22. Juni 2022, Berlin
Mit den Ibus halte ich meine Temperatur auf unter 37,5. Die Halsschmerzen begleiten mich weiter. Ab und an nehme ich eine der Halstabletten, die immer noch keinerlei Wirkung erzielen. Da könnte ich auch Werthers Echte lutschen. Die hätten auch keinen Effekt, schmeckten aber besser.
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Der Sohn ist in letzter Zeit etwas vergesslich und unachtsam. Also, noch vergesslicher und unachtsamer als sonst. Er knipst Lichter nicht aus, wenn er Räume verlässt, dreht Wasserhähne nicht wieder zu, verschließt die Tür des Gefrierschranks nicht richtig oder lässt die Dunstabzugshaube laufen, wenn er fertig mit Kochen ist. (Robert Habeck schüttelt missbilligend den Kopf.) Halt wie ein ganz normaler Teenager, der damit beschäftigt ist, zu wachsen und dessen geistigen und körperlichen Kapazitäten hauptsächlich auf Essen und Schlafen ausgerichtet sind, und der sich die Zeit dazwischen mit Zocken, Videos und Serien vertreibt.
Dennoch möchte ich ihm ein paar Worte der mahnenden Ermunterung zusprechen, zukünftig doch etwas sorgfältiger und aufmerksamer zu sein. Schließlich sei das alles Energie- und damit auch Geldverschwendung. Da der Sohn unsere Stromrechnung nicht bezahlt, bin ich allerdings skeptisch, dass ihn dieses Argument erreicht. Aufgrund meiner Halsentzündung krächz-flüstere ich außerdem erbärmlich, was meiner Ansage ein wenig den Nachdruck und die Autorität raubt.
Der Sohn nickt trotzdem, um den Anschein zu wahren, er habe meine Worte vernommen und würde sie sich sogar zu Herzen nehmen. Wahrscheinlich hat er aber gerade seine Ohren auf Durchzug und seine zerebralen Aufnahme- und Verarbeitungskapazitäten auf Null gestellt, um Energie zu sparen. Die braucht er schließlich zum Wachsen.
23. Juni 2022, Berlin
Heute früh geht es mir wieder etwas besser. Auch ohne Ibu liegt die Temperatur unter 37,5 und die Halsschmerzen sind auch nicht mehr ganz so doll. Vielleicht hat der Messer-Jemand irgendwo einen neuen Job mit höherer Bezahlung, Überstundentarif und besseren Sozialleistungen angefangen.
Auf jeden Fall fühle ich mich fit genug für meine übliche Donnerstags-Einkaufsrunde. Dann muss meine Frau das nicht noch nach der Arbeit auf dem Heimweg erledigen. Ich fühle mich ohnehin schon wie ein Pascha, der sich mit Tee, Apfelmus, Kartoffelbrei und Eis verköstigen lässt. (Abgesehen vom Eis spricht die kulinarische Auswahl allerdings eher gegen meine Pascha-These.)
Die Tochter begleitet mich. Da Einkaufen in unserer funktional-arbeitsgeteilten Ehe in meinen Aufgabenbereich fällt, gilt unser gemeinsames Einkaufen quasi als Bring-your-kid-to-work-day.
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Bei DM muss ich feststellen, dass der Lebensmittelbereich neu organisiert wurde. Nichts mehr steht, wo es vorher stand. Ich bin irritiert.
Eigentlich bin ich ein geistig flexibler Mensch, der gut mit Veränderungen umgehen kann. Meistens freue ich mich sogar darüber, denn es macht das Leben doch gerade interessant, wenn du ab und an die eingetretenen Pfade verlässt, nur durch Wandel entsteht Fortschritt und außerdem halten dich Veränderungen geistig frisch.
Diese Kalenderblattweisheiten gelten aber nicht fürs Einkaufen. Da möchte ich Routine und wiederkehrende Gleichförmigkeit und verbitte mir jedwede Abweichungen und Überraschungen. Ich absolviere meine Einkaufstouren seit vielen, vielen Jahren. Meine Einkaufswagenrouten sind effizienzoptimiert und ich habe jeden Griff ins Regal internalisiert.
Ich bin beim Einkaufen quasi wie ein sehr erfahrener Skirennfahrer, der die berühmte Kandahar-Piste in Garmisch-Partenkirchen auswendig kennt und blind fahren kann, weil er weiß, wo der Tröglhang kommt (Hafermilch mit Vanillegeschmack), wo es in den Padöls geht (Knuspermüsli) und wann zum Abschluss der Tauber-Schuss beginnt (Schokocreme).
Falls jemand von meinem örtlichen DM dies lesen sollte, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie den Lebensmittelbereich wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzen könnten. Das würde Ihnen – und mir – die unangenehme Situation ersparen, dass ich Ihnen meine Skifahrer-Analogie in einem persönlichen Gespräch erläutere.
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Anscheinend habe ich mir mit meiner vormittäglichen Einkaufstour ein wenig viel zugemutet. Mein Fieber steigt wieder auf 38,7 und die Halsschmerzen sind auch wieder in alter Stärke da. Hat sich der Messer-Jemand also doch keinen neuen Job gesucht, sondern lediglich einen Kurzurlaub eingelegt, um zu frischen Kräften zu kommen.
Ich habe keine Lust mehr. Keine Lust mehr auf Fieber, keine Lust mehr auf Halsschmerzen, keine Lust mehr auf Tee mit Honig, keine Lust mehr auf Apfelmus, keine Lust mehr auf Kartoffelbrei, keine Lust mehr auf Eis (Huch!) und keine Lust mehr auf nutzlose Lutschtabletten. Ich will harte Pharmazeutika mit irgendwelchen gesundheitlich bedenklichen Inhaltsstoffen, die bewirken, dass ich meinen Hals, Rachen, und Kopf nicht mehr spüre. Und am besten mich selbst ebenfalls nicht mehr. (Eine solche Medizin würde ich dann auch immer vor dem Lesen von Nachrichtenseiten einnehmen.)
24. Juni 2022, Berlin
Heute früh ist das Fieber wieder weg und auch die Halsschmerzen sind viel besser. Vielleicht ist der Messer-Jemand gestern Abend nur kurz zurückgekommen, weil er etwas vergessen hatte und dachte sich: „Na, wenn ich schon mal da bin, kann ich ja noch ein paar Mal zustechen. Um der guten, alten Zeiten Willen.“
Trotzdem besorge ich vormittags in der Apotheke neue Halstabletten. „Aber nicht so einen Quatsch wie beim letzten Mal, sondern das härteste Zeug, dass Sie da haben.“ Der Apotheker schaut zwar etwas irritiert, sucht mir dann aber ein Präparat raus, das eine schnelle Betäubung von Halsschmerzen verspricht. Hört sich gut an. Dass auf der Packung eine Art Superman-Logo abgebildet ist, überzeugt mich endgültig vom Kauf.
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Im Supermarkt hole ich noch ein paar Kleinigkeiten. Unter anderem mexikanischen Honig. Ökologisch gesehen, ist es natürlich fragwürdig, einen Honig zu kaufen, der über den halben Globus geschippert werden muss. Dafür wurde er von einem selbstverwalteten Arbeiter*innen-Kollektiv produziert. Somit schädige ich mit meinem Kauf zwar die Umwelt, sorge aber für Einkommen der lokalen Bevölkerung und trage damit zum globalen sozialen Frieden bei. Auch das gehört zur Ambivalenz der Dinge, die du aushalten können musst.
Ich erhoffe mir von dem mexikanischen Honig, dass er etwas härter drauf ist als sein verweichlichter deutscher Kollege. So ein Mexiko-Honig strahlt sicherlich mehr Respekt aus, wenn er dem Messer-Jemand erklärt, er solle sich gefälligst verpissen.
An der Kasse halte ich meine Payback-Karte zweimal falsch an den Payback-Karten-Scanner, bevor es klappt. Vielleicht sollte ich einen Schluck von dem mexikanischen Honig nehmen, um wach zu werden.
25. Juni 2022, Berlin
Das Thermometer zeigt heute früh das erste Mal seit einer Woche 36,9. Die Halsschmerzen sind zwar noch da, aber viel, viel schwächer. Die reine Anwesenheit der Superman-Tabletten und des mexikanischen Honigs scheint Wirkung erzielt zu haben.
Nachdem ich mich acht Tage lang ausschließlich von Nahrungsmitteln im breiartigen Aggregatszustand ernährt habe, will ich mich heute an etwas Festeres wagen. Ich versuche es erstmal mit Toast. Der ist so labberig, dass er sich im Mund haptisch nicht allzu sehr von dem Kartoffelbrei gestern Abend unterscheidet.
Das Schlucken klappt zwar ganz gut, dafür habe ich das Gefühl, dass die Kaumuskulatur etwas außer Übung ist und der Kiefer sich daran erinnern muss, wie das mit dem Zubeißen funktioniert. Als kleines Incentive bestreiche ich den Toast mit Schokocreme. Danach geht es schon viel besser.
26. Juni 2022, Berlin
Schaue mich morgens im Spiegel an. Durch meine eingeschränkte Nahrungsaufnahme in der letzten Woche habe ich ungefähr drei Kilo abgenommen. Nun bin ich zwar meinem Wunschgewicht deutlich nähergekommen, aber nach Strandfigur sieht mein Körper trotzdem nicht aus. Eher nach ausgemergeltem Schiffsbrüchigem, der sich auf einer einsamen Insel mehrere Monate ausschließlich von Kräutern und Beeren ernährt musste, so dass er sämtliche Muskulatur, nicht aber die überflüssigen Fettpölsterchen auf den Hüften verloren hat.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Unfassbar, aber ich hatte tatsächlich dieselben Symptome im selben Zeitraum! Auf die Idee mit dem Eimer wäre ich nie gekommen, sondern habe das Messer eisern ausgehalten. Nach zwei Geburten ohne PDA hat man ja eh ein anderes Schmerzempfinden 😉 Beruhigend zu wissen, dass ich mir die Schmerzintensität nicht eingebildet habe.
Normalerweise erfreue ich mich an dem Familientwitter, aber hier muss ich doch mal Kritik anbringen.
Nur weil es kein Corona ist sollte man trotzdem unbedingt vermeiden krank einkaufen zu gehen! Fieber ist häufiger morgens niedriger und daher muss man 24 Stunden fieberfrei sein. Zum Einen möchten Sie hoffentlich nicht ihren Mitmenschen die gleichen Symptome zumuten, zum anderen sind kleine Kinder bei den gängigen Infekten häufig anfälliger und die Kinderkliniken momentan ohnehin schon überfüllt. Auch falls Sie eine Maske getragen haben ist das ein überflüssiges Risiko für die Umgebung, zumal Ihre erwachsene Tochter Sie begleitet hat, da könnte die Tochter doch auch gleich alleine einkaufen.
Viele Grüße von einer Mama mit 2 Kindern die beide schon wegen “normaler Infekte” am Sauerstoff hingen.