Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
13. Mai 2024, Berlin
Heute Theaterbesuch. Im Berliner Ensemble. „Die Dreigroschenoper“. Die zählt zu meinen – vielen – Bildungslücken. Ich habe sie noch nie gesehen und auch versäumt vorab eine Zusammenfassung zu lesen, um zu wissen, um was es geht. Lediglich der Name Mackie Messer ist mir geläufig.
Von Brecht habe ich bisher „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Der kaukasische Kreidekreis“ angeschaut. Das hilft mir aber bei dem Dreigroschenoper-Inhalt nicht weiter. Brecht ist ja nicht wie Dan Brown, wo du nur ein Buch lesen musst, um alle zu kennen. (Rätsel, katholische Kirche, Verschwörung)
Die Aufführung im Berliner Ensemble hinterlässt einen bleibenden Eindruck bei mir. Auf dem gesamten Heimweg habe ich das Lied von Mackie Messer im Kopf. Auch noch nachts, als ich aufwache und aufs Klo muss.
14. Mai 2024, Berlin
Meine Frau ist wieder auf Dienstreise. In Brüssel, was einen deutlich höheren Glamour-Faktor als das sächsische Schleife hat. Wobei ich die langweiligsten Meetings meines Berufslebens in der belgischen Hauptstadt hatte. Das lag aber nicht an Brüssel, sondern an meinen Gesprächspartnern.
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LinkedIn schickt mir eine Mail mit Jobvorschlägen:
- Aushilfe als Minijob bei H&M
- Sortiermitarbeiter bei Amazon
15. Mai 2024, Berlin
Der Sohn bringt unaufgefordert den Müll runter. Was ist da los? Geht es ihm nicht gut? Will er einen Taschengeldvorschuss? Drückt er sich vor der Abi-Lernerei? Oder ist es ein Zeichen von Erwachsenwerden?
Später stelle ich fest, dass er den vollen Müllbeutel lediglich an die Wohnungstür gestellt hat. Dort bleibt er die nächsten Tage stehen. Ein Glück. Der Sohn ist doch gesund.
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Komme auf dem Weg zum Supermarkt an der Kneipe „Zum gemütlichen Laternchen“ vorbei. Die Fassade ist von Autoabgasen grau verfärbt, der Preisaushang im Schaukasten ausgeblichen und die Gardinen im Fenster vom jahrzehntelangen Tabakqualm vergilbt. Wie sieht wohl das „Ungemütliche Laternchen“ aus?
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Top-Angebot bei Penny: Maxipackung mit 120 Kaffee-Pads von Feinkost Käfer. Ich schlage zu. Das sollte die nächsten drei Tage reichen.
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Neue Stellenangebote von LinkedIn:
- Mitarbeiter Warenverräumung bei REWE
- Mitarbeiter Gastronomie bei IKEA
16. Mai 2024, Berlin
Vor mir geht eine junge Frau. Aus ihrem rückenfreien Top schaut der BH hervor und daraus wiederum das Etikett. Das macht mich nervös. Ich muss all meine Selbstbeherrschung aufbringen, den Zettel nicht in den BH zu stecken. Das ist auch besser. Eine Anfang Zwanzigjährige fasst es nämlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht als nette Geste der Hilfsbereitschaft auf, wenn ein bärtiger Endvierziger von hinten an ihrem BH rumfummelt.
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LinkedIn bleibt am Ball: Welcome Angel im Marriott International.
17. Mai 2024, Berlin
Vor ein paar Wochen habe ich der Tochter bei einem Präsentationsposter geholfen. Zum Vertrag von Sèvres. (Das ist der unbekanntere Bruder des Versailler Vertrags und beendete 1920 den Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und den alliierten Mächten.)
Die Dozentin hat das Poster mit 75 Prozent bewertet. Für ein „exceptional poster“ zu einem „very complex topic“. Ich bin zufrieden. Hoffentlich kann ich die erworbenen Credits später im Seniorenstudium anrechnen lassen.
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Meine tägliche LinkedIn-Job-Mail: Studentische Aushilfe bei Nike.
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Spotify schlägt mir die Playlist „Mozart für Babys“ vor. Wissen die etwas, das ich nicht weiß?
18. Mai 2024, Berlin
LinkedIn ruht auch am Wochenende nicht:
- Mitarbeiter Warenverräumung bei LIDL
- Aushilfsverkäufer bei Christian Dior
Ich hallte mich ja für die ganzen vorgeschlagenen Stellen für leicht überqualifiziert. LinkedIn ist dagegen der Ansicht, ich sei für meine aktuelle Tätigkeit stark unterqualifiziert.
Damit der Algorithmus lernt, was ich eigentlich mache, sollte ich vielleicht häufiger die Plattform besuchen. Oder noch besser: Mich abmelden.
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Showdown vor unserem Haus. Ein Reisebus und ein Mercedes stehen sich gegenüber. Die Straße ist zu eng, dass die Fahrzeuge aneinander vorbeifahren. Keiner der Fahrer macht Anstalten zurückzuweichen.
Ich beobachte das Schauspiel vom Balkon aus. Vielleicht denken Sie jetzt, ich habe zu viel Zeit. Als kreativ arbeitender Mensch, beziehungsweise als Mensch, der versucht, kreativ zu arbeiten, ist es aber wichtig, häufiger mal Input von außen zu bekommen. Daher zählt es quasi zu meiner Arbeitszeit, regelmäßig auf dem Balkon zu stehen und mir einen Überblick zu verschaffen, was in der Nachbarschaft passiert.
Hinter dem Bus stauen sich inzwischen die Autos. Eine Frau bittet den Mercedesfahrer zurückzusetzen, damit alle weiterfahren können. Der Mann steigt halb aus seinem Wagen und brüllt in beeindruckenden Lautstärke Richtung Bus: „DU HAST MICH DOCH GESEHEN! WARUM FÄHRST DU DANN IN DIE STRAßE, DU EHRENLOSER HURENSOHN? GEHÖRT DIE STRAßE DEINEM VATER, DASS DU DA TROTZDEM EINFACH REINFÄHRST?“
Ich weiß nicht, ob der Busfahrer den Mercedes gesehen hat und warum er in die Straße gefahren ist. Ich glaube aber nicht, weil sie seinem Vater gehört.
Der Busfahrer reagiert nicht. Ein anderer Autofahrer geht zu dem Mercedes-Mann und versichert ihm, er sei im Recht, aber möge bitte Größe zeigen und dennoch zurückfahren. Das macht dieser schließlich, wobei er wild gestikuliert und wahrscheinlich noch wilder flucht. Dann ist es in der Straße wieder ruhig und ich muss zurück an den Schreibtisch.
19. Mai 2024, Berlin
Spam-Kommentar auf dem Blog. „Wir arbeiten direkt mit Regierungsvertretern zusammen, um einen schnellen und sicheren Prozess zum Erwerb ihres Führerscheins zu gewährleisten.“ Mehr Informationen gäbe es unter legalerfuhrerschein.com.
Mir scheint die URL etwas irreführend zu sein. Wenn jemand so plakativ betont, dass etwas legal ist, dann ist es das sehr wahrscheinlich nicht.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
super!!!
sehr schön und humorvoll. bleib so!!