Es sind nur noch zwei Wochen bis zum errechneten Entbindungstermin, über den Namen wurde gegrübelt, die wichtigsten Anschaffungen sind getätigt und auch den Geburtsvorbereitungskurs haben wir halbwegs unbeschadet absolviert. Sitze nun entspannt mit der hochschwangeren Freundin im Kino. Nicht weil uns der Film – eine Actionkomödie mit weniger Niveau als eine Unterhaltung im Dschungelcamp – wirklich interessiert, sondern weil wir es (noch) können.
Pünktlich zum Start des cineastischen Machwerks setzt bei der Freundin ein Ziehen in der Bauchgegend ein, was sie als Einsetzen der Wehen interpretiert. Bewahre aufgrund meines angelesenen Wissens aus verschiedenen Schwangerschaftsbüchern absolute Ruhe und erkläre der Freundin in leicht altklugem Duktus, dass zwischen den Wehen und der eigentlichen Geburt viele Stunden lägen. Außerdem hätten wir mehr als 20 Euro für Kinokarten und überteuerten Süßkram ausgegeben. Meines Erachtens alles Gründe, die dafür sprächen, sich den Film erstmal in Ruhe anzuschauen. Eine Einschätzung, die von der Freundin nur bedingt geteilt wird.
Mit dem Abspann endet nicht nur der Film, sondern auch die Wehen hören auf. Meinen leicht selbstgefälligen Kommentar, es habe sich wohl nur um ein paar Senkwehen gehandelt und es sei glücklicherweise ja alles nur halb so wild gewesen, nimmt die Freundin mit wenig Wohlwollen auf. Sie bietet mir an, beim nächsten Kinobesuch alle zehn Minuten in meinen Unterleib zu boxen, damit ich ebenfalls in den Genuss eines entspannten Filmabends käme. Mein gesäuseltes „Tut mir leid. Ich habe das nicht so gemeint, Moppelchen.“ wird erstaunlicherweise nicht als Entschuldigung akzeptiert und trägt nicht zur Entspannung der leicht angespannten Stimmung bei. Habe mir nie sehnlicher gewünscht, in der Zukunft zu leben, wo es Zeitmaschinen gibt, mit der ich in die Vergangenheit reisen könnte, um meine unbedachte Äußerung einfach zu unterlassen.
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Die nächste Woche wird von weiteren Scheinwehen begleitet, die so folgenlos bleiben wie meine Versuche als Jugendlicher, in der Disco ein Mädchen zum Tanzen zu animieren. Liege abends mit der Freundin im Bett und erlaube mir die scherzhafte Bemerkung, dass sie vielleicht gar nicht schwanger sei, sondern lediglich in den letzten Monaten stark zugenommen habe. Das findet die Freundin so lustig wie barfuß durch ein Brennnessel-Feld zu laufen. Verbringe die Nacht auf dem Sofa.
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Das Kind soll mittlerweile schon seit fünf Tagen auf der Welt sein. Wir gehen nun immer sehr zeitig zu Bett, um im Fall einer nächtlich einsetzenden Geburt, im Vollbesitz unserer physischen und mentalen Kräfte zu sein. Aber wir wachen jeden Morgen unbehelligt von einsetzenden Wehen nach zwölf Stunden Schlaf erholt und putzmunter auf. Gehe daher immer äußerst ausgeruht ins Büro, wo ich ausgiebig über die Dauer von Schwangerschaften bei Säugetieren recherchiere.
Wende abends das neu erworbene Wissen an und doziere, dass Elefantenkühe ihre Babys ja auch 22 Monate austrügen. Dies quittiert die Freundin leicht gereizt mit der Feststellung, ob mir mit meinem zoologischen Halbwissen auch bekannt sei, dass Elefantenkühe abgesehen von der Paarungszeit kein sonderlich großes Interesse an ihren männlichen Artgenossen haben. Ein Wesenszug, den sie sehr gut nachvollziehen könne. Beschließe daraufhin, bis zur Ankunft des Kindes zur Wahrung des häuslichen Friedens humoristische Bonmots zur Dauer von Schwangerschaften auf ein Minimum zu reduzieren.
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Der errechnete Geburtstermin ist inzwischen bereits um sieben Tage überschritten. Wir besuchen nun täglich die Frauenärztin, um eine Kontrolluntersuchung durchführen zu lassen. Dort erhalten wir ein aufschlussreiches Informationsheft mit Ratschlägen zu wehenfördernden Maßnahmen.
Ratschlag 1: Scharfes Essen
Laut des Ratgebers soll gut gewürztes Essen nicht nur Magenverstimmungen hervorrufen, sondern auch die Einleitung der Wehen unterstützen. Stellen sofort unseren kompletten Speiseplan auf asiatische Gerichte Kategorie „extrascharf“ um. Ernähren uns ausschließlich von chinesischen, thailändischen und indischen Fragwürdigkeiten, um die Wehentätigkeiten davon zu überzeugen, ihren Dienst aufzunehmen. Schlage nach fünf Tagen asiatischer Küche vor, das Kind „Chop Suey mit acht Kostbarkeiten“ zu nennen. Wird von der Freundin abgelehnt. Durch die scharfen Gewürze sind meine Mundschleimhäute dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen und quasi nicht mehr existent. Von Wehen keine Spur.
Ratschlag 2: Lange Spaziergänge
Das Informationsheft rät des Weiteren zu ausgiebigen Spaziergängen, um die Wehentätigkeit anzuregen. Flanieren daher zwischen unseren asiatischen Mahlzeiten durch die Nachbarschaft und erkunden unseren Kiez. Die immer ausschweifenderen Spaziergänge, die eigentlich mit der Bezeichnung ‚Wandertour‘ treffender charakterisiert sind, führen uns vermehrt in die gutbürgerlichen Außenbezirke Berlins. Befürchte, dass wir uns allmählich verdächtig machen und die Anwohner die Polizei rufen könnten, um das dubiose Pärchen dingfest zu machen, bei der die Frau eine Schwangerschaft vortäuscht, um Diebesgut unter der Jacke zu verstecken. Ich könnte ja schnell weglaufen, bei der Freundin wird das schon schwieriger. Die Wehen lassen weiter auf sich warten.
Ratschlag 3: Sex
Lese in dem Informationsbüchlein, dass der ultimative Wehenauslöser Beischlaf sein soll. Melde Zweifel an, ob dies wirklich die Lösung sei. Durch Sex seien wir doch überhaupt erst in diesen Schlamassel geraten. Die Freundin fragt mich, ob ich aufgrund der einseitigen asiatischen Kost eventuell unter Vitamin-A-Mangel leide, der sich ungünstig auf meine intellektuelle Leistungsfähigkeit auswirkt. Außerdem wäre es doch geradezu folgerichtig, die Schwangerschaft damit zu beenden, womit sie begonnen hat. Willige schließlich ein. Bin von den ausgiebigen Spaziergängen der letzten Tage aber erschöpfter als ein olympischer Marathonläufer nach dem Zieleinlauf. Schlafe schon beim Vorspiel ein. Sollte der Vollzug eines Koitus tatsächlich das letzte Mittel zur Einleitung der Wehen sein, sehe ich ob meiner geschwächten Libido für die Geburt des Kindes schwarz. Aber sowas von!
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Wie schade, dass Lachen keine Wehen auslöst! Bislang zumindest noch nicht. Habe meiner hochschwangeren Freundin nämlich nun Deinen Blog empfohlen und seitdem sitzt sie nur noch lauthals lachend da, so dass ihr fast das iPad aus der Hand fällt. Das Warten auf die Geburt ist so schon sehr viel leichter.
Danke für Deinen großartigen Blog!
Liebe Grüße
Christian
Danke für diese löblichen Worte. Und euch viel Glück, dass es bald mit den Wehen losgeht.
LG, Christian
Glas rotwein, sex, treppensteigen- hat be mri alles nichts genutzt.
Allerdings hat mein Frauenarzt noch so´n altes Untersuchungsgerät (glasprisma), mit dem er die farbe des Fruchtwassers untersucht hat. er meinte auch, daß nach dieser Untersuchung (wird immer erst nach ET gemacht) viele Geburten losgehen..
Nun ja, was soll ich sagen, keine 20 stunden später hatte ich nen Blasensprung.