Sardinien 2017 – Tag 4: Von Frühstücksfröhlichkeit, modischen Strandreflektionen und Eiskleckereien

Die Frau und ich wachen beide bereits kurz nach Sieben auf und bereiten sofort das Frühstück vor, da wir die naive Hoffnung hegen, doch einmal so zeitig loszukommen, dass wir am Strand einen Liegeplatz für die komplette Familie finden. Als der Tisch fertig gedeckt ist, wecken wir die Kinder.

Meerblick am Morgen, vertreibt Kummer und Sorgen.

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Am Frühstückstisch ist ein starkes Generationengefälle bezüglich der Verteilung von guter Laune zu verzeichnen. Die Frau und ich sind außerordentlich fröhlich und gesprächig und versuchen, eine Unterhaltung mit den Kindern zu führen. Die sind gegenüber unserem Frohsinn aber immun. Sie sitzen morgenmufflig und wortkarg in ihren Stühlen versunken und sind von unserem Gebaren höchst irritiert.

Das ist auch irgendwie verständlich. In Berlin werden bei uns morgens nämlich immer nur sehr wenige Worte gewechselt, bis die Kinder zur Schule aufbrechen. Ich schätze mal maximal so um die 50. Und zwar verteilt auf alle vier Familienmitglieder.

Meistens handelt es sich um immer wiederkehrende Floskeln, die jeden Morgen geäußert werden. Ich habe bereits überlegt, Schilder zu diesem Zwecke anzufertigen, die dann nur noch hochgehalten werden müssen. „Vergiss dein Brot nicht.“, „Du musst noch Zähne putzen.“, „Pack deine Fahrkarte und deinen Schlüssel ein.“ Das würde die Effizienz unserer morgendlichen Kommunikation auf jeden Fall erheblich steigern.

Um die Stimmung der Kinder weiter anzuheben, bemühe ich mich, dass auch im Urlaub das Lebenswerk des Freiherrn von Knigge in Ehren gehalten wird. Dazu versuche ich, das bei uns normalerweise geltende Kraftausdruck- und Mit-vollem-Mund-sprechen-Verbot am Frühstückstisch durchzusetzen. Sowohl Tochter als auch Sohn nehmen aber allenfalls am Rande wahr, dass irgendwelche Worte meinen Mund verlassen haben, und reden einfach weiter, auch wenn sie gerade erst in ihr Brot gebissen haben. (Der Urlaub scheint dem Respekt gegenüber der väterlichen Autorität nicht sonderlich gut zu bekommen.)

Die Frau ist mir auch keine große Hilfe und meint, in den Ferien könne man ja mal ein Auge zudrücken, wobei sie ihren Bissen Nutella-Brot noch nicht komplett runtergeschluckt hat. Meine Bemerkung, mir wäre es lieber, wenn wir beim Essen den Mund zudrückten, ignoriert sie einfach. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass wir hier auf Sardinien wie die Barbaren hausen. Vielleicht können wir ja wenigstens Kapital daraus schlagen, indem wir uns für die nächste Staffel Frauentausch bewerben.

Gegen Ende des Frühstücks drücke ich mein Bedauern aus, dass wir im Urlaub kein Personal haben, das uns lästige Tätigkeiten abnimmt. Zum Beispiel eine Maria, die den Tisch abräumt und den Abwasch erledigt, oder einen Mario, der schon einmal das Auto vorbereitet und uns zum Strand kutschiert.

Die Gattin ist wenig begeistert von meinem antiquierten Rollenverständnis, bei dem die Frau für die Haushaltstätigkeiten und der Mann für die Chauffeurdienste zuständig ist. Sie hat aber auch prinzipielle Einwände gegenüber dem Konzept Hausangestellte, denn mit denen müsse man ja reden. Es ist eigentlich ein Wunder, wie zwei sozialphobische Menschen wie wir uns überhaupt finden konnten. (Die Stichworte Studienzeit, Partys und Alkohol mögen einen Hinweis darauf geben, wie das gegen alle Wahrscheinlichkeit doch geklappt hat.)

„Ich möchte im Urlaub nun mal so wenig wie möglich mit Menschen zu tun haben“, erklärt die Frau bestimmt. „Und was ist mit uns?“, will der Sohn wissen. „Nun, das ist, hm, das ist etwas anderes“, erwidert die Frau. Dabei zögert sie allerdings einen Moment zu lange, als dass ihre Antwort wirklich glaubwürdig ist. Glücklicherweise bekommt der Sohn das nicht mit.

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Aufgrund der Abwesenheit von Maria und Mario, müssen wir uns nach dem Frühstück selbst um den Abwasch und das Richten der Strandutensilien kümmern. Bevor es losgeht, cremen wir uns alle noch mit Sonnenmilch ein. Dabei stellen wir fest, dass jedes Familienmitglied an anderen Körperteilen eine dermatologisch grenzwertige Röte vorzuweisen hat. Die Tochter am Dekolletee und an den Beinen, der Sohn im Gesicht und an den Schultern, die Frau am Rücken und den Armen und ich an den Füßen und im Nacken. Jetzt fehlt uns nur noch ein Bauch und dann hätten wir unseren eigenen Engländer zusammen.

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Heute sind wir zwar fünfzehn Minuten früher dran als bei unserem ersten Strandbesuch, versuchen es aber trotzdem gar nicht erst, einen Parkplatz in der Nähe der Spiaggia Rena Bianca zu bekommen. Wir stellen das Auto direkt am Supermarkt ab und nehmen erneut den Zwei-Kilometer-Fußmarsch zum Strand in Kauf. Die Kinder sind amüsiert wie Queen Elizabeth II., wenn Prinz Harry mal wieder mit einer Nazi-Uniform in die Schlagzeilen geraten ist.

Zu Fuß durch die Stadt zu gehen, ist aber auch wirklich eine Herausforderung, denn in Italien gilt das geflügelte Wort „Straßenverkehr ist die Fortsetzung von Krieg mit anderen Mitteln“. Als Fußgänger ist man der Schwächste unter den Verkehrsteilnehmern und muss daher besonders souverän, wenn nicht gar herrisch, auftreten. Am besten legt man das Verhalten eines geschlechtsreifen Gorillamännchens an den Tag, das bereit ist, jeden seiner Rivalen gnadenlos wegzubeißen.

Vor allem darf man als Fußgänger nie, aber wirklich gar nie, Angst zeigen. So etwas riechen italienische Autofahrer und dann hat man verloren. Es soll Touristenpärchen geben, die an italienischen Zebrastreifen verhungert und verdurstet sind, weil sie sich nicht getraut haben, die Straße zu überqueren.

Als wir den Marktplatz erreichen, an dem wir am ersten Tag unser Auto abgestellt hatten, bekommen wir ein besonderes Schauspiel geboten: Ein Polizist, der in seiner schnittigen Uniform und mit seiner verspiegelten Sonnenbrille aussieht, als sei er einem Adriano-Celentano-Film entsprungen, dirigiert den Straßenverkehr. Mit zackigen Armbewegungen und Handsignalen stoppt er Autos, lässt andere Fahrzeuge fahren, schickt die einen nach links, die anderen nach rechts. Alle Kommandos unterstreicht er, indem er kräftig in seine Trillerpfeife bläst. Ein solch lautes Getrillere habe ich nicht mehr gehört, seitdem wir am 8. Geburtstag des Sohnes in einem Anflug von geistiger Umnachtung all seinen Gästen als Mitgebsel Schiedsrichterpfeifen geschenkt haben. Einige der Eltern haben das recht persönlich genommen und reden seit drei Jahren nicht mehr mit uns.

Italienischer Polizist. Nur echt mit Trillerpfeife (nicht im Bild).

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Am Strand bietet sich das gleiche Bild wie in den Tagen zuvor. Der komplette Sand ist bedeckt mit Badetüchern, Liegen und Sonnenschirmen. Wir steuern direkt unseren gestrigen Platz in den Steinen an und versuchen, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Nicht, dass wir am Ende für drei Mal nach 10.30 Uhr an den Strand gehen, für den Rest des Tages eine Deppenmütze tragen müssen.

Während die Frau und die Kinder ins Wasser gehen, gebe ich mich wieder meinen Beobachtungsstudien hin. Dabei fällt mir auf, dass das Goldkettchen, das ich bis heute für eine ausgestorbene Spezies hielt, anscheinend immer noch ein beliebtes Schmuckaccessoire des italienischen Mannes ist. Mit ungefähr dreizehn Jahren trug ich auch eine Kette, die ich mir von meinem Konfirmationsgeld gekauft hatte. Allerdings in Silber, dafür aber fingerdick. Damit qualifizierte ich mich quasi als RUN DMC-Mitglied ehrenhalber. Im Laufe der Pubertät kam ich dann irgendwann zu der Erkenntnis, dass so eine Silberkette doch ziemlich albern ist. Außerdem machte ich sie für meinen mangelnden Erfolg beim anderen Geschlecht verantwortlich. Womöglich war das aber eine Fehleinschätzung meinerseits, denn auch nachdem ich die Kette abgelegt hatte, konnte ich kein gestiegenes Interesse der Mädchen an meiner Person verzeichnen.

Ebenfalls ein modisches Must-Have bei männlichen italienischen Männern scheinen eng und hoch ausgeschnittene Speedo-Badehosen zu sein. Vielleicht sollte ihnen mal jemand sagen, dass dieses Badetextil allenfalls sexy aussieht, wenn man Mark Spitz heißt und gerade bei den Olympischen Spielen sieben Goldmedaillen gewonnen hat.

Wie ich später feststellen muss, teilt die Frau meine kritische Bewertung der Speedo-Badehose allerdings nicht. Ganz im Gegenteil. Sie erzählt mir sehr detailreich von einem Italiener mit schnittiger weißen Speedo-Badehose, den sie am Strand gesehen hätte. Für meinen Geschmack gerät sie ein wenig zu sehr ins Schwärmen, als sie sich darüber auslässt, wie gut dem Mann die Hose steht und wie sie seine tolle athletische Figur unterstreiche. Vor allem als ich den Mann kurz danach erblicke. Vom Alter her könnte er mein Vater sein – allerdings nur, wenn er mich mit 40 gezeugt hätte – und der Verfall seines Körpers ist meiner Ansicht nach auch nicht zu leugnen. Möglicherweise bin ich bei meiner Einschätzung aber auch etwas voreingenommen. Die Frau reagiert jedenfalls auf meine Einlassung nicht, sondern schaut den Mann nur versonnen an.

Damit Sie nicht den unvorteilhaften Eindruck von mir bekommen, ich säße immer nur draußen und mache mir despektierliche Gedanken über die anderen Strandbesucher – auch wenn Sie damit nicht vollkommen falsch liegen –, sei erwähnt, dass ich fast eine Stunde lang mit Tochter und Sohn im Wasser Ball spiele. Wir schaffen es, ihn uns 148-mal zuzuwerfen, ohne dass er hinfällt. Damit haben wir für diesen Urlaub wahrscheinlich den Zenit unserer sportlichen Leistungsfähigkeit erreicht.

Nachdem der Sohn mehrere Stunden im Wasser war, ist sein rechtes Auge vom Salzwasser und der Sonnenmilch geschwollen und gerötet, als hätte er gerade zwölf Runden mit den Klitschko-Brüdern geboxt. Und zwar ohne Handschuhe. Gerne würde ich ihm ein Schild umhängen auf dem steht „Nein, meine Eltern haben mich nicht geschlagen“. Leider reichen meine italienisch Kenntnisse dazu nicht aus. Daher packen wir unsere Sachen zusammen und machen uns auf den Heimweg.

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Auf Geheiß des Sohnes darf folgende Anekdote im heutigen Urlaubstagebuch-Eintrag nicht fehlen.

Nachdem wir beim Auto angekommen sind, gehen wir noch schnell in den Supermarkt, um das Nötigste für die nächsten Tage einzukaufen. Das heißt, ein wenig Obst und Gemüse, Nudeln, Parmesan und Mozarella in nicht handelsüblichen Mengen, sardisches Bier, Prosecco, Chips und Kinder-Brioss.

Wenn aus Sarden Freunde werden. Ichnusa.

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Zur Begeisterung der Kinder schlag ich vor, dass wir auch eine Packung Wassereis holen, die in den Geschmacksrichtungen Orange, Kirsche, Minze und Limone Erfrischung verspricht. Als wir die anderen Einkäufe im Kofferraum verstaut haben, führen wir uns am Auto stehend das Eis zu Gemüte. Aufgrund der Hitze hat jedoch bereits der Schmelzprozess eingesetzt und so passiert es, dass die Frau und ich uns ein ganz klein wenig mit Eis bekleckern. Für das menschliche Auge quasi gar nicht wahrnehmbar. Dem Sohn entgeht es trotzdem nicht. Er stößt einen Triumphschrei aus und schreit unangemessen laut über den Parkplatz: „Ha, die Eltern haben sich vollgesaut und die Kinder nicht. Das muss heute unbedingt auf den Blog!“

Das hört sich jetzt für Sie vielleicht ein bisschen so an, als hätten wir uns gerade wie Mastschweine in Schlamm und Matsch gesuhlt. Dabei ist tatsächlich nur ein ganz klein wenig Eis auf uns getropft. Gut, bei der Frau auf Kleid, Beine und Flip-Flops, bei mir auf T-Shirt, Shorts und Schuhe. Aber der Rest ist einwandfrei sauber geblieben!

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Nach dem Abendessen – heute ausnahmsweise mal keine Nudeln, sondern Gnocchi mit Tomatensauce – gehen wir runter zum Steinstrand, um uns den Sonnenuntergang anzuschauen. Und der ist wirklich sehr stimmungsvoll.

Sonnenuntergang auf Sardinien. Romantischer wird’s nicht.

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Ich steigere die Romantik des Augenblicks noch zusätzlich, indem ich „Wenn auf Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ anstimme. Immerhin 25 Prozent der Familie sind von meinem Gesang begeistert. (Ein Zustimmungswert, von dem Martin Schulz nur träumen kann.)

Die Frau dagegen zerstört die Erhabenheit des Moments und lässt die Hobby-Astronomin raushängen. „Eigentlich geht die Sonne ja gar nicht unter, sondern die Erde dreht sich“, unterbricht sie mich. Zeitgenossen, die ihr weniger wohl gesonnenen sind, würden ihren Tonfall möglicherweise als altklug bezeichnen. Ich würde das aber niemals tun. Noch nicht einmal andeuten würde ich es, indem ich diese Kritik fiktiven ihr nicht wohlgesonnenen Zeitgenossen in den Mund legen würde.

Bei den Kindern löst die Feststellung der Frau auf jeden Fall einen Sturm von Fragen aus, die sie sich anscheinend nie getraut haben, ihren Erdkundelehrern zu stellen.

„In welche Richtung dreht sich die Erde?“
„Warum ist die Sonne rot, wenn sie untergeht?“
„Kann man der Sonne mit dem Schiff hinterherfahren?“

Meine Güte, woher soll ich das denn wissen. Steht auf meiner Stirn etwa „Frag‘ die Maus“? Können die Kinder nicht einfach wie ganz normale Jugendliche stumpf in ihre Smartphones glotzen, anstatt uns hier mit naturwissenschaftlichen Fragen zu bombardieren, auf die ein durchschnittlich ungebildeter Mensch, wie ich es bin, keine Antwort weiß?

Ich ermutige die Frau, die Fragen der Kinder zu beantworten, denn sie hat uns diesen Schlamassel schließlich eingebrockt. Hätte sie mich mal in Ruhe singen lassen. Die Frau hat an dem abgeschiedenen Strand aber keinen ausreichenden Handy-Empfang, so dass sie weder Google noch Wikipedia konsultieren kann. Sie schlägt daher vor, dass wir nach Hause gehen und Chips und Gummibärchen essen. Damit ist der Wissensdurst der Kinder unverzüglich gestillt.

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Nach der heutigen Kniffelrunde übernimmt der Sohn die Führung in der Gesamtwertung. Für mich ist das nur erklärbar, weil die Tochter für uns die Ergebnisse zusammenzählt und sie an einer noch zu diagnostizierenden Dyskalkulie leidet.

Gute Nacht!

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Alle Teile des Sardinien-Tagebuchs finden sie hier.

3 Kommentare zu “Sardinien 2017 – Tag 4: Von Frühstücksfröhlichkeit, modischen Strandreflektionen und Eiskleckereien

  1. Musste so lachen über den Bastelsatz “englischer Sonnenbrand” – So oft gesehen! Euer Urlaubsblog bringt auch uns hier ein bisschen Sonnenschein nach einem langen Tag – geniesst den Urlaub und macht weiter so!

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