Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
27. Mai 2024, Berlin
Interessante Mail im Spam-Ordner: ein Liebeszauber-Angebot. Mit diesem kannst du eine Person, die du heimlich begehrst, besessen von dir machen.
Das Vorgehen ist denkbar einfach: Termin ausmachen, Informationen zu der begehrten Person bereitstellen (Name, Geburtsdatum, Foto (auch verpixelt möglich), was alles datenschutzrechtlich etwas bedenklich ist), dann wird der Liebeszauber ausgesprochen und zum Schluss gibt es eine Bestätigungsmail. Letzteres klingt mehr nach deutscher Bürokratie als nach magischer Amore, ist aber von größter Wichtigkeit. Die Nachricht enthält eine Nummer, die du benötigst, falls du den Liebes-Zauber wieder aufheben lassen willst, weil dir die vormals angebetete und nun liebesverzauberte Person inzwischen so richtig auf den Zeiger geht.
Ach ja, bezahlen musst du das Ganze natürlich auch. Das ist zurzeit aber ein richtiger Schnapper. Mit dem exklusiven Sama-Drishti-Discount, bezahlst du statt 230 Euro nur 30 Euro. Eine Ersparnis von 87 Prozent. Wer da nicht zuschlägt, ist selbst schuld.
Oder man gesteht dem auserwählten Menschen einfach so seine Zuneigung, ohne auf irgendwelchen Hokuspokus zurückzugreifen. Das ist noch billiger.
28. Mai 2024, Berlin
Großer Aufruhr in unserer Straße. In der Ferne schreien sich Menschen an. Um meinen Pflichten als Fensterrentner nachzukommen, trete ich auf den Balkon, um in Erfahrung zu bringen, was da los ist.
Circa 50 Meter entfernt steht auf dem Bürgersteig ein bulliger, untersetzter Mann mit Wodkaflasche in der Hand und in gebührendem Abstand zu ihm eine Gruppe Polizisten. Einer von ihnen fordert den Typ auf, die Flasche abzustellen. Man wolle sich in Ruhe unterhalten. Der Mann hält weder vom Flascheabstellen noch vom Unterhalten etwas und geht gemächlich die Straße hinunter, die Beamten folgen ihm. Die polizeilichen Ansagen werden energischer, der Mann weigert sich lautstark, zusätzliche Cops erscheinen.
Inzwischen ist die kleine Prozession vor unserem Haus angekommen, die Stimmung heizt sich weiter auf. Vier der der Polizisten haben mittlerweile ihre Pistolen gezückt, der Mann brüllt: „Dann schießt doch. Oder denkt ihr, ich habe Angst?“
Ich habe auf jeden Fall welche und verlasse den Balkon. So groß ist meine Neugier doch nicht, dass ich einen Querschläger riskieren möchte, weil sich jemand partout nicht von seinem Alkoholvorrat trennen will.
Einer der Ordnungshüter beruhigt die Situation irgendwie und überzeugt den Mann, sich widerstandslos festnehmen zu lassen. Er steht dann noch eine halbe Stunde mit Handschellen fixiert und von vier Polizisten bewacht vor unserer Haustür, bis ein Mannschaftswagen kommt und ihn mitnimmt.
Ich bin vollkommen erschöpft. Mental, aber auch körperlich. Als wäre ich selbst in den Einsatz involviert gewesen. So viel Action habe ich das letzte Mal vor fast 25 Jahren erlebt. Damals lebten wir in Schöneberg, in unserer Nachbarschaft wurden Aufnahmen für „Emil und die Detektive“ gedreht und dazu jagte eine Meute Kinder Jürgen Vogel alias Herr Grundeis durch die Straße. Allerdings ohne Androhung von Waffengewalt.
29. Mai 2024, Berlin
Heute ist Lerne-wie-kompostieren-geht-Tag. Der 29. Mai ist in meinen Augen kein gut gewähltes Datum. Besser wäre der letzte Tag der Sommerferien, wenn Eltern in ganz Deutschland in den Ranzen ihrer Kinder die Brotdosen entdecken, die sechs Wochen lang vor sich hingammelten und in denen neue Lebensformen herangewachsen sind.
###
C., der irische Freund der Tochter, ist kaum eine Woche da, schon hat er ein Vorstellungsgespräch. Er ist also kein fauler Ausländer, der dem deutschen Staat auf der Tasche liegt, sondern nimmt den Deutschen die Arbeitsplätze weg.
Es geht um einen Job in einem Irish Pub. C. hat zwar noch nie gekellnert, aber aufgrund seiner Herkunft ist er in der Lage, sich mit dem irischen Paar, das den Pub betreibt, zu verständigen.
Dass sich C. so schnell um einen Job bemüht, erfüllt mich mit einem merkwürdigen Gefühl der Genugtuung, das ich nicht so recht einordnen kann. Der protestantische Arbeitsethiker in mir findet anscheinend gut, dass der Freund meiner Tochter strebsam und fleißig ist. Was ist das für eine merkwürdige Mischung aus „Schaffe, schaffe, Häusle baue“-Attitüde und 50er-Jahre-Patriarch-Gebaren? Was kommt als nächstes? Frage ich ihn nach seinen Zukunftsplänen und welche Absichten er mit der Tochter hegt? Schlimm.
Das vermeintliche Job-Interview dauert circa eine Minute. Er soll Samstag zum Probearbeiten wiederkommen.
30. Mai 2024, Berlin
Jährlicher Besuch beim Urologen. Die Prostata weist eine normal große Größe auf, mein rechter Hoden und die Zyste, die sich dort angedockt hat, leben auch weiterhin in friedlicher Koexistenz. Alles bestens also.
Trotzdem sage ich dem Arzt, dass ich mit dem Gedanken spiele, die Zyste entfernen zu lassen. Er schaut mich an, als sei das das Dümmste, was er jemals gehört habe. Als ich auch noch wissen will, wie das von statten geht, scheint er ob dieser idiotischen Frage sichtlich um Fassung bemüht.
„Na, da wird der Hodensack aufgeschnitten, die Spermatozele abgetrennt und dann wird das wieder zugenäht.“ Er bemüht sich kaum, sein Kopfschütteln zu unterdrücken. Zum Glück weiß er nicht, dass ich dachte, die Zyste wird ambulant punktiert, die Flüssigkeit darin abgelassen und anschließend gehe ich wieder nach Hause.
„Das ist ein heftiger Eingriff. Den macht man nicht, wenn es nicht unbedingt nötig ist“, erklärt er noch. „Aber das ist natürlich Ihre Entscheidung.“ Seiner Stimme entnehme ich, dass er große Zweifel hat, dass ich in der Lage bin, diesbezüglich ein vernünftiges Urteil zu fällen.
Ich entscheide mich, mich nicht zu entscheiden, sondern vorerst darüber nachzudenken.
Wen auch immer es betrifft: Gehen Sie regelmäßig zur Hoden- und Prostatakrebsvorsorge. Die Untersuchung tut nicht weh und kann Leben retten. Ihr eigenes.
Alle Beiträge der Wochenschau finden Sie hier.
Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)