Gabriel – einer der Erzengel Gottes und so etwas wie der Projektmanager der Weihnachtsgeschichte. Ohne ihn wäre das eine ziemlich chaotische Nummer: fragwürdige Schwangerschaft, ratlose Teenagerin, überforderter Zimmermann, Geburt im Stall und überall Schafe. Was für ein Clusterfuck.

Gabriels Job ist es, den Menschen die göttlichen Visionen zu erklären. Die ließen nämlich häufig an Klarheit und Verständlichkeit zu wünschen übrig. Kennt man ja aus dem Büro: Der Chef faselt irgendetwas, keiner rafft’s, und dann fasst der Assistent das nochmal zusammen, damit es alle verstehen.
Gabriel ist nicht so der Typ für leise Auftritte. Wenn er irgendwo erscheint, sagt er nicht: „Ja, hallo erstmal, ich bin der Gabriel.“ Bei ihm muss es ein „Fürchtet euch nicht!“ zur Begrüßung sein.
Das liegt nicht nur an einem gewissen Hang zur Eitelkeit, sondern auch an seiner Erscheinung. Laut zeitgenössischen Beschreibungen trägt er einen Gürtel aus Gold, sein Körper ist „wie ein Türkis“, sein Gesicht sieht aus wie ein Blitz, seine Arme sind aus Bronze und als Augen hat er Feuerfackeln. (Klingt wie ein ziemlich spektakuläres Kostüm bei „The Masked Singer“.)
Außerdem ist der Klang seiner Worte angeblich wie der „Klang einer Volksmenge“. Was super nervig war, wenn du in der Schule neben ihm gesessen hast und er dir etwas zugeraunt hat. (Gab ‘nen Mega-Anschiss vom Lehrer.)
Bei diesem Aussehen ist es durchaus angebracht, dass Gabriel die Leute erstmal beruhigt: „Keine Panik, Leude, ich seh‘ zwar aus wie ein missglücktes Genexperiment aus dem Klonlabor, bin aber harmlos.“
Ungefähr im Februar 7 v. Chr. – fragt nicht – ruft Gott den Erzengel zu sich. „Gabe, geh mal zu dem Gör in Nazareth und erklär ihr das mit meinem Sohn. Nicht dass sie aus allen Wolken fällt, wenn da plötzlich was in ihr zappelt.“
Seit Gott in der Midlife-Crisis ist, spricht er alle Namen auf Englisch aus. Gabriel hasst das, traut sich aber nicht, etwas zu sagen. Gott macht zwar auf Kumpel und flache Hierarchie, duldet aber in echt keine Widerworte.
Also sagt Gabriel nur: „Alles klar, Boss“ und macht sich auf den Weg.
Maria chillt gerade in ihrem Zimmer und ist einigermaßen verdutzt, als plötzlich ein Typ mit Blitzgesicht vor ihr steht.
„Sei begrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“, sagt Gabriel. Maria hat keine Ahnung, was der goldbegürtelte Freak von ihr will. Oder wie es in der Bibel heißt: „Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.“ Nicht gerade Gabriels Glanzmoment als Erklärengel, wenn jemand nicht mal versteht, dass du „Guten Tag“ sagst.
Also schiebt er seine Standardfloskel nach: „Keine Panik, Mary“ – fängt sich noch rechtzeitig – „ich meine: fürchte dich nicht, Maria.“
Die hält sich die Ohren zu. „Jesus Christ, geht das auch ‘ne Spur leiser? Du stehst direkt vor mir.“
Der Erzengel setzt zu einem längeren Monolog an: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“
Maria hat immer noch keinen Schimmer, was der türkisfarbene Heini von ihr will: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne.“
Gabriel fragt sich kurz, ob Maria im Sexualkunde-Unterricht komplett gepennt hat, entscheidet sich dann aber für die offizielle Version: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.“
Während er redet, wird ihm selbst klar: So richtig verständlicher ist es jetzt nicht geworden. Vielleicht sollte er beim nächsten Mal mit Sockenpuppen arbeiten.
Dann erzählt er noch irgendwas von Elisabeth, die auch schwanger sei. Maria versucht derweil weiter herauszufinden, was hier abgeht. Damit endlich Ruhe ist, sagt sie: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“
Gabriel findet, dass das Gespräch insgesamt ganz ordentlich lief, und macht sich vom Acker.
Ein paar Wochen später kommt der nächste Auftrag.
„Gabe, alter Erklär-Hans, du musst Joe, den alten Carpenter, mal auf den Pott setzen“, sagt Gott. „Ich glaub, der hat zu viel Sägespäne inhaliert und faselt was von Verlobung auflösen. Mach ihm klar, dass er sich das abschminken kann.“ Also reist Gabriel wieder nach Nazareth.
Josef ist gerade erschöpft eingeschlafen. Kleiner Nap am Mittag hat noch nie geschadet. Maria hat ihm etwas von „unbefleckter Empfängnis“ und „Heiligem Geist“ erzählt. Lauter große Worte, bei denen er innerlich ausgestiegen ist.
Er ist sich nicht mehr sicher, ob die Verlobung mit ihr so eine gute Idee war. Nicht wegen der Schwangerschaft – die ist ihm egal –, aber der Altersunterschied ist einfach zu groß. Ein Boomer und eine Millennial, das kann nicht funktionieren. Vielleicht sollte er die Verlobung einfach „stillschweigend auflösen“. (Biblischer Ausdruck für „ghosten“.)
Weil Gabriel den schlafenden Josef nicht wecken will, erscheint er ihm im Traum und bellt sein „Fürchte dich nicht“ mitten in die REM-Phase des Zimmermanns. Der macht sich fast ins Hemd, als er einen Typen mit feuerspeienden Augen vor sich sieht.
Gabriel kommt direkt zur Sache und erklärt Josef, dass mit der Schwangerschaft alles seine Richtigkeit habe. Das Kind sei vom Heiligen Geist, es werde ein Junge, er solle ihn Jesus nennen, das heiße „der Herr rettet“, und das passe ganz gut, denn der Knabe werde die Menschen von ihren Sünden befreien. Spätestens beim „Heiligen Geist“ sieht Gabriel an Josefs Blick, dass er ihn verloren hat.
Josef denkt nur: Wer ist dieser Dude – und warum schreit der so?
Gabriel redet trotzdem weiter. Damit erfülle sich eine Prophezeiung des Herrn, erklärt er. „Die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen. Den wird man Immanuel nennen. Immanuel bedeutet: ‚Gott ist mit uns‘.“
Nun ist Josef komplett lost. Wie soll der Bub denn nun heißen? Jesus oder Immanuel? Nachfragen kann er nicht mehr – Gabriel ist schon verschwunden.
Also denkt Josef sich: „Wer bin ich, dass ich einem Typ mit Bronzearmen widerspreche?“, heiratet Maria und nennt das Kind Jesus. (Weil er findet, dass Immanuel unmännlich klingt. Maria rollt die Augen, aber das wird man ja wohl noch sagen dürfen.)
24. Dezember. Gabriel heizt gerade mit seinen Augen den Raclette-Grill an – Michael, Raphael und Uriel kommen zu Besuch – als Gott durchklingelt. Video-Call.
„Gabe, alte Säge, wie geht’s?“, begrüßt ihn der Schöpfer. Gabriel ahnt nichts Gutes. Gott ruft nie einfach so an.
„Hast du gehört, mein Sohn ist geboren“, erklärt der Allmächtige. „Ähm, ja, Glückwunsch“, erwidert Gabriel und verteilt Raclette-Käse auf kleinen Tellern.
„Die Nachricht trendet noch nicht so richtig“, sagt Gott. „Geh mal nach Bethlehem zu den Hirten und verkünde denen das. Mit ein bisschen Brimborium, damit es auch jeder mitbekommt. Hashtag holymoly oder so.“
„Muss das denn unbedingt heute Abend sein?“, fragt Gabriel. „Du siehst doch …“ Er zeigt auf den gedeckten Tisch.
Gott runzelt die Stirn. „Hast du was an den Lauschlappen, du Blitzbirne? Habe ich irgendwo gesagt: Wenn du Lust hast und es dir einrichten kannst, wäre es voll nett von dir, mal in Bethlehem bei den Hirten auf einen Plausch vorbeizuschauen?“
Weil Gott andere schon für weniger zur Salzsäule hat erstarren lassen, schüttelt Gabriel schnell den Kopf und macht sich auf den Weg.
Draußen hängen die Hirten auf dem Feld ab. Nachtschicht, überall Schafdung, kalter Wind. Wenig „Weihnachtsromantik“, mehr „Überlebenskampf“.
Gabriel haut erstmal das Flutlicht an („der Glanz des Herrn“) und leiert sein „Fürchtet euch nicht“-Sätzchen runter. Die Hirten nässen sich bei seinem Anblick trotzdem fast die Tunika ein. („Es sind die Blitze als Gesicht, oder? Oder die brennenden Augäpfel?“)
Dann gibt er im Breaking-News-Tonfall die Meldung raus: „Jungs, ihr werdet euch gleich ein Bein abfreuen, wenn ihr hört, was ich euch zu sagen habe …“ (kleine Kunstpause) „Der Retter ist geboren, der Messias, der Herr.“
Die Hirten reagieren eher sparsam. Sie schauen ihn an und denken: Was erzählt uns die Gewitterrübe? Und was zur Hölle ist ein Messias?
Gabriel, der alte Zeremonienmeister, lässt erstmal „die Menge der himmlischen Heerscharen“ aufmarschieren – ein kompletter Engelchor in Stadiongröße. Die stimmen in voller Lautstärke ein Loblied auf den Herrn an. („Stille Nacht, my ass.“) Weil das bei den Hirten nur so mittel zieht, legen sie „Joy to the World“ nach. Und dann noch den Pur-Party-Mix.
„So, meine Schafliebhaber, jetzt trabt mal rüber zu dem Heuschober da hinten und schaut euch das göttliche Baby an. Aber vorher kurz die Klamotten durchlüften, ihr müffelt.“
Gabriel überlegt, selbst eine Stippvisite im Stall einzulegen. Als er durchs Fenster guckt, steht da aber gerade ein fünfjähriger Bengel und haut wie irre mit einem Holzlöffel auf einem alten Topf rum. Da beschließt Gabriel, seinen Antrittsbesuch zu verschieben.
Zuhause wirft er den Raclette-Käse weg, stellt sein iGod-Telefon auf lautlos und schaut „Stirb langsam“. („Natürlich ist das ein Weihnachtsfilm.“)
In den nächsten Wochen schickt Gott Gabriel immer wieder zu Josef.
„Herodes läuft Amok. Er soll aus Bethlehem abhauen.“
„Die Luft ist rein. Er kann zurück nach Nazareth.“
Irgendwann hat Gabriel keinen Bock mehr, den Erklärbär Gottes zu spielen, und kündigt. Seitdem betreibt er in Gelsenkirchen ein Lottobüdchen. Dort erzählt er jedem, der es hören will – und allen anderen auch –, dass er mal Pressesprecher Gottes war und die PR für die Geburt von Jesus organisiert hat.
Die Kundschaft so: „Okay, ich wollte eigentlich nur ’ne Packung Roth-Händle. Und brüll nicht so, ich hab ja nichts an den Ohren.“
Immerhin: Im Lottoladen muss er nur noch Kreuze auf dem Schein erklären, nicht mehr die Pläne des Allmächtigen.
Adventskalender 2025
- Tag 01: Last Christmas
- Tag 02: Plätzchen
- Tag 03: Jesus & Maria & Josef
- Tag 04: Dominostein
- Tag 05: Weihnachtsmarkt
- Tag 06: Nikolaus
- Tag 07: Adventskalender
- Tag 08: Geschenke
- Tag 09: Essen
- Tag 10: Caspar & Melchior & Balthasar
- Tag 11: Weihnachtsfeier
- Tag 12: Zitronat und Orangeat
- Tag 13: Der kleine Trommler
- Tag 14: Elf on the fucking shelf
- Tag 15: Mandarinen und Nüsse
- Tag 16: Hallmark Movies
- Tag 17: Wichteln
- Tag 18: Lichterketten
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)

