12. Oktober 2023, Berlin
In meiner Inbox landet eine Mail, von meinem Paypal-Konto sei ein Betrag abgebucht worden. 74,95 Euro. Das Unternehmen, das die Summe erhalten hat, sagt mir nichts. Sofort denke ich, dass ich einem Online-Betrug aufgesessen bin und mein sämtliches Erspartes verlieren werde.
Bei einer kurzen Google-Recherche finde ich heraus, dass es sich bei dem Empfänger um das Unternehmen handelt, das Opodo betreibt. Die 74,95 Euro sind für die Verlängerung meiner Prime-Mitgliedschaft. Ich kann mich sogar erinnern, sie abgeschlossen zu haben. Das war letztes Jahr, als ich mit der Tochter nach Irland flog. Durch die Prime-Mitgliedschaft sicherte ich mir einen 30-Euro-Rabatt.
Ein richtig gutes Schnäppchen, denn ich kündigte die Mitgliedschaft innerhalb des kostenlosen 30-tägigen-Probezeitraums. Anscheinend aber doch nicht. Nun habe ich 150 Euro für eine Ermäßigung von 30 Euro bezahlt. Ein Deal, der auf der Liste der schlechtesten Deals aller Zeiten zweifellos einen der vorderen drei Plätze belegt. Insbesondere weil ich seitdem keinen weiteren Flug über Opodo gebucht habe.
Um nicht noch mehr Geld zu verschenken, recherchiere ich, wie ich die Mitgliedschaft kündigen kann. Das geht ganz einfach. Behauptet zumindest die Autorin eines Blog-Beitrags auf der Opodo-Webseite. Du musst dich lediglich in deinem Konto einloggen, dann in den Prime Account Abschnitt gehen und dort auf den gut sichtbaren Kündigungs-Link klicken
Schritt 1 und 2 funktionieren vollkommen reibungslos, Schritt 3 dagegen nicht. Es gibt keinen Kündigungs-Link. Nach etwas Suchen stoße ich auf einen Hinweis, dass es für die Kündigung zwei Möglichkeit gibt: entweder mit einem Mitarbeitenden chatten oder eine Hotline anrufen. Wie jeder normale Mensch, vermeide ich den direkten sozialen Kontakt und entscheide mich für die Chat-Option.
Es stellt sich heraus, dass du doch nicht mit einem Mitarbeitenden chattest, sondern mit einem ChatBot. Dieser stellt sich als Kris vor. (Vielleicht tue ich ChatBot Kris unrecht und er ist doch ein regulärer Opodo-Mitarbeitender. Sollte das der Fall sein, möchte ich Kris in aller Form um Entschuldigung bitten.)
Kris fragt mich zu Beginn: „Wie kann ich dir helfen?“ Ich bin etwas irritiert. Warum duzt Kris mich? Wir sind hier schließlich nicht in der Kneipe und auch nicht bei IKEA. Und Schweine haben wir auch noch nicht zusammen gehütet. Nur weil wir fast den gleichen Namen haben, ist das noch kein Grund, vertraulich zu werden.
Ich verzichte dennoch darauf, ihn zu maßregeln, sondern tippe ins Kommentarfeld, dass ich meine Prime- Mitgliedschaft kündigen möchte. Kris erwidert, dass er mir dabei gerne hilft. Das halte ich für etwas überenthusiastisch, wenn nicht gar für gelogen. Er schlägt mir vor, ich solle mich in mein Konto einloggen und dann im Prime-Bereich auf den Kündigungs-Link klicken. Schönen Dank, Kris.
Ich schreibe, dass das nicht funktioniert, weil es keinen Kündigungs-Link gäbe. Kris antwortet, es täte ihm leid, dass er mir nicht helfen könne. Schleimer.
Nun schreibe ich, er möge mir bitte eine Mail-Adresse nennen, an die ich meine Kündigung schicken könne. Kris sagt, er verstehe die Frage nicht. Come on, Kris. Wirklich? So schwierig ist die Frage nicht. Schließlich will ich nicht wissen, was die Heisenbergsche Unschärferelation besagt, sondern nur eine Kontaktadresse für meine Kündigung haben.
Ich bin kurz davor, „Fuck you, Kris, und danke für nichts!“ ins Kommentarfeld zu tippen, lasse es aber bleiben. Kris kann schließlich nichts dafür, dass er ein schlecht programmierter ChatBot ist.
Stattdessen muss ich nun doch bei der Hotline anrufen. Dort erklärt mir als erstes eine barsche, abgehackte Computerstimme, falls ich Informationen zu Flugplänen und Opodo-Angeboten suchen würde, solle ich auf die Webseite gehen, die Mitarbeiter im Call-Center hätten auch keine anderen Informationen. Okay?
Anschließend klärt mich eine freundlichere Computerstimme auf, für welches Anliegen ich welche Taste auf dem Telefon drücken muss. Ich entscheide mich für die 3: Fragen zu Ihrer Prime-Mitgliedschaft.
Nun blafft mich die unfreundliche Computerstimme wieder an. Alle Informationen gäbe es auch auf der Webseite. Am liebsten würde sie wahrscheinlich sagen: „Bist du dumm oder warum rufst du hier an? Trottel.“
Ich bleibe stoisch in der Leitung, bis mich die nette Computerstimme auffordert, die 11-stellige Buchungsnummer einzugeben, die ich beim Abschluss der Prime-Mitgliedschaft erhalten hatte. Glücklicherweise finde ich diese noch in meinen Mails und nachdem ich sie ins Telefon getippt habe, verkündet die Stimme, dass ich gleich mit einem Mitarbeitenden verbunden würde. Hoffentlich nicht mit Kris.
Nachdem ich eine geschlagene Viertelstunde mit ChatBots und Computern kommuniziert habe, stellt sich nun tatsächlich ein leibhaftiger Mensch vor. Leider verstehe ich seinen Namen nicht, denn er spricht zwar perfektes Deutsch, aber mit einem sehr starken osteuropäischen Akzent. Wahrscheinlich sitzt er in einem Call-Center in Prag oder Bratislava.
Der Mann fragt, wie er mir helfen könne. Ich erkläre, dass ich meine Prime-Mitgliedschaft kündigen möchte. Daraufhin fragt er: „Sie möchten Ihre Prime-Mitgliedschaft kündigen?“ Ich bin etwas verwirrt. Genau das habe ich doch gesagt? Und in meinen Augen in unmissverständlichen Worten. Da kann es eigentlich keinen Zweifel geben, ob das wirklich mein Anliegen ist.
Trotzdem bejahe ich seine Frage. Zur Sicherheit wiederhole ich noch einmal, dass ich meine Prime-Mitgliedschaft kündigen möchte. Daraufhin fragt er mich freundlich: „Wissen Sie denn, dass Sie nur mit einer Prime-Mitgliedschaft, die besten Rabatte und Angebote be…“ Ja, das wüsste ich, unterbreche ich ihn, aber ich wolle trotzdem meine Prime-Mitgliedschaft kündigen.
Nun sagt er: „Darf ich Sie fragen, warum Sie Ihre Prime- Mitgliedschaft kündigen möchten?“ Nein, dürfe er nicht, antworte ich, wobei ich inzwischen eine gewisse Gereiztheit in meiner Stimme nicht verleugnen kann. Ich wolle einfach die Prime-Mitgliedschaft kündigen und mich nicht für die Gründe dafür rechtfertigen.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass das nicht übermäßig nett ist und dass der Mann nur seinen Job macht, für den er wahrscheinlich nicht besonders gut bezahlt wird. Allerdings halte ich mir zugute, dass ich ihn nicht ankacke, dass Opodo eine elende Bumsbude ist und ich, wenn ich Zeit, Geld und Nerv hätte, den Laden wegen arglistiger Verbrauchertäuschung und Diebstahl meiner Lebenszeit verklagen würde.
Der Mann stellt keine weiteren Fragen und sagt lediglich: „Eine Sekunde bitte.“ und circa dreißig Sekunden später noch einmal: „Eine Sekunde bitte.“ Als eine weitere Minute verstrichen ist, frage ich, ob es irgendein Problem gäbe. Er verneint. Er wolle nur sichergehen, dass die Mail tatsächlich bei mir ankommt.
Nachdem ich ihm bestätigt habe, sie erhalten zu haben, beendet er das Telefonat und wünscht mir noch eine gute Gesundheit. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine typische osteuropäische Abschieds-Floskel oder ein Überbleibsel aus der Corona-Pandemie ist. Oder er denkt aufgrund meines passiv-aggressiven Verhaltens, dass ich an einer psychischen Krankheit leide, die hoffentlich geheilt werden kann.
Zwei Stunden später bekomme ich eine weitere Mail von Opodo. Nach meinem letzten Flug hätte ich einen 70-Euro-Voucher erhalten. Um diesen einzulösen, müsse ich lediglich meine Prime-Mitgliedschaft reaktivieren. Beim Lesen frage ich mich, für wie doof Opodo mich eigentlich hält. Bestimmt hat Kris die Mail geschickt.
13. Oktober 2023, Berlin
Der Sohn fährt mit ein paar Freunden nach Hamburg. Auf ein Konzert eines Kreuzberger Rappers, für dessen Auftritt in Berlin sie keine Karten bekommen hatten. Ich weiß nicht, wie der Rapper heißt. Obwohl der Sohn es mir schon mehrfach gesagt hat.
Bin ich ein schlechter Vater, der sich nicht für die Musik seines Kindes interessiert? Ich glaube nicht. Das liegt schlicht an meinem schlechten Namensgedächtnis. Bei einem Großteil seiner Lehrer*innen kann ich auch nicht sagen, wie sie heißen. Was, wenn ich das so lese, ein noch schlechteres Licht auf mich wirft. (Es sind aber einfach zu viele und sie wechseln zu häufig.)
Andererseits weiß der Sohn auch nicht, was ich für Musik höre, und kennt keinen einzigen meiner ehemaligen Lehrer mit Namen. Von daher würde ich sagen, wir sind quitt.
14. Oktober 2023, Berlin
Einer der Mitbewohner der Tochter muss ausziehen. Er hatte mehrfach gegen Hausregeln verstoßen und sich aggressiv verhalten, so dass sich insbesondere die weiblichen Bewohnerinnen in seiner Gegenwart bedroht fühlten.
Der Landlord nahm die Sorgen seiner Mieterinnen ernst und kam sofort vorbei, um gegenüber dem Mitbewohner eine letzte Warnung auszusprechen. Er habe sich an die Regeln zu halten und aggressives Gebaren würde nicht toleriert.
Der junge Mann war wenig einsichtig, baute sich bedrohlich vor dem Landlord auf und herrschte ihn an, er wisse gar nicht, was er mit Aggressionen meine, und was er alter Mann überhaupt von ihm wolle. Er hat nun eine Woche Zeit, sich eine neue Unterkunft zu suchen.
15. Oktober 2023, Berlin
Inzwischen hat meine Frau auch noch Süßigkeiten für die Adventskalender besorgt. Anderthalb Monate vor dem 01. Dezember. Wie soll das gut gehen? Wahrscheinlich gar nicht. Aber egal, die Kinder sind eigentlich sowieso zu alt für Adventskalender. Eine Aussage, die bei der Tochter bei unserem abendlichen Video-Telefonat einen Gesichtsausdruck hervorruft, der gleichzeitig Empörung und Entsetzen zeigte.
Ich erkläre, sie und ihr Bruder könnten uns ja mal einen Adventskalender schenken. So wie mein Bruder und ich damals einen für unsere Eltern gebastelt hätten. Aus 24 Streichholzschachteln, die wir zusammenklebten, mit goldenen Sternen verzierten und mit kleinen Überraschungen befüllten. Unsere Eltern mussten dann jeden Morgen in ekstatische Verzückung ausbrechen, wenn sie aus dem aktuellen Schächtelchen ein zerbrochenes Plätzchen, eine 5-Pfennig-Münze oder irgendwelchen Tand hervorgeholt hatten.
Auf so etwas würden wir seit fast 20 Jahren warten, sage ich zur Tochter. Sie erwiderte, dass sei ja wohl unsere eigene Schuld, dass wir keinen Adventskalender von ihnen bekämen. Anscheinend hätten wir unsere Kinder schlecht erzogen. Damit könnte sie recht haben.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Hej, Christian – danke für die Beschreibung deiner Kündigungsodyssee… – es beruhigt mich, dass nicht nur ich schon beinahe vor Wut in den Tisch gebissen habe bei den Themen “Abbestellung von Linkedin-Newslettern” oder “Beschwerden bei booking.com”… – wünsche auch dir weiterhin gute Nerven bei Derartigem..!