Sardinien 2017 – Tag 13: Von Abschiedsläufen, der ‚Mission francobolli‘ und Textilproblemen am Strand

Es ist 7.30 Uhr, als ich aufwache. Heute steht der letzte Morgenlauf des Urlaubs an. Im Wohnzimmer auf dem Esstisch finde ich einen Zettel. „Bin zum Frühstücken in Santa Teresa Gallura. Erwarte dich in der ‚Port Royal‘. Ciao, der Innere Schweinehund.“

Einen wunderschönen guten Morgen wünscht Howard Carpendale.

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Kurz danach trete ich vor die Ferienwohnung, atme die frische Morgenluft ein und jogge schließlich los, den ersten Anstieg hinauf. Irgendwie freue ich mich darauf, noch einmal die sardischen Hügel hoch und runter zu laufen. Das ist wohl weniger Ausdruck meiner durch die vielen Bergläufe gesteigerten Fitness und Kondition, sondern eher Indiz meiner zunehmenden Geistesgestörtheit.

In meinen irritierenden Frohsinn mischt sich aber auch Wehmut. Heute ist nicht nur der letzte Lauf im Urlaub, sondern ebenso für meine Schuhe. Die haben mich rund fünf Jahre begleitet. Bei der Vorbereitung auf einen Marathon, bei verschiedenen Volksläufen und bei vielen Trainingsläufen. Schätzungsweise 2.500 Kilometer haben sie auf den Sohlen, was viel zu viel ist. Eigentlich sollten Laufschuhe alle 700 bis 800 Kilometer ausgetauscht werden, weil dann die Abnutzung so groß ist, dass sie keinen guten Halt mehr geben. Eine Mischung aus Faulheit, nostalgischer Verbundenheit und insbesondere Geiz hinderten mich aber lange daran, mir neue zu kaufen. Nun haben die Treter ihre gewerkschaftlich festgelegte Höchstdistanz so weit überschritten, dass sie in den verdienten Ruhestand gehen dürfen. (Die Schuhe seufzen dankbar bei jedem meiner Schritte.)

Inzwischen habe ich bereits Santa Teresa Gallura erreicht und befinde mich schon wieder auf dem Rückweg zu unserer Ferienwohnung in Porto Quadro. Die Luft empfinde ich inzwischen nicht mehr als frisch, sondern eher als drückend und unangenehm. Wie eine Decke aus räudigem Schaffell, das sich um meine Schultern legt und juckende Ekzeme verursacht. Außerdem setzt sich das tektonische Phänomen fort, dass die Anstiege in der Gegend von Tag zu Tag steiler werden. Sollten Sie sich jemals fragen, ob es möglich ist, eine senkrechte Wand hochzulaufen, kann ich es ihnen bestätigen.

Und der steilste Hügel der Strecke steht mir noch bevor. Eine Zwölf-Prozent-Steigung, die sich über eine Distanz von knapp 300 Metern zieht, bis man scharf links abbiegen muss, wo einen weitere 200 Meter bergauf erwarten. Nun hänge ich zum letzten Mal in diesem Anstieg und jeder Schritt fällt mir schwer, als trüge ich Rainer Calmund Huckepack.

Wo bleibt eigentlich der Typ, der bei der Tour de France immer im Teufelskostüm neben den Fahrern herrennt, um mich anzufeuern? Und wo die Einwohner von Santa Teresa Gallura, um neben der Strecke Spalier zu stehen und mir ob meiner sportlichen Leistung der letzten zwei Wochen zu huldigen. Und wo die Schar von Kindern, die wie in Rocky neben mir herläuft, um mir am Gipfel zuzujubeln, während ich die Arme in den Himmel reiße.

Stattdessen muss ich alleine und verlassen unter übermenschlicher Mobilisierung meiner letzten Kräfte die Ferienwohnung erreichen. Dort tanze ich nicht zu den Klängen von ‚Gonna fly now‘, sondern röchle wie ein rachitisches Rhinozeros.

Good bye, Treter.

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Nachdem ich mich einigermaßen erholt habe, gehe ich ins Bad zum Duschen. Dort schaue ich mich erschöpft im Spiegel an. Ein braun gebrannter Mann schaut zurück. Ich möchte sogar so weit gehen du sagen ein junger, wenn nicht gar jugendlicher Mann. Ganz gut aussehen ist er eigentlich auch. (Das liegt unter anderem an seinem dichten Haar, aber das nur am Rande.) Lediglich die Gesichtsbehaarung ist etwas zottelig, nach zwei Wochen ohne Rasieren. Das ist ja immer ein gewisses Risiko, dass einem im Urlaub so ein Gestrüpp im Gesicht wächst und die Beamten einen bei der Grenzkontrolle nicht mehr auf dem Passbild wiedererkennen, weil man aussieht wie Ötzis älterer Bruder. (Auch das ist ein Grund, warum ich ein großer Befürworter eines vereinten Europas mit offenen Grenzen bin.)

Insgesamt bin ich mit der spiegelbildlichen Erscheinung sehr zufrieden. Der struppige Bart hat ein bisschen was von Aragorn aus ‚Herr der Ringe‘. Die Kinder finden aber, Aragorn sei viel zu cool und diskutieren, welcher der Zwerge ich sein könnte. Die Frau wiederum meint, eine gewisse Ähnlichkeit mit Gandalf, dem Grauen, zu erkennen, was ich als einen wenig hilfreichen Redebeitrag empfinde. So etwas muss sich Aragorn, Sohn von Arathon, König von Gondor und Arnor nicht bieten lassen.

Ich, nach zwei Wochen Sardinien.

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Nach dem Frühstück steht unser letzter Besuch der Spiaggia Rena Bianca an. Auf dem Weg mache ich noch schnell einen Abstecher zur Post, denn wie heißt es so schön: „Ohne Briefmarken keine Urlaubsgrüße!“

Vor dem Postamt bereite ich mich akribisch auf meine ‚Mission francobolli‘ vor, indem ich bei Google Translator nachschaue, was ich sagen muss, wenn ich fünfzehn Briefmarken für Postkarten nach Deutschland kaufen möchte.

Mission francobolli

Ich präge mir den Satz Wort für Wort ein, wie damals in der siebten Klasse das Gedicht von ‚Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland‘, in dessen Garten, wie wir alle wissen, ein Birnbaum stand.

Auf der Post muss ich mich erstmal am Ende einer recht langen Schlange einreihen. Kein Wunder, dass es bei den sparsamen Öffnungszeiten einen Ansturm gibt, als würde hier das neueste iPhone vom wiederauferstandenen Steve Jobs höchstpersönlich verschenkt.

Nach einer guten Viertelstunde bin ich schließlich an der Reihe. Meine Nervosität überspielend schnarre ich meinen Satz: „Vorrei comprare quindici francobolli per le cartoline in Germania!“ Der Schalterbeamte reißt die Augen auf und ruft: „Quindice?“ Ich sage heftig nickend „Si!“ und versuche, mit meinen zehn Fingern die Zahl fünfzehn darzustellen. Um nicht als unhöflich zu gelten, schicke ich ein „Scusi, prego, per favore, grazie!“ hinterher.

Anscheinend ist mein Anliegen sehr ungewöhnlich und auf der sardischen Post wird normalerweise nicht nach Briefmarken verlangt. Der Schalterbeamte geht auf jeden Fall erstmal zu einem älteren Kollegen im hinteren Teil des Schalters und diskutiert aufgeregt mit ihm. Vielleicht habe ich aber auch nur einige der Wörter falsch betont und versehentlich gesagt: „Her mit der Kohle, oder ich jage die ganze Bumsbude hier in die Luft!“ Kurze danach kommt der Mann jedoch zurück und überreicht mir meine ersehnten ‚francobolli‘.

Vor dem Postgebäude erwartet mich der Sohn. Aber nicht, um mir zum erfolgreichen Briefmarkenkauf zu gratulieren, sondern um mir Vorhaltungen zu machen, wo ich denn so lange bliebe. Die anderen seien schon vor in Richtung Strand gegangen.

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Die Spiaggia Rena Bianca meint es heute zum Abschied gut mit uns. Sie ist zwar, wie immer, gut gefüllt, aber wir finden trotzdem sofort ein freies Plätzchen. Sogar mit mehr als 50 Zentimeter Platz auf jeder Seite zu den anderen Strandbesuchern. Man fühlt sich fast ein bisschen einsam.

Wer Menschen mag, wird die Spiaggia Rena Bianca lieben.

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Inzwischen habe ich nämlich Gefallen an dem vollen Strand gefunden. Hier bekommt man doch mehr mit vom echten italienischen Leben, als wenn man in einer einsamen fast menschenleeren Bucht liegen würde. Es wird palavert, gelacht, geweint, diskutiert, gestritten, sich wieder vertragen und geküsst. Wie in einer großen italienischen Oper.

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Nachdem ich eine Weile gedöst habe, gehe ich ins Wasser, um mit den Kindern zu spielen. Dort bin ich allerdings mit einem unangenehmen Textilproblem konfrontiert. Da ich vor ein paar Tagen bei starkem Wellengang beinahe meine Badeshorts verloren hätte, schnüre ich sie nun oben am Bund immer so stramm wie möglich zu, um einen festen Sitz zu garantieren. Dies hat allerdings zur Folge, dass Luft, die in die Badehosenbeine steigt, nicht mehr oben entweichen kann, sondern die Hosen ballonförmig aufbläht. Diese überschüssige Luft kann man nur loswerden, indem man sie nach unten aus den Beinen streicht. Das hat aber wiederum den missverständlichen Effekt, dass in einem engen Radius um einen herum Luftblasen emporsteigen und das Wasser blubbert, als hätte man zum Frühstück eine Dose ‚Feuerzauber Texas‘ gegessen.

Das wäre nicht weiter tragisch, würden nicht direkt neben mir ein paar junge, gut aussehende Frauen in engen Bikinis baden. (Ja, so viel Chauvinismus sei mir erlaubt, dass es mir unangenehm ist, in der Gegenwart attraktiver Frauen den Eindruck zu erwecken, ich flatuliere vollkommen schambefreit ins Wasser.) Möglicherweise gibt es ja Kulturkreise, in denen starke Darmwinde als erotisch gelten und für eine große Manneskraft stehen. Im sardischen anscheinend nicht, denn die Bikinischönheiten ziehen indigniert von dannen.

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Als ich wieder am Strand bin, verspüre ich ein leichtes Hungergefühl. Obwohl wir doch erst vor gut zwei Stunden opulent gefrühstückt haben. Also, um ehrlich zu sein, ist es ein ziemlich starkes Hungergefühl. So einen richtigen Heißhunger. Ich schiebe es auf die Seeluft, die einen laut Volksmund ja hungrig machen soll. Das ist auch besser für das eigene Selbstbild, als zugeben zu müssen, verfressen zu sein. Ich übe mich also in kulinarischer Geduld.

Um mich abzulenken, mache ich mir Notizen für den heutigen Tagebucheintrag. Zur Erhöhung meiner Effizienz experimentiere ich mit der Sprachfunktion meines Handys. Ich diktiere meine Stichpunkte ins Telefon, wo sie dann in Text umgewandelt werden. Das klappt aber nur so semi-gut. Das Ergebnis liest sich in etwa so, als habe man etwas Japanisches in Suaheli, dann in Finnisch, danach in Schwyzerdütsch und schließlich ins Niederländische übersetzt.

Sprachfunktion

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Da mein Hunger immer größer wird, dränge ich zum Aufbruch. Schließlich wollen wir noch ein letztes Eis essen. Danach verabschieden wir uns wehmütig von Santa Teresa Gallura.

Impressionen aus Santa Teresa Gallura.

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In der Ferienwohnung machen wir uns dann an das Packen der Koffer, was so deprimierend ist, dass man gar nicht darüber schreiben möchte. Erträglich wird diese Aufgabe nur dadurch, dass die Frau und ich noch den restlichen Alkohol trinken müssen. Denn möchte man ja nicht wegschütten. Ein wenig Rotwein, zwei Ichnusa-Biere sowie zwei Aperol Spritz später, geht das Kofferpacken schon viel leichter von der Hand.

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Zum Abendessen gibt es Spaghetti Bolognese. Zum ersten und einzigen Mal im Urlaub, wie sich der Sohn wundert. Wer nach dem Essen unsere T-Shirts sieht, weiß warum.

Später gehen wir zum Steinstrand in der Nähe der Ferienwohnung, um uns ein letztes Mal den Sonnenuntergang anzuschauen. Auch diesmal ein eindrucksvolles Schauspiel, wie die Sonne als großer Feuerball im Meer versinkt. Richtig idyllisch. Das einzige, was nervt, sind ein paar Kinder, die die ganze Zeit Steine ins Meer schmeißen und einen Heidenlärm veranstalten. Leider sind es unsere.

Ramontik zum Abschied.

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Nachdem wir wieder in der Wohnung sind, steht das große Kniffelfinale an. Aufgrund des großen Vorsprungs der Tochter ist es aber eher ein Schaulaufen. Quasi ein ‚Kniffel d`Honneur‘. Das Endergebnis stellt sich schließlich wie folgt dar:

  1. Platz: Tochter – 6.092 Punkte
  2. Platz: Frau – 5.550 Punkte
  3. Platz: Sohn – 5.308 Punkte
  4. Platz: Ich – 5.259

Es gilt allerdings nur vorläufig und unter Vorbehalt, da ich es aufgrund der Unebenheiten an meiner Tischseite sowie der atmosphärischen Störungen an meinem Sitzplatz juristisch überprüfen lassen werde. Ich denke, dieser Wettbewerbsnachteil wird – zu Recht – mit 834 Punkten kompensiert werden.

Gute Nacht!

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Alle Teile des Sardinien-Tagebuchs finden Sie hier.

3 Kommentare zu “Sardinien 2017 – Tag 13: Von Abschiedsläufen, der ‚Mission francobolli‘ und Textilproblemen am Strand

  1. AJÒ

    CIiao cari,

    als Sardin euer Tagebuch zu lesen hat mich amüsiert.
    Schade dass euer Urlaub schon zu Ende ist. Hätte gern noch mehr von : „Wie sehen uns die „Tschörmans“ und was halten sie von Sardinien , erfahren.

    Nun wisst ihr wie wir sind

    „Sa domu est minore, su coru est mannu“

    Saludos

    Antonietta

    PS
    Bin aus Cala Gonone, wohne in Frankreich

    • Das freut mich, dass dir das Tagebuch gefallen hat. Wir fanden es ganz wunderbar auf Sardinien und kommen sicherlich wieder.

    • Es freut mich, dass Ihnen die Beiträge auch als Sardin gefallen haben. Ich würde mir aber nicht anmaßen zu behaupten, dass ich jetzt wüsste, wie “die” Sarden sind. Ich wäre schon froh zu wissen, wer ich selbst bin.

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