Eine kleine Wochenschau | KW10-2024

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


04. März 2024, Berlin

Auf dem Waldweg am Hohenzollernkanal hält eine Frau mit weit ausgebreiteten Armen einen entgegenkommenden Radfahrer auf. Ihrer Ansicht nach darf der hier nicht radeln. Die beiden tauschen ein paar Unfreundlichkeiten und Mittelfinger aus, dann ziehen sie ihrer Wege. Guten Morgen, Berlin.

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19 Uhr. Kopf + Kragen auf Radio Eins, eine zweistündige Sendung mit Sven Regner und Leander Haußmann. Letzterem stehe ich eher gleichgültig gegenüber, aber ich mag Sven Regners Musik und Bücher sehr. Trotzdem verströmt ihr Gespräch leichte Boomer-Vibes. Zwei alte weiße Männer unterhalten sich über ihre Ansichten zu mehr oder weniger belanglosen Dingen.

Ein Gedanke von Sven Regner bleibt dennoch hängen: „Es geht gar nicht darum, irgendetwas nicht gut zu finden. Darauf kann man nicht stolz sein. Weil in der Kunst Ablehnung der häufigste Fall ist. Insofern kann man immer froh und stolz sein, wenn man was toll findet.“

Er sagte das in Zusammenhang über einen Daliah-Lavi-Schlager, der einen mit Zeilen wie „Willst du mit mir geh’n, dich mit Windrosen dreh’n“ oder „keine Sprache hat mehr als Worte“ etwas ratlos zurücklässt.

05. März 2024, Berlin

9.30 Uhr. Arzttermin. Hatte letzten Freitag oberhalb der rechten Leiste eine leichte Ausbeulung entdeckt. Körperliche Ausbeulungen bedeuten selten etwas Gutes. Eigentlich nie. Meine Diagnose nach einer kurzen Google-Recherche: Lipom (vulgo Fettgeschwulst), Leistenbruch oder Krebs. Eine zweite ärztliche Meinung schadet da vielleicht nicht.

Erfreulich leeres Wartezimmer. Schaue mir die Titelbilder der ausliegenden Zeitschriften an. Titelstory im P.M.-Magazin: „Das Geheimnis der Null und wie das Nichts die Wissenschaft prägt.“ Könnte die journalistische Aufarbeitung meines Chemie-Unterrichts sein. Weitere Headline: „Kriminalistik. Wie Pollen bei der Verbrecherjagd helfen.“ Schöner Plot für einen Kika-Biene-Maja-Krimi.

Der Arzt ruft mich in sein Zimmer. Wie immer als Frau Hanne-Herkommer, um sich dann nach meinem Eintreten zu entschuldigen.

Ich schildere ihm meine Ausbeulung und dass ich abklären wollte, ob es das Lipom, der Leistenbruch oder doch Krebs ist. Der Arzt kuckt ein bisschen sparsam. Anscheinend hält er nicht viel von Laien-medizinischen Google-Diagnosen.

Er betastet im Liegen und Stehen meine Hoden und Leisten. (Also, ich liege und stehe, nicht der Arzt.) Meine Mitwirkung an der Untersuchung besteht darin, regelmäßig nach Aufforderung zu husten. Hust, hust, hust.

Schließlich verkündet der Arzt seinen Befund. Option B: der Leistenbruch. Na, da war meine Diagnose doch nicht so schlecht, Herr Kollege.

06. März 2024, Berlin

Meine Frau muss auf Dienstreise nach Düsseldorf. Mit der Bahn morgens in der Frühe hin und abends wieder zurück. Ihre Hoffnung, der GDL-Schienenstreik könnte schon heute beginnen und ihren Trip zunichtemachen, hat sich nicht erfüllt. So ein Arbeitskampf ist kein Wunschkonzert. Wenigstens sind alle Züge pünktlich.

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Nächster Arztbesuch. Diesmal im Hernienzentrum Berlin. Hernie ist der medizinische Fachbegriff für den Austritt von Eingeweiden aus der Bauchhöhle und der Leistenbruch ist eine Unterart davon.

Wie unterschiedlich diese Begrifflichkeiten sind. Leistenbruch hört sich wie eine brutalstmögliche Fußballer-Verletzung an, bei der dein Gegenspieler mit gestrecktem Bein und offener Sohle in dich reinsemmelt und deine Leiste durchbricht, wodurch deine Beine nicht mehr funktionsfähig sind. Hernie klingt dagegen nach nässendem Ekzem und Austritt von Eingeweiden aus der Bauchhöhle nach Horror-Splattermovie.

Das Hernienzentrum Berlin liegt in Lankwitz. Somit wäre der passendere Name Hernienzentrum in einem Außenbezirk von Berlin. Lankwitz ist circa dreizehn Kilometer von Moabit entfernt. Eine Strecke, die ich normalerweise mit dem Rad zurücklegen würde, aber ich möchte dem Arzt nicht nach einer 70-minütigen Radl-Tour meine verschwitzte Leiste präsentieren.

Auf der Hernienzentrum-Website habe ich gestern gelesen, dass bei dem mich untersuchenden Arzt hinter seinem Dr. med. in Klammern „Universität Belgrad“ steht. Der überhebliche und leicht chauvinistische Deutsche in mir zuckte kurz zusammen und fragte sich, ob der das dann überhaupt richtig kann. Laut seiner Vita verfügt er aber über fünfzehn Jahre praktische Erfahrung und außerdem hat er einen Dr. med. und keinen Dr. phil. Da wird er schon wissen, was er tut.

Der Doktor entpuppt sich als sympathischer und – selbstverständlich – kompetenter Arzt. Neuerliche Inspektion meiner Hoden und Leisten. Diesmal muss ich nicht husten, sondern pressen und entspannen. Pressen, entspannen, pressen, entspannen, pressen, entspannen. Dann Ultraschall. Pressen, entspannen, pressen, entspannen, pressen entspannen.

Der Arzt bestätigt schließlich die Leistenbruch-Diagnose und schlägt eine minimal-invasive Operation vor. Dabei wird der Leistenbruch behoben, indem über drei kleine Schnitte unterhalb des Bauchnabels ein Netz zwischen Bauchfell und Bauchwand gelegt wird. So genau will ich es eigentlich gar nicht wissen.

Zum Abschied erkundige ich mich, ob mit dem Leistenbruch Sport möglich sei. Der Arzt nickt und sagt, das ginge. Also frage ich weiter: „Kann man damit auch Marathon laufen?“ Seine Augen weiten sich kurz. Dann sagt er: „Prinzipiell kann man alles machen.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Ob man sollte, ist eine andere Frage.“


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