Hallmark Movies – ein Paralleluniversum, auf das du stößt, wenn du bei deinem Streamingdienst-Anbieter „Weihnachten“ in die Suchmaske eingibst und sehr weit nach unten scrollst. Dann erscheinen irgendwann Filmposter, die aussehen wie die Antwort auf die Frage: „Wie sehr kann man ein Bild airbrushen?“ und du denkst: „Krass, das wurde gedreht?“
Die Filme heißen alle gleich („A Christmas Love“, „Christmas in Love“, „Love at Christmas”), die Schauspieler sehen sich verwirrend ähnlich – weiß und blond oder brünett – und der Plot ist exakt immer derselbe, nur die Farbe der Pullover ändert sich.

Das Setting: Heile Welt mit Kunstschnee
Das Geschehen spielt in einer generischen, verschneiten Kleinstadt. Wahlweise in „Snow Falls“, „Holly Ridge“, „Mistletoe Creek“ oder „Candy Cane Springs“. Es liegt immer Schnee, selbst wenn die Geschichte in Kalifornien angesiedelt ist.
Der Zeitpunkt ist immer „kurz vor Weihnachten“, also drei Tage vor dem Weltuntergang. Damit du das nicht vergisst, werden regelmäßig die Tage runtergezählt. (Ohne Weihnachts-Countdown kein echter Weihnachtsfilm.)
In der Hallmark-Kleinstadt existieren keine Tankstellen, keine Inflation, keine depressiven Menschen. Dafür gibt es eine Bäckerei mit finanziellen Schwierigkeiten, einen Familienbetrieb, der „kurz vor dem Aus“ steht, und ein Weihnachtsfest, das „gerettet“ werden muss. Manchmal auch alles zusammen.
Die Kulissen: Vom Praktikanten bei „Wish“ bestellt
Die optische Welt der Hallmark-Weihnachtsfilme ist eine Mischung aus Baumarkt-Prospekt, IKEA-Showroom und Depot-Filiale.
Du siehst einen „altehrwürdigen Stadtkern“, erkennst aber an der Kamerafahrt, dass nach drei Metern Häuserfront Schluss ist – eine Freizeitpark-Kulisse, gebaut von jemandem, der noch nie in einer Kleinstadt war, aber sehr genaue Vorstellungen hat, wie es dort aussehen sollte.
Jede Straßenlaterne hat eine Schleife, jede Fensterbank Tannenzweige, jede Tür einen Kranz und jede Tasse Kakao exakt drei Mini-Marshmallows. Alle Lichterketten funktionieren, es gibt keine bunten und keine blinkenden Lichter, sondern ausschließlich Lampen mit warmem Licht.
Der Schnee fällt immer in der gleichen Stärke und bleibt dekorativ auf Jacken liegen, ohne zu schmelzen, aber nicht auf Haaren.
Die „Weihnachtsbäckerei“ gleicht einem Pinterest-Board: Der Backofen ist immer sauber, Mehl liegt ausschließlich dekorativ auf der Backmischungs-Verpackung und niemand hat Teig an den Fingern. Die Menschen, die dort „arbeiten“, sehen aus, als hätten sie das erste Mal in ihrem Leben ein Nudelholz in der Hand.
Dialoge aus dem Emotionsgenerator
Die Unterhaltungen klingen alle, als hätte jemand einen Chatbot mit Hallmark-Weihnachtskarten gefüttert.
ER: „Du hast vergessen, wie sich Weihnachten anfühlt.“
SIE: „Ich habe keine Zeit für Gefühle. Ich habe einen Pitch.“
ER (blickt bedeutungsvoll auf Tanne): „Vielleicht ist es Zeit, dass du dein Herz wieder öffnest.“
In der echten Welt würde man denken: „Okay, Bro, wir kennen uns seit 48 Stunden, beruhig dich.“ Im Hallmark-Universum heißt es: „Er ist genau der Richtige.“
Sätze, die garantiert fallen:
- „Weihnachten ist kein Datum. Weihnachten ist ein Gefühl.“
- „Vielleicht war es kein Zufall, dass du genau jetzt hierhergekommen bist.“
- „Manchmal findet Weihnachten dich, wenn du am wenigsten damit rechnest.“
Sätze, die nie fallen:
- „Ich brauch mal meine Ruhe.“
- „Ich hab Schulden beim Finanzamt.“
- „Ich kann deine Familie nicht ertragen.“
Die Charaktere: Die heilige Zweifaltigkeit
Die Hauptfiguren in jedem Hallmark-Movie sind Big-City-Girl und Small-Town-Boy.
Sie ist eine erfolgreiche, leicht gestresste Karrierefrau – Branche: Marketing/PR, Fashion oder Immobilien, manchmal auch Ratgeber-Kolumnistin –, die in New York, Chicago oder in einer generischen Stadt mit Skyline lebt. Die Kleidung ihrer Wahl sind Blazer und High Heels. Sie trinkt Latte Macchiato, hat ein iPhone und leichte Zynismus-Anflüge.
Er ist ein bärtiger, emotional verfügbarer Mann mit Vorliebe für Holzfällerhemden und Outdoor-Jacken. In seiner Kleinstadt – aus der er nie weggezogen ist – fungiert er als Bürgermeister, Feuerwehr-Chef und Weihnachtsmann in Personalunion. Beruflich führt er eine Weihnachtsbaum-Farm, eine Lebkuchen-Bäckerei oder eine verschuldete Holzwerkstatt. Er hat ein goldenes Herz und offenbar keinerlei Probleme mit Krankenversicherung oder Rentenansprüchen.
Weitere Akteure sind:
- die beste Freundin, die sagt: „Du brauchst mal eine Auszeit.“
- die nervige Chefin, die kein Herz und keinen Adventskalender hat
- der falsche Verlobte aus der Großstadt: glatt, reich und latent weihnachtsfeindlich
- eine empathische, weise Großmutter in gemütlicher Strickjacke
Der Plot: In 10 Schritten zum Happy End
1. Eröffnung: Großstadt-Schmerz
Big-City-Girl rennt im Business-Look durch eine anonyme Großstadt, telefoniert gleichzeitig mit Chefin, Mutter und Lieferdienst.
Sie ruft: „Ich habe keine Zeit für Weihnachten!“ als ob „keine Zeit für Weihnachten“ ein medizinisches Symptom wäre.
2. Die Zwangsreise
Ein Schicksalsschlag zwingt sie in die verschneite Kleinstadt: eine Autopanne, das geerbte Haus der Großtante oder die Weihnachtsdeko-Manufaktur der Eltern steht kurz vor dem Konkurs.
3. Erste Begegnung mit Small-Town-Boy
Sie trifft ihn das erste Mal beim Zusammenstoß auf der Straße, einem Kaffeebecher-Unfall oder einem „Ups, ich habe dich mit einer Tanne beworfen“-Missgeschick.
Er: „Passen Sie doch auf!“
Sie: „Nein, Sie!“
Sie hält ihn für einen rückständigen Hinterwäldler, er sie für eine oberflächliche Großstadtschnepfe.
Sie: „Ich brauche WLAN.“
Er: „Wir brauchen ein Weihnachtswunder.“
Der Zuschauer: „In 80 Minuten ist Hochzeit.“
4. Das Rettungsprojekt
Aus irgendeinem Grund müssen die beiden gemeinsam „bis zum 24.“ ein Projekt erledigen: den Weihnachtsmarkt retten, die Weihnachtsparade organisieren, das Café vor der Übernahme durch die böse Immobilienfirma bewahren.
Sie „hilft nur kurz“, stellt dann aber fest, dass man in einer Kleinstadt mit warmem Kakao und Basteln offensichtlich alles lösen kann.
5. Zwangsromantik beim Plätzchenbacken
Während sie Teig ausrollen, Mehl streuen und Plätzchen ausstechen, merkt sie: Small-Town-Boy kann nicht nur Holz hacken, sondern auch … Gefühle haben.
Er erzählt von seiner verstorbenen Mutter, sie von ihrem Großstadtleben mit Überstunden, Take-away-Essen und einsamen Abenden mit dem Satisfier.
Es kommt zur obligatorischen Beinahe-Kuss-Szene: vorm Kamin oder unterm Mistelzweig. Die Lippen sind 2 cm voneinander entfernt, die Münder leicht geöffnet – da ruft jemand „Oh, der Kakao kocht über!“ oder der Hund bellt. Erotischer wird‘s nicht mehr.
6. Störung aus der Großstadt
Der falsche Verlobte taucht aus heiterem Himmel auf. Er trägt Anzug, hasst Schnee und findet die Kleinstadt „niedlich“. Spätestens da weißt du: „Er ist der Falsche.“
Er sagt Sätze wie: „Was machst du in diesem Kaff? Du gehörst doch in die Stadt!“
Big-City-Girl gerät ins Wanken: Karriere oder Kamin?
7. Missverständnis kurz vor Schluss
Sie hört zufällig einen Halbsatz („Ich kann nicht bleiben…“), versteht alles falsch und packt.
Er sieht sie gehen und denkt, sie habe sich nie für ihn interessiert.
Niemand kommt auf die Idee, miteinander zu reden – das wäre unspannend.
8. Erweckungs-Moment
Irgendjemand – meistens die Oma – sagt einen Satz wie: „Kind, du kannst vor Weihnachten nicht davonlaufen. Du kannst nicht vor dir selbst davonlaufen.“
Sie versteht plötzlich alles und sprintet zurück in die Kleinstadt.
9. Öffentliche Liebeserklärung
Auf dem Weihnachtsmarkt, bei der Parade oder der Weihnachtsfeier im Waisenhaus steht sie auf einer Bühne und hält eine kleine Rede:
„Ich dachte, ich bin auf der Suche nach Erfolg. Aber was ich wirklich gesucht habe, bist du.“
Alle klatschen. Kinder lächeln. Schnee fällt. Irgendwo läuten Glocken.
10. Finale
Weihnachtsmusik, Kuss, Kamera zoomt raus, zeigt die verschneite Stadt.
Abspann. Fertig.
Die Handlung von Hallmark Movies ist seicht, bei den Darstellern fragst du dich, ob „professionelle Schauspiel-Ausbildung“ ein Ausschlusskriterium beim Casting war, und du wirst garantiert keinen einzigen Moment erleben, in dem du denkst: „Ach was, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“
Aber die Filme haben auch ihr Gutes: Nachdem du 90 Minuten dabei zugeschaut hast, wie eine gestresste Marketing-Managerin ihre Karriere in der Großstadt hinter sich lässt, um mit einem Holzfäller und einem Golden Retriever eine Lebkuchenbäckerei zu eröffnen, dann kannst du dir sagen:
„Mein Chef ist blöd, ich muss noch die Steuererklärung machen und Friedrich Merz ist Bundeskanzler – aber wenigstens lebe ich nicht in Mistletoe Creek.“
Adventskalender 2025
- Tag 01: Last Christmas
- Tag 02: Plätzchen
- Tag 03: Jesus & Maria & Josef
- Tag 04: Dominostein
- Tag 05: Weihnachtsmarkt
- Tag 06: Nikolaus
- Tag 07: Adventskalender
- Tag 08: Geschenke
- Tag 09: Essen
- Tag 10: Caspar & Melchior & Balthasar
- Tag 11: Weihnachtsfeier
- Tag 12: Zitronat und Orangeat
- Tag 13: Der kleine Trommler
- Tag 14: Elf on the fucking shelf
- Tag 15: Mandarinen und Nüsse
- Tag 16: Hallmark Movies
Das perfekte Schrottwichtel-Geschenk
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Die Bücher kosten zwischen 10 und 12 Euro (plus Versandkosten). Gerne versehe ich das Buch auch mit einer persönlichen Widmung. (Das verhindert, dass es weiterverschenkt werden kann.)

Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)


“Super süße Analyse” (um im Hallmarkversum zu bleiben). Eines der wichtigsten “Props” wurde aber sträflich vernachlässigt: der Schal! Ohne diesen wüssten wir ja gar nicht wie furchtbar kalt es ist/ sein wird/ sein könnte. Es ist Winter! Also bitte nur mit Wollschal (oder Kaschmir)!
Und um es ganz authentisch zu gestalten, wäre noch ein europäischer Vorfahre einzuwerfen. Weil aus Europa bekanntlich der wahre “Christmas Spirit” kommt.
Einen Satz zur Kleidung hatte ich tatsächlich zuerst drin, aber der Text war schon so schrecklich lang:
“Kein Mensch trägt Mütze oder Handschuhe, obwohl alle tun, als wären es -25 Grad. Alternativ sind sie in absurd langen Schals eingewickelt und tragen auf dem Kopf Wollmützen von der Größe Luxemburgs.”