Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
15. April 2024, Berlin
Großer Tag für den Sohn. Erste Abi-Klausur. In Philosophie. Als er nach Hause kommt, zeigt er sich zufrieden. Moralphilosophie kam dran. Da hätte sich das Pokern gelohnt, meint er. Sein bester Freund und er hatten sich fast ausschließlich auf die Moralphilosophen vorbereitet.
Bei einem anderen Thema hätte er nicht so wahnsinnig viel gewusst. Zum Bestehen hätte es aber gereicht, sagt er. Sehr beruhigend.
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Ein Kollege meiner Frau hat ihr kürzlich erzählt, dass er nach seiner ersten Abi-Arbeit nach drei, vier Tagen die nächste schreiben musste. Seine Freunde und er fanden, dass sie diese Zeit am besten nutzen, indem sie einen Trip nach Italien machen. An einem Pass blieb ihr Auto liegen und sie hatten Schwierigkeiten, rechtzeitig zur zweiten Klausur zurückzukommen.
Der Sohn schreibt sogar erst in zehn Tagen die nächste Arbeit. Ich hoffe, die Geschichte inspiriert ihn nicht, mit seinen Freunden eine Spritztour nach Polen einzulegen.
16. April 2024, Berlin
Letzte Woche schrieb ich über Kontaktanzeigen, heute erhalte ich eine Mail mit dem Betreff „Find Fuck girlfriend near you“ Da wird nicht um den heißen Brei geredet, sondern unmissverständlich klar gemacht, um was es in der Mail geht. Ein Fuck girlfriend in der Nähe zu finden.
Erstaunlicherweise ist die Mail nicht in meinem Spam-Ordner gelandet. Anscheinend denkt mein Spam-Ordner, mich interessiert das. Tut es auch, aber selbstverständlich nur aus Recherchegründen für potenzielle Blog-Geschichten.
Die Nachricht beginnt mit der Frage: „Are you looking for company?” Definitiv nein. Es hat schon seinen Grund, warum ich seit fast zehn Jahren alleine im Home Office arbeite. Außerdem bin ich seit über 27 Jahren mit meiner Frau zusammen. Das reicht mir als company.
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Aushang der Berliner Stadtreinigung an der Haustür. Am 02. Mai ist Sperrmülltag im Kiez. Direkt bei uns um die Ecke. Eine Information, die mich mit unangemessen viel freudiger Erregung erfüllt. (Das muss das Alter sein.)
Der Kiez-Sperrmülltag ermöglicht uns, den Keller mit überschaubarem Aufwand zumindest teilzuentrümpeln. Eine Aussicht, die mich ebenfalls mit unangemessen viel freudiger Erregung erfüllt. Schön, wenn es Dinge gibt, auf die du dich freuen kannst.
17. April 2024, Berlin/Köln
Fahrt nach Köln. Eine Woche Schreibklausur, um an einem Buch über Weihnachten zu schreiben. Im April. Das 2025 erscheinen wird. Mal schauen, wie meine Ich-komme-erst-in-Schwung-wenn-die-Deadline-um-die-Ecke-linst-Motivation damit zurechtkommt.
Im Zug riecht es etwas streng. Und mit „etwas streng“ meine ich „extrem ekelhaft“. Als wäre jemand in Hundekot getreten. Mein Platz grenzt direkt an den Familienbereich an. Daher könnte es auch sein, dass da mal eine Windel gewechselt werden müsste.
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Meine Frau schickt eine Facebook-Erinnerung in die Familien-WhatsApp-Gruppe. Von vor dreizehn Jahren. Damals sagte der Sohn beim Abendbrot: „Ich mag Gott. Wenn ich groß bin, werde ich Gott.“
Damit hatte er mit fünfeinhalb eine genauere Vorstellung von seiner beruflichen Zukunft als jetzt, wo er kurz vor dem Abitur steht.
18. April 2024, Köln
Auf der Straße sagt ein Typ, Mitte 20 mit hippem Schnäuzer, zu seiner Begleitung: „Das habe ich aber nicht gemacht. Ich bin so vernünftig und erwachsen, da könnte sich die ganze Welt eine Scheibe von abschneiden.“
Da stellt sich natürlich die Frage, was er nicht getan hat, das ihn so vernünftig und erwachsen macht, dass er als Role Model von globalem Ausmaß gelten kann. Bei Rot nicht über die Ampel gegangen, als ein Kind neben ihm stand? Nach dem Zähneputzen keine Schokolade gegessen? Nicht ins Schwimmbad gepinkelt?
19. April 2024, Köln
Einkauf bei Penny. Alle Menschen sind von frappierender Freundlichkeit. Die Kassiererin, der Regaleinräumer, die Kund*innen. Alle. Sie flöten „Guten Tag.“, „Entschuldigung.“, „Auf Wiedersehen“ und „Ein schönes Wochenende.“
Sehr ungewohnt, wenn du aus Berlin kommst. Da wird allenfalls durch den Markt gebrüllt: „Mach mal zweite Kasse auf!“ und die Kassierer*innen ignorieren das dann.
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Gerate beim Spazierengehen in einen monsunartigen Regenschutt. Ein kleines Kind, circa anderthalb, hüpft in jede Pfütze und gluckst und klatscht dabei. Seine Mutter ist vollkommen tiefenentspannt und fragt lediglich einmal: „Sollen wir vielleicht weitergehen, Spätzchen? Ich muss zuhause noch ganz viel erledigen.“
Spätzchen will aber nicht weitergehen, sondern in Pfützen springen. Die Mutter nimmt das mit einer zenhaften Gelassenheit hin, die für mich nur damit zu erklären ist, dass sie eine gehörige Portion Valium in ihr morgendliches Müsli mischt.
Mich macht ihre ruhige Art leicht nervös, fast schon aggressiv. Was selbstverständlich nicht gegen die Frau, sondern gegen mich spricht. Wahrscheinlich bin ich nur neidisch, dass ich früher nicht so sanftmütig und ausgeglichen mit den Kindern war, sondern zu oft mein innerer Klaus Kinski zum Vorschein kam. Vielleicht hätte ich damals auch Valium frühstücken sollen.
20. April 2024, Köln
Langer Lauf am Rhein. 38 Kilometer bei Kälte, Regen und Wind. Werde sehr oft von jungen, dynamischen Menschen überholt. Mit spielerischer Leichtigkeit. Das kommt davon, wenn du in einer Stadt läufst, in der Deutschlands renommierteste Sporthochschule angesiedelt ist.
Für mich ist das die einzige logische Erklärung, dass das alles angehende Olympioniken sein müssen, die ständig so zügig an mir vorbeiflitzen. Außer die Mitte 60-jährige Frau, die mich auf Höhe des Bahnhofs sehr flott distanziert. Das muss eine ehemalige Olympionikin sein. Ich tippe auf Medaillengewinnerin in Los Angeles 1984.
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Cappuccino im Espresso House. Der bedauernswerte junge Mann hinterm Tresen hat seinen ersten Tag und ist allein im Laden. Die Schlange hat biblische Ausmaße, die ein oder andere Kaffeespezialitätenherstellung läuft schief, aber alle sind sehr relaxt.
Trotzdem hoffe ich, dass jemand dem Nachwuchs-Barista an seinem zweiten Tag noch erklärt, dass er bei der Zubereitung von Speisen nicht in deren Richtung pfeifen soll.
21. April 2024, Köln
Der Schreibfluss will sich noch nicht so recht einstellen. Im April über Weihnachten nachzudenken, ist ziemlich herausfordernd.
Das Wetter ist auch nicht hilfreich. Draußen ist es grau, regnerisch und windig. Das ist nicht weihnachtlich, sondern herbstlich. Ich muss aber ein Buch über Weihnachten schreiben. Niemand mag den Herbst und niemand will ein Buch über den Herbst lesen.
Am liebsten würde ich mich dem Weihnachts-Genre kulinarisch annähern. Leider gibt es in den Supermärkten aber noch keine Dominosteine und Lebkuchen. Und auch keinen Glühwein.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Zur Inspiration empfehle ich das fliegende Klassenzimmer!
Danke für den Tipp. Ich versuche derweil, meinen inneren Weihnachtsmann zu channeln. Oder meinen inneren Dominostein