Eine kleine Wochenschau | KW22-2023

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


29. Mai 2023, Berlin

Heute ist nicht nur Pfingsten, der Tag, an dem der Heilige Geist über die Apostel gekommen ist, was auch immer das bedeuten soll, sondern auch „Lerne, wie kompostieren geht“-Tag. Wenn ich mir das Zimmer des Sohns mit den benutzten Müslischalen, Töpfen mit Nudelüberbleibseln, fast leeren Kaffeetassen und Dönerresten im Mülleimer anschaue, komme ich zu dem Schluss, dass er diesen Tag ganzjährig und sehr enthusiastisch begeht.

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Meine Frau und ich nutzen den freien Pfingstmontag für einen ausgedehnten Spaziergang. Als letzte Vorbereitung für unsere Irland-Wanderung nächste Woche.

Nach gut zweieinhalb Stunden Fußmarsch verspüren wir ein Hüngerchen. Glücklicherweise entdecken wir just in diesem Moment eine Eisdiele. Unglücklicherweise kostet eine Kugel zwei Euro. Bei allem Verständnis für Eisverkäufer*innen und ihre finanziellen Nöte aufgrund von Inflation, gestiegenen Energiekosten und hohen Lebensmittelpreisen sind uns acht Euro für vier Kugeln zu teuer. (Nur zwei Kugeln zu nehmen, ist selbstverständlich keine Option.) Wir gehen weiter und mein innerer Opa fuchtelt dabei mit seinem Krückstock und brabbelt, früher im Schwimmbad hätte das Eis 50 Pfennig gekostet.

Eine halbe Stunde später kommen wir bei Burger King vorbei. Dort mixen wir uns ein Eis mit Smarties, Kitkat, Lion Crunch und Schokosauce. Für 12 Euro.

In dem Preis sind allerdings auch zwei Euro Pfand für die wiederverwendbaren Recup-Becher enthalten. Somit müssen wir uns nicht wie die Unterstützer eines fragwürdigen US-Fast-Food-Konzerns und des globalen Turbokapitalismus fühlen, sondern wie engagierte Bewahrer von Klima, Natur und Umwelt. Wir sind quasi die letzte Generation der Herzen. Oder die Eisesser for Future.

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Die Tochter und ihre Freundin K. reisen morgen ab. Zum Abschied gehen wir abends essen. Für unsere irische Gästin haben wir extra ein Restaurant mit traditioneller deutscher Küche ausgesucht. Die Schnitzelei. Die ist, wie es der Name subtil zu vermitteln weiß, auf Schnitzel spezialisiert. Insbesondere Wiener Schnitzel in verschiedenen Varianten.

Selbstverständlich ist „Wiener Schnitzel“ keine traditionelle deutsche Küche. (Außer du hängst kulinarischen Großmachtphantasien nach.) Aber das erscheint uns troztdem besser, als K. in einem deutschen Gasthaus die Wahl zwischen Schweinshaxe, Eisbein und Saumagen zu geben.

In der „Schnitzelei“ entscheidet sich K. für Cordon Bleu. Das ist natürlich ebenfalls kein deutsches, sondern ein französisches Gericht. Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass das gar nicht stimmt. Wahrscheinlich wurde den Deutschen in den Wirtschaftswunderjahren weisgemacht, mit Schinken und Käse gefüllte Hühnerbrust sei eine besondere Spezialität aus Frankreich ist, von der die Franzosen allerdings noch nie gehört haben. (So wie auf Hawaii niemand auf die Idee käme, Ananas auf Toast zu klatschen und mit Käse und Schinken zu überbacken.)

30. Mai 2023, Berlin

Die Tochter und K. fliegen mit der 6.10-Uhr- Maschine nach Dublin zurück. Dafür fahren sie mit dem 2.40-Uhr-Bus zum Hauptbahnhof und von dort weiter zum Flughafen. Um 2.15 Uhr wecken sie uns, um sich zu verabschieden. 2.15 Uhr ist keine schöne Uhrzeit, um geweckt zu werden. Aber ich möchte mich nicht zu sehr beklagen. Schließlich können wir uns um 2.20 Uhr wieder hinlegen und weiterschlafen und müssen nicht zum Bahnhof fahren. Und zum Flughafen. Und nach Dublin fliegen. Das Glas ist also halb voll. Allerdings ein bisschen müde.

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Mein 10-Kilometer-Laufplan führt mich heute wieder ins Stadion des TSV GuthMuts. Um 1.000-Meter-Intervalle zu absolvieren.

Auf der vorderen Seite des Sportplatzes hat sich eine Gruppe von Senior*innen zur Morgengymnastik eingefunden, am anderen Ende liegt wieder Herr Reineke und döst in der Morgensonne, auf dem Rasen tummeln sich Krähen, Tauben und Spatzen, auf der Suche nach dem frühen Wurmsnack, der ihnen beim frühen Aufstehen in Aussicht gestellt wird. Ich bin also umgeben von grauen Panthern, Füchsen und Vögeln. So muss sich Dr. Doolittle beim Frühsport fühlen.

Während ich Runde um Runde an dem Fuchs vorbeikomme, frage ich mich, ob er sich eigentlich auf meinem Trainingsplatz breit macht oder ob ich durch sein Wohnzimmer renne. Sollte Letzteres der Falls ein, bleibt er ziemlich gelassen. Ich wäre ziemlich genervt, wenn ich abends auf dem Sofa säße und beim Netflixen käme andauernd ein Fuchs durchs Bild gelaufen.

31. Mai 2023, Berlin

Auf meinem heutigen morgendlichen Lauf kommt mir im Wald ein Soldat entgegen. Das ist nicht ungewöhnlich und passiert mir häufiger, denn ich glaube, irgendwo in der Nähe ist eine Kaserne und das führt zwangsläufig zu einem erhöhten Soldat*innenaufkommen. Oder ich täusche mich, was die Kaserne angeht und die heutige Soldat*innengeneration hat einen außerordentlich schlechten Orientierungssinn und verläuft sich andauernd bei uns in der Gegend.

Der junge Mann joggt ebenfalls. Allerdings trägt er nicht die typischen Bundeswehr-Sportklamotten, deren Farbe und Form in den 70ern und dann noch mal in den 90ern modern waren. Stattdessen läuft er in voller Montur. In Tarnuniform, dicken Stiefeln und schwerem Rucksack. Seine Gesichtsfarbe spielt leicht ins Rötliche und der Schweiß läuft seine Schläfen hinunter.

Ich frage mich, ob er rennt, weil in der Grundausbildung für heute Gewaltmarsch auf dem Plan steht. Oder er ist spät dran und muss sich sputen, um pünktlich zum Morgenappell zu erscheinen, weil er sonst 1.423 Liegestütze machen muss.

Auf jeden Fall muss die Bundeswehr bei ihren Tarnuniformen nochmal ran. Obwohl wir im Wald waren – dem idealen Ort, um sich zu verstecken –, konnte ich den Soldaten von weitem sehr früh und sehr gut erkennen. Da scheint mir das Tarnpotenzial der Tarnuniform noch nicht ganz ausgereift zu sein.

01. Juni 2023, Berlin

Durch unsere Straße läuft ein vierjähriger Bub mit seiner Mama. Er hat blondes, halblanges Haar und ist ganz in schwarz gekleidet. Schuhe, Socken, Shorts, Kapuzenpulli, alles schwarz. Seine linke Hand hat er in die Hoodie-Tasche gesteckt und fühlt sich dabei bestimmt ganz groß und ganz cool. Dass er rechts an der Hand seiner Mama läuft, beeinträchtigt seine Coolness-Vibes nur geringfügig.

Ich verstehen den Kleinen. Wenn ich beim Gehen meine Hände in den Jackentaschen vergrabe, komme ich mir auch cool vor. Ein ganz klein bisschen zumindest. Für mein Alter allerdings zu viel. Außerdem habe ich Angst, zu stolpern, die Hände nicht rechtzeitig aus den Taschen zu bekommen und auf die Nase zu fallen. Das wäre auch nur semi-cool.

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Liege abends im Bett und lese. Beziehungsweise ich versuche es. Gestört werden mein Lesepläne durch eine Fliege. Die ist sehr groß, sehr schillernd und sehr, sehr laut. Würde mich nicht wundern, wenn sie neben einem Atomkraftwerk aufgewachsen ist.

Warum sich die Fliege für ihren abendlichen Ausflug ausgerechnet das Schlafzimmer ausgesucht hat, ist mir schleierhaft. Wir haben das Glück, eine sehr große Wohnung zu haben. 125 Quadratmeter, 4 Zimmer, Küche, Bad. Da gäbe es genügend andere und vor allem bessere Orte zum Rumfliegen. Im Wohnzimmer könnte sie Fernsehen schauen, in der Küche eine Kleinigkeit essen oder im Bad ein Schaumbad nehmen. Aber nein, es muss das Schlafzimmer sein.

Das Schlafzimmer ist auch groß. Schätzungsweise 20 Quadratmeter. Es gibt viel Wandfläche zum Entlangkrabbeln, Stuck an den Decken zum Anschauen und hohe Fenster zum Rausschauen. Aber nein, es muss das Bett sein, um darüber hin und her zu fliegen.

Und nicht einfach das Bett, sondern das Kopfende. Circa 30 Zentimeter von meinem Gesicht entfernt schwirrt sie umher. Von links nach rechts, von rechts nach links, von links nach rechts. Hin und her, her und hin, hin und her. Immer weiter, weiter, weiter. Wie ein hospitalisierter Eisbär im Zoo. Allerdings nicht so leise wie ein Eisbär, sondern so laut, dass ich kaum noch das Radio höre.

Unterdessen hält draußen ein Auto vor unserem Haus. Der Fahrer beschallt seinen Wagen und die komplette Straße mit orientalischer Popmucke. Die ist so laut, dass ich das Brummen der Fliege nicht mehr höre. Eine besonders gute Hintergrundmusik zum Lesen ist das Gedudel allerdings auch nur bedingt.

02. Juni 2023, Berlin

Heute Nachmittag geht es los Richtung Irland. Die Koffer sind bereits gepackt, wir sind eingecheckt und alles ist vorbereitet.

Ich muss nur noch laufen gehen, mich rasieren, duschen, meinen Urlaubsantrag ausfüllen, mit meiner Kollegin Übergabe machen, ein paar letzte Mails schreiben, Geld abheben, einkaufen, damit der Kühlschrank für den Sohn ausreichend befüllt ist, alle Ladekabel zusammensuchen, meinen kleinen Rucksack richten, die Bustickets kaufen, dem Hotel mitteilen, dass wir erst spät ankommen, und noch ein paar andere Kleinigkeiten erledigen.

Möglicherweise ist doch noch nicht alles vorbereitet und ich sollte mich besser darum kümmern, als Wochenschau-Berichte zu schreiben.

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Die nächste Wochenschau gibt es wieder am 18.06.


Buch-Tipp und Verlosung

Der Vielseitigkeits- und Vielschreiber Arne Ulbricht hat wieder zugeschlagen. Beziehungsweise geschrieben. Nach historischen Romanen, Sachbüchern, Kindergeschichten, Kurzgeschichten, Coming-of-Age-Romanen ist es diesmal ein Jugendbuch. „Papa, hör auf“ dreht sich um den 13-jährigen Max, um Schicksalsschläge, um Alkoholismus, um das Erwachsenwerden und um die Beziehung von Vater und Sohn in einem Alltag, der nicht alltäglich ist.

Das Buch ist zugegebenermaßen keine leichte Feel-Good-Lektüre, aber spannend und fesselnd geschrieben. Es richtet sich zwar an Jugendliche, ist aber auch für Erwachsene durchaus interessant zu lesen.

Verlosung

Arne hat mir ein Exemplar von „Papa, hör auf!” zukommen lassen und ich erlaube mir, es unter den Leser*innen des Familienbetriebs zu verlosen. Dazu müssen Sie nur bis zum 11.06.23, 18 Uhr, einen Kommentar unter diesem Beitrag hinterlassen. Der Rechtsweg ist ebenso wie der Linksweg ausgeschlossen, eine Auszahlung des Gewinns ist nicht möglich, alle E-Mail-Adressen werden nach Abschluss der Verlosung DSGVO-konform gelöscht, blablabla …

Arne Ulbricht: Papa, hör auf! BoD, 2023.


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8 Kommentare zu “Eine kleine Wochenschau | KW22-2023

  1. Klingt äusserst spannend, auch wenn ich weder 12 bin, noch meine Hände in coolen Hoodies verberge. 🙂

  2. Gerne würde ich mit dem neuesten Werk des vielseitigen Buchautoren Arne Ulbricht bedacht werden, um den 13-jährigen Max bei seinem bewegten pubertären Leben zu begleiten und wertvolle Anregungen für den Umgang mit den eigenen Kindern zu gewinnen.

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