Post aus Portugal #17 | Eine kleine unvollständige Geschichte der Azulejos: Von den Mauren bis zur Metro

Lissabon: bekannt für seine historische Straßenbahn, für Pastéis de Nata, Fado, Sardinen, steile Hügel – und Fliesen. Diese prägen das Stadtbild und verfolgen dich Schritt auf Tritt. Du kannst keine 50 Meter zurücklegen, ohne eine geflieste Hauswand zu passieren.

Bunte Kacheln mit geometrischen Mustern, blau-weiße mit einzelnen Tier- oder Pflanzen-Motiven oder opulente szenische Wandbilder. Das ist hübsch anzusehen, da kommst du aus dem Staunen und Bewundern, aus dem „Ah!“ und „Oh!“ gar nicht heraus. Weswegen ich in den ersten zwei Wochen in Lissabon ungefähr 1.283 Wandfliesen geknipst habe.

Mit zunehmender Aufenthaltsdauer tritt zugegebenermaßen ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Da stehst du vor fußballfeldgroßen gefliesten Historienbildern und denkst: „Joah, noch `ne Kachel.“

Langes Fliesenmosaik mit bunt gefärbten Hausfassaden (Gelb, Rot, Blau, Türkis), Fenstern und Balkonen; unten handschriftliche Namen

Portugiesisch heißen die Wandfliesen Azulejos, abgeleitet vom Arabischen Wort al-zulayj: „kleiner polierter Stein“ oder – in niedlich – „glasiertes Steinchen“. Was maximal unpräzise ist, denn Fliesen und Steine haben nur wenig gemein. Eigentlich gar nichts. Fliesen sind eckig und flach, Steine rundlich und uneben. Während Fliesen zumeist aus Ton gebrannt werden, bestehen Steine aus – nun ja – Stein.

Nicht-Muttersprachler, die sich an der korrekten Aussprache von Azulejos versuchen, klingen, als hätten sie ein paar Ginjas zu viel gekippt. Muttersprachlern ebenfalls.

  • Fassade mit rötlichen Fliesen und schmiedeeisernem Balkon; eine gelbe Schaufensterpuppe mit Kette lehnt über dem Geländer; Bistroschild darunter
  • Kachelwandbild: stilisiertes Skelett mit Schädel und freiliegenden Rippen vor wirbelndem Blau, ein kleines rotes Herz im Brustkorb; seitlich Reihen aus rot-blauen Tropfen; Signatur „BERRI BLUE“
  • Historische Fliesenwerbung: roter Grund, gelbes Banner „CORREJAS DE TODAS AS QUALIDADES“; nackte Figur mit großem Gürtelring; unten Markenname „LOWSKY“, stark patiniert.
  • Straßen-Azulejo eines Pfaus mit gespreiztem Rad in kräftigem Blau-Grün; Körper mit ornamentaler Kachelstruktur; kleine Signaturtafel daneben
  • Minimalistische Linienzeichnung in Kobalt auf beigen Fliesen: skizzierter Mann mit Hut, Brille und Mantel in dynamischer Pose (Pessoa)
  • Großes Wandfeld aus glänzenden Pastellfliesen mit isometrischen Quadern; oben kleine grüne Skulpturen und zackige Formen als Abschlussleiste.
  • Aus vier Fliesen zusammengesetztes Porträt: Gesicht und Hände einer Frau verschmelzen mit blau-grünen Azulejo-Mustern; direkter Blick; kleine Plakette mit „@ogringo.75“.
  • Großes Fliesenpanel: abstrahierter weiblicher Torso in Ocker, blaue Umrahmung und Pinselspuren; Pinsel mit roter Farbe auf der Brust; expressive, skizzenhafte Linien
  • Vier Fliesen mit stilisierter roter, sitzender Figur vor weißem Himmel mit türkisfarbenen Wolken und beigem Stern; Cartoon-Stil, schwarze Konturen, grüne Kugel als Sitz.

Die portugiesischen Wandfliesen sind so bedeutend für die Kultur des Landes, dass ihnen ein eigenes Museum gewidmet ist. Das Museu Nacional de Azulejo. Dort kannst du dich über alles informieren, was du schon immer über Azulejos wissen wolltest, und über alles, von dem du gar nicht wusstest, dass du es wissen willst.

Als vorbildliche Lisboetas auf Zeit haben wir das Museum selbstverständlich besucht. (Womit wir uns als Lisboetas disqualifiziert haben, weil das nur Touris, Azulejo-Fetischist*innen und Kachel-Connaisseur*innen machen.)

Das Fliesennationalmuseum, untergebracht im ehemaligen Kloster Madre de Deus, liegt im Stadtteil Xabregas und damit einigermaßen zentral. Also, wenn du in Xabregas wohnst. Für alle anderen befindet es sich am Arsch der Welt. Wir wissen das, weil wir zu Fuß hingegangen sind. Und dabei einige zwielichtige Gegenden durchqueren mussten. (Wahrscheinlich der Darm der Welt.)

Der Eintritt liegt bei zehn Euro. Nicht gerade ein Schnapper, dafür könntest du immerhin sechs Pastéis de Nata essen. Aber immer noch günstiger als das Hieronymus-Kloster in Belém (18 Euro beziehungsweise zwölf Pastéis de Nata) oder die immersive Erdbeben-Ausstellung ebenfalls in Belém (22,50 Euro beziehungsweise fünfzehn Pastéis de Nata).

Vor dem Museums-Eingang gaben wir einem bettelnden Mann unsere letzte Euro-Münze. Wobei ich mir etwas schäbig vorkam, schließlich waren wir kurz davor, 20 Euro für unsere Eintrittskarten hinzublättern. Mit unserer überschaubaren Gabe konnte er sich nicht einmal ein Pastel de Nata kaufen.

Eingangstor mit bronzefarbener Tafel „Museu Nacional do Azulejo“ und blauem Hinweis „10h–18h“; dahinter Hof mit gelben Engelstrompeten, altem Gemäuer und sitzenden Besucher:innen.

Hier ein paar Fliesen-Fakten, falls Sie mal ein Azulejo-Referat halten müssen oder Ihnen auf einer Party die Small-Talk-Themen ausgehen sollten. (Selbstverständlich habe ich mir nichts davon gemerkt, sondern später nachrecherchiert.)

  • Wie der Namensursprung vermuten lässt, hat die Wandkachel arabische Wurzeln. Die Perser erfanden nicht nur Windmühlen und Klimaanlagen, sondern auch die Kunst bemalter Keramikfliesen.
  • Im 8. Jahrhundert machten sich die Mauren auf der iberischen Halbinsel breit und brachten Wandfliesen und Mosaike mit. Ganz im Sinne von „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“. Die Fliesen waren zu dieser Zeit meist bunt mit geometrischen Mustern, sodass die damit gestalteten Wände wie psychedelische LSD-Trips wirkten.
  • Die maurisch-iberische Freundschaft basierte nicht auf Gegenseitigkeit und die Iberer verjagten die Mauren im 13. Jahrhundert. Die gekachelten Wände fanden sie aber hübsch, behielten diese Tradition bei und entwickelten sie weiter.
  • Ende des 15. Jahrhunderts besuchte der portugiesische König Manuel I. Sevilla, war von den Wandfliesen sehr angetan und bestellte mehrere Kachel-Chargen, um seine Paläste zu verschönern.
  • Ab dem 17./18. Jahrhundert dominierte bei den Azulejos die Farbe Blau-Weiß, was für Harmonie und Frieden stehen sollte. In dieser Zeit kamen erzählerische Paneele in Mode, quasi Wand-Comics, die biblische Szenen, Jagden oder – wenig friedlich und harmonisch – Seeschlachten darstellten.
  • Nach dem verheerenden Erdbeben von 1755 ging Marquês de Pombal kachelmäßig all-in und ließ alle neu errichteten Häuser mit Fliesen verkleiden. Nicht nur aus dekorativen Zwecken, sondern auch weil sie Feuchtigkeit und Hitze aufhielten. Obendrein waren sie leicht zu säubern. Da war der gute Marquês ganz die pragmatische Hausfrau.
  • Die portugiesische Kachelkunst ist auch in den Lissaboner U-Bahnhöfen zu bewundern. Die meisten von der Künstlerin Maria Keil gestaltet, die praktischerweise mit dem Architekten Francisco Keil do Amaral verheiratet war, der für den Bau der Untergrundbahn zuständig war. Aber auch andere Künstler verewigten sich in den-Metro-Stationen. Beispielsweise Friedensreich Hundertwasser im Bahnhof Oriente.
  • Nahaufnahme traditioneller Azulejos: geometrische Rauten- und Sternmuster in Blau, Braun, Orange und Schwarz; sichtbare Patina und Fugen
  • Zeitgenössisches Fliesenmuster: Reihen aus Dreiecken und Rauten in Grün, Creme und Violett, jeweils mit orangefarbenen Punkten; streng geometrische Komposition
  • Wiederholtes Kachelmuster: kleine bunte Blumensträuße in Rauten, verbunden durch orange geometrische Linien; Oberfläche gealtert und stellenweise beschädigt
  • Rechteckiges Feld glänzender, kobaltblauer Azulejos mit kleinteiligem Arabesken-Muster; eingefasst in verwitterten Stein.
  • Nahaufnahme eines blau-weißen Azulejo-Dekors: Rokoko-Schwünge, zentral ein Putto-Gesicht; quer verläuft ein Band aus bunten Blumen
  • Blau-weißes Kachelbild in Bogenform: heiliger Mann mit Heiligenschein hält ein Kind auf dem Schoß; beide lesen in einem Buch, daneben Kreuzstab und blauer Rahmen.
  • Alte blau-weiße Kacheltafel an Putzfassade: sitzender Affe greift nach einem Schmetterling; Sterne und Blumen, dekorative Bordüre
  • Kleines Azulejo-Wappen mit Kreuzaufsatz und barocker Kartusche; darin Gestalten, die aus Flammen rufen (Purgatorium-Darstellung), Beschriftung „P.N.A.M.“
  • Monumentales blau-weißes Azulejo mit barockem Rahmen: Reiter und Soldaten in einer historischen Schlacht; Putten, Girlanden und „OURIQUE“-Schriftzug, gelber Wandhintergrund
  • Großes maritimes Kachelbild: geruderter Segler auf bewegter See, Fisch im Vordergrund, Obelisk und Gebäude am Ufer; darüber Hand mit Krone und lateinischem Spruchband; ornamentierte Bordüre
  • Barockes Azulejo mit Krippenszene: Maria und Josef knien vor dem Christkind, Esel/Ochse im Hintergrund, Engel in Wolken; goldverzierte Rahmung
  • Großes Azulejo-Panel: monumentale blau-gelbe Prunkvase auf Sockel, aus der ein üppiger Blumenstrauß mit Vögeln und Blättern quillt; links und rechts halten zwei Putten Quasten.
  • Gewölbter Gang mit reich verziertem Stuck und Hängelaterne; Wände vollständig mit blau-weißen Rauten-Azulejos, Boden aus farbigen Steinfliesen.
  • Kreuzgang aus hellem Stein mit Rundbögen und Säulen; dahinter Wand mit blau-weißen Diagonal-Azulejos und goldenen Sternrosetten, warmes Seitenlicht.
  • Großes, buntes Kachelbild einer fantastischen Stadtlandschaft: schiefe, rotgedeckte Gebäude mit Fenster-Gittern vor dunklem Himmel, ovale Plätze und geometrische Formen

Die Motive und dargestellten Szenen auf den Azulejo-Bildern sind mitunter recht eigentümlich. Da stellt sich die Frage, wie sie wohl zustande gekommen sind.

  • in Blau gemalter Hund im Profil, im Maul eine brennende Kerze; gelb-blauer Rahmen auf hellem Grund
  • Historisches Kachelbild mit grün-gelbem Akanthusrahmen; in der Mitte schreitet eine Katze/Wildkatze über eine Wiese und trägt Beute in der Pfote.
  • Blau-weißes Kachelbild eines geflügelten Putto vor Architekturkulisse; feine Schattierungen und sichtbare Glasurkrakeluren
  • Detail eines blau-weißen Kachelbilds: gekrönte Madonna hält das Jesuskind mit Strahlenkranz; das Jesuskind hat sehr ausgeprägte Bauchmuskeln
  • Minimalistische Strichzeichnung in Kobaltblau auf beigen Fliesen: grinsende Figur mit Zylinder tanzt schwungvoll; Bewegungslinien und Notensymbole verstärken den Rhythmus.
  • Schmales Fliesenbild: anthropomorpher Fuchs in elegantem Anzug sitzt auf einem Stuhl/Thron; feine Ornamentrahmung und symmetrische Motive

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