Adventskalender 2025 – Tag 22: Weihnachtslieder

Weihnachtslieder – der unvermeidliche, allgegenwärtige Dezember-Soundtrack, der dich ein bisschen sentimental werden lässt, während du gleichzeitig vorm Nervenzusammenbruch stehst.

Ab dem 1. Advent gibt es kein Entrinnen: Im Radio, im Supermarkt, auf dem Weihnachtsmarkt, in Reels, im Fahrstuhl, beim Zahnarzt. Wenn du Pech hast, sogar im Fitnessstudio – überall Weihnachtslieder. So viel „Friede auf Erden“ – und so viele Menschen kurz vor der inneren Eskalation.

Dunkelroter Hintergrund, auf dem in weißer und dunkelrosafarbener Schrift "Weihnachstlieder" steht.

Weihnachtslieder lassen sich in drei Kategorien einteilen:

  1. Kirchenklassiker
    „Stille Nacht“, „O du fröhliche“, „Macht hoch die Tür“ – die großen Drei des liturgischen Weihnachts-Schlagerfests. Das sind die Lieder, bei denen du plötzlich weißt, wie sich deine Stimmbänder anhören, wenn sie weinen.
  2. Kinderlieder
    „In der Weihnachtsbäckerei“, „Kling Glöckchen“, „Lasst uns froh und munter sein“ – harmlose Titel mit maximaler Ohrwurm-Gefahr. Wenn dein Kind im Dezember ein Krippenspiel, eine Weihnachtsfeier und eine Schulaufführung hat, kennst du diese Lieder danach besser als deine eigene Telefonnummer.
  3. Pop-Weihnachtsgedöns
    „Last Christmas“, „All I Want For Christmas Is You“, „Driving Home For Christmas“ – die Playlist, die ab Ende November auf jedem Radiosender in der Heavy-Dauer-Rotation nudeln. Bis du irgendwann ein Stockholm-Syndrom entwickelst und ernsthaft glaubst, George Michael erzähle deine Lebensgeschichte.

Kirchenlieder: Liturgische Hochseilakrobatik

„Stille Nacht“ – offiziell das besinnlichste Lied der Welt, in der Praxis ein gesanglicher Stresstest. Am Anfang geht es noch. Dann moduliert die Orgel in eine Tonhöhe, in der Wale kommunizieren. Bei der ersten Strophe singen alle tapfer mit, bei der zweiten Strophe steigen 50 % aus, weil sie den Text nicht kennen, und zum Schluss sind nur noch Oma Irmgard und der Organist dabei.

„O du fröhliche“ ist emotional komplett überladen: „gnadenbringende Weihnachtszeit“, „Welt ging verloren“, „Christ ist geboren“ – alles in drei Sätzen. Während du singst, versuchst du gleichzeitig, den Text zu entziffern, dein Kind davon abzuhalten, das Gesangbuch zu essen, und deine innere Stimme denkt: „Ich muss gleich als erstes die Kartoffeln fürs Raclette aufsetzen.“

„Macht hoch die Tür“ kommt in barocker Schwere daher, mit einem b als Vorzeichen, was nie Gutes bedeutet. Textlich lässt dich das alles ratlos zurück – warum soll man eine Tür hoch und ein Tor weit machen? Die Reime wiederum bewegen sich mit „Er ist die rechte Freudensonn, bringt mit sich Freud und Wonn“ auf dem Niveau „Gedicht-Wettbewerb Regenbogengrundschule Bad Tölz“.


Kinderlieder: Pädagogisch wertvoll, nervlich ruinös

„In der Weihnachtsbäckerei“ – vom Kinderliederbarden des Teufels, Rolf Zuckowski, verfasst, um zu testen: Wie viele Wiederholungen ertragen Eltern, bis sie sich rohen Plätzchenteig in die Ohren stopfen?

Der Text fräst sich in dein Hirn wie ein schlecht programmierter Jingle: Du fährst Auto, sitzt im Meeting, stehst unter der Dusche – irgendwo in deinem Kopf besingt ein unsichtbarer Kinderchor: die Weihnachtsbäckerei. Du hast keine Ahnung, wo das Rezept geblieben ist, aber dein Lebenswille geht langsam verloren.

„Lasst uns froh und munter sein“ ist die mantraartige Selbstsuggestion, die dich von deinem vorweihnachtlichen Erschöpfungssyndrom ablenken soll. Lyrisch liegt „lustig, lustig, traleralera“ irgendwo zwischen Kasperltheater, Musikantenstadl und Ballermann.

„Kling, Glöckchen, klingelingeling“ hat die gleiche Wirkung wie ein Tinnitus: Du bekommst ihn wochenlang nicht aus dem Kopf. Du räumst die Spülmaschine aus und hörst innerlich: „Lasst mich ein, ihr Kinder…“ und denkst: „Seit 150 Jahren steht da ein Typ vor der Tür und will ‚eingelassen‘ werden – und keiner fragt, warum?“


Pop-Weihnachten: George, Mariah & der Rest der Gang

Am 1. Dezember beginnt der „Last-Christmas-Whamageddon“: Alle 47 Minuten in jedem Radiosender, alle 70 Minuten in jedem Einkaufszentrum, alle 90 Minuten in Bahnhofshallen – was bestimmt ein Verstoß gegen mehrere Menschenrechtskonventionen darstellt.

Von dem Song gibt es allerlei Varianten – keine macht das Original erträglicher: Die Akustik-Version, das Panflöten-Orchester, der Techno-Remix und das traurige Klavier-Cover in irgendwelchen Netflix-Weihnachtsfilmen, bei denen jemand bedeutungsvoll aus dem Fenster schaut.

Mariah Carey schläft 10 Monate im Jahr in einem Eisblock und taut pünktlich Ende November auf, um dir mehrmals täglich „All I want for Christmas is you“ ins limbische System zu prügeln.

Der Inhalt ist maximal zwiespältig: „I don’t want a lot for Christmas, … All I want for Christmas is you.” Ist das eine Absage an die materialistischen Auswüchse des Kapitalismus oder disst Mariah ihren Partner sehr subtil, aber schonungslos?

„Driving Home For Christmas“ klingt nach melancholischem Roadmovie, ist aber in echt die Hymne aller Menschen, die Heiligabend auf der A3 in einer Blechlawine im Stop-and-Go festhängen, auf dem Weg sich in die nächste Familienkrise zu fahren.

Chris Rea schrieb den Song 1986, als er an Weihnachten unterwegs zur Familie im Stau stand, um auch mal mit einem Weihnachtslied so richtig abzucashen. Zwei Jahre später erschien „Road to hell“. Anscheinend verlief das Weihnachtsfest im Kreise der Rea-Familie weniger harmonisch als von Chris erhofft.


Weihnachtslieder sind nervig, textlich grenzwertig und musikalisch oft simpel. Trotzdem schaffen sie emotionale Ausnahmesituationen:

  • Wenn in einer überfüllten, völlig überhitzten Kirche alle im Kerzenschein „Stille Nacht“ singen, ist das objektiv kitschig. Trotzdem haben plötzlich 80 Prozent der Anwesenden feuchte Augen.
  • Wenn dein Kind bei der Schulaufführung schief „O Tannenbaum“ ins Mikro nuschelt, ist das künstlerisch weit weg von gut – aber du bist kurz davor in Tränen auszubrechen.
  • Wenn du am 24. Dezember den Abwasch machst und im Hintergrund irgendeine Piano-Version von „Fairytale of New York“ läuft, denkst du vielleicht: „So schlimm ist Weihnachten doch nicht.“

Und am 1. Dezember nächstes Jahr scrollst du zu deiner sorgfältig kuratierten Playlist „All time favourite Weihnachtslieder“, drückst auf Play und George Michael jammert: „Last Christmas, I gave you my heart …“ – und du denkst: „Okay, here we go again.“


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