Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
25. April 2022, Berlin
Heute Morgen herrscht bei uns eine außerordentlich gute Stimmung. Fast schon beschwingt und frohgemut. Das ist ziemlich bemerkenswert, denn es ist nicht nur Montag und früh, sondern meine Frau und ich müssen nach unserer Woche Corona-Isolation und der deswegen ausgefallenen Stockholm-Reise, wieder arbeiten.
Den Sohn trifft es noch härter: Nach zwei Wochen Ferien hat er heute den ersten Schultag. Aus der Sicht eines Fünfzehnjährigen kommt das der Apokalypse gleich. Vor allem, wenn du eine deiner Ferienwochen in Isolation verbringen musstest. Damit die erste Schulwoche noch unerträglicher wird, muss er zwei Arbeiten schreiben und bekommt zwei zurück. In Mathe und in Griechisch. Zwei Fächer, bei denen eher nicht davon auszugehen ist, dass er eine Auszeichnung für die beste jemals an der Schule geschriebene Arbeit erhält. Von daher sollten wir alle die gute Stimmung genießen, so lange sie anhält.
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Nachmittags erhalte ich eine Linkedin-Kontaktanfrage. Von einem englischen Schneider, der für seine Kunden Maßanzüge anfertigt. Er würde mal gerne bei mir vorbeikommen, um sich vorzustellen. Interessanterweise bekomme ich immer mal wieder solche Anfragen, manchmal auch telefonisch aus einem Call-Center.
Ich glaube, dass das ein Scam ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen besonders lukrativen Markt für Maßanzüge gibt. Also, einige sehr begüterte und kaufwillige Kunden gibt es wahrscheinlich schon, aber die erreichst du wohl eher nicht über Linkedin oder mit telefonischer Kaltakquise. Zumindest wäre ich so versnobt, dass ich, wenn ich mir einen maßgeschneiderten Anzug kaufen wollte, mir diesen nicht am Telefon aufschwatzen lassen möchte.
Vielleicht tue ich dem guten Mann aber auch Unrecht und er ist wirklich ein Maßschneider. Ich möchte nicht ausschließen, dass sich mein nachlässiger Kleidungsstil weltweit rumgesprochen wird und ich daher in der englischen Schneider-Innung als vielversprechender potenzieller Kunde gelte.
26. April 2022, Berlin
Nach meiner überstandenen Corona-Infektion möchte ich lieber noch nicht wieder mit dem Laufen anfangen und gehe stattdessen morgens ein Stündchen spazieren. Eigentlich ein ganz schöner Ausblick auf mein Rentnerleben in 30 Jahren. Oder 35 Jahren.
Heute führt mich mein Weg in eine Straße, in der ich noch nie war und ich entdecke dort ein Fachgeschäft für Waagen. Das Schaufenster sieht fast wie ein Waagen-Museum aus. Links stehen alte Waagen, wie es sie früher zum Beispiel beim Metzger gab. Mit einer tachoartigen Anzeige, bei der ein großer roter Zeiger das Gewicht anzeigt. Auf der rechten Seite sind hochmoderne Hightech-Waagen ausgestellt, die das Gewicht bis aufs Nano-Gramm digital ausweisen. Sicherlich ein beliebtes Modell zum Abpacken von Drogen.
Irgendwie interessant, dass es ein Geschäft für einen Alltagsgegenstand gibt, der dir regelmäßig im Alltag begegnet, bei dem du dir aber nie Gedanken machst, wie er hergestellt und vertrieben wird. Das erinnert mich, wie ich in einem Praktikum für eine Presseschau ein Fachmagazin für Kehrmaschinen auswerten musste. Das war eine richtige Zeitschrift mit Leitartikel, Reportagen, vielen Produktvorstellungen und einer Glosse auf der letzten Seite. Sie erschien sogar mehrmals im Jahr und hatte eine Auflage von immerhin 3.000 Exemplaren. Das heißt, wer auch immer dieses Magazin produziert hat, muss davon überzeugt gewesen sein, dass es mindestens 3.000 Menschen gibt, die sich für Kehrmaschinen interessieren. Vielleicht gibt es dafür eine ganz eigene Community. Ob es da wohl Überschneidungen mit Waagen-Enthusiasten gibt?
27. April 2022, Berlin
Auf meinem heutigen Morgenspaziergang sehe ich ein Firmenschild mit der Aufschrift „Casa Nostra – Mietschuldnerberatung“. Genau mein Humor, eine Beratungsstelle für Menschen, die ihre Miete nicht bezahlen können, einen Namen zu geben, der sich wie die sizilianische Mafia anhört. Möglicherweise ist das eine Dienstleistung von zwielichtigen Immobilienhaien, die verschuldeten Mieter die Finger brechen, verbunden mit dem Hinweis, ihre Mietschulden gefälligst zu begleichen. Vielleicht sollte ich das mit dem Denken am frühen Morgen aber auch einfach sein lassen.
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Die Tochter hat heute eine Linguistik-Klausur geschrieben. Als Rabenvater, der ich bin, habe ich vergessen, ihr in der Frühe viel Erfolg zu wünschen. Tatsächlich bin ich sogar so ein rabiger Rabenvater, dass mir vollkommen entfallen ist, dass sie überhaupt eine Arbeit anstand.
Das ist besonders misslich, weil meine Frau selbstverständlich daran gedacht hat, der Tochter vorher zu schreiben. Da muss ich mich dann nicht wundern, wenn die Tochter mich später in ein fensterlos es Zimmer in einem heruntergekommenen Siechenheim abschieben wird, während sie meine Frau in einer großzügigen Appartement-Anlage an der Côte d’Azur residieren lässt.
28. April 2022, Berlin
Heute früh spaziere ich durch die Straße, in der wir vor mehr als zehn Jahren gewohnt haben. Seit wir weggezogen sind, hat der örtliche Einzelhandel dort nicht gerade einen Aufschwung erlebt. Ungefähr jedes dritte Ladengeschäft steht leer, bei vielen klebt noch das rot leuchtende Neueröffnung-Schild im Schaufenster.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite unserer alten Wohnung gibt es aber ein neues Geschäft. Die DJ Akademie. Eine Ausbildungsstätte fürs DJs? Ich frage mich, was da unterrichtet wird? „Scratching für Fortgeschrittene“, „Welche Songs passen zu welchen Drogen“ oder „Wie du am besten die Songwünsche deiner Gäste ignorierst“?
Andererseits ist eine DJ Akademie gar keine so schlechte Idee. Ich habe schon den ein oder anderen DJ erlebt, bei dem es wünschenswert gewesen wäre, er hätte irgendeine Art von Ausbildung im Plattenauflegen erfahren. Zum Beispiel war ich mal auf einer Hochzeit, auf der der DJ laut eigener Aussage das Konzept verfolgte, immer mal wieder ein nicht so tolles Lied einzustreuen, damit sich die Leute ausruhen können. Das war aber gar nicht nötig, weil er auch sonst kaum Songs auflegte, bei denen die Hochzeitsgäste bis zur Erschöpfung getanzt hätten. Ich glaube, der Typ wäre in der DJ Akademie durchgefallen.
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Der Sohn hat heute seine beiden Arbeiten zurückbekommen und sie stellen ihn vor das bei Schüler*innen allseits bekannte Problem, ob sie erst die gute oder die schlechte Nachricht überbringen sollen. Er entscheidet sich für letzteres. In Griechisch hat er – nicht unerwartet – eine 4, wobei er das Framing „er hätte eine nicht soooo tolle Note bekommen“, was impliziert eine 4 sei im Grunde schon eine gute Note, aber auch nicht supertoll. (Vielleicht steigt er später ja auch ins PR-Business ein.) In Mathe kann er dagegen – und das ist sehr unerwartet – eine 2 verkünden, was das letzte Mal in der Grundschule passiert ist.
Damit ist der Sohn bei der Notenüberbringung auf jeden Fall klüger, als ich in seinem Alter war. Ich hielt es damals für schlau, meinen Eltern nur von meinen guten Zensuren zu erzählen und sie mit den nicht so guten, nicht zu behelligen. Eine Strategie, die spätestens bei der Ausgabe meines Zeugnisses Schwächen aufwies, das doch erheblich mittelmäßiger ausfielen, als meine verkündeten Noten vermuten ließen.
Weiter zu Teil 2 (mit Verlosung des neuen Buchs von Marlene Hellene)
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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