Werde durch den an den Rollläden rüttelnden Wind geweckt. Hoffnung keimt in mir auf, dass das Wetter auch heute zu schlecht für den 16/17-Kilometer-Lauf sein könnte. Öffne den Rollladen einen Spalt und luge hinaus. Verdammt! Es ist zwar bewölkt, aber es regnet nicht. Dem Lauf steht somit zumindest meteorologisch nichts im Weg und der Bonner Freund und ich laufen los.
Mein Magen ist allerdings der Meinung, dass ich gestern zu viel Pizza hatte, um heute zu laufen, und der Kopf findet, dass der letzte Aperol Spritz am Vorabend schlecht war, was sportlicher Betätigung ebenfalls nicht zuträglich ist. Und nun kommen Sie mir bitte nicht mit: „Wer Abends schlemmen kann, der kann am nächsten Morgen laufen.“ Das ist wieder nur eine Erfindung der Dumme-Sprüche-Industrie und ganz grober Unfug. Denn diese Aussage beschreibt quasi zwei unterschiedliche Personen:
- Im ersten Halbsatz („Wer Abends schlemmen kann, …“) geht es um eine hedonistische Person, die nach dem Prinzip der Lustmaximierung lebt, gesellig ist und einen großen Bekannten- und Freundeskreis hat. Sie lebt im Hier und Jetzt, trägt ein Yolo-Tattoo und lässt auch mal Fünfe grade sein. Es ist die Person, die man unbedingt dabei haben will, wenn es etwas zu feiern gibt. Kurzum, eine durch und durch sympathische Person.
- Der zweite Halbsatz („… der kann am nächsten Morgen laufen.“) beschreibt dagegen eine zielstrebige, disziplinierte und fokussierte Person, die asketisch-calvinistisch lebt und von protestantischer Arbeitsethik durchdrungen ist. Sie hat das schwäbische „Schaffe, schaffe, Häusle baue, Hund abschaffe, selber belle“ mit der Muttermilch aufgesogen und trägt eine Tattoo mit der Inschrift: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nie auf morgen.“ Ein richtiger Langweiler, den man auf keinen Fall bei einer Fete dabei haben möchte (Wobei es nicht schlecht wäre, wenn eine solche Person die Party organisiert, damit alles rund läuft.). Kurz und gut, eine eher unsympathische Person, mit der man nichts zu tun haben will (Ich mag mich ja selbst auch nicht so gerne, wenn ich morgens laufen gehe.).
Sie sehen, diese Personen sind nicht miteinander kompatibel und somit ist dieser Spruch auch kompletter Unsinn. Weiterlesen
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)