Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
22. Februar 2021, Berlin
Der Sohn hat heute ein Mittagsschläfchen eingelegt. Das soll ja gesund sein und hilft Körper und Geist, sich zu regenerieren, und ist daher aus Elternsicht auf jeden Fall zu befürworten. Allerdings vielleicht nicht unbedingt während des Video-Unterrichts bei laufender Kamera. Der Sohn hat aber Glück und sein Power-Nap bleibt unentdeckt. Was, wenn ich darüber nachdenke, möglicherweise nicht gerade für seine sonstige Beteiligung im Unterricht spricht.
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Ich war im Keller und habe zwei Kisten mit alten Babysachen, Stofftieren und Kitamaterialien der Kinder hochgeholt. Wir hatten uns schon Anfang 2020 vorgenommen, den Keller zu entrümpeln. Dort hat sich in den letzten Jahren allerlei Unrat angesammelt, der es inzwischen fast unmöglich macht, dort weiteren Unrat abzuladen. Bevor wir unser Entrümpelungsvorhaben letztes Jahr in die Tat umsetzen konnten, kam aber glücklicherweise Corona. Im Sinne des Social Distancings und der Pandemieeindämmung wäre es unverantwortlich gewesen, jemanden kommen zu lassen, der den ganzen Krempel abholt.
Nun kamen wir auf die Idee – warum auch immer –, uns einen Überblick über das Keller-Chaos zu verschaffen und ein paar Kleinigkeiten im Hausmüll zu entsorgen. Nachdem ich die beiden Kisten hochgeholt habe, finde ich, dass es erstmal gut ist mit der Kellerentrümpelei. Gut Ding will schließlich Weile haben, Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut und der gute Laotse hat aus gutem Grunde gesagt „Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.” und nicht: „Das Entrümpeln deines Kellers beginnt damit, dass du vollkommen aktionistisch alles unnütze Zeug in Windeseile aussortierst, sofort einen Abholservice bestellst und dann innerhalb von einem Tag einen aufgeräumten Keller hast.” (Wahrscheinlich hatte Laotse gar keinen Keller und das ebenfalls aus gutem Grunde.)
23. Februar 2021
Ich sitze am Schreibtisch, als eine Taube vor dem Fenster landet. Die Taube glotzt mich doof an, ich glotze doof zurück. Mal sehen, wer zuerst den Blickkontakt abbricht. Nach knapp 30 Sekunden fliegt die Taube weg. Ich muss weiterarbeiten. Die Taube hat wohl gewonnen.
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In den beiden Kisten, die ich aus dem Keller geholt habe, befinden sich auch die Sprachlerntagebücher der Kinder sowie die Protokolle der Beobachtungen, die ab und an durchgeführt wurden, um zu sehen, ob sich die Kinder einigermaßen altersgerecht und sozial verträglich entwickeln.
Auf dem Steckbrief des Sohns, der auf seinem Ordner klebt, steht, dass sein Lieblingsessen Kuchen ist. (Das gute Kind!) Seine Lieblingsfarbe ist orange – vielleicht wegen der vielen orangenen Mülleimer auf dem Weg zur Kita –, das Lauteste, was er jemals gehört hat, ist ein Löwe und bei der Frage, was er werden möchte, wenn er groß ist, hat er „ein Trampolinhüpfer” angegeben. Warum auch nicht? Nicht unbedingt ein systemrelevanter Beruf und wahrscheinlich auch nicht besonders gut bezahlt, aber dafür bist du den ganz Tag in Bewegung und kannst andauernd hüpfen und springen. Das ist ja nicht das Schlechteste. Vor allem, wenn du dich hauptsächlich von Kuchen ernährst.
24. Februar 2021, Berlin
Das Wetter hat sich innerhalb von einer Woche entschieden vom tiefsten, eisigen und verschneiten Winter auf Frühling umzustellen. Die Temperaturen steigen auf 20 Grad, die Vögel zwitschern, überall sprießen die Schneeglöckchen und Krokusse aus dem Boden und bei den Menschen läuft die Endorphin-, Serotonin-, Dopamin- und Alles-was-glücklich-macht-Produktion auf Hochtouren. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen das in diesem nicht enden wollenden Lockdown brauchen, um gute Laune zu haben und ein wenig Hoffnung zu schöpfen. (Und um in die Parks zu strömen und die Abstandsregeln und Hygienevorgaben nur als unverbindliche, gut gemeinte Ratschläge des Robert-Koch-Instituts anzusehen, so dass der Lockdown auch wirklich nie endet.)
Der Wetterumschwung hat allerdings auch einen Nachteil: Es ist zu warm, um Mütze zu tragen, und ich kann meine Haare nicht verstecken. Die sehen nach drei Monaten ohne Friseurbesuch wie ein missglücktes Klonexperiment aus Fraggle und Wischmopp aus.
Egal, das gute Wetter ist trotzdem phantastisch. Zumindest so lange du verdrängst, dass 20 Grad im Februar ziemlich unnormal sind, und dass sich, wenn diese Drecks-Pandemie irgendwann mal vorbei sein sollte, dringend um die Klimakrise gekümmert werden müsste.
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Auf unserem frühabendlichen Spaziergang kommen meine Frau und ich am Kleinen Tiergarten vorbei, an dem Teil des Parks, in dem sich die Wohnungslosen, die Trinker, die Drogenabhängigen, die Dealer und all die anderen, die am Rande der Gesellschaft stehen, versammeln. Vor einer Bank steht eine Frau mit einer Flasche Bier in der Hand. Sie trägt einen weit geschnittenen gelben Pullover und abgeschnittene kurze Jeans über einer schwarzen Strumpfhose. Mit ausgebreiteten Armen singt sie irgendetwas und tanzt dazu selbstvergessen. Entweder hatte sie richtig gute oder richtig schlechte Drogen genommen.
Ob sie wohl glücklich ist in diesem Moment? Ich hoffe es für sie. Denn wenn du an einem Mittwochabend im Kleinen Tiergarten singst und tanzst, ist dein Leben ansonsten wahrscheinlich nicht gerade unproblematisch und sorgenfrei.
25. Februar 2021, Berlin
Die Tochter muss heute zur Schule. Das erste Mal seit ungefähr zehn Wochen. Für die Abi-Vorbereitung ist das natürlich nicht schlecht, und die Freundinnen mal wieder in echt zu sehen, ist bestimmt auch schön. Da nur die Schüler:innen der Zwölften kommen, sollte das mit dem Abstandhalten klappen und Maske müssen auch alle tragen. Trotzdem habe ich, als die Tochter morgens die Wohnung verlässt, das Bild eines Kanarienvogels vor Augen, der in die Kohlemine geschickt wird, um zu sehen, ob es dort sicher ist.
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Ich lese in einem der Kita-Protokolle. Dort wird beschrieben, wie der Sohn gemeinsam mit einem anderen Kind am Tisch sitzt und mit Lego spielt. Die beiden bauen irgendwelche Autos und Flugzeuge. Ihre Unterhaltung besteht daraus, dass sie sich regelmäßig gegenseitig fragen, ob das, was sie da bauen, cool ist. Der andere bejaht das dann immer.
Ich finde das großartig und das sollte es auch im Berufsleben geben. „Ist meine Präsentation cool?” „Ja, die ist cool.” „Und ist meine Tabellen-Kalkulation auch cool?” „Ja, die ist auch cool.” Dann gehen alle zum Chef und fragen, ob sie Dinkelkekse haben dürfen.
26. Februar 2021, Berlin
Bei Rewe sitzt heute die summende Verkäuferin an der Kasse. Sie ist schätzungsweise Anfang 60, trägt eine blondierte Kurzhaarfrisur, hat einen leicht verkniffenen Gesichtsausdruck, ist aber stets sehr freundlich. Während sie die Lebensmittel über den Scanner zieht, summt sie immer. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, ob dieses Summen Ausdruck ihrer Fröhlichkeit ist oder ob sie den Supermarkt-Alltag nur erträgt, wenn sie sich mantramäßig in einen Zen-artigen Zustand summt.
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Den Kita-Beobachtungsprotokollen der Tochter entnehme ich, dass sie in ihrer vierjährigen Kita-Laufbahn anscheinend sehr häufig Vater, Mutter, Kind gespielt hat. Der gespielte Familienalltag ist eher ereignisarm. Es wird häufig gegessen, oft geschlafen und ab und an Auto gefahren. Die Tochter tut sich meistens als eine Art Regisseurin hervor, die den anderen sagt, was sie „im Spiel” zu tun und zu lassen haben. Die späteren Arbeitskollegin:nen der Tochter werden sicherlich sehr viel Freude mit ihr haben.
27. Februar 2021, Berlin
Meine Eltern haben mir einen Umschlag mit diversen Zeitungs- und Zeitschriftenartikel geschickt. Wie es sich für gute Eltern gehört, tun sie das regelmäßig. (Falls Sie nie Zeitungsausschnitte aus der alten Heimat geschickt bekommen, sollten Sie sich mal Gedanken über das Verhältnis zu Ihren Eltern machen!)
In einer Brigitte-Kolumne steht etwas über eine Home-Office-Spielset für Dreijährige von Fisher Price. Das gibt es wirklich. Es besteht aus einem Plastik-Laptop, einem Handy, einem Headset und einem Coffee-to-go-Becher. Letzteres wirft die Frage auf, ob die Spielzeugentwickler von Fisher Price das Konzept Home Office nicht ganz verstanden haben.
Ein Home-Office-Spielsetz scheint mir das unsinnigste Spielzeug zu sein, seit dem Spielzeugstaubsauger von Vileda, für den es extra Styropor-Kügelchen zum Aufsaugen gibt. Als bräuchten Familien mit kleinen Kindern Spiel-Schmutz zum Wegsaugen.
Lebensnäher scheint mir das Fake-Home-Office-Spielzeug-Set zu sein, das ich bei meiner Recherche finde. Bei dem sind eine weinende Babypuppe und halbleere Weinflaschen im Lieferumfang inbegriffen.
28. 02.2021, Berlin
In Australien wurde ein Schaf entdeckt, das jahrelang alleine durch die Wildnis gestreunert ist. Gesundheitlich ging es ihm einigermaßen gut, lediglich ein wenig unterernährt ist es. Weil es einen unfassbaren Wollpelz trug, fiel das aber erstmal gar nicht auf. Die Wolle, die ihm abrasiert wurde, wog mehr als 35 Kilo. Das entspricht gefühlt ungefähr dem , was ich gerade auf dem Kopf trage.
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Ich verbringe den Sonntagnachmittag damit, mir weiter die Kita-Unterlagen der Kinder anzuschauen. Beim Sohn steht, als er knapp fünf war, bei der Frage, was er schon kann, „Einen Menschen malen.” Die daneben gemalte Figur lässt aber leichte Zweifel aufkommen, ob diese Selbsteinschätzung wirklich zutreffend ist. Zumindest nach objektiven Maßstäben. In den subjektiven Elternaugen ist sein Talent für abstrakte Malerei dagegen unverkennbar.
Konkrete Pläne, was die Partnerinnen-Wahl angeht, hatte er auch schon.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Herrlich! Das Spielset mit der Weinflasche muss ich haben. Wichtigste Erkenntnis allerdings: ich bin nicht die einzige, die von ihren Eltern regelmäßig Zeitungsausschnitte geschickt bekommt?? Ich wusste das nicht! Habe ich zu wenig Freunde oder bin ich einfach zu neu bei Twitter?