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Fahren in Kiel mit dem Bus vom Bahnhof nach Ellerbek, wo die Tochter und C. wohnen. Auf einem Vierer-Platz sitzt ein Typ mit seinem monströs großen Pitbull. Der Hund ist aber harmlos. Er liegt auf dem Boden und döst vor sich hin. Hund müsste man sein. Dann steht er auf und leckt ausgiebig sein Po-Loch. Vielleicht ist es doch besser, kein Hund zu sein.
Städtebaulich bin ich noch nicht ganz von Kiel überzeugt. Sehr viel Häuser aus rotem Backstein oder mit verklinkerten Wänden, was ja erstmal ganz nett aussieht. Aber auch sehr viel 70er/80er-Architektur, was wiederum von begrenzter Ästhetik ist.
Kommen an einem Spielcasino vorbei mit dem Namen „World of Winners“. Das wohl irreführendste Werbeversprechen seit versucht wurde, uns weiszumachen, Fruchtzwerge seien so wertvoll wie ein kleines Steak.
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14 Uhr, Besuch bei Ikea. Außer uns sind viele Familien mit kleinen Kindern da. Bei denen sind Geduld und Frustrationstoleranz nur noch begrenzt vorhanden. Ein Klangteppich aus Brüllen, Schreien und Kreischen wabert durch das Möbelhaus. Ich denke, so ein Nachmittag bei Ikea ist ein sehr effektives Verhütungsmittel, und rechne nicht damit, dass wir in nächster Zeit Großeltern werden.
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Check-in im Hotel. Die Lobby ist sehr hip eingerichtet. Mit Billiardtisch, Schaukel, Lounge-Sesseln, Popcorn-Maschine, Foto-Box und viel rustikalem Holz, das Craftsmanship suggerieren soll. Ich überlege, ob sich die anderen Gäste fragen, wie sich die zwei Alten hierher verirrt haben. Glücklicherweise erscheint in diesem Moment ein amerikanisches Seniorenpaar an der Rezeption, beide 70 aufwärts. Somit können wir uns doch jung fühlen.
03. August 2024, Kiel/Berlin
Wache morgens ohne jegliches Zeitgefühl auf. Der Helligkeit nach zu urteilen, ist zwischen sechs und zehn ist alles möglich. Körperlich fühlt es sich nach fünf an.
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Starten den Tag mit dem reichhaltigen Hotel-Frühstücksbuffet. Mit verschiedenen Müsli- und Cornflakes-Sorten, Milchreis, Obst und Gemüse, gebratenem Frühstücksspeck, Eiern in unterschiedlichen Aggregatszuständen, veganem und unveganem Belag, Marmelade, Honig und Schokocreme, Brötchen, Laugenstangen, Brot und Zimtschnecken.
Neben der Kaffeemaschine steht ein Waffle-Maker, der aber so kompliziert aussieht, dass ich mich nicht traue, ihn zu benutzen. Ein circa 10-jähriger Junge ist furchtloser und füllt in das Gerät so lange Teig, bis er überläuft, sich auf der Tischplatte ausbreitet und schließlich langsam auf den Boden plätschert. Meine Entscheidung, den Waffle-Maker zu meiden, war also richtig. Sonst stünde ich jetzt wie der Junge da. Mir wäre das sehr unangenehm, der Knabe ist dagegen recht unbekümmert und lässt sich die Waffel-Vorfreude nicht durch ein bisschen Teig-Chaos vermiesen.
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Abstecher in den Baumarkt. Fühle mich unwohl. Alles ist so groß und unübersichtlich. Außerdem schüchtern mich die anderen Männer ein, wie sie in ihren dicken Arbeitshosen mit den unzähligen Taschen und schwerem Schuhwerk zielstrebig durch die Gänge laufen und vor Regalen stehen bleiben, wo sie mit Kennerblick das Sortiment studieren. Ich weiß bei den meisten Gerätschaften nicht einmal, wofür sie überhaupt gut sind. Die Existenz einer Oberfräse lässt mich vermuten, dass es auch eine Unterfräse gibt. Wahrscheinlich liege ich damit falsch.
Die Dutzenden Grills in jedweder Ausführung (Gas, Elektrisch, Kohle) interessieren mich auch nicht. Die Aquarien-Abteilung ruft wiederum unangenehme Zahnarzt-Assoziationen hervor.
Um so zu tun, als gehöre ich hier hin, kaufe ich ein paar Schrauben, die ich für ein Regalbrett in unserer Küche benötige. (Abends werde ich feststellen, dass ich dafür keinen passenden Schraubenzieher habe.)
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17 Uhr, Rückfahrt nach Berlin. Im Bahnhof spricht mich ein Bettler an, ich erkläre ihm entschuldigend, ich hätte kein Bargeld dabei. Darauf schimpft er, das sei doch alles eine riesige Scheiße. Natürlich hat er damit Recht, aber deswegen kann ich trotzdem keine Euro-Münzen herbeizaubern.
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Im Zug preist der Schaffner die gastronomischen Spezialitäten an. Bratwurst-Baguette mit Starnberger Hellem oder Gemüse-Curry und dazu leckeren Weißwein. Da ist für jeden etwas dabei. Ob die Aktionsmenüs kombinierbar sind und der Weißwein auch zur Bratwurst getrunken werden darf, bleibt unklar.
Das Angebot „Ice Cream für unsere kleinen Lieblingsgäste“ richtet sich aber auf jeden Fall ausschließlich an Kinder unter vierzehn. Ich finde, das ist auch eine riesige Scheiße.
04. August 2024, Berlin
Mein Insta-Algorithmus versorgt mich weiterhin mit Angeboten zur Linderung meiner Fersenschmerzen sowie zur allgemeinen Körperertüchtigung. Ein polnischer Yogi rät mir zu einem 30-Tage-Kurs zur Dehnung meiner verkürzten hinteren Oberschenkelmuskulatur, ein finnischer Physiotherapeut meint dagegen, ich müsse unbedingt meine Hüftnerven entspannen. Zusätzlich schlägt mir Insta Faszienrollen, Stretching für Läufer, Dehn-Apps, Vielsitzer-Kurse, Akkupunktur-Matten, Einlagen, Kinesio-Tape und Massagepistolen vor.
Die Kurse, Produkte und Apps sind nicht nur teuer, sondern auch zeitlich herausfordernd. Sie sollen zwar alle nur 20 oder 30 Minuten am Tag in Anspruch nehmen – manchmal sogar nur zwei –, um gelenkig, entspannt und schmerzfrei zu werden. Wenn ich das aber alles summiere, müsste ich auf eine Halbtagsstelle reduzieren, weil ich mehrere Stunden am Tag mit Stretching, Gymnastik, Massagen und Akkupunktur beschäftigt wäre. Belasse es vorerst bei meinem mehrmaligen, zehnminütigem Dehnprogramm. Vielleicht bestelle ich mir noch den Flex-Buddy.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)