Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
06. November 2023, Berlin
Auf der Straße kommt mir ein hünenhafter Mann entgegen. Fast einen Kopf größer als ich, breitschultrig und seine Oberarme haben den Umfang von Honigmelonen. Mit seinem finsteren Blick und seinem schwarzen, langen Bart wäre er die ideale, wenn auch sehr klischeehafte Besetzung für einen Clan-Chef in einem Tatort.
Was ihm ein wenig die Bedrohlichkeit nimmt, ist der Umstand, dass er in einem Arm einen 1,50 Meter großen Teddybären trägt und in der anderen Hand einen Elsa-Luftballon.
07. November 2023, Berlin
Unterwegs zum Friseur laufe ich an einem jungen Pärchen vorbei. Die Frau schaut sehr ernst. Als ich die beiden überhole, sagt sie gerade: „Es ist okay für mich, wenn du andere gut findest. Und es ist auch okay für mich, wenn du flirtest.“ Dann bleiben sie leider stehen, so dass ich nicht mehr hören kann, was für die Frau nicht okay ist. Wenn ich ihren Tonfall und ihren Blick richtig deute, ist aber schon das Andere-gut-Finden und das Flirten nur so semi-okay für sie.
Ich hoffe, der Mann hört das auch raus. Sonst halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass die beiden mal Silberne Hochzeit feiern werden. (Also, vielleicht mit anderen Partner*innen, aber eher nicht zusammen.)
###
Mein Besuch beim Friseur beginnt mit einer Enttäuschung. Ich hatte extra einen Termin bei dem einzigen Mann in dem Salon ausgemacht. Nicht aus sexistischen Gründen, weil ich der Ansicht bin, Menschen mit höherem Testosteronlevel und Penis sind die besseren Haareschneider. Meine Frau war aber kürzlich bei ihm und war sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Als ich nun den Laden betrete, eröffnet mir die Dame am Empfang, ihr Kollege sei krank und sie übernähme seine Termine. Beim Haarewaschen fragt sie nach, ob die Wassertemperatur angenehm sei. Ist sie nicht, denn das Wasser ist etwas zu kühl. Daher sage ich wie jeder normale Mensch: „Perfekt.“ Ich möchte schließlich keine Umstände machen und auch nicht als Nörgler gelten. Außerdem sparen die niedrigeren Temperaturen Energie und das ist gut fürs Klima. Zumindest an meinen Friseurbesuch wird es nicht liegen, wenn der Planet den Bach runtergeht.
Nachdem meine Haare gewaschen sind und ich vor dem großen Spiegel sitze, gebe ich auf die obligatorische Frage der Friseurin, wie ich die Haare geschnitten haben möchte, meine obligatorische Antwort: „Hinten und an den Seiten kurz, oben nur die Spitzen.“
Die Frau widmet sich zunächst den Seiten. Damit mein Haupthaar nicht im Weg ist, steckt sie es mit ein paar Clipsen oben fest. So wie früher meine Mutter. Die hat mir die Haare geschnitten, bis ich 18 war. Vorher hatte ich nie einen Friseur-Salon von innen gesehen. Was ein bisschen klingt, als wäre ich in einer Amish-Gemeinde aufgewachsen und hätte erst als 18-Jähriger erfahren, dass es so etwas wie Elektrizität gibt.
Ich habe keine Ahnung, warum meine Mutter mir – und meinem Bruder – damals die Haare schnitt. Sie tat das nicht unwirsch, aber auch nicht mit übergroßer Begeisterung. Ich glaube nicht, dass es ihre Passion war und ein unerfüllter Karrierewunsch als Star-Coiffeurin in ihr schlummerte. Und schon gar nicht als Kinder-Friseurin.
Genauso wenig weiß ich, wie sich meine Mutter das Haareschneiden beigebracht hat. Vielleicht durch trial and error. Ich hatte als Kind Locken, da ist das eine ganz gute Methode. Locken sind nicht ganz so anspruchsvoll und verzeihen den ein oder anderen kleinen Fehler.
Aber meiner Mutter sind keine Fehler unterlaufen. Zumindest wurde ich in der Schule nicht für meine Frisur gemobbt und musste mir auch nie anhören: „Alter, wie läufst du rum? Schneidet dir deine blinde Mutter die Haare?“
Meine Mutter ging sogar auf meine abseitigen Frisurenwünsche ein. Mit zwölf wollte ich beispielsweise meine Haare wie der englische Sänger Black tragen. Der erlebte damals mit „Wonderful Life“ sein One-Hit-Wonder. Wobei er noch nicht wusste, dass es sein One-Hit-Wonder sein würde.
Das Problem: Black hatte keine Locken, sondern trug das Haar seitlich kurz und oben hatte er eine Art Tolle. Mit viel Zeit, Mühe und einer Menge Haarschaum schaffte es meine Mutter, dass meine Frisur im weitesten Sinne dem Haarschnitt von Black ähnelte. (Zumindest für Menschen, die noch nie Black oder ein Foto von ihm gesehen hatten.)
Mit 18 kam ich auf wahnwitzige Idee mir die Haare blond zu färben. So wie Robbie Williams. Auch das machte meine Mutter mit und pinselte meine Haare mit einem übel stinkenden Färbemittel ein. (Das muss diese unverbrüchliche Liebe einer Mutter zu ihrem Kind sein.)
Das Ergebnis war allerdings ernüchternd und ich sah überhaupt nicht wie Robbie Williams aus. Da war zum einen mein Gesicht, das definitiv kein Robbie-Williams-Material war. (Nicht einmal Gary-Barlow-Material.) Zum anderen enthält mein Haar sehr viele Rotpigmente. Die sorgten dafür, dass ich nicht blond wurde, sondern mein Schopf in einem grellen Orangeton leuchtete. Somit wies ich keinerlei Ähnlichkeiten mit Robbie Williams auf, dafür aber mit Lotti Karotti.
Während ich mich an meine jugendlichen Frisuren-Fails erinnere, hat die Friseurin inzwischen angefangen, meine Spitzen zu schneiden. Sie mustert meine Haare sehr genau. Fast schon kritisch.
„Oben dunkel, unten alles grau“, sagt sie schließlich. „Sehr ungewöhnlich. Sonst oben grau und unten schwarz.“ Anscheinend habe ich mit meinen Haaren einen Platz im „Ripley’s Believe It or Not“-Museum verdient.
„Machen sie da was rein?“, will sie wissen.
„Seit fast 30 Jahren nicht mehr“, erwidere ich.
Vielleicht schützt das Färbemittel von damals mein Haupthaar vor dem Ergrauen. Hätte ich das früher gewusst, hätte ich meinen Bart auch damit eingeschmiert.
08. November 2023, Berlin
In der aktuellen MAGAZIN-Ausgabe gibt es einen Bericht über den Grönlandhai, dem langlebigsten Wirbeltier der Welt. Und langlebig heißt richtig langlebig. Nicht so Schildkröten-langlebig, die es mit schlappen 190 Jahren ins Guinness-Buch der Rekorde schaffen. Da erreichen Grönlandhaie gerade mal die Geschlechtsreife. Die ältesten Exemplare ihrer Gattung werden auf über 500 Jahre geschätzt.
Das heißt, im Meer schwimmen Fische rum, die zu Zeiten der Habsburger, der Reformation, der Renaissance, der Aufklärung, der industriellen, der französischen und der russischen Revolution, diverser Kriege, des ersten bemannten Raumflugs und der Erfindung des Internets gelebt haben. Und nichts davon mitbekommen haben. Was in den meisten Fällen sicherlich besser ist.
Möglicherweise ist das sogar das Geheimnis ihres langen Lebens. Wenn du alles ignorierst und dir alles am Arsch vorbei geht, reduziert das Stress und das wirkt lebensverlängernd.
Trotzdem würde ich nicht mit einem Grönlandhai tauschen wollen. Grönlandhaie sollen sehr hässlich sein und stark nach Urin stinken. Außerdem leben sie hauptsächlich am Meeresgrund in einer Tiefe von bis zu 2.200 Metern. Da ist das Freizeitangebot eher eingeschränkt. Was nützt es dir, 500 Jahre alt zu werden und du kannst abends nicht auf dem Sofa entspannen und ein paar Serien bei Netflix bingen?
Elternschaft stelle ich mir bei Grönlandhaien auch mega anstrengend vor. Deine Kinder sind jahrzehntelang in der Trotzphase, und wenn du dich davon erholt hast, fängt die Pubertät an, die auch wieder mehrere Jahrzehnte andauert. Und wenn du Pech hast, studieren die Plagen und liegen dir weitere 100 Jahre auf der Tasche.
Dafür müssen Grönlandhaie keine Steuererklärung machen. Das ist wiederum ein ziemlicher Pluspunkt.
Alle Beiträge der Wochenschau finden Sie hier.
Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)