27. September 2023, Berlin
Auf Spiegel Online gibt es ein Interview mit Claus-Henning Schulke, genannt Bottle-Claus. Der 57-Jährige ist seit 30 Jahren ehrenamtlicher Helfer beim Berlin Marathon, seit ein paar Jahren ist er dafür zuständig, Eliud Kipchoge am Streckenrand mit Trinkflaschen zu versorgen. Also das, was meine Frau für A. und mich gemacht hat. (Sie möchte trotzdem nicht Bottle-Tina genannt werden.)
Bottle-Claus wartet an den 13 Verpflegungsstationen auf Kipchoge, reicht ihm seine Flaschen und fährt dann mit dem Rad zur nächsten Übergabe. Das ist herausfordernder, als es sich anhört, denn Kipchoge läuft mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 21km/h. Da musst du dich ganz schön ranhalten, um vor ihm die Station zu erreichen.
Was für eine verantwortungsvolle Aufgabe und nervliche Belastung. Ich würde nicht mit Bottle-Claus tauschen wollen. Stell’ dir vor, du lässt eine Flasche fallen und bist der Trottel, der Kipchoge den Weltrekord versaut hat.
28. September 2023, Berlin
Heute ist sowohl Stelle-eine-dumme-Frage-Tag als auch Internationaler Tag des Rechts auf Wissen. Ich bin noch nicht entschieden, ob sich diese beiden Tage sehr gut ergänzen oder widersprechen.
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Vor Penny steht ein etwa vierjähriges Mädchen mit einem geknoteten Luftballon-Tier in der Hand. Als Kind hatte ich auch mal so einen Ballon-Hund.
Das war 1986 während unseres großen USA-Urlaubs. In San Francisco stand am Fisherman’s Wharf ein Clown, der aus Luftballons Tiere, Figuren und Gegenstände knotete. Ich war damals fast 11 und eigentlich zu alt für einen Ballon-Hund, wollte aber trotzdem einen und meine Eltern erfüllten mir diesen Wunsch. So nah war ich nie wieder einem Haustier.
Meine Enttäuschung war riesengroß, als der Ballon-Hund ein paar Tage später nach und nach die Luft verlor. Rückblickend spricht es nicht für mich, dass ich mit fast 11 dachte, der Ballon-Hund würde mich mein Leben lang begleiten.
29. September 2023, Berlin
Heute ist Tag des Deutschen Butterbrotes. Der wohl deutscheste aller Gedenktage, denn auf nichts sind die Deutschen stolzer als auf ihr Brot.
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Der Sohn schreibt heute seine erste Klausur in diesem Schuljahr. In Philosophie. Über René Descartes. Der ist mir hauptsächlich durch seinen größten Hit „Ich denke, also bin ich” bekannt. Laut dem Sohn ist Descartes wichtigste Regel seiner philosophischen Methode die Skepsis. Du sollst alles in Zweifel ziehen und nichts für wahr halten. Ich bin mir nicht sicher, ob die Schule Teenagern, die ohnehin immer alles besser wissen als ihre Eltern, solche Flausen in den Kopf setzen sollte.
In der Probeklausur mussten sie die Philosophien von Descartes und Francis Bacon miteinander vergleichen. Ich habe keine Ahnung, was Francis Bacons größter Hit ist. Vielleicht hatte er keinen. (Oder ich bin sehr ungebildet, was philosophische Denker*innen angeht.)
Aber wahrscheinlich ist es schwierig, dich im philosophischen Wettstreit um das beste Argument durchzusetzen und Bekanntheit zu erlangen, wenn du mit Nachnamen Schinken heißt. (Immanuel Kant hatte es im englischsprachigen Ausland sicherlich auch nicht leicht.)
30. September 2023, Berlin
In meiner Inbox befindet sich eine Mail von Vanieta Hristova. Ich kenne keine Vanieta Hristova. Der Betreff lautet „2023“, in der Mail steht lediglich „Können wir reden?“
Nun frage ich mich, ob Frau Hristova mit 2023 reden möchte oder mit mir über 2023.
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Amazon zeigt mir an, dass „Hilfe, ich werde Papa“ das am meisten verschenkte Buch in der Kategorie „Schwangerschaft & Mutterschaft“ ist. Das freut mich natürlich. (Und mein Bankkonto ebenso.) Ob die Freude bei den Beschenkten ebenso groß ist, vermag ich nicht zu beurteilen.
01. Oktober 2023, Berlin
Weil mich das Mädchen mit dem Luftballon-Tier gesehen an meinen Ballon-Hund aus den USA erinnert hat, habe ich anschließend mein Reisetagebuch hervorgeholt, das ich damals geführt habe. Das war eine Idee meiner Eltern, von der ich nicht wirklich überzeugt war, was ihnen aber egal war.
Heute bin ich ihnen dankbar, dass sie darauf bestanden, dass ich meine Erlebnisse in dem Urlaub aufschreibe. Gewissermaßen war das mein erster Urlaubs-Blog, nur ohne Laptop und Internet, sondern mit Kugelschreiber und Notizblock.
Bevor ich anfing, in dem Tagebuch zu lesen, dachte ich, es könnte lustig sein, meine damaligen Aufzeichnungen auf dem Blog zu veröffentlichen. Nach der Lektüre der ersten paar Seiten verwarf ich diesen Gedanken sehr schnell. Als zehnjähriger Urlaubschronist fehlte es mir doch ein wenig an Gespür für Dramaturgie, Spannungsaufbau und Pointen.
„Morgens war ich ganz aufgeregt. Und als ich im Flugzeug war wurde ich noch aufgeregter. Als wir in der Luft waren wurde ich wieder ruhig. Das Essen was wir bekommen haben schmeckte nicht so gut, aber das macht ja nichts. Der Film über Californien war ganz interessant nur der Ton war so schlecht und einmal wäre ich beinahe eingeschlafen. Der Film „Micky und Maude“ war lustig. Mitten im Film mußten wir uns anschnallen, weil wir in eine Turbulenz kamen. Da wurde mir ganz schön mulmig. Dann mußten wir noch vier Stunden fliegen.“
Fast jeder der folgenden Einträge beginnt mit der Uhrzeit, zu der ich aufwachte, und damit, dass ich mir nach dem Aufstehen Cornflakes gemacht habe. Auch sonst zeichnet sich das Reisetagebuch durch sehr viel Notizen zum Thema Essen aus (riesiges Eis, Hamburger), darüber hinaus durch die exzessive Verwendung der Worte dann, danach und anschließend – vorzugsweise am Satzanfang – und durch eine mitunter recht eigenwillige Auslegung der deutschen Rechtschreibung und Grammatik sowie dem fast vollständigen Verzicht, Kommata zu setzen. (siehe oben)
Daher halte ich es für besser, die damaligen Aufzeichnungen nicht einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Schließlich möchte ich meine Illusion aufrechterhalten, ein wortgewandter und gewitzter Autor zu sein.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)