Der Advent – zweifellos die anstrengendste Zeit des Jahres: Geschenkestress, Plätzchen-Apokalypse, DIY-Adventskalender und dreißigtausend Weihnachtsfeiern.
Irgendeinem Psychopathen reichte das nicht aus: „Weißt du, was uns noch fehlt, um in der Weihnachtszeit wirklich dem Wahnsinn zu verfallen? Ein kleiner Psychowichtel, der im Dezember nachts heimlich durch die Wohnung tobt, Schabernack treibt und Kindern hinterherschnüffelt, um sie beim Weihnachtsmann zu verpetzen.“
Willkommen in der Welt von „Elf on the shelf“ – und seiner deutschen Spießerverwandtschaft, dem Weihnachtswichtel.

Die Story um den Regal-Elfen geht auf ein Bilderbuch der US-Amerikanerin Carol Aebersold und ihrer Tochter Chanda Bell zurück:
Santa schickt einen Elf zu Familien, damit der herausfindet, welche Kinder brav und welche ungezogen sind. Tagsüber beobachtet der Santa-Abgesandte den Nachwuchs, nachts erstattet er am Nordpol Bericht, danach heckt er noch ein paar Streiche aus und morgens hockt er an irgendeiner anderen Stelle in der Wohnung.
Mit anderen Worten: Ein obrigkeitshörige Regal-Wichtel spioniert deiner Familie hinterher, verwüstet dir die Bude mit seinen Pranks und schwärzt deine Kinder beim Weihnachtsmann an. Was den “Elf on the shelf” zu einer Mischung aus James Bond, Pumuckl und Blockwart macht.
Damit Eltern die Story im Real Life nachstellen können, wird das Buch mit einem Spielzeug-Elf ausgeliefert. (Danke, Carol.)
Der europäische Weihnachtswichtel kommt gemütlich mit großer Mütze und weißem Rauschebart daher, sein amerikanischer Kollege sieht dagegen aus, als hätte sich jemand gefragt: „Wie kann ich Kinder möglichst nachhaltig traumatisieren?“ Durch eine Figur mit knallroter Mütze, creepy Dauergrinsen und aufgerissenen Psychoaugen, die dich im Schlaf beobachten. Im Prinzip ein zugekokster Chucky im Weihnachtspulli.
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Der Albtraum beginnt am 1. Dezember: Der Elf zieht ein.
Nicht still und leise, erstmal die Umzugskartons ausräumend und vorsichtig schauen, wie der Hase in der neuen Umgebung so läuft. Nein, dein neuer Zwergen-Mitbewohner legt einen epischen Auftritt hin: mit Mini-Brief vom Weihnachtsmann, Elf-Zertifikat und Elf-Urkunde zum Ausmalen. Dagegen sieht die Eras-Tour von Taylor Swift aus wie die Laien-Inszenierung einer Grundschul-Theater-AG.
Selbstverständlich erwartet der Elf eine angemessene Unterbringung, denn er will nicht in einem zugigen Drahtkäfig hausen wie ein räudiges Frettchen.
Deswegen besorgst du:
- eine Wichteltür für die Fußleiste
- eine Wichteltreppe
- einen Wichtelbriefkasten
- eine Mini-Fußmatte
- 47 Mini-Mahagoni-Möbel
- und eine Mini-Wichtel-Lampe, die mehr als die IKEA-Lampe in deinem Wohnzimmer kostet
Du richtest an deiner Fußleiste ein Luxus-Tiny-House ein, für das der kleine Mietnomade natürlich keine Miete zahlt. Anschließend googelst du „24 leckere Rezepte mit Toastbrot“.
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Damit der Giftzwerg seine Magie entfalten kann, müssen die Kinder ihm einen Namen geben und ihn ganz doll liebhaben. Da lernen sie gleich mal, was ein Stockholm-Syndrom ist. Viel logischer wäre es, die kleine Petze mit einem Tritt in den Arsch an den Nordpol zurückzubefördern.
Hier ein paar Inspirationen für die Namensfindung:
- Denunzianten-Dieter
- Kontroll-Konrad
- Petzen-Peter
- Regel-Rolf
- Ratten-Rudi
- Stasi-Stefan
- Spitzel-Spacko
- Oder einfach: kleine Arschkrampe
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Nachdem du von dem Wichtel-Einzug schon fix und fertig bist, beginnt der richtige Terror: Der Elf muss jeden Tag den Platz wechseln. Er kann auf keinen Fall 24 Tage auf demselben Regal ablümmeln. Sonst merken die Kinder sofort, dass das alles fake ist.
Der Spitzel-Wicht wechselt aber nicht einfach den Platz, sondern er muss „lustige Dinge“ machen und „magische Spuren“ hinterlassen, die den Kindern morgens ein „Leuchten” in die Augen zaubern. Weil er das nicht von allein macht, bist du dafür verantwortlich.
Um den Druck zu erhöhen, liefern Instagram und Pinterest einiges an Ideen:
- Elf macht Mehl-Engel auf der Küchenarbeitsplatten
- Elf badet in einer Tasse Minimarshmellows
- Elf baut einen Schneemann aus Klopapier
- Elf hängt kopfüber an der Lampe
- Elf angelt in der Kloschüssel
Alles so perfekt in Szene gesetzt, dass die Macher der Marvel-Filme neidisch werden.
Außerdem stellt der Wichtel nachts irgendwelche Sachen an und mit Wichtel bist du gemeint: Zahnpasta an den Spiegel schmieren, Mehl verschütten oder die Zuckerdose umschmeißen.
Eigentlich vollkommen sinnlos. Wenn du kleine Kinder hast, sieht deine Wohnung ohnehin aus wie eine Mischung aus Elefanten-Trampelpfad, Truppen-Übungsplatz und Wacken. Wahrscheinlich merken deine Kinder gar nicht, wenn irgendwo ein wenig Mehl rumliegt.
Das Perverse an der Geschichte: Du schlägst dir die Nacht mit Elf-Streichen um die Ohren, die Kinder feiern morgens den kleinen Chaos-Klaus und du musst später den ganzen Scheiß aufräumen. Anschließend musst du dir einen neuen Schabernack für die nächste Nacht ausdenken. Das Elf-Hamsterrad hört nie auf, sich zu drehen.
Auf der deutschen Elf-on-the-shelf-Website steht: „Diese magische Tradition ist einfach zu beginnen und sorgt jeden Tag für Begeisterung und schafft freudige Weihnachtserinnerungen für die ganze Familie, die ein Leben lang erhalten bleiben.“ Ein Satz, den du nur schreibst, wenn du zu viel an der UHU-Tube geschnüffelt hast.
Bei dir sorgt das nämlich nicht „für Begeisterung“ und schafft auch keine „freudige Weihnachtserinnerungen“ – du musst 24 Tage performen. Und vor allem Nächte. 24 Ideen, 24 Planungen, 24 Umsetzungen. Da kannst du gleich deinen Job kündigen. Du bist jetzt Stay-at-home-Vollzeit-Wichtel-Manager.
Das Problem: Spätestens nach Tag 4 bist du kreativ so leer wie eine Schachtel Dominosteine fünf Minuten nach dem Öffnen.
Dann fängst du an zu improvisieren:
Tag 5: Wichtel hat einen Brief geschrieben „Ich bin müde“
Tag 7: Wichtel macht „Urlaub bei seinen Wichtelfreunden“
Tag 10: Wichtel hat „Bauchweh“
Tag 12: Wichtel hat „Corona“
Tag 15: Wichtel hat „Burn-out“
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Schuld an der Elf-Eskalation ist – mal wieder – das Internet. Vor allem Instagram und Pinterest werden im Dezember von Wichtel- und Elf-Foto-Shootings geflutet.
Makellos dekorierte Häuser, Wichteltüren aus Naturholz, daneben ein winziger Schlitten, echte Mini-Tannenzweige, Kunstschnee, Lichterketten und auf dem Briefkästchen steht in Kalligrafie-Schrift: „Hier wohnt Wichtel-Willi.“
Du sitzt derweil vor deinem Handy, schaust dich im Wohnzimmer um, wo eine vertrocknete Zimmerpflanze und ein schiefer Adventskranz rumstehen, und denkst: “Warum wohnen die verdammten Insta-Wichtel schöner als wir?“
Dann siehst du auf Instagram, dass jemand eine vollfunktionsfähige Elfen-Sauna gebaut hat – inklusive selbst geschmiedeter Aufgusskelle – und du bekommst nicht mal auf die Reihe, regelmäßig die Mülltonne rechtzeitig rauszustellen. Und deine Elf-Streiche sehen aus, als hätte ein halbblinder den Zuckerstreuer in die Luft gesprengt.
Unter den Posts stehen Texte wie: „Dieses Jahr haben wir uns wieder sooooo viel Mühe mit dem Wichtel gegeben. Die Kinder LIEBEN es!!! #magische Kindheit #Weihnachtszauber #Momlife” Du widerstehst geradeso noch dem Impuls ein „#fucktheelf“ darunter zu kommentieren.
Stattdessen denkst du: „Was stimmt mit den Leuten nicht. Können die abends nicht auf dem Sofa abhängen und nichts auf die Reihe bekommen wie ganz normale Menschen?“
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Und dann diese merkwürdige Elf-Pädagogik. Liebe Kinder, seid schön brav, denn der Petz-Pixie sieht alles und erzählt dem Weihnachtsmann alle eure Verfehlungen.
„Lieber Tim, ich habe gesehen, dass du heute dein Kinderzimmer nicht aufgeräumt hast. Der Weihnachtsmann ist nicht sauer, sondern sehr enttäuscht. Liebe Grüße, dein Wichtel.“
Knecht Ruprecht wurde gecancelt, weil er Kinder versohlt hat, und stattdessen holen wir uns einen Plüsch-Spitzel in die Wohnung. Damit die Kinder lernen: Es gibt immer jemanden, der dich beobachtet. Ein winziger Typ, der jede noch so kleine Mini-Regelverfehlung verrät.
Das ist wie eine Mischung aus Mittelalter-Hölle, schwarzer Pädagogik und „Black Mirror für Vorschulkinder“.
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Eigentlich ist die Idee ja gar nicht schlecht, dem Dezember ein wenig „Zauber“ zu verleihen, an den sich die Kinder später nostalgisch zurückerinnern können. Aber irgendwo auf dem Weg von „kleiner Elf hängt auf dem Regal ab“ zu „24-stufige-Deko-Challenge mit nächtlichen Mehlanschlägen, Insta-Zwang und Erschöpfungssyndrom“ ist das Ding gekippt.
Im Prinzip ist die Weihnachtswichtelei eine typische Optimierungsfalle für Eltern: Du willst etwas Schönes für Kinder machen, du übertreibst dabei, Social Media macht Druck und am Ende fragst du dich, wo du im Leben falsch abgebogen bist, dass du um 2 Uhr morgens im Flur liegst und Mini-Briefe an eine Wichtel-Tür klebst.
Im nächsten Jahr erklärst du dem Elf, dass einfach mal nur einen Kaffee zu trinken und ein Plätzchen essen auch in Ordnung ist. Vorher bestellst du noch bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur ein Mini-Tässchen und einen Mini-Teller, die mehr kosten als dein komplettes Geschirr.
Adventskalender 2025
Das perfekte Schrottwichtel-Geschenk
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Die Bücher kosten zwischen 10 und 12 Euro (plus Versandkosten). Gerne versehe ich das Buch auch mit einer persönlichen Widmung. (Das verhindert, dass es weiterverschenkt werden kann.)

Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)

