Teil 1
06. Februar 2025, Berlin
Warum morgens aufstehen, wenn du keinen Kaffee trinken darfst? Andere kulinarische Highlights hat der Tag auch nicht zu bieten. Abgesehen von Tee und Wasser, was aber eher in die Kategorie kulinarisches Lowlight fällt. Am liebsten würde ich die nächsten zwei Tage schlafend im Bett verbringen, bis am Samstag alles rum ist.
Das fröhlich grüßende Schokoküchlein geht mir auch auf die Nerven. Würde es gerne mit einem gezielten Fausthieb zu Matsch hauen. Dafür fehlt mir aber die Energie.
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Heute fühle ich mich nicht ganz so schwächlich. Auch das Laufen fällt mir im Vergleich weniger schwer. Allerdings nur zwei Kilometer. Danach zieht mir irgendjemand den Stecker und ich krieche die restlichen fünf Kilometer über die Tartanbahn. Mit ausgiebigen Gehpausen. Vielleicht könnte mir jemand mal eine Duracell-Batterie in den Hintern schieben.
07. Februar 2025, Berlin
Beginne den Tag damit, das nervende Schokoküchlein und die Mozartkugeln in einen Küchenschrank zu sperren. Nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn. Funktioniert aber nur so mäßig, denn nun denke ich die ganze Zeit daran, wie das Küchlein und die Kugeln im Schrank stehen.
Sitze dabei auf dem Sofa und trinke Tee. Bin mittlerweile zu Früchtetee übergegangen, weil ich den Pfefferminztee nicht mehr sehen konnte. Früchtetee ist aber auch kein adäquater Kaffeeersatz. Nichts ist morgens adäquater Kaffeeersatz.
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Auf dem Heimweg vom Laufen. Bin kaputt, ausgelaugt und vollkommen entkräftet. An einer Ampel spricht mich eine ältere Frau, so um die Mitte 60, an. Sie sagt, ich sähe sportlich aus, ob ich ihr vielleicht helfen könnte. Wie es in Berlin üblich ist, wenn dich fremde Menschen ansprechen, reagiere ich mit einem skeptischen Blick.
Die Frau stört das nicht weiter und sie holt aus einer Einkaufstasche ein Fläschchen mit Soja-Sauce. Die gehöre einer älteren Nachbarin und sei so fest verschlossen, dass sie sie nicht aufbekämen. Ich würde das aber sicherlich schaffen.
Nach viereinhalb nahrungslosen Tagen bin ich da weniger zuversichtlich. Unter Mobilisierung meiner letzten Energiereserven, von denen ich mir nicht sicher bin, sie zu haben, und mit unmenschlicher Kraftanstrengung gelingt es mir schließlich, den Deckel aufzudrehen.
Die Frau ist glücklich und ich habe meine gute Tat des Tages vollbracht. Allerdings frage ich mich, ob ich noch genügend Energie habe, um bis nach Hause zu kommen.
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Bei „The Night Agent“ sitzt in einer Szene ein Paar im Restaurant. Der Mann beendet irgendwann das Mahl und verlässt den Tisch, obwohl sein Teller noch halb voll ist. Was stimmt mit dem Penner nicht?
08. Februar 2025, Berlin
Meine Frau und ich wachen um halb sieben auf. Beide mit einem unangenehmen, leicht pelzigen Geschmack im Mund. Das kommt davon, wenn du tagelang keine feste Nahrung im Magen hast.
Oder irgendein Tier hat in unseren Mündern übernachtet, meint meine Frau. Das ist natürlich auch eine Möglichkeit. Auf die kommst du aber nur, nachdem du fünf Tage nichts gegessen hast.
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Kurz nach acht treffen meine Frau, der Sohn und ich uns in der Küche, wo wir gemeinschaftlich unseren Fastenbrecher-Apfel zu uns nehmen. Es ist natürlich schön, endlich wieder etwas essen zu dürfen, aber wenn du eine Woche lang von Käsebroten, Gnocchi und Pizza phantasierst, ist der kulinarische Genuss eines Apfels doch ausbaufähig.
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Der Apfel erweist sich beim Laufen als nur bedingt energiespendend. Ich starte mit dem Ziel, sieben Kilometer zu absolvieren, reduziere es nach 500 Metern auf sechs Kilometer und nach zehn Minuten finde ich, fünf Kilometer reichen eigentlich auch.
Nach einer Weile stelle ich fest, dass ich bei irgendeiner Ampel vergessen habe, meine Laufuhr wieder anzuschalten. Sie zeigt 2,87 Kilometer an, aber ich weiß nicht, ob ich 100, 200 oder 500 Meter mehr gelaufen bin. Für einen Läufer sind undokumentierte Laufkilometer die schlimmstmögliche Katastrophe. Die haben quasi nicht stattgefunden, verfälschen dir die Statistik, gefährden deine Laufkilometer-Ziele.
Entsprechend schwanke ich zwischen Tobsuchtsanfall und Nervenzusammenbruch, fühle mich aber für beides zu schwach. Dass ich den Lauf nicht abbreche und weinend nach Hause gehe, sondern fortsetze und schließlich nach 5,1 Kilometern beende, stufe ich neben meinen Marathonteilnahmen als größte Leistung meiner Läuferkarriere ein. (Eigentlich sogar etwas höher als die Marathons.)
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Zum Mittagessen eine kleine Schale Reispudding mit Banane und Heidelbeeren. Anschließend gemeinschaftliches Nickerchen auf dem Sofa. Ein schöner Ausblick auf unsere Zeit als Rentner*innen.
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Abends Gemüsesuppe, jetzt wieder mit Gemüse. Die schmeckt zwar nach den Tagen des Verzichts sehr lecker, aber meine Frau meint treffend: „Ein großes Stück Käse wäre schöner.“ Und ein Käsebrot noch schöner.
Anschließend schauen wir „Prometheus“ und „Alien Covenant“. Da wird wenigstens nicht gegessen. Außer die Menschen von den Aliens.
09. Februar 2025, Berlin
Nur noch zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Zeit, sich mit meiner. Wahlpräferenz zu beschäftigen. Ich mache als erstes den Kandidierendencheck auf Abgeordnetenwatch. Das Ergebnis: 89% Übereinstimmung mit der Kandidatin der Marxistisch- Leninistischen Partei Deutschlands.
Normalerweise heißt es, Menschen werden mit zunehmendem Alter konservativer. Gegen diesen Trend entwickle ich mich dagegen anscheinend zum linken Revoluzzer. (Was immer noch besser ist als zum rechtsradikalen Reichsbürger.) Vielleicht lebe ich in zehn Jahren in einer polyamorösen, autonomen Kommune irgendwo in Brandenburg.
Probiere mich anschließend am Wahl-O-Mat aus. Hier liegen bei mir die Grünen mit 91,1% vorne. Bin also doch kein Linksradikaler, sondern bürgerlicher Besserverdienender mit Klimaschutz-Vorlieben und Offenheit gegenüber dem Gendern.
Auf dem zweiten Platz folgt der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) mit 90%. Der liegt bei meiner Frau und den Kindern sogar an erster Stelle. Hätte nicht gedacht, dass unsere Familie so viel Sympathien für die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein hat.
Nur noch zwei Wochen bis zur Bundestagswahl bedeutet auch, nur noch zwei Wochen Wahlkampf. Halleluja, es gibt auch noch gute Nachrichten.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)