Lissabon: bekannt für seine historische Straßenbahn, für Pastéis de Nata, Fado, Sardinen, steile Hügel – und Fliesen. Diese prägen das Stadtbild und verfolgen dich Schritt auf Tritt. Du kannst keine 50 Meter zurücklegen, ohne eine geflieste Hauswand zu passieren.
Bunte Kacheln mit geometrischen Mustern, blau-weiße mit einzelnen Tier- oder Pflanzen-Motiven oder opulente szenische Wandbilder. Das ist hübsch anzusehen, da kommst du aus dem Staunen und Bewundern, aus dem „Ah!“ und „Oh!“ gar nicht heraus. Weswegen ich in den ersten zwei Wochen in Lissabon ungefähr 1.283 Wandfliesen geknipst habe.
Mit zunehmender Aufenthaltsdauer tritt zugegebenermaßen ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Da stehst du vor fußballfeldgroßen gefliesten Historienbildern und denkst: „Joah, noch `ne Kachel.“

Portugiesisch heißen die Wandfliesen Azulejos, abgeleitet vom Arabischen Wort al-zulayj: „kleiner polierter Stein“ oder – in niedlich – „glasiertes Steinchen“. Was maximal unpräzise ist, denn Fliesen und Steine haben nur wenig gemein. Eigentlich gar nichts. Fliesen sind eckig und flach, Steine rundlich und uneben. Während Fliesen zumeist aus Ton gebrannt werden, bestehen Steine aus – nun ja – Stein.
Nicht-Muttersprachler, die sich an der korrekten Aussprache von Azulejos versuchen, klingen, als hätten sie ein paar Ginjas zu viel gekippt. Muttersprachlern ebenfalls.
Die portugiesischen Wandfliesen sind so bedeutend für die Kultur des Landes, dass ihnen ein eigenes Museum gewidmet ist. Das Museu Nacional de Azulejo. Dort kannst du dich über alles informieren, was du schon immer über Azulejos wissen wolltest, und über alles, von dem du gar nicht wusstest, dass du es wissen willst.
Als vorbildliche Lisboetas auf Zeit haben wir das Museum selbstverständlich besucht. (Womit wir uns als Lisboetas disqualifiziert haben, weil das nur Touris, Azulejo-Fetischist*innen und Kachel-Connaisseur*innen machen.)
Das Fliesennationalmuseum, untergebracht im ehemaligen Kloster Madre de Deus, liegt im Stadtteil Xabregas und damit einigermaßen zentral. Also, wenn du in Xabregas wohnst. Für alle anderen befindet es sich am Arsch der Welt. Wir wissen das, weil wir zu Fuß hingegangen sind. Und dabei einige zwielichtige Gegenden durchqueren mussten. (Wahrscheinlich der Darm der Welt.)
Der Eintritt liegt bei zehn Euro. Nicht gerade ein Schnapper, dafür könntest du immerhin sechs Pastéis de Nata essen. Aber immer noch günstiger als das Hieronymus-Kloster in Belém (18 Euro beziehungsweise zwölf Pastéis de Nata) oder die immersive Erdbeben-Ausstellung ebenfalls in Belém (22,50 Euro beziehungsweise fünfzehn Pastéis de Nata).
Vor dem Museums-Eingang gaben wir einem bettelnden Mann unsere letzte Euro-Münze. Wobei ich mir etwas schäbig vorkam, schließlich waren wir kurz davor, 20 Euro für unsere Eintrittskarten hinzublättern. Mit unserer überschaubaren Gabe konnte er sich nicht einmal ein Pastel de Nata kaufen.

Hier ein paar Fliesen-Fakten, falls Sie mal ein Azulejo-Referat halten müssen oder Ihnen auf einer Party die Small-Talk-Themen ausgehen sollten. (Selbstverständlich habe ich mir nichts davon gemerkt, sondern später nachrecherchiert.)
- Wie der Namensursprung vermuten lässt, hat die Wandkachel arabische Wurzeln. Die Perser erfanden nicht nur Windmühlen und Klimaanlagen, sondern auch die Kunst bemalter Keramikfliesen.
- Im 8. Jahrhundert machten sich die Mauren auf der iberischen Halbinsel breit und brachten Wandfliesen und Mosaike mit. Ganz im Sinne von „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“. Die Fliesen waren zu dieser Zeit meist bunt mit geometrischen Mustern, sodass die damit gestalteten Wände wie psychedelische LSD-Trips wirkten.
- Die maurisch-iberische Freundschaft basierte nicht auf Gegenseitigkeit und die Iberer verjagten die Mauren im 13. Jahrhundert. Die gekachelten Wände fanden sie aber hübsch, behielten diese Tradition bei und entwickelten sie weiter.
- Ende des 15. Jahrhunderts besuchte der portugiesische König Manuel I. Sevilla, war von den Wandfliesen sehr angetan und bestellte mehrere Kachel-Chargen, um seine Paläste zu verschönern.
- Ab dem 17./18. Jahrhundert dominierte bei den Azulejos die Farbe Blau-Weiß, was für Harmonie und Frieden stehen sollte. In dieser Zeit kamen erzählerische Paneele in Mode, quasi Wand-Comics, die biblische Szenen, Jagden oder – wenig friedlich und harmonisch – Seeschlachten darstellten.
- Nach dem verheerenden Erdbeben von 1755 ging Marquês de Pombal kachelmäßig all-in und ließ alle neu errichteten Häuser mit Fliesen verkleiden. Nicht nur aus dekorativen Zwecken, sondern auch weil sie Feuchtigkeit und Hitze aufhielten. Obendrein waren sie leicht zu säubern. Da war der gute Marquês ganz die pragmatische Hausfrau.
- Die portugiesische Kachelkunst ist auch in den Lissaboner U-Bahnhöfen zu bewundern. Die meisten von der Künstlerin Maria Keil gestaltet, die praktischerweise mit dem Architekten Francisco Keil do Amaral verheiratet war, der für den Bau der Untergrundbahn zuständig war. Aber auch andere Künstler verewigten sich in den-Metro-Stationen. Beispielsweise Friedensreich Hundertwasser im Bahnhof Oriente.
Die Motive und dargestellten Szenen auf den Azulejo-Bildern sind mitunter recht eigentümlich. Da stellt sich die Frage, wie sie wohl zustande gekommen sind.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)