„Bom dia.“ Die Begrüßung der jungen Frau hinter der Supermarktkasse war nicht übermäßig enthusiastisch. Eher geschäftsmäßig, wie eine lästige Pflicht, die zu erledigen war.
Sicherlich hatte der Marktleiter sie angewiesen, die Kund*innen willkommen zu heißen, jedoch vergessen, den Grad der an den Tag zu legenden Herzlichkeit näher auszuführen. Die hängenden Schultern und der abwesende Blick der Kassiererin signalisierten, dass sie lieber woanders wäre.
Diese Ausführungen sollen aber keine kleinliche Kritik eines nörgelnden Deutschen am portugiesischen Einzelhandelspersonal sein. Als Berliner stünde mir das gar nicht zu. Bei meinem Penny löst das ebenfalls keine Begeisterungsstürme aus, wenn ich an der Kasse erscheine. Dort bekomme ich auch keine Umarmung mit Küsschen links und Küsschen rechts. (Worüber ich aus einer Vielzahl von Gründen sehr dankbar bin.)

Einkaufen im Ausland ist wie eine Entdeckungsreise in unbekannte Territorien, eine Erkundungstour in fremde Gebiete, eine Expedition nicht ins Tier- aber Einzelhandelsreich. Mit ungewohnten Produkten, exotischen Lebensmitteln und unverständlichen Beschriftungen. Das ist spannend, aufregend und ein wenig abenteuerlich.
Gut, nicht unbedingt für Menschen, die in ihrer Freizeit Fallschirm springen, Bungee jumpen oder Wildwasser raften. Aber für jemanden, der die meiste Zeit seines Tages in der Sicherheit seines Schreibtischs verbringt.
In Supermärkten kannst du eine Menge über Land und Leute, ihre Kultur und die Einstellung zu Essen lernen. Wie unterscheidet sich das Angebot, was ist besonders teuer, was besonders billig, wo stehen welche Lebensmittel, wie werden sie ausgestellt?
Zugegebenermaßen hält sich in Zeiten der Globalisierung und des freien Warenverkehrs in der EU die Varianz des Supermarktsortiments in Grenzen. Auch in Portugal findest du Regalmeter voll mit Cola, Fanta und Sprite, Danone-Joghurt ist in jeder Geschmacksrichtung vorhanden und du entdeckst kein Obst, das du noch nie gesehen hast.
Das ungewöhnlichste Gemüse, das uns unterkam, waren Gurken, die aufgrund ihrer Konsistenz und Farbe bei „Stars in Concert“ als Zucchini-Imitatoren auftreten könnten. (Was für eine mega Idee: Eine Doppelgänger-Show, in der Gemüse anderes Gemüse nachahmt.)
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„Gostaria de fornecer o seu número de contribuinte?” Ich hatte keine Ahnung, was die Kassiererin von mir wollte. Dafür hatte sie zu schnell geredet. Und zu undeutlich. Dass ich kein Portugiesisch spreche, half auch nicht weiter.
Ich ließ mir nichts anmerken und erwiderte souverän: „Obrigado, não, obrigado.“ („Danke, nein, danke.“) Meine Go-to-Antwort, um Unterhaltungen zu beenden, die ich ohnehin nicht führen könnte.
Nach ein paar Wochen in Lissabon erschloss ich mir durch teilnehmende Beobachtung sowie ergänzendes Googeln, dass an der Kasse abgefragt wird, ob du deine Steuernummer angeben möchtest. Das ist seit 2014 gesetzlich vorgeschrieben.
Bejahst du die Frage, übermittelt der Supermarkt deine Ausgaben direkt ans Finanzamt und am Ende des Steuerjahres bekommst du einen Teil der Mehrwertsteuer erstattet. Ein ziemlich pragmatisches Prozedere, bei dem sich deutsche Finanzbeamte fragen, wie das technisch überhaupt möglich ist, online etwas direkt zu übertragen. Datenschutzbeauftragte atmen dagegen hyperventilierend in Tüten.
Der portugiesische Staat möchte mit dieser Regelung die verbesserungswürdige Steuermoral seiner Bürger*innen steigern und die Schattenwirtschaft bekämpfen. Um die Popularität des neuen Systems zu erhöhen, verloste der Finanzminister im ersten Jahr der Einführung unter allen Teilnehmenden monatlich ein Auto.
Da ich über keine portugiesische Steuernummer verfüge, war mein „Obrigado, não, obrigado“-Satz vielleicht etwas ungelenk, aber dennoch korrekt. Ein Zufallstreffer, den ich dennoch als Fortschritt meiner portugiesischen Konversationsfähigkeiten verstanden wissen möchte.
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Unser Stamm-Supermarkt in Lissabon war ein Continente. Der war gut sortiert, geräumig und sauber. Da freut sich der innere Spießer. Vor allem war er nur 400 Meter von unserer Wohnung entfernt und diese 400 Meter waren lediglich leicht ansteigend. Da freut sich der innere Fußlahme.
Der nächste Pingo Doce war ebenfalls geräumig, sauber und gut sortiert, aber zu dem hätten wir noch 200 Meter mehr zurücklegen müssen, inklusive eines kleinen, aber giftigen Anstiegs. Damit hatte er sich selbst disqualifiziert. In Lissabon musst du mit deinen Kräften haushalten und das Bergaufgehen vermeiden, wo du nur kannst.
Direkt nach dem Durchschreiten des Eingangsdrehkreuzes standest du in unserem Continentes in der Backwarenabteilung. Da wurden gleich zu Beginn Selbstdisziplin, Prinzipientreue und Widerstandsfähigkeit getestet. Unzählige Brote, Brötchen, Kuchen, Teilchen und Gebäck waren dort akkurat aufgereiht. Alles sah köstlich aus, duftete herrlich und raunte mir zu: „Iss mich, Christian, iss mich.“
Am liebsten hätte ich mir jedes Mal Pastéis de Nata, Pão de Deus oder Torta de Azeitão in den Wagen geschaufelt. Habe ich aber nicht. Sondern widerstand in – wie ich finde – heroischer Manier diesem Impuls. (Meistens.)
Denn du bekommst das alles noch viel leckerer in einer richtigen Pasteleria. Dort habe ich aber auch nicht zugeschlagen. Weil in meinem Alter der Stoffwechsel so verlangsamt ist, dass ich nur für drei Sekunden an ein Stück Kuchen denken muss und schon kneift der Hosenbund.
Deswegen vermeide ich es, mich mit Weißmehl-Produkten einzudecken und zuhause Tag für Tag der Versuchung und Verheißung kurzkettiger Kohlenhydrate auszusetzen. So viel Selbstdisziplin, Widerstandsfähigkeit und Prinzipientreue habe ich dann doch nicht.

Die Kassiererin hatte gerade das erste Produkt über den Scanner gezogen, als sie kurz innehielt, mich anschaute und mit größtmöglicher Teilnahmslosigkeit die nächste Frage stellte: „Quer um saco?“ (Oder so ähnlich.)
Ich vermutete, sie wollte wissen, ob wir eine Tüte möchten. Die hingen nämlich neben ihr und sie zeigte darauf. Da musst du kein Sherlock sein, um zu schlussfolgern, was ihr Anliegen war.
Ich erwiderte erneut: „Obrigado, não, obrigado.“ Um nicht wie ein notorischer Nein-Sager rüberzukommen, nickte ich dabei und lächelte freundlich. Rückblickend ein leicht widersprüchliches Signal. Die junge Frau verzog keine Miene.
Eine Tüte benötigte ich tatsächlich nicht, wie immer hatte ich meinen Einkaufsrucksack dabei. Damit outete ich mich sofort als Ausländer. Kein Portugiese geht mit Rucksack einkaufen. Nach meinen fehlerhaft ausgesprochen Drei-Wort-Repliken hielt mich hier aber ohnehin niemand für einen Einheimischen.
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Direkt nach den Backwaren kamen als Kontrastprogramm das Obst und Gemüse. Damit die Kund*innen ihr schlechtes Kuchengewissen mit ein paar Äpfeln, Pfirsichen und Beeren besänftigen können.
Wir waren dort besonders von dem Orangen-Auspress-Automat angetan. An dem zapften wir uns bei jedem Supermarktbesuch ein Fläschchen ab. Für unsere tägliche Vitaminzufuhr war das sehr förderlich, für unsere Haushaltskasse nicht ganz so.
Daher stiegen wir später auf die Tetrapak-Variante um. Die war nicht ganz so lecker und etwas weniger vitaminreich, aber das hilft ja nichts, wenn du dir jeden Tag ein Glas frisch gepressten O-Saft gönnst und dich ansonsten von ernährungsmedizinisch bedenklichem Toastbrot ernähren musst.
Piep, piep, piep. Die Verkäuferin scannte mit roboterhafter Monotonie unsere Einkäufe. Nicht mit Hochgeschwindigkeit wie in einem deutschen Aldi, wo die Waren im Zeitraffer über den Laser fliegen und du kaum hinterherkommst, sie zu verstauen. Mehr mit der Dynamik eines Sachbearbeiters in einem Berliner Bürgerbüro freitags um 12.
In portugiesischen Supermärkten geht es an der Kasse gemächlich zu. Ohne Hektik, Stress und Zeitdruck. Hier herrschen Entschleunigung, Geruhsamkeit und Gelassenheit.
Nach und nach nahm die junge Frau Milch, Nudeln und Himbeeren in die Hand, suchte bedächtig nach dem Strichcode, zog ihn ohne übertriebene Eile über das rote Lämpchen, anschließend widmete sie sich in aller Seelenruhe dem nächsten Produkt. Ein fast schon kontemplativer Vorgang.
Manchmal musste sie bei einer Plastikverpackung den Code erst glattziehen oder händisch eingeben. Als der 5er-Pack Calippo im Sonderangebot an der Reihe war, übertrug der Scanner den reduzierten Preis nicht richtig an die Kasse, ein Stornovorgang war unvermeidlich.
Nichts, was den Puls der Kassiererin in die Höhe getrieben hätte. Sie tippte auf dem Kassendisplay rum, währenddessen blieben Zeit, Welt und Universum stehen.
Die Warteschlange hinter uns war von beachtlicher Länge und diffundierte in angrenzende Gänge. Was die Kund*innen mit bewundernswertem Gleichmut hinnahmen. In Deutschland herrscht bei mehr als fünf Personen an der Kasse eine Stimmung wie bei der Meuterei auf der Bounty, hier murrte keiner, Verwünschungen wurden für sich behalten, keine Unmutsbekundungen durch den gesamten Laden geblökt und niemand verlangte nach einer zweiten Kasse.
Nach drei Monaten in Lissabon war ich überzeugt, dass Stan Nadolny die Idee zu seinem Bestseller „Die Entdeckung der Langsamkeit“ an einer portugiesischen Supermarktkasse kam.
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Wie jeder noch so kleine Supermarkt in Portugal hatte auch unser Continente ein Fischtheke. Mit fangfrischen Sardinen, Doraden, Makrelen, Wolfsbarsch und Garnelen, die dich mit ihren toten Augen anglotzten.
Ein extra Regal war für Bacalhau reserviert, getrockneter und gesalzener Kabeljau, neben Sardinen der Signature-Fisch Portugals. In der Auslage sah er ein bisschen wie ein Bettvorleger aus, der alle Viere von sich streckt.
Geruchlich war die Fischtheken etwas herausfordernd. Aber nur, wenn du direkt davor standest. Dann fischelte es schon mal ein wenig. Manchmal auch etwas mehr. Entsprechend überrascht war ich, dass unmittelbar daneben Schnittblumen und Orchideen platziert waren.
Ich hatte große Zweifel am verkaufsfördernden Effekt dieser Maßnahme. Wahrscheinlich hatte die Markleitung das Brainstorming, wie und wo das florale Angebot am besten präsentiert wird, etwas zu früh abgebrochen. Wer möchte schon als Ausdruck der Wertschätzung einen Strauß Blumen mit Fisch-Note überreichen?
Was in portugiesischen Supermärkten im Gegensatz zu Fischtheken unüblich ist: Jemanden an der Kasse vorzulassen. Was noch unüblicher ist: ein solches Angebot anzunehmen.
Einmal forderte ich einem Mann hinter uns gestenreich auf, vorzugehen. Unser Wagen war turmhoch beladen, er hatte lediglich eine Stange Lauch und eine Flasche Bier in seinem Korb. Was mich noch Tage später darüber nachdenken ließ, was es bei ihm wohl zum Abendessen gab.
Er lehnte dennoch ab. Ich versicherte ihm, das sei kein Problem, er schüttelte höflich den Kopf.
Kurz überlegte ich, seinen Arm auf den Rücken zu drehen und ihn nach vorne zu schieben. Aber als Deutscher möchtest du im Ausland nicht unangenehm auffallen. Das haben wir in der Vergangenheit bereits zur Genüge getan. Außerdem war der Mann mindestens fünfzehn Zentimeter größer als ich.
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Ein paar Äonen später waren alle Einkäufe im Kassensystem erfasst. Die Supermarktkassen-Fragestunde ging in die finale Runde: „Tem um cartão cliente?“
Selbstverständlich verstand ich wieder kein Wort. Weil diese Frage auch in deutschen Supermärkten vor dem Bezahlen üblich ist, mutmaßte ich jedoch, die Frau erkundigte sich, ob ich im Besitz einer Kundenkarte bin.
Das war ich sogar. Nicht physisch, aber virtuell. In meinem Handy. Als Sparfuchs und Schnäppchen-Fan hatte ich mir die Continente-App runtergeladen, mich mühsam durch den portugiesischen Anmeldeprozess gekämpft und dabei beinahe ein Pay-TV-Abo abgeschlossen. Bis heute bekomme ich wöchentlich die neuesten Continente-Angebote per Mail. (Ab Montag zum Beispiel 30 Prozent weniger auf Pringles Chips.)
Der Einsatz der App war allerdings ein wenig komplex. Sie zeigte nicht einfach einen QR-Code an, mit dem du Rabatte, Bonus-Punkte und Vergünstigungen einheimst. Nein, zunächst musstest du dich mit Nutzernamen und Passwort einloggen, anschließend einen Code eintippen, der per SMS übermittelt wurde, dann generierte das Programm eine sechsstellige Zahl, den die Kassiererin wiederum in die Kasse einzugeben hatte. Hätte Continente noch das Blut einer von Sünde freien Jungfrau sowie unsere Erstgeborene eingefordert, hätte mich das nicht gewundert.
Angesichts der Länge der Schlange erschien mir dieser Vorgang zu zeitaufwändig. Insbesondere weil ich am Handy mit der Geschwindigkeit eines von Gicht und grauem Star geplagten 90-jährigen tippe. Wer weiß, wie leidensfähig Portugie*sinnen wirklich sind. Vielleicht verlieren sie doch irgendwann die Geduld und jagen den teutonischen Trottel mit Mistgabeln und Fackeln erst durch den Supermarkt und dann über die sieben Hügel von Lissabon.
Daher beantwortete ich die Kundenkarten-Frage mit – Sie ahnen es: „Obrigado, não, obrigado.“
Daraufhin bekam ich den zu entrichtenden Betrag mitgeteilt. Glücklicherweise konnte ich den auch auf dem Kassendisplay ablesen, denn ich beherrsche den portugiesischen Zahlenraum nur bis drei.
„Com cartão, por favore“, erklärte ich. Ein Satz, den ich während meiner eigenen Wartezeit auswendig gelernt hatte. Mit meinem üblichen „Obrigado, não, obrigado.“ wäre ich beim Bezahlen wohl nicht durchgekommen.
Ich glaube nicht, dass die Kassiererin verstand, was ich gesagt hatte. Weil ich mit meiner EC-Karte rumwedelte, schob sie mir das Lesegerät hin.
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Beim Verlassen des Supermarkts war ich sehr zufrieden, wie souverän ich an der Kasse parliert hatte. Vielleicht sollte ich in meinem Lebenslauf den Abschnitt mit den Fremdsprachenkenntnissen aktualisieren.
Portugiesisch: supermarktkassensicher.

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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Also dass Portugiesen die Ruhe selbst sind, scheint auf den Azoren nicht angekommen zu sein. Dort ging eine Tankstelle wegen eines Defektes nicht und wir konnten nicht tanken, standen aber schon – wie alle anderen – an der Zapfsäule.
Der hinter uns ist ausgerastet, hat uns sonstwas geheißen, wollte direkt unser Auto wegschieben mit den Händen und wir konnten ihm nicht klar machen, dass ALLE betroffen sind … er hat uns noch wüsteste Verwünschungen hinterher gebrüllt, als es nach ca 20 Minuten endlich wieder ging und wir schauten nur zu, dass wir Land gewinnen.