Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
17. Februar 2025, Berlin
Sitze in der Frühe im Wohnzimmer auf dem Sofa mit meinem Kaffee. Gestern Abend ist der Sohn zu seiner zweimonatigen Asienreise aufgebrochen, ging die Treppe runter mit einem Rucksack auf den Schultern, einer gar nicht mal so großen Reisetasche in der Hand und einem Strahlen im Gesicht.
Unten an der Treppe drehte er sich nochmal um und schaute wehmütig zu uns hoch. Aber auch voller Vorfreude auf das Abenteuer, das auf ihn und seinen Freund N. wartet. Mehr als 8.500 Kilometer von zuhause weg, Erlebnisse sammeln, gemeinsame Zeit verbringen, in den Tag hineinleben, spontan entscheiden, was man unternimmt und die unbeschwerte Freiheit genießen. Wahrscheinlich werden die beiden nie wieder so frei und selbstbestimmt sein wie auf dieser Reise.
Ich bin mit 19 auch ins Ausland gegangen. Für ein dreimonatiges Praktikum in einer Kommunalverwaltung nach Daventry, einem kleinen Ort in der Nähe von Northampton. Was von Westerburg aus fast genauso exotisch wie Südostasien war.

Am Abreisetag stand ich sehr früh morgens unter der Dusche und dachte, dieses Auslandspraktikum sei vielleicht doch keine so gute Idee. Zu weit weg, niemanden, den du kennst und ohne Plan, was ich dort machen würde. Am besten wäre es, nie wieder mit dem Duschen aufzuhören, sondern das Wasser immer weiter über mich laufen zu lassen, bis ans Ende der Zeit.
Rückblickend bin ich froh, das Bad doch verlassen zu haben. Sonst hätte ich später meine Frau nie kennengelernt, unsere Kinder gäbe es nicht und der Sohn könnte jetzt nicht auf Reisen gehen. Meine Eltern sind bestimmt ebenfalls erleichtert, dass ich nicht in der Dusche geblieben bin. Denn wenn dein Sohn jahrzehntelang bei dir im Badezimmer lebt, dann kommst du im Bekanntenkreis irgendwann in Erklärungsnöte. (Von den Wasser- und Energiekosten ganz zu schweigen.)
Mein Bruder brachte mich damals zum Flughafen in Frankfurt. Unterwegs wurde er geblitzt, was ihn aber nicht allzu sehr grämte, da wir im elterlichen Auto unterwegs waren. Nach der Ankunft in Heathrow nahm ich eine Bahn zu einem der großen Londoner Bahnhöfe, ich glaube King’s Cross, wo später mein Zug Richtung Daventry losfahren sollte.
Weil ich mich nicht traute, jemanden anzusprechen, wo ich zwischendurch mein Gepäck aufbewahren könnte, verließ ich den Bahnhof nicht, sondern saß sieben Stunden lang in der Wartehalle auf einer Bank. Wie Tom Hanks an der Bushaltestelle in „Forrest Gump“, nur ohne Pralinenschachtel. Und ich vermied jeglichen Blickkontakt, damit mich niemand anspricht. (Insbesondere keiner der Fußballfans, die singend durch den Bahnhof zogen und für mich alle wie gewaltbereite Hooligans aussahen.)
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Nachdem gestern Abend die Haustür ins Schloss fiel, standen wir erstmal alleine im Flur. Meine Frau mit Tränen in den Augen, ich mit Kloß im Hals. Die Wohnung kam mir plötzlich viel zu groß und viel zu leer vor.
Die Tochter ist 21 und wohnt seit drei Jahren nicht mehr bei uns, der Sohn ist 18 und ihn haben wir in den letzten Monaten auch nur sporadisch morgens und abends gesehen. Das heißt, wir werden nicht aus dem Nichts davon überrascht, dass unsere Kinder groß und selbstständig sind. Das ist ja kein plötzlich eintretender Zustand, sondern ein langjähriger Prozess, an den du dich allmählich gewöhnst.
Jetzt, wo der Sohn für die nächsten zwei Monate weg ist, wird uns aber richtig bewusst, dass eine neue Zeit anbricht: Wir sind Empty Nester. Keine Kinder mehr, um die wir uns täglich kümmern müssen, sondern nur noch wir beide. Wir können – oder müssen – uns auf uns selbst besinnen, auf das, was wir wollen. Als Paar, nicht als Eltern. Nach mehr als 20 Jahren mit Kindern kann das herausfordernd sein.
Wobei die Kinderkümmerei schon in den letzten drei bis vier Jahren keine tagesfüllende Aufgabe mehr war. Und meine Frau und ich funktionieren auch als Duo gut. Wir wissen, wann wir etwas bereden müssen – seltener als man denkt –, teilen uns den Haushalt halbwegs 50/50, lassen uns unsere Freiräume und vor allem können wir beide gut über uns selbst lachen. Deswegen mache ich mir keine Sorgen um unsere neue Zweisamkeit.
Kinder, die erwachsen werden und ausziehen, führen dir aber auch vor Augen, dass du alt wirst. Oder – um es etwas freundlicher auszudrücken – nicht mehr ganz jung bist. Eine Erkenntnis, die meine Frau und ich noch weniger verdrängen können, da wir dieses Jahr beide 50 werden. (Meine Frau allerdings wesentlich früher als ich, so viel Zeit muss sein.)
Der 50. Geburtstag ist kein Ereignis, das du mit besonders viel Freude erwartest. Zumindest die meisten Menschen nicht und ich bin so mainstreamig, dass ich mich zu den meisten Menschen zähle.
Selbst bei optimistischer Schätzung befinden wir uns in der zweiten Halbzeit. Was sich unter anderem dadurch bemerkbar macht, dass die körperliche Verfassung allmählich zu wünschen übriglässt. Der Stoffwechsel ist so langsam, dass du zunimmst, sobald du nur an ein Stück Kuchen denkst, du lernst, dass „Rücken haben“, kein Mythos ist – genauso wenig wie „Schulter, Fuß oder Knie haben“ –, und jedes Aufstehen, Bücken und Schuhebinden begleitest du mit leisen Ächzgeräuschen.
Allerdings können wir uns ja schlecht auswechseln lassen, um bei der etwas kruden Halbzeitmetapher zu bleiben. So fünfzehn bis zwanzig gute Jahre kommen sicherlich noch. Was gar nicht mal so wenig ist. (Wenn du zu einer fünfzehn- bis zwanzigjährigen Haftstrafe verurteilt wirst, sogar sehr viel.) Und mit Mitte 60 / Anfang 70 ist auch nicht alles schlecht. Da kannst du endlich Mittagsschläfchen halten, ohne dass dich alle für einen Greis halten, weil du ja tatsächlich einer bist.
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Die Tochter hat heute ebenfalls einen wichtigen Tag. Sie schreibt ihre letzten beiden Klausuren für dieses Semester. In Politikwissenschaft und in Soziologie. Letztere ist auf 90 Minuten angesetzt, die Tochter ist nach einer halben Stunde fertig und hat noch Zeit, mit ihrer Sitznachbarin die Antworten abzugleichen. Kein Wunder, dass die Natur-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften die Sozialwissenschaften nicht ernst nehmen.
18. Februar 2025, Berlin
Meine Frau hat Passbilder für ihren neuen Ausweis machen lassen und ist mit dem Ergebnis unzufrieden. Sie sähe auf den Bildern wie ein erschrockenes Reh aus. Ich versuche sie zu beruhigen, alle biometrischen Passfotos sähen merkwürdig aus. Meines zum Beispiel könnte auch ein Fahndungsaufruf bei „Aktenzeichen XY … ungelöst“ sein.
Die Dame im Fotoladen hätte auf dem Bild auch noch Falten wegretuschiert, erzählt meine Frau. Meine Antwort, das sei doch nett von ihr gewesen, kann zugegebenermaßen als unsensibel aufgefasst werden. Deswegen behalte ich den Gedanken für mich, dass es hoffentlich keine Probleme gibt, wenn ein Grenzbeamter sie deswegen auf dem Foto nicht erkennt.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)