Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
04. April 2022, Berlin
Meine Frau muss zum Elternabend. Ich habe da meine Schuldigkeit getan, denn ich war für die Elternabende der Tochter zuständig. Mit ihrem Abitur endete meine Elternabend-Karriere. (Obwohl ich in der Grundschule vier Jahre Elternvertreter war, bin ich aber bisher nicht in die Elternabend-Hall-of-Fame aufgenommen worden. Möglicherweise liegt dies an meinem Beitrag „Niemand hat die Absicht, Elternvertreter zu werden“.)
Auf dem Elternabend wird unter anderem die bevorstehende Klassenfahrt besprochen. Die soll nach Heidelberg gehen. Meine Frau erzählt später, sie habe angeregt, die Schüler*innen könnten dort das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, mit dem sie beruflich zu tun hat, besuchen. Ein Vorschlag, der beim Klassenlehrer, der Geschichte unterrichtet, Begeisterung auslöste, beim Sohn dagegen Entsetzen. Also, nicht weil er etwas gegen Sinti und Roma hat, sondern er erklärt, dass sie auf der Klassenfahrt doch Spaß haben wollen. Der Besuch von Begegnungsstätten, Museen und Ausstellungen fällt anscheinend nicht in diese Kategorie.
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Heute ist Laufe-um-Dinge-herum-Tag. Um den zu begehen, muss ich nur ins Zimmer des Sohns gehen. Dort ist 365 Tage im Jahr Laufe-um-Dinge-herum-Tag.
05. April 2022, Berlin
Backe nachmittags Käsekuchen. Nicht für mich, sondern für meine Frau. Die hatte ja letzte Woche Geburtstag und da ist es bei ihr im Büro Usus, Kuchen mitzubringen. Ich backe den Käsekuchen also nicht einmal für meine Frau, sondern für ihre Kolleg*innen, die ich größtenteils gar nicht kenne, und bekomme selbst kein Stück ab.
Wenn es jemals eine selbstlose gute Tat gab, gegen die Pfadfinder*innen, die einer gebrechlichen Dame über die Straße helfen, als selbstsüchtige, nur auf den eigenen Vorteil bedachte Egoist*innen gelten, dann ja wohl diese.
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Die Tochter fährt mit dem Zug von Bonn aus zurück nach Stockholm. Zumindest versucht sie es. Sie kommt aber nur bis Hamburg, wo sie ihren Anschlusszug nach Kopenhagen verpasst. Obwohl sie 90 Minuten Zeit zum Umsteigen hatte. Deswegen hat sie auch keine Chance, dort ihren nächsten gebuchten Zug nach Stockholm zu erreichen.
Bei den vorgeschlagenen Alternativverbindungen müsste sie mitten in der Nacht in irgendwelchen gottverlassenen Orten stundenlang auf irgendwelchen gottverlassenen Bahnhöfen warten. Du musst keine überängstlichen Helikoptereltern sein, um das für dein Kind als nicht wünschenswert zu erachten.
Glücklicherweise kann die Tochter in Hamburg beim Bruder meiner Frau und seiner Familie übernachten. Morgen muss sie dann hoffen, dass die Bahn besser performt. (Da die Züge von der dänischen und der schwedischen Bahn betrieben werden, stehen die Chancen ganz gut.)
06. April 2022, Berlin
Ich habe mich von meinem Bonner Freund influencen lassen, mir zur Vorbereitung unseres gemeinsamen Marathons – so wie er – Das große Laufbuch von Herbert Steffny zuzulegen. Herbert Steffny ist einer der erfolgreichsten deutschen Langstreckenläufer und hat 1986 bei der Leichtathletik-EM in Stuttgart die Bronzemedaille im Marathon gewonnen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich damals das Rennen im Fernsehen verfolgte, und fühle mich deswegen in gewisser Weise mit Herbert Steffny verbunden. Wenn du vom Sofa aus jemandem über zwei Stunden zuschaust, wie er sich mehr als 40 Kilometer bei großer Hitze mit anderen ausgemergelten Männern auf der Straße duelliert, dann schweißt das zusammen. Da haben wir die Medaille quasi gemeinsam gewonnen. (Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Herbert Steffny das genauso sieht.)
Herbert Steffny besticht durch eine sehr hohe Fachkompetenz, eine Frisur, die in den 70er/80er Jahren in war und die er nie modernisiert hat, und eine Webseite, die aussieht, als sei sie in den späten 90ern aufgesetzt und seitdem auch nie modernisiert worden. Auf dieser Webseite beantwortet Herbert Steffny hin und wieder Leser*innen-Fragen. Übermäßig viel Spaß scheint ihm das allerdings nicht zu machen. Meistens verweist er genervt darauf, dass das eigentlich in seinem Buch steht und versteckt seine Ratschläge nicht hinter kuschelpädagogischer Rücksichtnahme.
„Mit dem in den trainingstheoretischen Kapiteln erworbenen Know-How könnte jeder mitdenkende Laie diesen Übergang [zur Marathonvorbereitung] planen!“
Übersetzt heißt das so viel wie: „Wenn du Trottel mein Buch gelesen und verstanden hättest, könntest du dir deine bescheuerte Frage selbst beantworten, anstatt mich damit zu belästigen.“
Das mögen manche Menschen als harsch empfinden, aber Katarina Witt wurde ja auch nicht die erfolgreichste Eiskunstläuferin ihrer Zeit, weil ihre Trainerin andauernd mit ihr geschmust hat. Daher gehe ich davon aus, dass mich Das große Laufbuch vielleicht nicht zum besten Langstreckenläufer meiner Zeit macht, mich aber gut auf den Marathon in Köln vorbereiten wird.
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Die Zugreise der Tochter verläuft heute problemlos. Im Zug nach Kopenhagen fährt in ihrem Waggon das London Symphonic Orchestra mit. Ich hatte auch mal prominente Mitreisende: die Mannschaft des SC Freiburg. Das war 1995, als ich meinen Zivildienst in Freiburg machte und freitags nach Hause Richtung Westerwald fuhr. Der SC Freiburg reiste damals mit dem ICE zu seinem Auswärtsspiel und brachte mir damit meine fünfzehn Minuten Mitreisenden-Ruhm ein.
Vor zwei, drei Jahren ist mal der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler mit seiner Frau im selben Zug wie wir gefahren. Der ist zugegebenermaßen noch etwas prominenter als die Mannschaft des SC Freiburgs. Im Gegensatz zu uns saß er allerdings in der 1. Klasse. Das fand ich nur halb so interessant wie mit 19, mir mit ein paar Profi-Fußballern den Waggon zu teilen.
07. April 2022, Berlin
Der Sohn erzählt nachmittags, sie hätten fast ihre Mathearbeit wiederholen müssen. (In der Lebenswelt von Zehntklässler*innen eine absolute Vollkatastrophe von apokalyptischem Ausmaß.) Der Referendarin, bei der sie die Arbeit geschrieben haben, sei beim Korrigieren aufgefallen, dass wohl sehr viel abgeschrieben wurde. Sie beklagte sich bei den Schüler*innen, diese hätten ausgenutzt, dass sie das Klassenzimmer während der Arbeit kurz verlassen musste. Der Sohn meint, das würde aber nicht stimmen. Sie hätten auch voneinander abgeschrieben, als sie im Raum war.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Sollten die Schuhe tatsächlich 10 Jahre auf dem Buckel haben, und solltest du der Meinung sein, ” die fühlen sich aber härter an als die alten” dann nicht wundern. Denn dann ist wahrscheinlich das Gummi ordentlich ausgehärtet.
Lieben Gruß
Andi