Es ist Samstagnachmittag, eine Woche vor Ostern, und ich färbe in der Küche Eier. Das erste Mal seit Jahren habe ich es geschafft, rechtzeitig weiße Eier zu kaufen. Üblicherweise klapper‘ ich einen Tag vor Ostern die Supermärkte in der Gegend ab, um irgendwo noch weiße Eier zu ergattern. Wenn ich die Einzelhandels-Angestellten danach frage, schauen sie mich immer an, als sei ich ein Volltrottel, der fernab der Zivilisation unter Tieren aufgewachsen ist und rein gar nichts über das menschliche Zusammenleben weiß. Denn selbstverständlich sind weiße Eier einen Tag vor Ostern immer ausverkauft und begehrter als ihre kostbaren Fabergé-Verwandten. Braune Eier möchte dagegen niemand zu Ostern haben. Braune gefärbte Eier sind nämlich wie 3/4-Caprihosen für Männer: Sie sehen einfach kacke aus.
Aber heute Vormittag hatte ich beim Einkaufen eine österliche Eingebung und nun liegen die Eier strahlendweiß vor mir. Die Ostereierfarbe habe ich bereits angerührt und gerade will ich mit der Färbeprozedur beginnen, als es an der Wohnungstür klopft. Hoffentlich kein Nachbar, der sich Eier zum Backen ausleihen will. Zögerlich öffne ich die Tür und atme erleichtert auf. Im Hausflur steht die mir vertraute Gestalt in modriger Kutte und mit imposanter Sense in der Hand: Mein Freund, der Tod.
Nachdem wir uns herzlich begrüßt haben, gehen wir in die Küche.
„Ah, du färbst Ostereier“, stellt der Tod mit Blick auf die Arbeitsplatte erfreut fest.
„Genau“, erwidere ich und versenke die Eier in den Gläsern mit der Farbe.
„Und du hast sogar weiße Eier“, freut sich der Tod. „Nicht wie diese Naivlinge, die Ostersamstag immer durch die Supermärkte rennen und sich wundern, dass es nur noch braune Eier gibt.“ Er schüttelt verächtlich den Kopf. „Diese Volltrottel sind bestimmt fernab der Zivilisation unter Tieren aufgewachsen und wissen rein gar nichts über das menschliche Zusammenleben.“
„So wird es sein“, pflichte ich ihm bei und hoffe, dass er das Thema nicht vertieft.
„Was für Farbe nimmst du?“, will der Tod wissen.
„Na, Ostereierfarbe halt“, antworte ich achselzuckend.
„Bio-Farbe?“, fragt der Tod kritisch.
„Die war mir zu teuer“, gebe ich kleinlaut zu.
Der Tod schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. „Bei so etwas spart man doch nicht“, maßregelt er mich. „In der industriellen Ostereierfarbe sind gesundheitlich mehr als bedenkliche Inhaltsstoffe. Quasi tödlich. Da kannst du auch gleich Haushaltsreiniger trinken.“
„Na, jetzt übertreibst du aber“, entgegne ich. „So schlimm sind die Farben auch wieder nicht.“
„Willst du etwa mit dem Tod über potenziell tödliche Inhaltsstoffe in Ostereierfarben diskutieren?“, fragt mich der Tod mit hochgezogener Augenbraue.
„Nichts liegt mir ferner“, sage ich und meine es auch so.
Der Tod schnuppert an einem der Gläser und verzieht angewidert das Gesicht. „Das riecht ja ekelerregend.“
„Das liegt an dem Essig, der da beigemischt werden muss“, erkläre ich.
„Pfui Teufel!“ Der Tod schüttelt sich. „Deswegen nehme ich für meine Ostereier nur natürliche Färbemittel. Die stinken nicht.“
„Du färbst Ostereier?“, wundere ich mich.
„Selbstverständlich!“, entgegnet der Tod. „Das ist in der Osterzeit ein sehr hübsches Mitbringsel für meine Klienten. Ist gut für die Kundenzufriedenheit.“
„Aha“, wundere ich mich. „Und was benutzt du zum Färben? Heidelbeeren, Rote Beete, Spinat und so?“
„Nein“, erwidert der Tod. „Ich färbe ausschließlich mit Kohle!“
„Mit Kohle?“, frage ich ungläubig. „Dann werden die doch schwarz.“
„Genau“, entgegnet der Tod. „Sollen sie ja auch.“
Ich schaue ihn skeptisch an.
„Wir haben verschiedene Verbraucher-Tests durchgeführt und dabei kam raus, dass die Mehrheit bunte Eier als Tod-Give-Aways für pietätlos hält“, erklärt der Tod. „Das Sterbe-Business ist nun mal eine eher ernste Angelegenheit.“
„Verstehe“, sage ich.
„Das Färben mit Kohle ist auch total simpel. Das musst du mal ausprobieren“, schlägt der Tod vor. „Einfach drei, vier Briketts mit heißem Wasser übergießen, das Ganze umrühren und dann die Eier ein paar Stunden darin liegenlassen. Anschließend ist die Schale schön schwarz und die Eier haben einen leckeren rauchigen Geschmack.“
„Aber das sieht doch komisch aus“, wende ich ein. „Ostereier mit schwarzer Schale.“
„Nicht, wenn du sie mit einer Scheibe Schinken abreibst“, belehrt mich der Tod. „Das gibt ihnen einen majestätischen Glanz. Außerdem riechen sie gut. Was man von deinen Muff-Eiern ja nicht behaupten kann.“
„Ich reibe meine Eier mit Zwiebelschalen ab, dann glänzen sie auch schön“, verteidige ich mich zaghaft.
„Schön für dich“, antwortet der Tod. „Und wie bringst du deine Ostereier zum Glänzen?“ Dann lacht er schallend. Ich rolle mit den Augen.
„Warum färbst du überhaupt so viele Eier?“, will der Tod wissen, nachdem er sich beruhigt hat.
„Die verschenken wir an die Nachbarn im Haus“, erkläre ich. „Die freuen sich immer sehr darüber.“
„Wirklich? Verteilt ihr dazu auch Nasenklammern?“ Der Tod lacht wieder sehr laut.
„Haha“, antworte ich genervt.
„Hauptsache, du isst nicht zu viele Eier über Ostern“, erklärt der Tod. „Du weißt schon, wegen des Cholesterins und so.“
„Ach, das ist doch nur ein Mythos“, antworte ich. „So schädlich sind Eier gar nicht. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen kann man ruhig vier bis fünf Eier pro Woche essen.“
„Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Eier-Industrie vielleicht“, bemerkt der Tod spöttisch. „Aber mir soll’s recht sein. Wenn die Menschen zu viele Eier futtern, gibt es mehr Herzinfarkte. Ist gut fürs Geschäft.“
Gemeinsam holen der Tod und ich die Eier mit Löffeln aus den Farbgläsern. Der Tod hält sich dabei demonstrativ die Nase zu.
„Ist ja ganz schön trocken diese Eierfärberei“, stellt der Tod fest. „Ich hab‘ schon einen ganz kratzigen Hals.“ Er hustet demonstrativ, was sich aber weniger nach Frosch im Hals, sondern mehr wie offene Tuberkulose im Endstadium anhört.
„Möchtest du vielleicht ein Glas Wasser?“, frage ich besorgt.
Der Tod schaut mich erstaunt an. „Ich dachte eigentlich eher an ein Bierchen oder so was.“
„Tut mir leid“, antworte ich. „Ich habe gerade keinen Alkohol im Haus.“
„Wie, du hast keinen Alkohol im Haus?“, fragt der Tod bestürzt. „Hattest du gestern eine Party, bei der du leer gesoffen wurdest?“
„Nein, ich faste“, antworte ich.
„Du fastest?“, fragt der Tod und schaut mich an, als hätte ich ihm gerade offenbart, dass ich bei Vollmond immer nackt im Schlosspark tanze und dabei schamanische Lieder singe. „Wieder so ein Gemüsesaft-Mist? Lernst du denn gar nichts?“, fragt er entsetzt.
„Nein, nein“, beruhige ich ihn. „Ich faste Alkohol, Süßigkeiten, Chips, Kuchen und so.“
Der Tod schüttelt fassungslos den Kopf. „Du fastest wohl eher Spaß.“
„Quatsch“, sage ich. „Ich kann auch ohne Alkohol lustig sein.“
Der Tod lacht schallend. „Das ist tatsächlich lustig.“
„Was soll das denn heißen?“, frage ich entrüstet. „Ich muss keinen Alkohol trinken, um gute Stimmung zu verbreiten.“
„Klar, gute Stimmung wie auf einer Karnevalssitzung im Schweigekloster“, erwidert der Tod und lacht spöttisch. „Siehst du, ich bin wirklich ohne Alkohol lustig. Muss ich hier ja auch sein.“
„Es geht mir einfach darum, mich mal ein paar Wochen in Verzicht zu üben und diszipliniert zu sein“, erkläre ich. „Hat der Sohn von deinem Chef ja auch gemacht. 40 Tage lang. Und auch noch in der Wüste.“
„Jesus und 40 Tage fasten“, ruft der Tod höhnisch. „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als das Jesus 40 Tage lang in der Wüste nichts gegessen und getrunken hat. Wahrscheinlich hat er sich aus dem Sand ein leckeres Risotto gemacht.“
„Aber in der Bibel steht doch …“
„In der Bibel steht viel“, unterbricht mich der Tod. „Das darfst du nicht alles für bare Münze nehmen. Die meisten Geschichten wurden doch mündlich überliefert, da schleicht sich schon mal der ein oder andere Fake-Vers ein.“
„Ich möchte ja auch nicht schlecht über den Junior-Chef reden“, erklärt der Tod und sieht so aus, als würde er nichts lieber tun. „Aber Jesus hatte schon immer einen Hang zum Dramatischen.“
„Wie meinst du das?“, frage ich den Tod.
„Nun ja“, antwortet er zögerlich. „Lass‘ es mich so sagen: Er ist ein ziemlicher Poser.“
„Na ja, Übers-Wasser-laufen würde ich jetzt nicht gerade als Posen bezeichnen“, gebe ich zu bedenken.
„Ganz große Klasse“, schnaubt der Tod verächtlich. „Wenn ich Gottes Sohn wäre, würde ich auch übers Wasser laufen.“ Er macht eine kurze effekthascherische Pause. „Vor allem, wenn ich nicht schwimmen könnte.“
„Wie?“, frage ich erstaunt.
„Der hat nicht mal das Seepferdchen“, lästert der Tod. „Da haben der Josef und die Maria ziemlich lange Gesichter gemacht, als sich alle Eltern mit ihren Blagen über das alberne Stoffabzeichen gefreut haben, während Jesus sich geweigert hat, zu tauchen, und einfach weggelaufen ist. Über den See Genezareth.“
„Na gut“, sage ich. „Aber er kann Wasser zu Wein verwandeln. Das ist nun wirklich spektakulär.“
„Das würdest du nicht sagen, wenn du das Zeug mal getrunken hättest“, erwidert der Tod abschätzig. „Der reinste Brenn-Spiritus. Da sauf‘ ich lieber Sangria aus dem Tetra-Pak.“
Noch gebe ich nicht auf. „Aber Jesus ist von den Toten auferstanden“, führe ich an. „Das macht ihm so schnell keiner nach.“
„Pfff!“, schnaubt der Tod. „Ich würde eher sagen, Jesus hat nach dem Pessach-Fest seinen Rausch ausgeschlafen und ist drei Tage später wieder aus seiner Höhle gekrochen.“
„Aber die Kreuzigung“, werfe ich ein.
Der Tod winkt ab. „Alles nur ein kleiner Prank von Judas und den Römern, der ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist.“
Seine Miene verfinstert sich. „Und jetzt macht der feine Herr Christus einen auf dicke Hose als Religionsstifter und ich stehe wie der letzte Depp da, der nicht in der Lage ist, Jemanden richtig ins Jenseits zu schicken.“
„Ach, ich denke, das kreidet dir niemand an“, versuche ich ihn aufzumuntern.
„Das denkst du“, antwortet der Tod missmutig. „Immer wenn wir bei Gott Ostern feiern, kommt Jesus extra etwas später rein und dann sagt er ganz laut zu mir, so dass es alle hören: ‚Ach, da ist ja auch der „Tod“!‘ Dabei macht er dann immer ironische Anführungszeichen in der Luft und die Erzengel lachen sich kaputt.“
„Das ist natürlich nicht so schön“, sage ich mitfühlend.
„Genau“, erwidert der Tod. „Jesus mobbt mich.“ Er schluckt. „Seit 2.000 Jahren.“
Ich überlege, wie ich dem Tod helfen kann, denn er ist ja mein Freund.
„Ich hab’s“, rufe ich nach einer Weile.
„Was hast du?“, fragt der Tod.
„Eine Idee, wie du es Jesus heimzahlen kannst“, erkläre ich.
„Und wie?“, will der Tod wissen.
„Du schenkst ihm dieses Jahr zu Ostern ein T-Shirt mit Aufdruck“, sage ich.
„Was denn für ein Aufdruck“, fragt der Tod ungeduldig.
Shirt City
„Großartig!“, ruft der Tod und haut mir begeistert seine knöcherne Hand auf die Schulter.
„Aber von mir hast du das nicht“, sage ich.
„Wieso?“, will der Tod wissen.
„Ich habe keine Lust, wegen eines kleinen Scherzes später in der Hölle zu landen.“
Der Tod wiegelt ab. „Da ist es eigentlich viel lustiger als im Himmel. Coolere Leute und coolere Partys. Auf Dauer nur ein bisschen heiß.“
Ich begutachte inzwischen die gefärbten Eier.
„Möchtest du welche mitnehmen?“, frage ich den Tod.
„Nein danke“, lehnt der Tod ab. „Die stinken mir zu sehr.“
„Du könntest sie Jesus schenken“, schlage ich vor.
Wortlos packt der Tod alle Eier in die Innentasche seiner Kutte.
„Ich muss dann mal los“, erklärt er anschließend.
„Noch arbeiten?“, frage ich.
„Nee, ich schau mal bei Judas vorbei. Der will sich bestimmt an dem T-Shirt beteiligen.
Ich bringe den Tod zur Tür.
„Mach’s gut“, sage ich zum Abschied. „Und frohe Ostern.“
„Für dich auch“, antwortet er. Dann geht der Tod die Treppe runter und pfeift dabei „Always look on the bright side of life“.
###
Alle „Gespräche mit dem Tod“ gibt es hier.
Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Köstlich.
Vor allem der Abschnitt mit den Kohle-Eiern. Hab herzhaft gelacht.
Ach endlich wieder ein Gespräch mit dem Tod!
Sehr schön. Darf ich nur kurz hinzufügen: Karsamstag, Karsamstag, Karsamstag. VG von Kirsten von der Gesellschaft zur Rettung des Karsamstag. Meinethalben noch Karsonnabend für die Hamburger, obwohl das auch schon grenzwertig klingt . Sorry, bin schon wieder weg
Die armen Nachbarn! Haben die etwa keine Eier mehr abbekommen nachdem der Tod alle in seine Kutte tat? Aber zum Glück endlich mal ein Tod mit Nase. Diese Gerippe wissen doch olfaktorische Eindrücke sonst gar nicht zu schätzen!
Mir ist aufgefallen das ihr Freund der Tod lange nicht da war. Was treibt der denn so?
Wir sind gerade beide sehr beschäftigt. Aber demnächst treffen wir uns bestimmt wieder mal.