Weihnachten und Essen gehören zusammen wie Topf und Deckel, Faust und Auge sowie Arsch und Eimer. Nicht umsonst zählt der Song der niederländischen Band Bots „Was wollen wir essen, 70 Stunden lang“ zu den beliebtesten Weihnachtsliedern aller Zeiten. (Weniger erfolgreich war „Iss nicht zu viel, mein kleiner Freund“ von Nicole.)
Die Weihnachtsvöllerei wird am Ende des Heiligabend-Gottesdienstes eingeleitet: Mit einer Spende an ‚Brot für die Welt‘. Dann gehst du nach Hause und wirst für die nächsten drei Tage keinen Hunger verspüren, weil du ununterbrochen isst, bis deine Organe einen Betriebsrat gründen.

Das Number-One-go-to-Alman-Essen an Heiligabend ist: Kartoffelsalat mit Würstchen. (We call it a classic.) Das kulinarische Downgrade zum festlichsten Tag des Jahres.
Die Begründung: „Da hat man nicht so viel Stress.“ Außer Mutti, die ab vier Uhr morgens in der Küche steht, drei Zentner Kartoffeln schält, Gurken und Zwiebeln im Akkord hackt und dabei 38-mal sagt: „Ist ja alles ganz schnell gemacht.“
Die Kartoffeln füllen den Magen, die Würstchen trüben nicht nur das Wurstwasser, sondern auch die Moral. Die sind eher nicht von glücklichen Tieren, sondern von unglücklichen Fleischabfällen, die mit ein paar E-Nummern, einer Handvoll Konservierungsstoffe und diversen Geschmacksverstärkern in den Kunstdarm gedrückt wurden.
Stattdessen kannst du zum veganen Würstchen greifen. Für das gute Gewissen, leider nicht für den guten Geschmack. Der Tofu-Stängel kommt zwar in Wurstform daher, hat mit seinem fleischigen Kollegen weder in Konsistenz noch im Geschmack auch nur die entfernteste Ähnlichkeit. Die Alternative zur Veggie-Wurst: Ein marinierter und scharf angebratener Spülschwamm mit ordentlich Senf.
Früher war Forelle ein beliebtes Weihnachtsessen (mehr bei Menschen, weniger bei Forellen). Die ist aber nur zu empfehlen, wenn du darauf stehst, dass dich dein Essen vorwurfsvoll anstarrt.
Die Forelle kannst du auch lebend kaufen, ein paar Tage in der Badewanne beherbergen und dann an Heiligabend frisch zubereiten. Nichts erzeugt mehr Besinnlichkeit als zum Fest der Liebe ein Tier zu töten.
Ein moderner Weihnachtsessen-Klassiker ist Raclette. Von den Schweizern erfunden, wurde ursprünglich ein Laib Käse über der offenen Flamme geschmolzen und spartanisch mit Brot verzehrt.
In der domestizierten Variante mit Tischgrill und Pfännchen geht es ganz und gar nicht genügsam zu. Da biegt sich der Tisch unter Dutzenden von Schälchen, Tellerchen und Schüsselchen. Mit Kartoffeln, Essiggurken, Mais, Artischocken, Schinken, Salami, Brokkoli, Paprika, Hühnchen und allem, was das Herz begehrt und der Magen fürchtet. Dazu gibt es noch Dattelcreme, Knoblauch-Dip, Curry-Mango-Chutney, Zwiebel-Relish und eine Grillsauce, von der niemand weiß, seit wann sie schon im Kühlschrank lebt.
Die Zutaten kloppst du dir gottlos ins Pfännchen, begräbst das Ganze unter vier bis acht Käsescheiben und lässt dir von der Heizspirale eine dunkle Kruste auf deinen Mini-Auflauf brutzeln, bis der Onkologe bedenklich mit dem Kopf wackelt.
Der Vorteil von Raclette: niemand muss stundenlang allein in der Küche stehen, es wird in geselligem Beieinander gemeinsam gekocht und jeder ist selbst verantwortlich, wenn es ihm nicht schmeckt. Was bei mit Käse überbackenem Essen ausgeschlossen werden kann.
Der Nachteil von Raclette: die Bude stinkt acht Wochen nach Käsemauken.
Wer den Nervenkitzel liebt, greift zum Fondue. Flüssiger Käse oder heißes Fett in der Tischmitte und alkoholisierte Menschen, die mit langen Gabeln hantieren – was soll da schon schiefgehen?
Am ersten Feiertag – das Essen vom Vortag ist nicht einmal ansatzweise verdaut – steht der nächste kulinarische Großkampftag an: das Gänseessen.
Eine Weihnachtsgans musst du Monate im Voraus bestellen. Sonst sitzt du am 25. vor leeren Tellern. (Welch lächerliche Vorstellung.) Fragst du Mitte Dezember in einer Metzgerei nach einem Gänsebraten, erntest du schallendes Gelächter.
Falls dir doch ein Vogel angeboten wird, solltest du besser die Finger davon lassen. Wahrscheinlich handelt es sich um einen an Vogelgrippe erkrankten, altersschwachen Ganter, den irgendein Bauer versehentlich überfahren hat, und den bisher niemand kaufen wollte.
Beim großen Gänseessen sitzt du am Tisch und irgendwo hinten in deinem Kopf erzählt dir ein Fitness-Influencer: „Eine Portion Gans hat etwa 1.000 Kalorien…“ Für eine Hauptmahlzeit ist das ja ganz okay, denkst du dir. Allerdings nur in der Theorie.
Praktisch sieht dein Teller so aus: Gans, Soße, Kloß, Rotkohl, „gerne noch ein bisschen Soße“, zweiter Kloß und „spar mal nicht so mit der Soße“. Anschließend kommt der Nachschlag, der bei Oma traditionell größer als die erste Portion ist.
Alles in allem kommst du auf ungefähr 5.000 Kalorien. (Konservativ geschätzt.) Für eine Hauptmahlzeit ist das ja ganz okay, denkst du dir. Wenn du jeden Tag 400 Kilometer Fahrrad fährst. Durch die Alpen.
Wenn der Dezember dich finanziell ruiniert hat – Stichwort: Geschenke, Adventskalenderbefüllung, Weihnachtsmarktbesuche – empfiehlt sich der Gänsebraten als kostengünstigere Variante. Reicht es für den auch nicht, holst du einfach bei KFC einen Eimer Chicken Wings. Ist ja auch Geflügel. (Vielleicht. Wenn du Glück hast.)
Der zweite Feiertag ist wild. Beziehungsweise du isst Wild. Hirschbraten oder Rehrücken. Oder was auch immer Onkel Otto, dem alten Hobby-Jäger, vor die Flinte gekommen ist. Auf deinen Teller schaufelst du dir Braten, Klöße – here we go again –, Rotkohl – same procedure as last meal – und Soße – never change a winning team – als hättest du gerade eine 90-tägige Fastenkur beendet. Während des Essens denkst du dann unentwegt: „Bambi?“ Und dann: “Mit Soße eigentlich ganz lecker.”
Läuft das Essen ganz schlecht, holt Onkel Otto nach dem siebten Verdauungsschnaps das Jagdhorn raus und spielt: „Die Sau ist tot.”
Nach dem Hauptgang kommt der Nachtisch. Der Weihnachtsessen-Gott kennt keine Gnade. Obwohl du nicht nur satt bist, sondern dein Magen wegen Überfüllung geschlossen ist.
Eine ganz normale Unterhaltung an Weihnachten. „Boah, ich bin so satt, ich kann nie wieder etwas essen.“ „Wir haben noch Dessert.“ „Lecker, was gibt‘s denn?“
Die Feiertage bestehen aber nicht nur aus Hauptmahlzeiten. Obendrein lauern überall Plätzchenteller. Zimtsterne, Kokosmakronen, Spekulatius und Lebkuchen sind stets nur einen Handgriff entfernt. Genauso wie Völlegefühl, Sodbrennen und Verstopfung.
Egal wo du hinkommst, auf dem Wohnzimmertisch steht schon eine Schüssel mit Marzipan, Stollen, Dominosteinen und einer Alibi-Mandarine. Das ist ein Naturgesetz. Plätzchenteller wachsen an Weihnachten automatisch aus dem Wohnzimmertisch.
Der häufigste Satz, der an Weihnachten gesagt wird, ist: „Greif ruhig zu“. Dicht gefolgt von „Gerne.“ Denn du willst ja nicht unhöflich sein und greifst natürlich zu. Nur nicht zur Mandarine. Schließlich möchtest du deinen Magen nicht mit Obst und Vitaminen verwirren.
Ist die Weihnachtsvöllerei vorbei, fasst du irgendwann den Mut und trittst den Gang zur Waage an. Wohlwissend, dass das keine gute Idee ist. Sogar eine sehr schlechte.
Auf dem Display erscheint dann eine Zahl, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben kann, beziehungsweise nicht haben darf. Die einzige logische Erklärung: Deine neue Unterhose – ein Weihnachtsgeschenk von Mutti – wiegt fünfzehn Pfund. Das muss es sein.
So kannst du anschließend vollkommen beruhigt den restlichen Stollen essen. Und die drei Dominosteine, die auf dem Plätzchenteller übriggeblieben sind.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)

