12.40 Uhr. Unser Zug steht. Dabei sollte er fahren. Von Madrid nach Vigo. Tut er aber nicht. Schon seit zehn Minuten.
Stattdessen hat er irgendwo in der kastilischen Walachei gehalten. Draußen ist nicht viel zu sehen. Keine Ortschaften oder Ansiedlungen weit und breit. Nur Landschaft. Davon ziemlich viel. Links und rechts erheben sich kleinere Hügel, die Vegetation rangiert farblich von dunklem Grün bis verdorrtem Braun.
Der Zug macht keine Anstalten, sich wieder in Bewegung zu setzen. Als regelmäßiger Kunde der Deutschen Bahn findest du das erstmal nicht ungewöhnlich. Da hältst du auch mal mitten auf der Strecke. Wegen Personen in den Gleisen, noch belegten Bahnsteigen im nächsten Bahnhof, Stellwerkproblemen oder so etwas.
Gerade haben wir aber keine Ahnung, warum der Zug nicht fährt. Es gibt keine Durchsage, keine Erläuterung, keine Informationen. Garnichts.
Da ist die Deutsche Bahn vorbildlich. Die klärt in der Regel sehr zügig auf, was das Problem ist und warum die Fahrt nicht fortgesetzt wird. Vielleicht haben die deutschen Zugbegleiter*innen damit mehr Erfahrung als ihre spanischen Kolleg*innen von Renfe.
Eine gute Viertelstunde später betritt ein Schaffner den Waggon und spuckt einen Wortschwall in Maschinengewehrgeschwindigkeit aus. Ich meine, die Worte „Strom“ (energia) und „ganz Spanien“ (toda España) herauszuhören.
Da ich meinen Spanischkennt-nissen nicht ganz vertraue – zu Recht, denn ich spreche kein Spanisch –, frage ich einen Mit-reisenden über den Gang, ob ich das richtig verstanden habe. Das Englisch des Mannes ist unwe-sentlich verständlicher als die Ansage des Schaffners, aber er bestätigt meine Vermutung. („No electricity, whole country.“)
Kein Strom im ganzen Land, hört sich nicht gut an. Ich habe genügend apokalyptische End-of-the-world-Katastrophen-Thriller gelesen und verfüge über ausreichend schwarzmalende Phantasie, dass ich mir irgendetwas zwischen Sabotage, Hackerangriff und Terrorismus zusammenreime.


Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)