22. April 2022, Berlin
Ich schaffe es, mich in der Teststation um die Ecke freizutesten. Meiner Frau bleibt das noch verwehrt, ihr Test zeigte Zuhause noch immer zwei Striche an. Meine Isolation endet also und ich darf wieder rausgehen, meine Frau muss dagegen weiterhin in der Wohnung bleiben.
Selbstverständlich freut meine Frau sich für mich, überkompensiert dabei aber derart, dass sie nicht in der Lage ist, ihre Freude zum Ausdruck zu bringen, sondern grummelt, das sei alles total unfair, es dauere bestimmt zehn Tage, bis sie einen negativen Test habe oder noch länger und wahrscheinlich dürfe sie nie wieder das Haus verlassen. Irgendwann ist ihre schlechte Laune so groß, dass sie in einer Art Übersprungshandlung ihren Kleiderschrank aufräumt und alte Klamotten aussortiert. Somit hat ihre verlängerte Isolation doch etwas Gutes. (Ein Satz, den ich nur stehen lasse, wenn sich meine Frau bis zum Wochenende freitesten konnte.)
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Ich nutze meine wiedererlangte Bewegungsfreiheit, indem ich zur Post und zum Supermarkt gehe. Meine Frau nutzt meine wiedererlangte Bewegungsfreiheit, indem sie mich zum Blumenladen schickt. Ich solle Pflanzen holen, damit sie den Balkon begrünen kann. (Eine weitere Übersprungshandlung, wie ich vermute, was ich aber für mich behalte, denn nach 25 Jahren Partnerschaft, hast du ein gutes Gespür dafür, wann du besser schweigst.)
Zu meinem Unmut gibt mir meine Frau keine detaillierte Bestellung auf, sondern sagt, ich solle einfach irgendetwas besorgen. Hauptsache es blüht. Wegen der Bienen und so. Und winterhart soll es sein. Eine Spezifizierung, die mir nur bedingt weiterhilft.
Ohnehin bin ich nicht besonders begeistert, dass ich Balkonpflanzen besorgen soll. Mein Wissen über Pflanzen im Allgemeinen und über Balkonpflanzen im Speziellen ist sehr, sehr begrenzt. Mich mit dem Kauf von Balkonpflanzen zu beauftragen ist so, als würdest du eine vollgekokste mongolische Rennratte eine OP am offenen Herzen durchführen lassen. Okay, zugegebenermaßen sind die Konsequenzen nicht ganz so fatal, wenn ich Blumen kaufe. Wobei für die Pflanzen, die ich falsch auswähle und die dann auf unserem Balkon eingehen, eigentlich schon.
Zunächst google ich, was winterhart genau ist. Dabei finde ich eine umfangreiche Liste mit Pflanzen, die tough genug sind, um auch mal ein paar Minusgrade auszuhalten. Von den wenigsten Namen auf dieser Liste habe ich schon mal gehört und von noch wenigeren weiß ich, wie sie aussehen. Ungestützt kenne ich in der Pflanzenwelt ohnehin nur Vergissmeinnicht und Stiefmütterchen. Erstere mochte ich als Kind, weil ich mir den Namen merken konnte, letztere weil sie aussehen wie schlecht gelaunte kleine Monster.
Beim Blumenladen stehe ich ratlos vor einer riesigen Auswahl an Pflanzen und recherchiere am Handy für jedes einzelne Gewächs erstmal, wie hoch ihre Survival-of-the-fittest-Chance in einem mitteleuropäischen Winter ist. Schließlich kommt der Blumenhändler zu mir und erkundigt sich, ob er mir helfen könne. Eine Frage, die bei mir im Einzelhandel regelrechte Fluchtreflexe auslöst.
Ich habe eigentlich ein fast schon naiv positives Menschenbild, aber Verkäufer*innen unterstelle ich immer, sie wollten meine Unwissenheit und Inkompetenz ausnutzen, um mir irgendetwas Minderwertiges, das ich gar nicht brauche, zu überteuerten Preisen aufzuschwätzen. Meine schlechten Kaufentscheidungen möchte ich aber lieber alleine treffen. („Freie Fehlkäufe für freie Bürger!“) Daher lüge ich: „Ich komme schon zurecht”, und gehe kurze Zeit später zum nächsten Blumenladen.
Dort ist die Auswahl glücklicherweise wesentlich geringer, was meinen Rechercheaufwand erheblich reduziert. Nach rund einer halben Stunde habe ich acht Pflänzchen ausgewählt, von denen ich hoffe, dass sie tatsächlich dem Winter trotzen. Ich suche die Exemplare aus, bei denen ich vermute, ihre Knospen sind kurz vorm Aufblühen und sie sind nicht bereits totgeweiht auf dem Weg zum Eingehen. Das würde allerdings ganz gut zu unserem Pflanzenhospiz auf unserem Balkon passen, wo wir schon unzählige Pflanzen beim Sterben begleitet haben.
23. April 2022, Berlin
Ernüchterung am Morgen: Meine Frau scheitert beim Freitesten. Denkbar knapp und denkbar unglücklich. Zuhause zeigte ihr Test nur einen Strich, die Mail von der Teststation lautet aber: positiv. Fühlt sich ein bisschen an, als kassiertest du in der Nachspielzeit, als der Schiri schon die Pfeife in den Mund genommen hat, mit dem allerletzten Schuss des Spiels den Gegentreffer, der deine Niederlage besiegelt. Aus abseitsverdächtiger Position und nach einem Rempler gegen deinen Torwart.
Zumindest gibt uns das die Möglichkeit, unser „Alle Arrow-Staffeln anschauen“-Projekt fortzusetzen. Aber ich glaube, meine Frau sieht das nicht ganz so positiv. Sie ist gerade eher der „Das Glas ist halbleer“-Typ. (Ein Satz, den ich nur stehen lasse, wenn sich meine Frau bis zum Wochenende freitesten konnte.)
24. April 2022, Berlin
Doch noch gute Nachrichten zum Wochenausklang: Für meine Frau, die endlich einen negativen Test von der Teststation bescheinigt bekommt, und für mich, der ich nun die ganzen Sätze nicht streichen muss. Zur Feier des Isolationsendes meiner Frau machen wir einen gemeinsamen Spaziergang. Den ersten seit elf Tagen.
Zusammen rausgehen zu können, ist natürlich sehr schön, gefährdet aber das Ziel, heute die letzte Arrow-Staffel abzuschließen. Vielleicht bin doch ich in unserer Ehe der „Das Glas ist halb leer“-Typ.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)