Eine kleine Wochenschau | KW45-2023 (Teil 2)

Teil 1


09. November 2023, Berlin

1 Uhr. Das Festnetztelefon klingelt. Kein gutes Zeichen. Auf dem Festnetz rufen ausschließlich meine Eltern und meine Schwiegermutter an. Wenn die sich um diese Uhrzeit melden, sicherlich nicht, um gute Neuigkeiten zu überbringen oder um einfach mal so ein kleines Schwätzchen zu halten.

Bis meine Frau und ich richtig wach sind und zum Telefon gehen können, hört das Klingeln wieder auf. Ich möchte nicht ausschließen, dass wir beide darauf gewartet haben, dass der andere aufsteht. Oder in meinem Fall die andere. So wie früher, als die Kinder im Säuglingsalter nachts aufgewacht sind. Wobei die nie von allein aufgehört haben zu weinen. Da kannst du das Ich-beweg-mich-nicht-zuerst-Game nicht ewig spielen.

Es stellt sich raus, dass es die Tochter ist, die uns zu erreichen versucht. Nachdem sich niemand auf dem Festnetz gemeldet hat, ruft sie bei ihrem Bruder auf dem Handy an. Im Gegensatz zu uns ist der zu dieser späten – beziehungsweise frühen – Uhrzeit noch wach. (Im Gegensatz zu ihm legen wir tagsüber auch kein Mittagsschläfchen ein und müssen daher nachts auf unsere sieben Stunden Schlaf kommen.)

Die Tochter hat gerade Besuch von einer Freundin aus Deutschland. Die beiden waren in Dublin auf einem Louis-Tomlinson-Konzert. (Aufmerksamen Leser*innen fällt möglicherweise auf, dass die Tochter erst kürzlich auf einem Louis-Tomlinson-Konzert war. In Köln. Mit der gleichen Freundin. Sie hatten unabhängig voneinander die Tickets gekauft, um die andere zu überraschen. Anstatt die Karten für eines der Konzerte zu verkaufen, beschlossen sie, beide zu besuchen.)

Nun haben sie ein Problem: Der letzte Bus nach Carlow ist ihnen vor der Nase weggefahren. Beziehungsweise der Busfahrer hat nicht gehalten, obwohl sie an der Haltestelle standen.

Der nächste Bus fährt erst um 5 Uhr in der Früh und die Tochter muss morgen zur Uni. Daher fragt sie uns, ob sie bei Bolt ein Auto bestellen darf. (Wir haben dort ein Gemeinschaftskonto, bei dem unsere Kreditkarte hinterlegt ist. So käme die Rechnung bei uns an.) Das kostet bestimmt einen dreistelligen Betrag. Womöglich sogar mit einer zwei vorne.

Wir erlauben es ihr trotzdem. Schließlich möchtest du als Eltern nicht, dass dein Kind die ganze Nacht in Dublin abhängt. Außerdem müssen wir uns dann keine Gedanken mehr über ihr Weihnachtsgeschenk machen.

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Auf Spiegel Online stolpere ich über die Überschrift: „Konnten schon die Urmenschen Auto fahren?“ Mich würde das nicht wundem. Einige von ihnen scheinen mir heute noch im Straßenverkehr unterwegs zu sein. (Manche auch auf dem Fahrrad und nicht wenige auf E-Scootern.)

10. November 2023, Berlin/Köln

Ich gehe im Bahnhof an einem Stand der Welthungerhilfe vorbei. Ein junger Mann mit akkurat gestutztem, schwarzem Bart und in blauer Welthungerhilfe-Weste versperrt mir den Weg und spricht mich mit den Worten „Sie sehen nett aus.“ an. Da täuscht er sich allerdings, denn ich weiche ihm aus, ohne abzubremsen.

Da ich aber zumindest ein bisschen nett bin, sage ich wenigstens: „Nein, danke.“ Das passt nicht zu seiner Aussage, aber ich finde es höflicher als „Ich möchte das nicht.“ Oder als „Verpiss dich, du Arschgeige.“ Dann doch lieber: „Nein, danke.“

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Als ich auf meinen Zug warte, ertönt eine Lautsprecherdurchsage. Im Bahnhof trieben sich organisierte Bettel-Gruppen herum und man solle ihnen nichts geben und auf seine Wertsachen aufpassen. Im gleichen Moment kommt eine ältere Dame von der Bahnhofsmission mit einer Spendendose auf den Bahnsteig. Ob sie mit der Durchsage gemeint ist?

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Im Zug sitzt neben mir ein junges Pärchen. Er ist 23, sie 20. Sie planen ihren Sommerurlaub für nächstes Jahr und versuchen Flüge nach Thailand zu kaufen. Sie können sich nicht einigen, ob sie mit oder ohne Sitzplatzreservierung buchen sollen, wo sie sitzen wollen (Fenster oder Gang) und wann sie losfliegen wollen (morgens oder abends).

Nachdem sie die Flüge gebucht haben, geht es um die Unterkunft. Es stehen Wellness-Hotels und Hostels zur Auswahl. Etwas überraschend, ist er für Wellness, sie dagegen für die Low-Budget-Variante. Letztere lehnt er ab mit der Begründung, dafür verdiene er inzwischen zu viel. Das klingt ein wenig arrogant, aber ich verstehe sehr gut, was er meint.

Schließlich besprechen sie noch, was sie in Thailand unternehmen wollen. Anscheinend ist es ihr erster gemeinsamer Urlaub, denn sie stellen fest, dass er gerne chillt, sie aber lieber Sachen unternimmt. Vielleicht sollten sie einfach nicht zusammen Urlaub machen. Wobei es mich auch nicht wundern würde, wenn sie bis Sommer nächstes Jahr nicht mehr zusammen sind.

11. November 2023, Köln

Start der Karnevals-Session. Es ist 9.30 Uhr und vor einer Kneipe gegenüber von meinem Hotel hat sich schon eine 50-Meter-Schlange gebildet. In einer Seitenstraße diskutieren ein Hase und ein Teletubbie, wo sie noch frühstücken können. Sie wirken bereits leicht derangiert und ich möchte nicht ausschließen, dass sie 11.11 Uhr nicht mehr erleben.

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In der Kneipe, in der wir immer feiern, sind irgendwann alle Herren-Toiletten verstopft. Wir müssen einen Toilettenwagen neben der Location benutzen. Der Türsteher erklärt, wir kämen wieder rein mit dem Passwort „Toyota Corolla“.

Ein sehr spezielles Passwort, finde ich. Speziell für jemanden wie mich, der sich mit Autos überhaupt nicht auskennt. Ich frage den Türsteher, ob ich später auch mit dem Passwort „Toyota“ wieder passieren dürfe. Oder mit „Corolla“. Wir reden so lange, bis er meint, ich käme auch so wieder rein, weil er sich mein Gesicht gemerkt hätte. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen ist.

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Um halb eins gehe ich zurück ins Hotel. Auf dem Heimweg hole ich mir in einem Asia Imbiss noch etwas zu essen. Die Anstehsituation in dem Laden ist etwas unübersichtlich. Ein junger Mann fragt mich: „Sie waren vor mir, oder?“

Warum siezt mich der Lümmel? Wahrscheinlich weil ich so alt bin, dass ich sein Vater sein könnte. Da ich das nicht vertiefen möchte, sage ich lediglich: „Ich glaube ja.“

12. November 2023, Köln/Berlin

Rückreise nach Berlin. Mein Zug fällt aus und ich muss eine alternative Verbindung nehmen. Ohne Reservierung muss ich im Gang sitzen. Mir gegenüber hockt ein junger Mann von Anfang 30, der ein Krisentelefonat mit seiner Frau oder Freundin führt. Er spricht Englisch mit osteuropäischem Akzent.

Seinem Gesprächsanteil entnehme ich, dass er gestern irgendetwas Doofes getan hat, wofür er sich entschuldigt. Immer wieder. Er will alle seine Termine nächste Woche absagen, um sie zu sehen. Sie scheint nicht überzeugt zu sein und er schlägt es ihr mehrmals vor.

Er bittet sie außerdem, ihm zu erklären, warum sie gestern so verärgert war. Mich würde langsam wirklich interessieren, was er gemacht hat. Eine Verabredung platzen lassen, Geld verspielt oder mit einer anderen Frau rumgemacht? Ich bin kurz davor, ihn zu bitten, dass er sein Telefon laut stellt, damit ich der Unterhaltung besser folgen kann. Am Flughafen Frankfurt steigt er aus. Ich werde nie erfahren, was gestern vorgefallen ist und ob der Mann seine Beziehung retten kann.


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10 Kommentare zu “Eine kleine Wochenschau | KW45-2023 (Teil 2)

      • Sorry, beim ersten Kommentar sind meine Sätze ohne Punkt.
        Sollte so nicht sein.

        Also, danke für jede Woche schmunzeln über die Erlebnisse in Berlin. Und diesmal auch in Köln.

        Wünsche schöne Start in die neue Woche!
        Viele Grüße ebenfalls aus Berlin.

  1. Mit Locken kann man sehr viel falsch machen… Als mein Großer, damals Kleiner, wie meine Schwiegermutter aussah, habe ich die Friseurschere für immer meinem Mann übergeben.
    Herzlichen Dank für die schönen Bilder!

    • Die gleiche Frisur wie die Schwiegermutter zu haben ist für einen kleinen Jungen durchaus schwierig. Außer die Schwiegermutter trägt eine trendige Jungsfrisur, dann geht es.

  2. Sehr geil, und warum der Mensch im Zug ein Krisentelephonat führen mußte und überhaupt, das wüßte ich jetzt auch gerne!! =D =D =D
    Mein argentinischer Mitbewohner, war gestern ebenfalls in Köln, allerdings unverkleidet. Seine argentinischen Mitstudis hätten ihn gerne im Kostüm gesehen, aaaber nein. Dafür war er sehr erstaunt, daß es in Deutschland auch mal zugemüllt aussehen kann, und das für ein wenig Tanzen in einer Kneipe? Club? mal eben 10 Euro fällig gewesen wären.
    Er war dann lieber wieder heimgefahren. Ungeschminkt und ohne seine argentinischen Mitstudis.
    Oh, und er war noch nüchtern! ,,O.O,,

    • Fairerweise muss ich dazu sagen, dass der junge Mann sein Krisentelefonat nicht unangemessen laut geführt hat. Aber wir saßen sehr eng beieinander.

      Unverkleidet und nüchtern Kneipen-Karneval feiern ist wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt.

  3. Ich feiere gerade Ihre Mutter und deren unverbrüchliche Bereitschaft, die Frisurenwünsche ihres Teenager Sohnes umzusetzen. Großartig!!

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