Post aus Portugal #08 | What the actual fuck? (01.05.)

„Ein Tag wird nicht schlechter, wenn er mit Käsekuchen beginnt.“ Dachte ich, während ich mir eine Gabel des Käsekuchens, der mich zu dieser Weisheit inspirierte, in den Mund schob.

Dann lud ich ein Foto des Kuchens auf Instagram hoch, schrieb den von mir erdachten Satz dazu und hoffte auf Likes, Herzchen und andere Formen der Beifallsbekundung.

Sieben Stunden später sollte mir das Leben, das Schicksal oder was auch immer zeigen, dass meine Weisheit gar nicht so weise war. Im Gegenteil. Sie war eine spektakuläre Fehleinschätzung.

Trotz des Käsekuchen-Starts wurde unser Tag nicht nur nicht schlechter, sondern richtig schlecht. Noch schlechter wäre er nur gewesen, hätte ich ihn statt mit meiner Frau mit Friedrich Merz und Donald Trump verbringen müssen.

Aber fangen wir von vorne an. Heute stand unserer letzten Etappe gen Lissabon an, wo wir die nächsten drei Monate verbringen. Zur Feier des Tages gingen wir in den Time-Out-Market Porto, der direkt neben dem Bahnhof São Bento liegt, und gönnten uns zum Frühstück baskischen Käsekuchen.

Das ist das Gute, wenn du fast 50 bist, oder sogar über 50, wie meine Frau, um das hier mal untergebracht zu haben: Da tun dir vielleicht Knie und Rücken weh, du musst dich mit Wechseljahrbeschwerden rumschlagen und bei jedem Bücken entfährt dir ein kleines Ächzen. Aber dafür kannst du frühstücken, was immer du willst, und niemand kann dir das verbieten.

Der Kuchen kostete pro Stück stattliche sieben Euro. Berliner Döner-Preise quasi. Dagegen kann Starbuck’s als Wohlfahrts-Café für Bedürftige gelten.

Wir ließen uns von dem Preis trotzdem nicht abschrecken. Unsere Anreise von Madrid war so anstrengend und der gestrige Tag so verregnet gewesen, da hatten wir uns das schlicht verdient, fanden wir. Unser Bankkonto verzog das Gesicht und mein innerer Protestant fragte, was das für eine bescheuerte Argumentation sei und wer mir bitteschön ins Hirn geschissen hätte.

Die Sonne schien, wir genossen den Kuchen draußen und er war phantastisch. Cremig, saftig, nicht zu süß und kein Hauch von Zitrone störte das Geschmackserlebnis. Perfekt. Ich musste lediglich verdrängen, dass ich dafür vierzehn Euro bezahlt hatte, und das Gezeter meines inneren Protestanten ignorieren.

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Nach dem Käsekuchen-Frühstück ging es los Richtung Lissabon. Der Schnellzug der Comboios de Portugal, der portugiesischen Bahngesellschaft, war innen in grün-türkis gehalten. Er wirkte ein wenig altbacken und verströmte leichte 90er-Jahre-IC-Vibes. Dafür war er sauber und bot ausreichend Beinfreiheit. Außerdem verlief die Fahrt vollkommen ereignislos, was wir angesichts unserer Zug-Erlebnisse in den letzten Tagen sehr zu schätzen wussten.

Inneneinrichtung eines Zuges, die in grün-türkis gehalten ist.

Kurz nach 16 Uhr kamen wir in Lissabon Santa Appolonia an. Mit einem Bolt fuhren wir vorbei an Alfama, am Praça do Comércio, immer den Tejo entlang. In der Ferne sahen wir die ikonische Ponte 25 de Abril, am anderen Ufer die riesige Christus-Statue. In Lissabon schien ebenfalls die Sonne, die Menschen auf der Straße sahen entspannt aus und mit jedem zurückgelegten Meter stieg die Vorfreude auf unseren Aufenthalt.

Nach rund zwanzig Minuten erreichten wir Santos, ein Viertel im Südwesten der Stadt. Hier hatten wir über eine Vermietungsplattform ein günstiges kleines Appartement mit Schlafzimmer, winzigem Bad und Kochnische im Flur gemietet.

Der Bolt-Fahrer ließ uns an einem malerischen kleinen Platz mit Bäumen und Bänken raus. Im Hintergrund erhob sich eine Kirche, die Gehwege waren Kopfstein gepflastert, in alle Himmelsrichtungen gingen kleine Straßen mit bunten Häusern ab, von der spätnachmittäglichen Sonne in warmes Licht getaucht.

Eine Lissabon-Idylle, wie aus dem Bilderbuch. Hier dürfen wir die nächsten drei Monate leben. Was für ein Geschenk und Privileg, dachte ich und nahm mir vor, das für meinen nächsten Insta-Post zu verwenden. (#dankbar)

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Ein schmaler, leicht abschüssiger Weg führte zu der Hausnummer, die uns mitgeteilt worden war. Rechts gesäumt von zwei- bis dreistöckigen Häusern, links von einem metallenen Bau-Zaun. Aus einer der Plastikboxen an der Haustür holten wir den Wohnungsschlüssel, eine gleichermaßen urige und steile Holztreppe brachte uns hoch zu unserem Appartement.

Dann kam der Moment, in dem meine Frau die Tür aufschloss. Das war der Moment, in dem die weichgezeichnete Lissabon-Idylle verschwand, verdrängt von einem albtraumhaften Stillleben. Einem Stillleben ohne Glow-Faktor, dafür mit zu viel Kontrast, zu viel Schärfe und zu viel Details.

Auf dem Boden des Eingangs-/Küchenbereichs lag ein riesiger Wasserboiler, an der Wand, wo er ursprünglich hing, klaffte ein großes Loch. Die Küchenplatte an der Spüle war zertrümmert, der Spülschrank darunter ebenfalls. Überall war Putz, Mauergeröll und Staub verteilt, in der Luft hing ein modriger Geruch.

Die einzig passende Insta-Beschreibung, die mir zu der Szenerie einfiel, war: „What the actual fuck?“

Auf dem Boden eines Eingangs-/Küchenbereichs liegt ein riesiger Wasserboiler, an der Wand klaffte ein großes Loch, die Küchenplatte an der Spüle ist zertrümmert, der Spülschrank darunter ebenfalls. Überall ist Putz, Mauergeröll und Staub verteilt

Ich bin gemeinhin ein rationaler Mensch, metaphysische Ideen sind mir fremd, ich lese keine Horoskope und glaube an keine Gottheiten, die mein Leben bestimmen. Mit Blick auf das Küchen-Chaos fragte ich mich dennoch, ob jemand unseren Lissabon-Trip mit einem Fluch belegt hat. Oder sich das Universum gegen uns verschworen hat.

Am ersten Tag hatten wir drei Stunden Verspätung, am zweiten Tag verpassten wir beinahe den Zug, dann gerieten wir in den spanischen Blackout und mussten im Bahnhof übernachten, um schließlich einen Tag später als geplant in Porto angekommen, wo es dauerregnete.

Im Vergleich zur jetzigen Situation erschien mir das alles wie Nichtigkeiten. Unser Appartement war halb zerstört, wir hatten keine Ahnung, wo wir die nächsten drei Monate unterkommen, und im schlimmsten Fall würden wir gar nichts finden und müssten unseren Lissabon-Aufenthalt beenden, bevor er begonnen hatte. What the actual fuck.

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Nachdem wir uns gefangen hatten, schickte meine Frau Luis, dem Hausverwalter, eine WhatsApp-Nachricht mit einem Foto des Desasters. Luis schickte eine Sprachnachricht zurück. Er war erschüttert und konnte sich das nicht erklären. Gestern hätte jemand Handtücher vorbeigebracht und da wäre alles in Ordnung gewesen.

Eine Information, die uns nicht wirklich weiterhalf. Heute war heute und nicht gestern, wo noch alles in Ordnung war, und heute war gar nichts in Ordnung.

In der nächsten Nachricht erklärte Luis, wegen des 1.-Mai-Feiertags bekäme er jetzt keinen Handwerker. Vielleicht könnten wir den gröbsten Schmutz zusammenfegen und die Nacht bleiben. Morgen um 8 würde er jemanden vorbeischicken und in ein bis zwei Tagen sei der Schaden hoffentlich behoben.

Ich bin ein regelrechter Heimwerker-Trottel und habe weniger als keine Ahnung, was handwerkliche Dinge angeht. Dennoch hatte ich große Zweifel an Luis Einschätzung der Lage.

Das Wasserrohr musste ausgetauscht, die Wand trockengelegt und ein neuer Boiler installiert werden. Optimistisch geschätzt, dauert das eher ein bis zwei Wochen, in der pessimistischen Variante ein bis zwei Monate. Davon abgesehen, hielt sich meine Lust sehr in Grenzen, auch nur zwei bis drei Tage in einer dreckigen, modrigen und warmwasserlosen Wohnung zu verbringen.

Meine Frau rief zwischenzeitlich bei der Vermittlungsplattform an, wegen des Feiertags erreichte sie dort aber niemanden. Stattdessen schickte sie eine Mail mit den Fotos.

Unterdessen fiel mir der Gasherd in der Küche auf. Falls der Boiler mit Gas betrieben wird, könnten Dreck, Staub und modriger Geruch unser geringstes Problem sein.

Also nächste Nachricht an Luis. Der antwortete umgehend und versicherte uns, Boiler und Herd hätten nichts miteinander zu tun, das sei alles sicher.

Ein paar Minuten später meldete er sich jedoch erneut. Er hätte mit einem befreundeten Installateur gesprochen. Der meinte, wenn der Boiler unter Druck stünde, könnte er durchaus explodieren. Daher wäre es vielleicht besser, doch nicht in der Wohnung zu übernachten, sondern in ein Hotel zu gehen.

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Donnerstags, um 18 Uhr, an einem langen Brückentag-Wochenende ein Hotelzimmer zu finden, gestaltete sich – nicht besonders überraschend – schwierig. Die gängigen Suchmaschinen spuckten vor allem 8-Bett-Zimmer in Low-Budget-Hosteln mit Gemeinschaftsbädern aus, was unserem Bedürfnis nach einem Mindestmaß an Komfort und Privatsphäre widersprach.

Alternativ bekamen wir Superior Doppelzimmer in den 5-Sterne-Hotels an der Avenida Liberdade, der Lissaboner Prachtmeile, angeboten, was wiederum meinem Bedürfnis widersprach, nach zwei Tagen nicht pleite zu sein.

Schließlich wurden wir doch fündig. Ein Boutique-Hotel im Viertel Arroios namens Dos Reis. Kurz fragte ich mich, was mit einem Hotel nicht stimmt, dass so kurzfristig ein freies Zimmer hat, beschloss aber, diesen Gedanken nicht weiter zu verfolgen.

Wir buchten für zwei Nächte. In der naiven Hoffnung auf eine schnell verfügbare neue Wohnung. Oder auf eine Wunder-Renovierung des ursprünglichen Appartements.

Eine Mitgliedschaft im Beautique Club, die ich bei der Buchung abschloss, brachte uns einen zehnprozentigen Rabatt ein und mir in den nächsten Tagen eine Flut von Marketing-Mails. Trotz des Preisnachlasses war das Dos Reis das teuerste Hotel, in dem ich jemals privat übernachtet habe.

Beruflich war ich mal in einem 5-Sterne-Hotel in Moskau untergebracht. Dort gab es in der Lobby Showrooms von Rolls Royce, Patek Philippe, Louis Vuitton sowie von Marken, die so exklusiv sind, dass ich noch nie vorher von ihnen gehört hatte. Das war alles so groß und unübersichtlich, dass ich den Portier nach dem Weg zur Rezeption fragen musste.

So luxuriös ist das Dos Reis bei weitem nicht, aber durchaus edel. In Grau- und Champagnertönen gehaltene Farbgebung, aufgelockert durch orangene Farbtupfer, dazu Stilmöbel kombiniert mit Designer-Einrichtungsgegenstände, viel Glas, viel Spiegel, viel Marmor, viel Keramik. Die Hotelgäste, die in der Lobby saßen, machten auch nicht den Eindruck, als müssten sie ihre Kleidung bei kik kaufen und sich zum Monatsende von Toast mit Ketchup ernähren.

Entsprechend deplatziert kamen wir uns beim Betreten des Hotels vor. Mit unseren Rucksäcken, Taschen und Beuteln sahen wir wie zwei in die Jahre gekommenen Interrail-Reisende aus, die sich auf dem Weg in die Jugendherberge verlaufen hatten.

Der Mann an der Rezeption hatte Mühe, seine Irritation zu verbergen, als ich ihm erklärte, wir hätten ein Zimmer gebucht. Zu seiner Überraschung fand er die Reservierung tatsächlich in seinem Computer.

Beim Bezahlen der Übernachtungsgebühr war ich kurz versucht, mit meiner bescheuerten goldenen Postbank-EC-Karte, für die ich mich sonst immer schäme, rumzuwedeln, um ihm zu zeigen: „Das hat alles seine Richtigkeit, wir dürfen hier mitspielen.“ Der Tag war anscheinend nicht spurlos an mir vorübergegangen.

Ein edles Hotelzimmer

Später aßen wir im Hotel-Restaurant zu Abend. Italienisch. Was für den ersten Abend in Lissabon natürlich extrem unpassend war. Unter normalen Umständen sogar inakzeptabel. Heute waren aber keine normalen Umstände und nach den Ereignissen des Tages war uns alles egal.

Nach Risotto und Pizza sah die Welt dann etwas besser aus. Zwei Aperol Spritz später noch besser.

Irgendeine Lösung würde sich schon ergeben. Entweder finden wir eine Wohnung in Lissabon oder wir gehen nach Porto oder in eine ganz andere Stadt. Oder wir machen den Udo Lindenberg und wohnen im Hotel. Also, ungefähr zehn Tage. Dann ist unser Drei-Monats-Mietbudget aufgebraucht und wir müssen zurück nach Berlin.

Zum Nachtisch bestellten wir Mousse au Chocolat. Sie war köstlich. Ich verzichtete trotzdem darauf, ein Bild auf Insta zu posten und dazu zu schreiben: „Ein Tag der mit Mousse au Chocolat endet, kann kein schlechter gewesen sein.“


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2 Kommentare zu “Post aus Portugal #08 | What the actual fuck? (01.05.)

Erwähnungen

  • Christian Hanne
  • Andi

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