Stadtspaziergang durch Porto. Bei Regen. Mal mehr, mal weniger. Meistens mehr. Ab und an auch mal weniger. Aber selten.
Für die Souvenir-Verkäufer ein einträgliches Geschäft. Kaum fällt der erste Tropfen, haben sie Schirme, Regenjacken und Ponchos im Angebot, die sie werbe- und verkaufswirksam am Eingang ihrer Läden präsentieren. Was gut für uns ist. So erstanden wir gleich morgens einen Knirps für fünf Euro. Und den obligatorischen Kühlschrank-Magneten gleich dazu, womit das auch erledigt wäre.

Gestern Abend war das Wetter noch gut. Da kamen wir nach einer rund zweistündigen Busfahrt von Vigo in Porto an. Dafür, dass ich bei der Reiseplanung nach Lissabon ausschließlich Zug fahren wollte, saß ich in den letzten Tagen erstaunlich viel in Bussen.
Unser Autocarro, um hier mal eine portugiesische Vokabel einzuflechten, strahlte mit seinen rot-orange gemusterten Sitzpolstern starke Retro-Vibes aus. Aber er war sauber, die Sitze bequem und die Beinfreiheit okay.
Die Mitreisenden waren auch unauffällig. Bei Flixbusfahrten in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Hier stellte ich mit Erstaunen fest, dass sich fremde Menschen, die nebeneinandersaßen, während der Fahrt angeregt unterhielten. Verrückt. Das habe ich zuhause noch nie beobachtet. (In einem deutschen Flixbus wäre das meine Horrorvorstellung: Dass mich mein Sitznachbar anspricht.)
In einer der hinteren Reihen saß ein junger Schwede namens Tobin. Das weiß ich, weil er eine sehr durchdringende Stimme hatte und sich einer vor ihm sitzenden Studentin vorstellte. Auf die redete er während der gesamten Fahrt ein und erzählte ihr unter anderem, er sei den Camino de Santiago gewandert. Wahrscheinlich hat er das nur gemacht, um Frauen zu imponieren.
Seine Gesprächspartnerin war davon tatsächlich einigermaßen beeindruckt. Aber nicht genug, um am Ende der Fahrt Telefonnummern mit Tobin zu tauschen.
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Am Flughafen Porto gönnten wir uns ein Taxi. Nach der zweitägigen Odyssee von Madrid inklusive Übernachtung im Bahnhof von Zamora, hatten wir keine Lust, den ÖPNV in Porto auszuprobieren.
Unseren Fahrer, ich schätzte ihn auf Anfang 30, umgab eine melancholische Aura der Traurigkeit. Vielleicht war das die Saudade, diese Wehmut und Sehnsucht, die tief in der portugiesischen Kultur verwurzelt ist. Als wir losfuhren sagte er, sein Englisch sei nicht so gut, unterwegs erklärte er dann fließend die wichtigsten Sehenswürdigkeiten und gab uns Tipps, was wir unternehmen könnten.
Diese Erfahrung sollten wir noch mehrmals machen. Portugies*innen, die du fragst, ob sie Englisch sprechen, antworten meist mit „only a little bit“ und reden dann mindestens so gut, wie du selbst, häufig besser. (Im Gegensatz zu Spanier*innen. Die erwidern auf die gleiche Frage ebenfalls mit „only a little bit“, anschließend bellen sie dir ein paar Brocken entgegen, von denen du einzelne mit viel Phantasie als englische Vokabeln erkennst.)
Im Taxi schämte ich mich ein wenig. Ich trug seit 36 Stunden die gleichen Klamotten, in denen ich auf dem Bahnhofsboden geschlafen hatte. Darüber hinaus hatte ich in den letzten beiden Tagen sehr viel geschwitzt und mich morgens auf dem Bahnhofsklo lediglich einer Katzenwäsche unterziehen können. Erschwerend kam hinzu, dass mein Deo irgendwo in den Tiefen meines Rucksacks verschwunden war und sich einer Benutzung entzog.
Kurzum, ich roch und sah aus wie ein Landstreicher nach achtwöchiger Wandertour. Möglicherweise war das die Ursache für den leidenden Gesichtsausdruck des Taxifahrers und nicht der portugiesische Weltschmerz.
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Schließlich hielten wir in einem engen Gässchen, wo unser Apartment liegt. Auf dem Bürgersteig standen vier ältere Männer, alle in Arbeitsklamotten und Feierabendbier in der Hand. Wir luden unsere Rucksäcke, Taschen und Beutel aus dem Kofferraum aus, sie schauten uns gleichermaßen belustigt und verächtlich zu.
Für sie waren wir wahrscheinlich Arschloch-Airbnb-Touristen, die ihre Miete in exorbitante Höhen treiben. Für mich als People Pleaser, der von allen gemocht werden will, nur schwer erträglich. Vor allem weil sie recht haben.

Mit einem PIN-Code öffneten wir die Haustür. So schnell wie möglich, um nicht unangenehm aufzufallen. Als Arschloch-Airbnb-Touristen, die zu doof sind eine Tür zu öffnen.
Als nächstes mussten wir in einem Holzverschlag im Flur aus einer kleinen Plastikbox, die mit einer Zahlenkombination gesichert war, den Wohnungsschlüssel holen. Während meine Frau sich bückte und an den Zahlenrädchen drehte, sah ich, wie sich etwas auf dem Boden bewegte. Eine Spinne von beachtlicher Größe. Braun, mit dicken abgeknickten Beinen. Kein schöner Anblick.
Erstaunlicherweise bemerkte meine Frau sie nicht. Als Spinnenphobikerin ist sie normalerweise immer im Habacht-Modus, scannt alle Wände und Ecken ab und hat einen inneren Radar für alles Achtbeinige. Gestern Abend nicht.
Ich beschloss, die Spinnensichtung für mich zu behalten. Andernfalls wäre meine Frau rückwärts umgekippt und ich hätte sie mitsamt ihrem schweren Trekking-Rucksack nie wieder hochbekommen.
Falls doch, hätte sie unter keinen Umständen in diesem Haus schlafen wollen und wir hätten ein Hotel suchen müssen. Oder in einem Bahnhof in Porto übernachten. Alles gute Gründe, den Mantel des Schweigens über die Spinne auszubreiten und erst nach unserer Abreise zu lüften.
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Den heutigen Morgen hatte ich mit einer kleinen Joggingrunde begonnen. Nach den zwei Tagen Rumstehen und Rumsitzen, erschien mir das eine gute Abwechslung. Außerdem konnte ich dann sagen, dass ich schon in Porto gelaufen bin.
Als ich aufbrach, regnete es noch nicht, dafür musste ich gleich zu Beginn 285 Treppenstufen bewältigen. Zum Glück nach unten. Vielleicht auch drei Stufen mehr oder weniger, aber ich wollte nicht nochmal hochgehen, um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht verzählt habe.


Meine Strecke führte mich ein Stück entlang des Douros, dem Fluss, der durch Porto fließt. Links und rechts erhoben sich steile Hänge. Auf meiner Seite bebaut, auf der anderen Seite begrünt. Erinnerte mich ein wenig an meine Bahnfahrten während des Zivildienstes entlang der Mosel. Nur ohne Weinberge.
An der Brüstung, an der ich vorbeikam, stand eine Gruppe von fünf, sechs Männern, die schweigend ihre Angeln in den Fluss hielten. Ich fragte mich, ob sie Selbstversorger sind oder einfach einem Hobby nachgehen, bei dem man wenig redet. Vielleicht beides.
Später passierte ich einen Vogel auf einer Mauerbrüstung, der aussah wie ein missglücktes Kreuzungsexperiment aus Truthahn, Möwe und Ente. Ansonsten keine besonderen Vorkommnisse.

Nach knapp 20 Minuten drehte ich um und beendete schließlich nach sechseinhalb Kilometern meinen Lauf. Allerdings ohne zum Abschluss die 285 Treppenstufen hinaufzujoggen. (Oder 282 oder 288.). Das erschien mir etwas überambitioniert.
Trotzdem kann ich nun sagen, dass ich in Porto laufen war. (Allerdings ohne 285 Treppenstufen. Oder 282 oder 288.)

Eigentlich hatten wir für gestern einen Stadtrundgang gebucht, der fand aber ohne uns statt. Weil wir zu der Zeit im Bus irgendwo zwischen Zamora und Vigo saßen. Nun – nach dem Kauf des Regenschirms – erkunden wir Porto auf eigene Faust.
Wegen des heftigen Regens, bei dem der Knirps nur bedingt weiterhilft, halten wir uns sehr viel und sehr lange in Kirchen auf. Das macht man ja sonst nicht so oft. Außer du bist Pfarrer, dann schon.
Zunächst besichtigen wir die Igreja des Santo Ildefonso. Als guter Gast versuche ich, die Eintrittskarten auf Portugiesisch zu kaufen, mit einem Satz, den ich vorher zusammengedeepelt habe. („Dois bilhetes, por favor.“) Meine Aussprache ist jedoch so schlecht, dass mich der junge Mann an der Kasse fragt, ob ich Spanier bin. (Wenigstens hält er mich nicht für einen Deutschen.)
Die Igreja des Santo Ildefonso, im 18. Jahrhundert fertiggestellt, ist außen mit rund 11.000 Azulejo-Kacheln verziert, die in den 1930er Jahren angebracht wurden. Die Kirche verfügt über einen beeindruckend großen und künstlerisch gestalteten Innenraum mit einer Vielzahl von Heiligenfiguren.




Angegliedert ist ein überschaubar großes Museum mit noch mehr Heiligenfiguren und einem Baby-Jesus, der aussieht, als mache er gerade einen Breakdance-Move. Oder als telefoniere er in extrem lässiger Liegepose.
Allein dafür ist der Eintritt von einem Euro eine gute Investition. Außerdem verbringen wir eine knappe Dreiviertelstunde im Trockenen.
Als wir das Gotteshaus verlassen, sitzt an der Eingangstreppe ein Bettler. Da ich den Eintritt bar bezahlen musste, habe ich ein paar Euromünzen, die ich in seinen Becher werfe. Wenn du einem Bettler vor einer Kirche kein Kleingeld gibst, wann dann?
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Nächste Station: die Igreja dos Clérigos. Im Portugiesischen hört sich das recht eindrucksvoll an, im Deutschen heißt das einfach Kirche der Kleriker. Was ein wenig einfallslos klingt, als sei das Namens-Brainstorming zu früh abgebrochen worden.
Die Kleriker-Kirche stammt ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert und wartet mit einem 76 Meter hohem Turm mit 225 Stufen auf. Der Eintritt liegt bei zehn Euro pro Person, beschert uns aber weitere anderthalb Stunden Trockenheit. Und einen phantastischen Ausblick über Porto. Bei Sonnenschein wäre er wahrscheinlich noch phantastischer.
Beim Betrachten der vielen kunstvoll geschnitzten, gemeißelten und gemalten Jesusdarstellungen und Heiligenfiguren bin ich voller Bewunderung, wozu Menschen im 16./17./18. Jahrhundert künstlerisch in der Lage waren. Ich kann allenfalls ein Punkt-Punkt-Komma-Strich-fertig-ist-das-Mondgesicht malen. Das aussieht, als hätte es ein Fäustling tragender Baby-Pinguin mit einer Kartoffel angefertigt.
Wer Porto besucht, sollte unbedingt zu McDonald’s gehen. (Ein Satz, von dem ich nicht gedacht hätte, ihn mal zu schreiben, und der sich sehr merkwürdig liest.)
Zumindest die Filiale am Praça da Liberdade sollte man aufsuchen. Nicht aus kulinarischen Gründen, sondern wegen der innenarchitektonischen Gestaltung. (Eine Aussage, die noch skurriler als der erste Satz klingt.) Über dem Eingang thront ein Adler, innen erinnert die Einrichtung mit den Kronleuchtern an der Decke, den Spiegeln an den Wänden sowie den Buntglasfenster an eine Mischung aus Ballsaal, Kirche und Wiener Kaffeehaus.



Im Ausland gehen wir aber ohnehin immer einmal zu McDonald’s, um zu sehen, wie sich die dortige Auswahl von der deutschen unterscheidet. Dabei lernst du ja auch etwas über ein Land.
Ein Burger, der mir sofort als landestypisches Angebot ins Auge fällt, ist der McBifana. Bifana ist eine portugiesische Spezialität, bei der dünn geschnittenes und mariniertes Schweinefleisch gebraten und in einem weichen Brötchen serviert wird. Somit ist der McBifana ein Schnitzelbrötchen.
Außerdem beinhaltet die portugiesische McDonald’s-Speisekarte Suppen. In den Varianten Bohne, Erbse und Karotte. Und tatsächlich bestellen Menschen das.
Darüber hinaus wird ein Chicken-BigMac beworben, den ich aus Deutschland nicht kenne. Vielleicht ist das aber auch ein Aktionsburger, der in mehreren Ländern angeboten wird.


Während ich nach unserem McDonald’s-Besuch am Eingang auf meine Frau warte, betritt eine Frau mit einem Falken auf dem Arm den Laden. Weder der Türsteher noch das Personal stören sich daran. Vielleicht besteht der Chicken Big Mac gar nicht aus Chicken.
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Unser nächster trockener Zufluchtsort ist der Bahnhof São Bento. Der ist über hundert Jahre alt und steht auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters. Mit ihren kunstvollen Azulejo-Fliesengemälden ist die Eingangshalle prunkvoller als so manche Kirche in Deutschland.


An einem der Verkaufsschalter besorgen wir für unsere morgige Fahrt nach Lissabon Reservierungen, die wir zusätzlich zu unserem Interrail-Ticket benötigen. Nachdem uns der Bahn-Angestellte – wie üblich – erklärt, er spräche „only a little bit“ Englisch, parliert er fließend mit uns. Das erlebst du am Fahrkartenschalter im Berliner Hauptbahnhof nur mit sehr viel Glück.
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Zum Abschluss Gang über die Ponte Dom Luís I. Die Brücke wurde 1886 eröffnet und nach dem damaligen König benannt. Damit die Menschen nicht vergessen, wer sie reagiert. Auf einer Länge von fast 400 Metern führt sie über den Douro und verbindet Porto und Vila Nova de Gaia.

Die Brücke erreicht eine Höhe von rund 60 Metern, das Geländer nur etwas mehr als Bauchnabelhöhe. Nach sorgfältiger Abwägung des Risikos abzustürzen oder überfahren zu werden, laufe ich nicht auf dem Fußgängerweg auf der rechten Seite, sondern auf der Fahrradspur links daneben.
Fragen, die ich mir stelle, während wir über die Brücke gehen: Wie viele Selbstmörder haben sich hier schon absichtlich runtergeworfen, wie viele Betrunkene sind unabsichtlich hinuntergefallen?
Mit diesen lebensbejahenden Gedanken beenden wir unseren Stadtspaziergang durch Porto. Vielleicht kommen wir mal wieder. Dann hoffentlich ohne Regen.




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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Endlich mal gute Nachrichten von euch. Hab mir schon Sorgen gemacht wegen dem Drama mit dem Zugausfall. Sehr schöne Bilder.