Friedrich Merz wird Anfang Mai Bundeskanzler und meine Frau und ich verlassen Deutschland. Ein starker, wenn nicht gar spektakulärer Texteinstieg, der Haltung, die richtige Gesinnung sowie Entschlossenheit suggeriert und uns in bestem Lichte erscheinen lässt.
Der einzige Wermutstropfen dabei: Der Satz ist grob irreführend. Der Merzsche Amtsantritt und unsere Auslandspläne liegen nur zufällig zeitlich beieinander. Unsere Planung begann schon vor circa zwei Jahre und hatte nichts mit einem möglichen Wahlsieg des sauerländischen Mr.-Burns-Verschnitts zu tun.
Sie müssen sich aber nicht sorgen, dass wir einen auf „Goodbye Deutschland“ machen und wie Gabi und Bernd nach Brasilien auswandern und an der Copacabana eine Cocktail-Bar eröffnen, weil wir Strand und Sonne spitze finden und uns in „Manni‘s Durstschänke“ so gerne fertig gemixte Caipis reinlöten. Und uns hält von unserem Vorhaben auch nicht ab, dass wir kein Wort Portugiesisch sprechen und unsere fehlende Sprachkompetenz nur noch von unserer mangelnden gastronomischen Erfahrung unterboten wird.

Unser Projekt ist eine Nummer kleiner. Inspiriert hatte uns vor rund drei Jahren das Buch „Das große Los“ von Meike Winnemuth. Die hatte bei Günther Jauch 500.000 Euro abgeräumt und anschließend eine einjährige Weltreise unternommen, auf der sie jeden Monat in einer anderen Stadt lebte.
Wir rechneten uns aus, dass wir für eine zwölfmonatige Weltreise in nicht zwölf, sondern nur vier Städte wahrscheinlich rund zehn Jahre sparen müssten. So kämen wir zwar auf kein 500.000-Euro-Budget – dafür bräuchten wir eher 100 Jahre –, aber hätten ausreichend Geld, um unterwegs ein angenehmes Leben zu führen.
Zehn Jahre erschienen uns aber etwas lang. Wer weiß schon, was in einem Jahrzehnt ist? Möglicherweise sind wir dann pleite, krank, nicht mehr zusammen, im ungünstigsten Fall sogar tot oder die Welt ist untergegangen. (Letzteres erscheint mir in dieser Auflistung das wahrscheinlichste Szenario zu sein.) Da wäre es vielleicht sinnvoller, nicht so lange zu warten und dafür kürzer ins Ausland zu gehen. Die Weltreise quasi auf eine Dekade zu strecken.
Unserer Kinder sind inzwischen so groß, dass sie nicht täglich nach elterlicher Unterstützung oder Anwesenheit verlangen. Da ist es auch egal, ob wir in Berlin oder Timbuktu sind. Meine Frau wiederum hat ein prall gefülltes Langzeitkonto, das abgebaut werden will und ihr ermöglicht, drei Monate frei zu machen.
Ich wiederum verdiene mein Geld, indem ich am Schreibtisch hocke und Texte schreibe oder Powerpoint-Präsentationen entwerfe, mein Kundenkontakt läuft hauptsächlich telefonisch ab. (Unerfreulich oft videotelefonisch.) Alles Tätigkeiten, die ich von überall erledigen kann, sofern die Internetleitung stabil genug ist. (Idealerweise nicht stabil genug für Videotelefonate.)
Somit sprach nichts dagegen, schon früher aufzubrechen, und wir entschieden uns, drei Monate nach Lissabon zu ziehen, und am 01. Mai geht es los.
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Unsere Wahl fiel aus verschiedenen Gründen auf die portugiesische Hauptstadt. Vor zwei Jahren verbrachten wir zu Beginn unseres Portugal-Urlaubs zwei Tage dort und es gefiel uns auf Anhieb. Die Stadt war pittoresk, die Menschen freundlich, das Essen lecker und das Wetter gut. (Alles Aspekte, die sich doch ein wenig nach Moni, Bernd, Copacabana und Fertig-Caipis anhört.) Ein nicht unwesentliches Argument, das für Lissabon spricht, sind außerdem die bezahlbaren Lebenshaltungskosten.
Was die Verständigung angeht, werden die nächsten drei Monate allerdings herausfordernd: Wir sprechen beide kein Wort Portugiesisch. (Moni und Bernd winken aus dem Hintergrund.)
Wobei diese Aussage in ihrer Absolutheit nur auf mich zutrifft. Meine Frau konnte dagegen zwischenzeitlich einen über 100 Tage andauernden Lernstreak bei Duolingo vorweisen. Mit Hilfe der stets nach Aufmerksamkeit heischende Nerveule beherrscht sie nun Sätze wie „Ich trinke Milch.“ („Eu bebo leite.“) oder „Das ist ein Haus.“ („Isto é uma casa.“), außerdem kennt sie die Vokabeln für Hund (Cão) und Schildkröte (Tartaruga).
Das ist durchaus bemerkenswert und übersteigt meinen Portugiesisch-Wortschatz um ein Vielfaches. (Wobei das nicht ganz korrekt ist, denn ein Vielfaches von Null ist Null.) Ob uns das im Alltag in Lissabon weiterhelfen wird, wage ich dennoch zu bezweifeln. Selbst unter Aufbringung all meiner Phantasie kann ich mir in den kommenden zwölf Wochen keine Situationen ausmalen, in denen wir unsere kulinarische Vorliebe für Milch zum Ausdruck bringen wollen oder demonstrieren müssen, dass wir ein Haus erkennen.
Konversationen, die aus random eingestreuten Tierbegriffen bestehen, werden wir wohl auch nicht führen. Aber der gute Wille ist bei meiner Frau vorhanden und der ist es schließlich, der laut Volksmund zählt.
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Mein Wissen über Portugal und Lissabon basiert bisher hauptsächlich auf der Lektüre der „Gebrauchsanweisung für Lissabon“ von Martin Zinggl sowie dem ersten Band der Leander-Lost-Krimireihe von Gil Ribeiro, die an der Algarve spielt. (Und mit hauptsächlich meine ich ausschließlich.)
Vor zwei Jahren kam ich vor unserem Portugal-Urlaub bei meinem traditionellen 90-Sekunden-Assoziationsspiel auf die klägliche Ausbeute von vier Schlagworten: Fußball, Portwein, stolze Seefahrernation sowie Fado:
- Fußball ist – zumindest für mich – sehr naheliegend, dazu hatte ich die Namen Ronaldo, Pepe und Eusebio notiert.
- Portwein habe ich noch nie getrunken und ich war mir auch nicht ganz sicher, ob er überhaupt etwas mit Portugal zu tun hat. Einerseits lässt die begriffliche Ähnlichkeit das vermuten, andererseits kommt der Hamburger auch nicht aus Hamburg ebenso wenig wie der Berliner aus Berlin. Der heißt in der Bundeshauptstadt sogar anders, nämlich Pfannkuchen, was dort den Pfannkuchen wiederum zum Eierkuchen macht.
- Portugals Seefahrer-Tradition ist eng mit Vasco da Gama verknüpft. Der gilt als Entdecker des Seewegs um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien. Das ist natürlich Quatsch. Den Seeweg gab es vorher schon, ohne entdeckt worden zu sein. Der gute Vasco war lediglich der erste, der ihn entlang geschippert ist. Behauptet zumindest die Geschichtsschreibung.
- Fado ist ein Musikstil, der sich nicht durch überbordende Fröhlichkeit und ausgelassene Freude auszeichnet. Im Gegenteil. Mittels getragener Molltonarten wird der Hoffnungslosigkeit und der Saudade, dem portugiesischem Weltschmerz, gefrönt. Wenn du das länger als eine halbe Stunde hörst, sind sämtlicher Lebensmut und-wille aus deinem Körper gewichen.
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Nun werde ich drei Monate Zeit haben, mehr über Portugal zu lernen und bei meinem nächsten Assoziationsspiel auf mehr als vier Begriffe zu kommen.
Ob das bei mir mit dem „Arbeiten, wo andere Urlaub machen“ beziehungsweise mit der – um das böse Wort zu verwenden – „workation“ in Lissabon funktioniert, wird sich zeigen. Wenn ich Glück habe, inspirieren mich die Stimmung der Stadt, die Lässigkeit der Menschen und der Sonnenschein. Oder meine Arbeitsethik leidet maximal, weil ich viel lieber durch die Altstadt flanieren, an den Tejo gehen oder Pastei de Nata essen würde. Zumindest letzteres kann du sehr gut auch am Schreibtisch erledigen, während du dich als Büttel des Kapitalismus verdingst. Und das ist doch eine schöne Aussicht.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Ich wünsche euch ganz viel Spaß und schöne Erlebnisse! 👋🍀🌞
Gute Reise.