99 Weisheiten und Unweisheiten für meine Tochter, die letzte Woche ausgezogen ist

Vor gut 18 Jahren zog ich meiner neugeborenen Tochter im Krankenhaus einen altrosafarbenen Frotteestrampler aus dem Klinik-Bestand an und dachte dabei: „Hoffentlich vermasseln wir das nicht mit dem Elternsein.“ Meiner Tochter lief eine kleine Träne über ihr kleines Gesicht. Wahrscheinlich dachte sie dasselbe.

Inzwischen ist die Tochter volljährig und ein ganz wunderbarer Mensch. Sie ist empathisch, hilfsbereit, liebevoll, meinungsstark, witzig, reflektiert und vieles mehr. Anscheinend haben wir als Eltern nicht vollkommen versagt. Oder unser Einfluss war so gering, dass wir keinen Schaden anrichten konnten.

Nun ist sie letzte Woche zum Studium nach Schweden gezogen, wird immer mehr auf eigenen Füßen stehen und uns Eltern immer weniger brauchen. Da stellt sich mir die Frage, was ich meiner Tochter auf ihrem weiteren Lebensweg noch mitgeben kann. Wahrscheinlich nicht viel, denn in vielen Dingen ist sie viel weiser und klüger als ich es bin. Trotzdem habe ich 99 Weisheiten und Unweisheiten aufgeschrieben, die vielleicht hilfreich sind, denn auch Väter können nicht irren. Zumindest manchmal.

  • „Carpe Diem“ und „Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens“ klingen wie beschissene Kalendersprüche, aber das heißt nicht, dass sie nicht trotzdem wahr sind.
  • Dein Leben dauert ungefähr 4.000 Wochen. Mit etwas Glück ein paar hundert Wochen länger. Mach‘ das Beste für dich daraus. Weise Gedanken von Oliver Burkeman.
  • Weil deine Lebenszeit begrenzt ist, musst du dich nicht nur entscheiden, was du machst, sondern auch, was du nicht machst. Ich habe mich zum Beispiel vor zwei Jahren entschieden, den Keller nicht zu entrümpeln.
  • Trinke nie Gin&Tonic aus der Dose.
  • Begrüße beim Betreten eines Busses immer die Fahrer:innen. Damit machst du ihnen eine Freude und dir selbst. Denn was gibt es schöneres als Berliner Busfahrer:innen, die sich freuen?
  • Traue dich, andere um Hilfe zu bitten. Die meisten Menschen freuen sich, wenn sie jemandem helfen können.
  • Überheblichkeit, Selbstgefälligkeit und Empathielosigkeit sind schlechte Eigenschaften von Menschen, die nicht wahrhaben, wie privilegiert sie sind.
  • Sei dir immer deiner Privilegien bewusst. Verurteile niemanden, der weniger privilegiert ist als du und deswegen weniger weiß und Ansichten hat, die deinen eigenen widersprechen.
  • Vertraue keinen selbstklebenden Wandhaken.
  • Wenn du Kleingeld verschenken willst, gib es den Bettlern und Obdachlosen, die am abgerissensten aussehen. Wahrscheinlich bist du die Einzige, die ihnen etwas gibt.
  • „Glück besteht aus einem soliden Bankkonto, einer guten Köchin und einer tadellosen Verdauung.“ Weise Worte von Jean-Jacques Rousseau.
  • Ein Dankbarkeits-Tagebuch hilft dir, die kleinen positiven Dinge des Tages zu sehen.
  • Ein Undankbarkeits-Tagebuch hilft dir, die nervigen Dinge des Tages zu sehen. Was du davon ändern kannst, ändere, und was du nicht ändern kannst, ignoriere.
  • Die meisten Menschen interessieren sich herzlich wenig für andere. Du musst also keine Angst haben, was andere über dich denken.
  • Wenn jemand gehässig oder unhöflich zu dir ist, stell dir vor, die Person hätte eine schlimme Krankheit. Dann bleibst du freundlich und kannst die Situation entschärfen. Oder die Person ärgert sich wahnsinnig über deine Freundlichkeit und das ist noch besser.
  • Die beste Antwort auf eine Beleidigung ist: „Wahrscheinlich hast du recht.“
  • Laut reden und denken, ist nicht vereinbar. Oder wie der Dalai Lama gesagt hat: „In der Wut verliert der Mensch seine Intelligenz.“
  • Wenn du einen neuen Handy-Vertrag abschließt, richte dir sofort einen Kalendereintrag für 18 Monate später ein, um ihn zu kündigen.
  • Traue niemandem, der den kleinen Prinzen zitiert.
  • Toleriere andere Meinungen, auch wenn du sie nicht akzeptierst.
  • Rassismus ist keine Meinung. (Stating the obvious.)
  • Sexismus auch nicht. (Stating nochmal the obvious.)
  • Die meisten Ismen ebenfalls nicht.
  • Rohen Kohlrabi gut finden, ist auch keine Meinung, sondern eine abseitige Geschmacksverwirrung.
  • Es ist das Vorrecht der Jugend, zornig, fordernd, anmaßend und kompromisslos zu sein. Wir Älteren brauchen das, sonst werden wir träge. Also, sei zornig, fordernd, anmaßend und kompromisslos.
  • Menschen sind nicht scheiße. Sie benehmen sich scheiße, haben scheiß Ansichten, handeln scheiße, aber es sind trotzdem Menschen.
  • Nur weil viele alte, weißen Männer beschissene Ansichten haben und sich beschissen verhalten, haben nicht alle alten, weißen Männer beschissene Ansichten und verhalten sich beschissen. Zugegebenermaßen eine Meinung, die vor allem von alten, weißen Männern vertreten wird. (Vor allem von denen, die beschissene Ansichten haben und sich beschissen verhalten.)
  • Wenn du Angst hast, einen Vortrag vor vielen Menschen zu halten, stell dir auf keinen Fall vor, dass alle nackt sind. Es gibt nichts Furchteinflößenderes als einen Vortrag vor lauter Nackten halten zu müssen.
  • Menschen behalten sich von einem Gespräch oder einem Vortrag nie mehr als drei Informationen. (Egal ob sie angezogen oder nackt sind.)
  • Es gibt keine dummen Fragen. Außer auf Elternabenden.
  • Die Welt ist nicht ausschließlich schwarz und weiß und Menschen sind nicht nur gut oder nur schlecht, sondern meistens irgendetwas dazwischen.
  • Lerne mit der Ambivalenz der Welt klarzukommen. Das gelingt nur den wenigsten.
  • „Die ultimative Form der Liebe ist es, uns selbst und anderen zu erlauben, komplex zu sein.“ Weise Worte von Nora Bateson.
  • „Everyone you meet is fighting a battle you know nothing about. Be kind. Always.“ Weise Worte von Robin Williams. Angeblich.
  • Robin Williams ist nicht Robbie Williams.
  • Nur weil du hilfsbereit, empathisch und rücksichtsvoll bist, heißt das nicht, dass du nicht für dich selbst einstehen darfst.
  • Der erste Pfannkuchen misslingt immer. Der erste Sex auch. (Eine Weisheit, die ich bei Andreas Weber gehört habe.)
  • Schreibe nie etwas Schlechtes über jemanden in einer Mail oder einer WhatsApp-Nachricht.
  • Rede gut über Menschen, die nicht anwesend sind. Irgendjemand wird es ihnen erzählen.
  • Im Studium lernst du neue Leute kennen, gewinnst neue Erkenntnisse, machst neue Erfahrungen. Genieße dein Studium, denn es wird eine der besten Zeiten deines Lebens sein.
  • Wenn du dich später nicht an dein Studium erinnern kannst, hast du es womöglich zu sehr genossen.
  • Bevor du dich neu orientierst oder etwas grundlegend veränderst, stelle dir die folgenden Fragen: „Schade ich mir damit? Schade ich anderen damit? Komme ich dafür ins Gefängnis?“ Weise Gedanken, die ich bei Sebastian Fitzek gelesen habe.
  • Wenn du vor einer wichtigen Entscheidung stehst, mach‘ dir eine ausführliche Pro&Contra-Liste. Anschließend entscheidest du aus dem Bauch heraus.
  • „Aber die Zukunft ist ungeschrieben, die Zukunft ist so schön vakant.“ Pathetische und weise Worte von Thees Uhlmann.
  • Gemeinsam mit anderen Alkohol trinken, um in Stimmung zu kommen, ist okay. (Zumindest, solange du das nicht sieben Tage die Woche machst.)
  • Keinen Alkohol mit anderen trinken, ist auch okay.
  • Allein Alkohol trinken, ist nicht okay.
  • Der Spruch, „Tanze, als ob niemand zuschaut“, gilt nur, wenn wirklich niemand zuschaut.
  • „Denk’ an die Elektrolyte.“ Weise Worte von Kristall-Rainer Karl Schmidt in “Herr Lehmann”.
  • Nach exzessivem Feiern die Kopfschmerztablette immer schon vor dem Schlafengehen nehmen!
  • Beginne Hausarbeiten immer mit einem „shitty first draft“. Mit Rechtsschreibfehlern, Gedankensprüngen, fehlenden Informationen und so weiter. Das verbesserst du alles beim weiteren Schreiben. Zum Schluss musst du nur dafür sorgen, dass niemand den „shitty first draft“ zu lesen bekommt. Niemals.
  • Gib dir bei Hausarbeiten besonders viel Mühe mit der Einleitung und der Zusammenfassung. Den Rest liest sowieso niemand.
  • Prokrastinieren ist nichts Schlechtes. Dann hast du wenigstens ab und an eine ordentliche Wohnung, aufgeräumte Küchenschränke und die Wäsche ist auch gemacht.
  • Es gibt keine befriedigendere Hausarbeit mit einem besseren Vorher-Nachher-Effekt als Fensterputzen.
  • Besonders befriedigend ist der Effekt, wenn du sie nur einmal im Jahr putzt.
  • Immer wenn du den Staubsauger wegräumst, entdeckst du mitten im Zimmer noch einen riesigen Krümel. Es ist sinnlos, den Staubsauger nochmal hervorzuholen und den Krümel wegzusaugen, denn wenn du den Sauger wieder verstaut hast, siehst du einen neuen Krümel. Ignorier‘ ihn einfach. Oder kick‘ ihn unters Sofa.
  • In jedem ordentlichen Haushalt gibt es mindestens eine Ecke oder Schublade, in der das totale Chaos herrscht. Die Kunst besteht darin, dass sich das Chaos nicht in der ganzen Wohnung ausbreitet.
  • Das beste Werkzeug ist nur so gut, wie die Person, die es benutzt.
  • Hilfreicher Merksatz für Schrauben: Righty tighty, lefty loosy.
  • Hilfreicher Merksatz für Sommer- und Winterzeit: Im Sommer werden die Gartenmöbel VOR die Tür gestellt, im Winter werden sie ZURÜCK geholt. Das gilt selbst, wenn du gar keine Gartenmöbel hast.
  • Tue nichts, was du nicht tun willst.
  • Ein Marienkäfer ist süß, zwei Marienkäfer auch. Drei Marienkäfer sind eine niedliche Familie, ein Dutzend Marienkäfer sind befremdlich und mehr als hundert Marienkäfer sind eine scheiß Plage.
  • Das gleiche gilt für Hamster.
  • Traue niemandem, der vorgibt, alles zu wissen.
  • Weise zu sein, bedeutet, mehr Fragen als Antworten zu haben.
  • Entschuldige dich bei Menschen, denen du Unrecht getan hast.
  • Du wirst in deinem Leben Fehler machen. Wahrscheinlich ziemlich viele. Sei gnädig mit dir und verzeihe sie dir. Irgendwann sind sie „gesammelte Erfahrungen“.
  • Niemand sagt jemals: „Schade, dass die Sprachnachricht nicht länger war.“
  • Schicke deinem Vater keine Sprachnachrichten.
  • Bevor du eine gute Idee hast, hast du viele schlechte. Und meistens sehr viele davon.
  • „Everything is going to be fine in the end. If it’s not fine it’s not the end.“ Unweise Worte von Oscar Wilde. Wenn du in ein Becken mit Haien fällst, ist das nicht „fine“, aber definitiv „the end“.
  • Wirklich weise Worte von Stephan Remmler: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.“
  • „Ich habe nie etwas geplant, ich hatte keine Karriere, ich habe nur ein Leben.“ Das soll Werner Herzog gesagt haben. Ein Satz, der einem leichter über die Lippen geht, wenn du ein preisgekrönter, international gefeierter Regisseur bist, aber weniger leicht, wenn du noch keine 20 bist und keine Ahnung hast, was dir die Zukunft bringen wird.
  • Ein Job besteht aus den Projekten, Kolleg:innen und Gehalt. Damit du mit deinem Job dauerhaft zufrieden bist, müssen alle diese drei Aspekte mindestens okay sein. Es nützt dir nichts, wenn du super viel Geld verdienst, aber nur langweilige Projekte hast und mit lauter Arschgeigen arbeiten musst.
  • Leute, mit denen du dich auf der Arbeit gut stellen musst: IT, Buchhaltung, Team-Assistenz, Hausmeister*in.
  • Wenn du ein Projekt verantwortest: Teile Lob immer mit anderen und nimm Schuld immer auf dich.
  • Das beste Erfolgsrezept: Versprich zu wenig und halte zu viel.
  • „Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist besser, im Taxi zu weinen, als in der Straßenbahn.“ Weise Worte von Marcel Reich-Ranicki. Noch besser ist es, in einer Stadtvilla mit großzügigem Garten und Seeblick zu weinen.
  • „Everyone should change career at 50.“ Hat angeblich Picasso gesagt. Habe ich zumindest von Paul Rudd in einem Podcast gehört. Keine Ahnung, ob das stimmt und ob das ein guter Ratschlag ist. Vielleicht solltest du dir einfach keine Karriere-Tipps von Ant-Man geben lassen.
  • Der erste Punkt auf deiner To-Do-Liste sollte immer „Einen Kaffee trinken“ sein. Dann kannst du gleich morgens etwas von deiner Liste streichen.
  • Führe außerdem eine Done-Liste, auf die du alles schreibst, was du erledigt hast. Das gibt dir abends ein gutes Gefühl, etwas geschafft zu haben.
  • Ein noch besseres Gefühl gibt dir eine Not-To-Do-Liste.
  • „Better safe than sorry.“ Weise Worte, die ich von einem Piloten gehört habe, der auf der Startbahn noch einmal umgedreht ist, um nachzutanken.
  • Kein Gericht wird schlechter, wenn du Butter dazu gibst.
  • Du kannst keine schlechte Laune haben, während du Kuchen isst.
  • Käsekuchen ist der beste Kuchen der Welt.
  • Prasselkuchen ist auch okay.
  • Ein Schälchen Wasser im Ofen sorgt dafür, dass Kuchen schön saftig wird.
  • Iss immer als erstes das auf deinem Teller, was du am wenigsten magst. (In der Regel Gemüse.) Für die leckeren Sachen ist auf jeden Fall noch Platz im Magen. Und für Nachtisch sowieso.
  • Gute Tischmanieren sind kein spießbürgerlicher Distinktionsdünkel, sondern zeugen von Respekt gegenüber den Menschen, die für dich gekocht haben und die mit dir gemeinsam essen. (Und ein wenig sind sie auch spießbürgerlicher Distinktionsdünkel.)
  • „Alle Dinge kommen zu dem, der im Sessel sitzen bleibt.“ Weise Worte von Orson Welles.
  • Glaube niemandem, der dir 99 Weisheiten und Unweisheiten verspricht. Vielleicht sind es nur 95.
  • „Das Leben ist so ganz in Ordnung, also hau nicht gleich alles zu Brei. Dann kannste immerhin später mal sagen, du warst so am Rande als Trottel dabei.“ Weise Worte von Fortuna Ehrenfeld.
  • „Nun vergesst alles, was ich euch gesagt habe, und findet es selbst heraus.“ Sehr weise Worte. Von Buddah.

352 Kommentare zu “99 Weisheiten und Unweisheiten für meine Tochter, die letzte Woche ausgezogen ist

  1. Oh da sind schöne Sachen dabei 😍 das mit der Sprachnachricht stimmt allerdings nicht. Ich liebe sie und hätte gerne öfter noch längere Sprachnachrichten 😊 zumindest von manchen Menschen 😉


  2. “Kein Gericht wird schlechter, wenn du Butter dazu gibst.!”
    Das ist natürlich falsch! Richtig heißt es:
    “Alles wird besser, wenn man es mit Käse überbackt”

  3. Einen Fehler gefunden: das war nicht Kristall-Rainer.

    Das war Karl Schmidt.

    Kristall-Rainers „Blasen schlagen“ muß erst noch empirisch überprüft werden…

    Keinen Ratschlag zum Thema klugscheißen gesehen… 😉

  4. gback: Was ist dein Trick? 50 Inspirations-Ideen (Digitale April-Notizen) |

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