Begegnungen im Laufe des Tages:
- Ein gebürtiger Rumäne im Piraten-Kostüm erzählt mir, er habe fünfzehn Jahre bei Springer für BILD und Welt geschrieben und das sei bis heute sein Traumjob. Er ist trotzdem ganz nett. Inzwischen sei er am Robert-Koch-Institut. Leider nicht als Molekularbiologe, was ich spektakulär gefunden hätte, sondern in der Öffentlichkeitsarbeit.
- Ein junger Mann hat sich als Friedrich Merz verkleidet. Mit grauem Anzug, Krawatte, dunkler Brille und dem charakteristischen Haarsträußchen auf der hohen Stirn. Ich erkläre ihm, er solle es nicht persönlich nehmen, aber falls er verdroschen würde, käme ich ihm nicht zur Hilfe. Er hat dafür Verständnis. Er sei selbst überrascht, wie viel Selbsthass er beim Blick in den Spiegel entwickle.
- Ein in Mazedonien geborener Albaner, der in Deutschland lebt, seit er drei ist, bezeichnet sich als eher konservativ und CDU-nah, sei jedoch tolerant gegenüber Menschen mit anderen politischen Einstellungen. Das freut mich für mich. Vielleicht sollte ich ihn mit Friedrich Merz bekannt machen.
- Eine Frau in meinem Alter in undefinierbarem Kostüm redet sehr schnell und sehr viel auf mich ein. Nach der Unterhaltung weiß ich nicht mehr, ob sie früher in Berlin gearbeitet hat und jetzt in Köln lebt oder umgekehrt. Sie erzählt, sie sei im Musikbusiness tätig und wirft dabei mit Musikstilen um sich, von denen ich noch nie gehört habe und mir auch nicht behalte. Außerdem erfahre ich, dass sie gerne an Mopeds schraubt. Und noch viel mehr, an was ich mich nicht erinnere. Möglicherweise bin ich einfach nur von ihrem Lippenstift abgelenkt. Der ist total verschmiert, als hätte sie hardcore geknutscht, was mir ein wenig Angst macht, sie könne mir das ebenfalls anbieten. Anscheinend bemerkt sie meinen irritierten Blick, denn sie erklärt ungefragt, sie habe nicht rumgezüngelt, sondern das sähe seit Anfang an so aus, denn das sei der beste Trick. Worin genau der Trick besteht und was er bewirkt, behält sie allerdings für sich. Da ich nichts zu dem Gespräch beitragen kann, verabschiede ich mich schließlich mit der nicht besonders eleganten, aber sehr wirkungsvollen Exit-Option: „Ich muss mal aufs Klo.“
Bilanz des Tages: 24.473 Schritte gemacht, 20 Kilometer zurückgelegt und 3.106 Kalorien verbrannt.
28. Februar 2025, Köln
Wache um 7 auf und fühle mich verhältnismäßig fit. Bedanke mich bei meinem Vergangenheit-Ich für die vier Cola, die ich zwischendurch getrunken habe.
Schlafe nochmal ein, werde dann um 10 Uhr von den Kindern der Kita, die an mein Zimmer grenzt, geweckt. Die veranstalten einen Wettbewerb, wer am lautesten und schrillsten schreien kann. Auf sehr hohem Niveau und mit sehr viel Ausdauer.
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Abends Treffen im „Anno Pief“, einer urigen Kneipe am Eigelstein. Auf dem Weg dorthin in der Altstadt spielen sich die unschönen Seiten des Karnevals ab. Sehr viele Menschen in SWAT-Uniformen, Haus-des-Geldes-Overalls und-Masken, oder in Tierkostümen aus billigen Materialien, die bei mir schon beim Anschauen zu Hautausschlag führen.
Die meisten der Feiernden sind betrunken, aber nicht auf eine gesellige Art, sondern latent aggressiv. Aus einigen der Locations dröhnt Schlagermusik oder Techno. Was an Karneval ein No-go ist. Ich gehe ja auch nicht ins Berghain und wünsche mir beim DJ „Trink noch eene mit“.
Begegnungen im „Anno Pief“:
- Eine Frau mit regenbogenfarbener Perücke, der ich als „Christian aus Berlin“ vorgestellt werde, sagt daraufhin, eben sei schon jemand aus Rostock da gewesen. Eine Aussage, die kommunikativ nur bedingt anschlussfähig ist, denn Berlin und Rostock liegen von Köln aus gesehen zwar im Osten, haben aber sonst nicht viel gemeinsam. Stattdessen denke ich darüber nach, ob die Perücke wohl so leicht entflammbar ist, wie sie aussieht. Behalte das aber für mich, denn eine solche Äußerung könnte leicht als aggressiver Akt missverstanden werden.
- Ein Mittvierziger im Zeitungsjungen-Kostüm nimmt meinen Berliner Wohnsitz zum Anlass mir sehr detailliert, aber dramaturgisch eher spannungsarm, zu erzählen, wer aus seiner Verwandtschaft alles in der Hauptstadt lebt. Mit Vor- und Zunamen, Straße, Hausnummer und was sie aus ihren Fenstern sehen. (Krankenhaus, Blumenladen, Kiosk.) Auch hier weiß ich nicht so recht, was ich zu der Unterhaltung beisteuern soll. Belasse es bei „Kenne ich nicht“, „Da war ich noch nie.“ und „Aha.“
- Sein Kumpel, der ein Karnevalsgardisten-Uniform trägt, fragt mich, ob ich in Berlin häufig zum Fußball ginge. Als ich erkläre, weder für Hertha noch für Union sonderlich viel Sympathie zu hegen, zählt er eine Reihe von Berliner Vereinen aus unteren Amateurligen auf, die mir größtenteils unbekannt sind. Er ist Fußballfan durch und durch. Vorzugsweise geht er in kleine Stadien mit ein paar hundert Fans, wo der Vereinspräsident persönlich am Grill steht und fragwürdige Würste brät und das Bier 1,50 Euro kostet.
- Gespräch mit einem Supermario, der im echten Leben Sozialpädagoge ist und dessen Leidenschaft das Drehen von Filmen ist. Deswegen produziert er mit seinen Jugendlichen Kurzfilme, die in lokalen Programmkinos laufen und auf einem eigenen YouTube-Kanal beworben werden. Er träumt davon, einmal bei einem richtigen Spielfilm mit echten Schauspielern Regie zu führen. Gleichzeitig liebt er seinen Beruf als Sozialarbeiter und freut sich jeden Sonntag, dass er am nächsten Tag arbeiten darf. Was für ein glücklicher Mensch.
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Zurück im Hotel ist es erstmal vorbei mit dem Karnevals-Eskapismus. Weil ich unvorsichtigerweise Spiegel Online öffne und die Berichte über das Treffen von Präsident Selenskyj im Weißen Haus lese und wie ihn Trump und Vance wie zwei Schulhof-Bullys öffentlich drangsaliert und gedemütigt haben.
Ich verstehe mich als friedliebenden Menschen und denke, dass Gewalt zumindest mittel- bis langfristig keine Lösung ist. Trotzdem hoffe ich auf den Tag, an dem ein ausländischer Staatschef Trump vor laufender Kamera eine reinzimmert. Präsident Selenskyj war wahrscheinlich kurz davor. (Was ihm mittel-bis langfristig auch nicht geholfen hätte. Nicht einmal kurzfristig)
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Bilanz des Tages: 15.890 Schritte gemacht, 13 Kilometer zurückgelegt und 2.613 Kalorien verbrannt.
01. März 2025, Köln
Gehe vormittags laufen. Nach meiner etwas einseitigen Ernährung der letzten Tage, die hauptsächlich aus Kölsch, Buletten und belegten Brötchen bestand, erscheint mir etwas sportliche Betätigung keine schlechte Idee zu sein. Mein Körper ist anderer Meinung.
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Ab 16 Uhr wieder Besuch in der Elsa. Heute in meinem traditionellen Wo-ist-Walter-Kostüm. Um die Verkleidung etwas aufzupeppen, habe ich auf Etsy für 15 Euro einen alten Fotoapparat gekauft. Bei einer Frau, die eigentlich einen Shop für esoterischen Hexenbedarf betreibt. Der Fotoapparat scheint aber nicht verwunschen zu sein.
Beim Feiern erweist sich die Kamera als eher unpraktisch. Zum einen ist sie relativ schwer und klobig, zum anderen machst du keinen guten Eindruck, wenn du regelmäßig mit einem riesigen Fotoapparat an der Damentoilette vorbeigehst, wie so ein Spanner, der seinem Hobby frönt.
Janni hat sich als Hausmeister verkleidet. Mit seiner Perücke, der gelb getönten Brille, dem angeklebten Schnurrbart und seinem grauen Arbeitskittel hätte er gute Chancen bei der Wahl zum „Unsexiest Man Alive“. Wahrscheinlich hat seine Frau das Kostüm für ihn ausgesucht.
Etwas skurril ist ein circa 70-jähriger Mann, der unverkleidet gekommen ist. Das ist in einer Karnevals-Kneipe sehr ungewöhnlich. Er trägt einfach Jeans und ein blauweiß kariertes Hemd. In unserer Gruppe wird die Vermutung angestellt, dass er als Düsseldorfer geht.
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Bilanz des Tages: 36.934 Schritte gemacht, 32,2 Kilometer zurückgelegt und 3.521 Kalorien verbrannt.
02. März 2025, Köln/Berlin
Verbringe vor meiner Abreise noch etwas Zeit am Rhein und genieße die Sonne. Bekomme dabei etwas Zug am Rücken und als ich nach anderthalb Stunden aufstehe, durchfährt mich ein stechender Schmerz, so dass ich kaum meinen Koffer heben kann. Nachdem ich drei Tage lang Karneval schadlos überstanden hat, streikt mein Körper wegen eines kleinen Lüftchens. Schönen Dank auch.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)