Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
20. November 2023, Berlin
Wir eröffnen die Weihnachtsbäckerei. Traditionell mit Christstollen. Der soll bekanntlich ein paar Wochen ziehen, damit er besonders gut schmeckt. Wobei ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, dass er bereits nach ein paar wenigen Tagen ziemlich lecker ist.
Ebenfalls traditionell verwende ich kein Zitronat und kein Orangeat. Nur wer vollends geschmacksverwirrt ist, mag Zitronat und Orangeat. Ist zumindest meine persönliche Meinung. Die aber objektiv richtig ist.
Mir ist schleierhaft, woher überhaupt die Bezeichnungen Zitronat und Orangeat herkommen. Es gibt keine Lebensmittel, die weniger nach Zitrone und Orange schmecken als Zitronat und Orangeat. Geschmacklich scheint mir das eher ein Abfallprodukt der Autoreifenherstellung zu sein.
Das ist der Grund, warum Zitronat und Orangeat nichts im Stollen zu suchen haben. Ist zumindest meine persönliche Meinung. Die aber objektiv richtig ist.
21. November 2023, Berlin
Heute ist Welt-Hallo-Tag. Hallo Welt.
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Beim Joggen kommt mir eine Frau mit einem circa fünfjährigen Mädchen entgegen. Die Frau schnäuzt sich und als wir fast auf gleicher Höhe sind, wirft sie das Taschentuch auf den Boden.
Mir entfährt ein leise gemurmeltes „What the fuck?“ Nicht leise genug, denn bei der Frau löst das eine ausgiebige Schimpftirade aus, die ich ignoriere. Da ich Kopfhörer trage, verstehe ich ohnehin nicht, was sie sagt. Anscheinend findet sie es weniger problematisch, Müll auf den Gehweg zu schmeißen, als einen zugegebenermaßen etwas rüden Kommentar dazu.
Während ich weiterlaufe, frage ich mich, warum ich mich über das weggeworfene Taschentuch so empöre. Spricht das für mein Bedürfnis nach einem respektvollen Miteinander, wozu für mich gehört, nicht die Gegend zu vermüllen? Oder ist das Ausdruck meiner zunehmenden Vergreisung und Verspießerung?
Allerdings habe ich mich schon als Jugendlicher daran gestört, wenn jemand seinen Müll einfach auf die Straße geworfen haben. Wahrscheinlich war ich damals schon ein Spießer.
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Der Sohn geht mit dem Englisch-LK ins Theater. (So lange wie ich gerade überlegen musste, ob er tatsächlich Englisch-Leistungskurs oder doch Grundkurs hat, rechne ich dieses Jahr nicht mit dem „Aufmerksamster Vater 2023“-Award.)
Ich frage ihn, welches Stück sie anschauen. Nach längerer Bedenkzeit antwortet er: „Irgendwas mit ‚Big Brother is watching you‘.“ Interessant, dass er sich das besser merken konnte als „1984“. Das Aufmerksame hat er von mir.
22. November 2023, Berlin
Ich erinnere mich nur äußerst selten an meine Träume. Vielleicht zwei- bis dreimal im Jahr. Heute früh ist es mal wieder so weit.
Im Traum wollte ich Eier kaufen. Jedoch ohne Erfolg. Obwohl es in dem Supermarkt unnormal viele Eier gab. Sie stapelten sich bis an die Decke.
Ich öffnete den ersten Karton, aber eines der Eier war kaputt. Bei dem zweiten Karton das gleiche Bild, beim dritten, vierten und fünften ebenso. Ich machte hunderte von Kartons auf und in jedem war mindestens ein Ei angeknackst.
Mit der Zeit wurde ich immer hektischer, zerbrach beim Kartonöffnen selbst Eier und schließlich fiel mir sogar ein Stapel Eierkartons zu Boden. Dann bin ich aufgewacht.
Keine Ahnung, was mir mein Unterbewusstsein mit diesem Eiertraum sagen will. Vielleicht, dass es mir sehr gut geht, wenn mein größtes Problem darin besteht, Eier zu kaufen. Oder dass ich zu blöd dafür bin.
23. November 2023, Berlin
Auf dem Weg zum Einkaufen laufe ich an einer Frau mit einem Jungen vorbei. Der Kleine weint bitterlich.
„Das heißt, du willst heute Nachmittag nicht auf den Spielplatz?“; fragt seine Mama. „Neiheiheiheihein!“, schluchzt er.
„Du willst also lieber den ganzen Mittag zuhause sitzen und weinen?“ „Jahahahaha!“
Angesichts von Kriegen, Klimakatastrophe und der allgemeinem politischen Lage kann ich ihn sehr gut verstehen.
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Die Tochter musste kürzlich für ihren Kurs „Public History & Cultural Heritage“ ein Poster für eine Veranstaltung mit geschichtlichem Bezug entwerfen. Sie dachte sich eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht aus, die sie in dem ehemaligen KZ Sachsenhausen stattfinden ließ. Mit einer Begrüßung durch den Direktor der Gedenkstätte, einer Rede des Bundespräsidenten, einem Film mit Zeitzeugenberichten sowie anschließender Kranzniederlegung.
Heute hat sie ihre Note bekommen. 68 Prozent. Im Prinzip eine sehr gute Bewertung. Insbesondere weil eigentlich nie ein höherer Wert als 70 vergeben wird.
Ich bin trotzdem nicht zufrieden. Normalerweise sind mir die Uni-Noten der Tochter egal. In diesem Fall allerdings nicht. In einem Anflug von spätem Helikopterelterntum hatte ich der Tochter bei der Postergestaltung geholfen. Das letzte Mal haben meine Frau und ich so etwas gemacht, als die Tochter in der ersten Klasse war. Da musste sie ein Poster zum Thema „Kaninchen“ gestalten, was ihr erst am Vorabend einfiel. Aber das nur am Rande.
Zugegebenermaßen bin ich kein professioneller Grafiker. (Nicht einmal ein unprofessioneller.) Aber ich erstelle von Berufs wegen sehr viele PowerPoint-Präsentationen und würde behaupten, ein okayes Gespür für Design, Layout und die Aufbereitung von Inhalten zu haben. Zumindest ein besseres als eine Geschichtsprofessorin. Daher empfinde ich 68 Prozent für mein Poster als enttäuschend. Fast schon als ehrabschneidend.
Die Kritik der Professorin, die sie als konstruktive Verbesserungsvorschläge verschleiert, zielt darauf ab, dass für ein Geschichts-Event die Geschichte etwas zu kurz käme. Zum Beispiel würde kein Historiker auftreten. Was denkt sie wohl welchen beruflichen Hintergrund der Gedenkstätten-Direktor hat? Dass er eigentlich Konditormeister ist und die Gedenkstätte ehrenamtlich in seiner Freizeit leitet?
Außerdem sei die Rolle des Bundespräsidenten bei der Veranstaltung nicht klar. Meine Güte, wir haben den Bundespräsidenten da. Da musst du überhaupt nichts erklären und die Leute kommen trotzdem. Selbst wenn da stünde: „Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Stepptanz-Aufführung“ Wobei das für eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht etwas unangemessen wäre.
Das würde ich gerne alles persönlich erklären. Aus irgendeinem Grund möchte die Tochter aber keinen gemeinsamen Termin für uns in der Sprechstunde der Professorin ausmachen. Vielleicht gehe ich allein hin.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)