeier erzählt hat. Und auf der davor. Eigentlich auf jeder seit 2004.
Irgendwann nach dem Essen beginnt der „gemütliche“ Teil. Wenn die Firma richtig fancy ist, hat sie einen DJ engagiert. Oder einen Alleinunterhalter mit Hammond-Orgel, der sonst im örtlichen Seniorenstift zum Tanztee aufspielt.
Der Musikfahrplan ist immer gleich:
- „Last Christmas“
- „All I Want For Christmas Is You“
- irgendwas von Robbie Williams
- ein 90er-Eurodance-Song, bei dem alle tun, als wären sie wieder 22
Zuerst tanzt niemand, aber zum Glück gibt es Alkohol. Der ist das Schmiermittel, das die Betriebsweihnachtsfeier am Laufen hält. Ohne ihn wären alle nüchtern, peinlich berührt und nach 45 Minuten weg.
Mit ihm tanzt der Controller Limbo, die stille Kollegin aus dem Backoffice singt Karaoke und der Vertriebsleiter grölt bei „Westerland“ von den Ärzten mit, kann aber nur den Refrain. Der Chef erzählt „lustige“ Anekdoten, bei denen du dich fragst, ob das mit dem Arbeitsrecht vereinbar ist, die Abteilungsleiterin küsst den Praktikanten – aus Versehen natürlich – und ein Kollege aus dem Marketing eskaliert zu „Layla“. Am nächsten Tag schreibt der Betriebsrat Mails im Akkord.
Du schaust dir das an und denkst: „Das ist alles Material für die nächsten zehn Sitzungen bei meinem Therapeuten.“
Am nächsten Morgen wachst du mit Kater auf, hast peinliche Erinnerungsfetzen an einen Stehblues mit Gabi und fragst dich, ob es Zeugen dafür gibt, dass du den Chef nach dem siebten Pfeffi eine „inkompetente, erbsenzählende Excel-Tabelle auf Beinen“ genannt hast.
Du schwörst dir: „Nächstes Jahr spare ich mir das. Ich geh da nicht mehr hin.“
Schnitt. Nächstes Jahr, Einladung in Outlook: Du klickst auf „Zusagen“.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)

