Kreta 2019 – Anreise: Besondere Vorkommnisse: keine

Samstag, 5.55 Uhr. Der Wecker klingelt. Nicht weil wir so früh zum Flughafen müssen, sondern weil der Sohn aus irgendeinem brandenburgischen Nest abgeholt werden muss, wo er die letzte Woche im Judo-Camp war. Die Frau und die Tochter nehmen die Zwei-Stunden-Fahrt auf sich, ich nutze den Vormittag für ein paar Erledigungen.

Leave all that can be spared behind. We travel light.

Zunächst räume ich die Wohnung auf, sauge überall und putze Bad und Küche. Das nervt zwar, wenn wir aber in zwei Wochen zurückkommen, sieht es wenigstens nicht aus, als hätte in unserer Abwesenheit eine Bande von Mietnomaden in der Bude gehaust. Das würde nur den Urlaubsende-Blues vergrößern und jegliche Erholung der vorausgegangenen vierzehn Tage zunichtemachen.

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Nun ziehe ich los, den nächsten Punkt meiner vorurlaublichen To-Do-Liste erledigen: Shoppen!

Als erstes brauche ich eine neue Kappe für den Strand. Meine alte mochte ich sehr. Sie war weiß und schlicht. Zumindest als ich sie gekauft habe. Aber nach zwei Jahren war sie speckig, außen leicht vergilbt und innen etwas gräulich. Selbst nach dem Waschen. Also brauche ich eine neue.

Kaum betrete ich das Geschäft, in dem ich meine Kappe zu kaufen gedenke, werde ich daran erinnert, warum ich Shoppen hasse. Wie aus dem Nichts erscheint sofort eine emsige, auf Verkauf getrimmte Verkäuferin und fragt flötend: „Sie finden sich zurecht?“

Was denkt sich die Frau eigentlich? Sehe ich etwa aus wie ein seniler Tattergreis, der sich in einem überschaubar großen Laden nicht zurechtfindet? Anscheinend schon, aber darüber möchte ich lieber nicht nachdenken. Stattdessen erwidere ich mit demonstrativem Selbstbewusstsein „Ja“ und steuere zielstrebig das Kappen-Sortiment an. Zumindest würde ich das gerne, könnte ich es irgendwo erblicken. Der Laden ist aber auch wirklich unübersichtlich. Voller Ständer, Werbeaufsteller und Schaufensterpuppen. Wie soll sich denn da einer zurechtfinden? Und die Musik ist auch so unerträglich laut. Bei den wummernden Bässen kann sich ja der wachste Geist nicht konzentrieren.

Nachdem ich gut fünf Minuten erfolglos durch den Laden geirrt bin, frage ich die Verkäuferin mit gespielter Lässigkeit, ob sie auch Kappen haben. „Selbstverständlich“, erwidert sie und zeigt auf den Ständer direkt neben mir.

Nachdem ich eine neue weiße und schlichte Kappe mein Eigen nenne, muss ich noch ein paar Strandshirts kaufen. Meine alten hatte ich nämlich am Ende des letzten Urlaubs zur großen Freude der Frau weggeworfen. Sechs Jahre Strandurlaub hatten doch ihre Spuren hinterlassen. In Form von Sonnenmilch-Rückständen, Schweißrändern und diversen Eisflecken. Sie waren in einem Zustand, dass sie nicht einmal mehr meinem sehr laxen „Für den Urlaub reichts, da kennt mich ja keiner“-Urteil standhielten.

Daher gehe ich in das allseits bekannte schwedische Bekleidungsgeschäft, um Ersatz zu besorgen. Dort werden sie ja wohl ein paar einfache weiße T-Shirts haben, denke ich. Haben sie auch, aber nicht in meiner Größe. Also muss ich nach andersfarbigen Shirts schauen. Da habe ich gleich keine Lust mehr. Wenn ich beim Shoppen nicht innerhalb von drei Minuten etwas finde, das mir gefällt, verlasse ich eigentlich unverzüglich den Laden. Heute ist Flucht aber keine Option, denn sonst muss ich im Urlaub mit nacktem Oberkörper zum Strand laufen. Das möchte ich mir nicht antun, aber vor allem nicht den anderen Touristen sowie den Einwohnern von Bali. (Auch die griechische Gastfreundschaft hat sicherlich ihre Grenzen.)

Nach (sehr) kurzem Suchen entscheide ich mich für ein graues, ein blaues und ein schwarz-weiß-gestreiftes T-Shirt. Hoffentlich passen sie farblich zu meinem Strandshorts. Wahrscheinlich nicht. Egal. Für den Urlaub reichts, da kennt mich ja keiner.

Fast zeitgleich mit mir kommen die Frau und die Kinder nach Hause. Bevor es zum Flughafen geht, muss noch schnell der Koffer des Sohns umgepackt werden. Dabei stellt sich die Frage, ob seine Klamotten nach einer Woche Trainingslager gewaschen oder der einfachheithalber gleich verbrannt werden sollen.

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Die Taxifahrt zum Flughafen verläuft erfreulich problemlos. Ohne Staus, Unfälle oder Straßensperrungen. Glaube ich zumindest, denn ich nicke während der 40-minütigen Fahrt ein. Sie wissen schon: das frühe Aufstehen, das anstrengende Shopping, das Alter.

Am Flughafen müssen wir das Gepäck selber einchecken und aufgeben. Das kommt davon, wenn du mit einem Low-Cost-Carrier fliegst. Da musst du halt selber Hand anlegen. Besonders service-orientiert ist das zwar nicht, reduziert aber die menschlichen Kontakte beim Reisen. Das soll mir recht sein, solange ich das Flugzeug nicht selbst fliegen muss.

An der Security ist gerade nichts los und wir können ohne besondere Vorkommnisse passieren. Schon wieder nichts Spektakuläres. Fast schon ein wenig langweilig. Ein ehemaliger Kollege von mir ist letztens in den Urlaub geflogen und wurde beim Check-In erstmal mit einem Haftbefehl konfrontiert. (Nicht mit dem Rapper, sondern mit einem polizeilichen Dokument, falls es da bei ihnen gerade Unklarheiten gibt.) Okay, bei dem Ex-Kollegen entpuppte sich das Ganze als Verwechslung – irgendwas mit Identitätsdiebstahl im Internet –, aber Haftbefehl ist Haftbefehl.

Die Tochter ist ebenfalls ein wenig enttäuscht. „Sonst wirst du doch immer extra von den Sicherheitsleuten gefilzt“, stellt sie mit kaum verhohlener Unzufriedenheit fest. Dazu müssen Sie wissen, dass ich vor fünf Jahren mal am Flughafen bei der Sicherheitskontrolle raus gewunken und mein Laptop einem Sprengstofftest unterzogen wurde. Seither habe ich bei den Kindern anscheinend den Status eines Outlaw wie Billy the Kid.

Nach dem Security-Check führt uns das Wegeleitsystem des Flughafens erstmal durch den Duty-Free-Shop. Interessiert schlendern wir durch den Laden. Selbstverständlich belassen wir es beim Anschauen. Wir sind ja keine Marketing-Opfer, die im Duty-Free-Shop Süßigkeiten in überdimensionierten Verpackungen zu vollkommen überteuerten Preisen kaufen. Okay, um ganz präzise zu sein: Wir sind ja keine Marketing-Opfer, die im Duty-Free-Shop Süßigkeiten in überdimensionierten Verpackungen zu vollkommen überteuerten Preisen kaufen, abgesehen von einer Tüte M&Ms Salted Caramel sowie einer 300-Gramm-Tafel Tomy‘s Pretzel-Toffee-Schokolade. Das hört sich beides aber auch wirklich total lecker an und obendrein sind die Verpackungen sehr schön gestaltet. Außerdem habe ich diese Sorten noch nirgendwo gesehen und weiß somit gar nicht, was sie im normalen Supermarkt kosten. Daher sind sie eigentlich auch gar nicht überteuert, sondern das günstigste Angebot, das ich kenne. So bezahlen wir mit dem guten Gefühl, ein richtiges Schnäppchen zu machen, rund 15 Euro für die Familienpackung M&Ms und die Schokolade.

Für den kleinen Reisehunger zwischendurch

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Nach kurzer Wartezeit beginnt das Boarding. Immer noch keine besonderen Vorkommnisse zu vermelden. Kein Gedrängel, kein Geschubse, keine Massenschlägerei um die vorderen Einstiegplätze. Das scheint der langweiligste Urlaubsblog aller Zeiten zu werden.

Im Flugzeug sitzt hinter mir ein kleiner Junge von knapp drei Jahren. Hoffentlich verträgt er das Fliegen gut. Dann gäbe es wenigstens ein wenig Action. Mir macht das auch nichts aus, wenn Kinder eskalieren und laut sind. So lange es nicht meine eigenen sind und ich mich darum kümmern muss.

Wind Nord/Ost, Startbahn null-drei, bis hier hör’ ich die Motoren …

Nach dem Sicherheitsballett des Kabinenpersonals geht es los, das Flugzeug ruckelt sich durch die Wolken und wir haben bald die Reiseflughöhe erreicht. Vollkommen ereignislos. Schön für uns, schlecht für die Urlaubsblog-Dramaturgie.

Während des Flugs stelle ich fest, dass der kleine Junge hinter mir gar nicht so klein ist. Zumindest sind seine Beine lang genug, dass er mit seinen Füßen gegen meine Rückenlehne treten kann. Und das tut er mit großer Begeisterung. Und dabei juchzt er laut.

Es ist doch schön, wenn Kinder gut gelaunt sind. Zwar auch ein bisschen nervig, aber selbstverständlich beschwere ich mich nicht über den Knaben. Ich bin da ganz der entspannte Kinderfreund und nicht so ein alter Spießer, der sich über ein fröhliches kleines Kind aufregt. (Manchmal bedaure ich das allerdings. Und mit jedem Tritt in meine Rückenlehne etwas mehr.)

Mit zunehmender Flugdauer wird dem Jungen immer langweiliger. Da habe ich volles Verständnis, mir geht das genauso. Im Gegensatz zu mir zappelt er aber auf seinem Platz rum, zieht die Fensterblende hoch und runter und klappt das kleine Tischchen vor sich hoch und runter. Während sein Vater strategisch geschickt fünf Plätze entfernt von ihm sitzt, bemüht sich seine Mutter verzweifelt, ihren Sohn bei Laune zu halten. Sie versucht es mit Ablenkung („Willst du ein bisschen malen?“ Will er nicht.), mit Essensangeboten („Möchtest du ein paar Gummibärchen?“ Möchte er.), mit einem Appell an seine Vernunft („Das ist total anstrengend für die anderen, wenn du so laut bist.“ Ist ihm egal.) und mit unverhohlenen Drohungen („Wenn du jetzt nicht aufhörst, bin ich nicht mehr dein Freund.“ Ist ihm auch egal.)

Ich schwanke zwischen, ich möchte die Frau schütteln und ihr ins Gesicht brüllen „Du bist nicht sein Freund, sondern seine Mutter, also sorg‘ dafür, dass er ruhig ist!“, und, ich möchte die Frau in den Arm nehmen, ihr über den Kopf streicheln und ins Ohr flüstern: „Alles wird gut.“ Beides erscheint mir irgendwie unangemessen und ich beschließe, den lärmenden Jungen auszublenden.

Es grünt so grün, wenn Kretas Blüten blühn. Oder so ähnlich.

Schließlich gehen wir zum Landeanflug über. Direkt über eine langgezogene Badebucht runter auf den Runway. Für uns im Flugzeug ein toller Anblick, für die Badegäste wahrscheinlich weniger.

Als das Flugzeug aufsetzt, brandet Beifall auf. Um nicht negativ aufzufallen, klatschen wir mit. Außerdem freut sich der Pilot ja vielleicht über diese Geste der Dankbarkeit. Da kannst du auch mal ruhig über deinen Schatten springen und nicht den snobistischen Flugreisenden geben, der sich zum Klatschen nach der Landung zu fein ist, sondern einfach mal Standing Ovations geben.

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Die Gepäckausgabe im Ankunftsterminal gestalten sich etwas zäh. Erst tut sich eine ganze Zeit lang gar nichts, dann setzt sich das Gepäckband in Bewegung, fährt aber erstmal ein paar Runden kofferlos rum. Nach einer gefühlten Ewigkeit erscheinen endlich die ersten Gepäckstücke. Immer wieder denke ich, einen unserer Koffer zu erblicken. Fehlanzeige. Nach knapp 20 Minuten stoppt das Band, von unserem Gepäck immer noch keine Spur.

Bevor sie jetzt in Jubel ausbrechen, dass hier endlich mal etwas Spektakuläres passiert und wir ohne Gepäck ein langes Gesicht machen, muss ich Sie leider enttäuschen. Wir stehen einfach am falschen Band. Unsere Koffer liegen auf dem Nachbarband, das ebenfalls schon längst angehalten wurde, und warten darauf, endlich von uns abgeholt zu werden.

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Vor dem Flughafengebäude begrüßt uns unser Taxifahrer, den ich noch von Deutschland aus gebucht hatten.

Angenehmen rücksichtsvoll fährt er uns durch die kretische Landschaft. Nicht wie der Taxifahrer, der uns vor ein paar Jahren am Flughafen in Thessaloniki abgeholt hatte und in Formel-1-Manier über die Landstraßen raste und unablässig fluchte, während er ein Überholmanöver nach dem anderen ansetzte – an einsehbaren aber vor allem an uneinsehbaren Stellen. Damals formulierte ich im Geiste meinen letzten Willen.

Aber nicht so heute. Diesmal ist mir unser Fahrer äußerst sympathisch. Wahrscheinlich in Vorfreude des anstehenden Urlaubs tue ich etwas vollkommen Ungewöhnliches, was ich sonst wirklich nie tue: Ich übe mich im Small Talk!!! (Das ist wirklich das Spektakulärste, was heute passiert ist. Sie können jetzt also mit dem Lesen aufhören. Besser wird es nicht mehr.)

Wir reden ein wenig über das Wetter. Ich zumindest. Worüber sich der Taxifahrer unterhält, ist mir nicht ganz klar. Sein Englisch ist nicht besonders gut. Aber immer noch besser als mein Griechisch. Das ist nämlich nicht-existent. Trotzdem zeigen wir guten Willen und radebrechen uns etwas zusammen. Unser Beitrag zur griechisch-deutschen Völkerverständigung.

Zwischendurch macht der Fahrer einen kurzen Zwischenstopp an einer Tankstelle, wo er für uns vier Flaschen mit eiskaltem Wasser besorgt. Ein weiterer wertvoller Beitrag zur griechisch-deutschen Völkerverständigung. Wenn das so weiter geht, frage ich ihn, ob er bei uns in dem Ferienhaus einziehen möchte.

Nach circa 45 Minuten erreichen wir die Villa und werden sehr freundlich von der Besitzerin und dem Besitzer in Empfang genommen. Das Haus, der Garten und der Pool sind wirklich so traumhaft schön, wie auf den Bildern im Internet. Da wurde nichts gephotoshoppt oder gefiltert. Ich fürchte fast, dass wir nicht gut genug aussehen und die malerische Szenerie durch unsere bloße Anwesenheit zerstören könnten. Gut, dann müssen wir halt gephotoshoppt und gefiltert werden.

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Nachdem wir ausgepackt haben, gibt es unser traditionelles Erster-Urlaubsabend-Essen: Miracoli Spaghetti. Dazu noch Feta, Oliven und Brot. Und Wein. Griechischer Wein sozusagen. Alles ein Willkommensgruß der Vermieterin und des Vermieters. (Das Sahnehäubchen beziehungsweise Ziegenkäschen auf unserer heutigen griechisch-deutschen Völkerverständigung.)

Wein, griechisch. Prost, Udo!

Zum Abschluss des Tages spielen wir noch eine Partie Kniffel. Die ist aber auch vollkommen unspektakulär, so wie der ganze Tag heute. (Meinen Taxifahrer-Small-Talk mal ausgenommen.) Oder halten Sie es für erwähnenswert, dass die Frau direkt mit ihrem ersten Wurf einen Kniffel raushaut, der Sohn mit seinem ersten Wurf nachzieht, und die Frau später noch ein zweiten Kniffel wirft? Vielleicht. Aber dass ich Letzter werde, ist nun wirklich nicht der Rede wert.

Gute Nacht!

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80 Kommentare zu “Kreta 2019 – Anreise: Besondere Vorkommnisse: keine

  1. Laufen Sie jetzt eigentlich unten rum nackig zum Strand? Denn sie wollten doch Shorts kaufen, haben aber Shirts gekauft…? 🤔
    Oder aber die Shirts sind so lang, dass sie alles andere bedecken oder aber…. ach lassen wir das lieber! 😉😂

  2. „Wenn ich beim Shoppen nicht innerhalb von drei Minuten etwas finde, das mir gefällt, verlasse ich eigentlich unverzüglich den Laden.“

    Jepp.

  3. Endlich wieder ein Urlaubsblog!

    Aber am Abreisetag noch letzte Besorgungen erledigen? Könnte ich nicht. Ich hab spätestens einen Tag vorher alles fertig. Aber allerspätestens. Und alles wird doppelt geprüft, bloß nix vergessen…

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