Will bei Ihnen vor lauter Lockdown, AHA-Regeln und Kontaktbeschränkungen auch keine rechte Weihnachtsstimmung aufkommen? Dann hilft vielleicht meine kleine, mehrteilige Vorweihnachtsserie. Wenn Sie die lesen, freuen Sie sich bestimmt auf das Weihnachtsfest. Oder haben danach erst recht keinen Bock mehr.
Teil 1: Who-is-who im Xmas-Game?
Teil 2: Geschenke, Geschenke. Oder: Geben ist seliger als nehmen.
Teil 3: Weihnachten geht durch den Magen
Teil 4: Wo gesungen wird, da lass dich nicht nieder, es ist immer noch Corona, verdammte Scheiße nochmal!
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Nur noch einen Tag und dann ist auch schon Weihnachten. Die Geschenke sind – hoffentlich – alle gekauft, die Plätzchen gebacken, der Weihnachtsbaum organisiert und die Zutaten für das Weihnachtsessen besorgt. Für die richtige Stimmung fehlt nur noch die richtige Musik. Damit Ihre Weihnachts-Playlist auch Corona-konform ausfällt, habe ich ein paar Tipps für Sie zusammengestellt. Viel Spaß beim Hören!
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All I want for Christmas is you
1994 von Mariah Carey und Walther Afanasieff geschrieben, setzt das Lied ein Zeichen gegen den ausufernden Konsum rund um das Weihnachtsfest, ist ironischerweise aber gleichzeitig eines der kommerziell erfolgreichsten Weihnachtslieder aller Zeiten. Mariah Carey singt, dass sie zu Weihnachten keinerlei Geschenke haben will, sondern nur ihren Liebsten. Das ist für ihren Ehemann zwar sehr schmeichelhaft, aber auch ein bisschen ärgerlich, weil er ihr ein sehr teures Diamanten-Collier gekauft hat, das er nicht mehr umtauschen kann, weil er den Kassenzettel verloren hat. Aus Corona- und kapitalismuskritischen Gesichtspunkten ist der Geschenkeverzicht aber sehr zu begrüßen, denn dann müssen die unterbezahlten Paketboten und Kurierfahrer nicht von Haustür zu Haustür hetzen und vermeiden das Risiko einer Corona-Infektion. (*Sandra Ciesek hebt den Daumen.*)
Der kleine Trommler
Amerikanisches Weihnachtslied aus den 1940er Jahren und einer der ödesten Weihnachtssongs aller Zeiten, der zu 50 Prozent aus „pa rum pum pum pum” besteht. (Da hat sich jemand beim Texten einen ganz schmalen Fuß gemacht.) Inhaltlich handelt das Lied von einem kleinen Jungen, der kein Geld hat, um Jesus ein Geschenk zu kaufen, und ihm stattdessen – mit Erlaubnis von Maria – etwas vortrommelt. Da stellt sich doch die Frage: „Maria, geht’s noch?” Welche Mutter gibt ihr Einverständnis, dass irgendein dahergelaufener Bengel am Bettchen ihres Neugeborenen auf eine Trommel eindrischt? Okay, wenn du als Hochschwangere auf einem Esel nach Bethlehem gereist bist, in einem Stall gebären musstest und andauernd Leute reinschneien und irgendetwas von Heiland und Sohn Gottes faseln (Weise, Hirten, Engel), bist du wahrscheinlich irgendwann so durch, dass es dir einfach egal ist, ob da jemand rumlärmt. Hoffentlich hat der kleine Trommler wenigstens eine Maske getragen.
Driving home for Christmas
1986 von Chris Rea geschrieben, als er an Weihnachten auf dem Weg zur Familie im Stau stand und sich dachte, er würde auch mal gerne mit einem Weihnachtslied so richtig Kasse machen. (Fun Fact am Rande: Zwei Jahre später schrieb er seinen Hit „Road to hell“, was darauf schließen lässt, dass das familiäre Weihnachtsfest, für das er extra nach Hause fuhr, weniger harmonisch verlief, als gewünscht.) Dieses Jahr ist Driving home for Christmas wahrscheinlich das umstrittenste aller Weihnachtslieder. Querschwurbler und Corona-Leugner feiern es als ihre Hymne, denn sie lassen sich ja im Gegensatz zu den Schlafschafen nicht vorschreiben, wie, wo und mit wem sie Weihnachten verbringen. (*Das Corona-Virus und sein mutierter Bruder klatschen begeistert in die Hände.*) Dagegen hat Karl Lauterbach ein Verbot des Liedes gefordert. Weil er sich damit nicht durchsetzen konnte, gibt es von ihm die alternative Cover-Version „Staying home for Christmas”. Von dem Erlös kauft er FFP2-Masken und verteilt sie persönlich in Seniorenheimen in Köln-Mühlheim. Allerdings erst, wenn Corona vorbei ist, damit er niemanden gefährdet.
Fairytale of New York
Ideales Lied, wenn es unterm Weihnachtsbaum nicht zu heimelig werden soll. 1987 von der britischen Folk-Punk-Band The Pogues veröffentlicht, geht es um einen Mann, der an Heiligabend verhaftet wird und Weihnachten in der Ausnüchterungszelle verbringen muss, wofür ihn seine Frau aufs Übelste beschimpft, weswegen sogar MTV einige Textzeilen zensiert hat. Ihr Rant kulminiert in den Zeilen „Happy Christmas your arse, I pray God it’s our last!” Besser könnte uns die Bundeskanzlerin auch nicht auf den Pott setzen und uns einbläuen, wir sollen uns an Weihnachten nicht irgendwo besaufen, sondern gefälligst zu Hause bleiben. (*Frau Merkel nickt.*)
Feliz Navidad
1970 von dem puerto-ricanischen Musiker José Feliciano geschrieben, kommt das Lied weniger getragen als das traditionelle deutsche Weihnachtsliedgut daher, sondern besticht durch seinen flotten Rhythmus. Der Erfolg des Songs ist auch seiner Schlichtheit zu verdanken: Vier Akkorde, 21 Mal „Feliz Navidad” und 16 Mal „I wanna wish you a merry Christmas” und fertig ist der Weihnachts-Welthit. Auf den ersten Blick scheint das Lied vollkommen corona-konform zu sein, würde der gute José nicht bei Sekunde 18 so verdächtig husten. (*Markus Söder springt auf die Bühne und knebelt José Feliciano mit einer Maske.*)
I saw Mommy kissing Santa Claus
1952 veröffentlicht, beschreibt das Lied – der Titel lässt es vermuten –, wie ein kleiner Junge heimlich beobachtet, wie seine Mutter Santa Claus küsst. Das führte zu einem Aufschrei der protestantischen und katholischen Kirche in den USA, das Lied verunglimpfe den Bischof Nikolaus von Myra als unzüchtigen Ehebrecher und überhaupt sei die Verbindung von Sex und Weihnachten keine gute Botschaft für Kinder. Heute wäre das nicht mal ein Achselzucken wert – da müsste Mutti dem Weihnachtsmann schon mit Reisigzweigen den nackten Hintern versohlen (also, ein ganz normales Adventswochenende im KitKat-Club) –, aber im Sinne des Infektionsschutz muss das Lied dieses Jahr leider gecancel-cultured werden: Was für ein Vorbild gibt Santa Claus ab, wenn er bei rapide ansteigenden Corona-Fallzahlen mit sämtlichen Müttern an der Haustür rumzüngelt? (*Karl Lauterbach bekommt Schnappatmung*)
Ihr Kinderlein kommet
Weihnachtsliedklassiker aus dem frühen 19. Jahrhundert, das von dem katholischen Pfarrer Christoph von Schmid getextet wurde, der alle Kinder auffordert, in den Stall zu Bethlehem zu kommen, um sich das Jesuskind anzuschauen. Ich denke, es ist ganz im Sinne von Christian Drosten, wenn ich sage: „Nein, einfach nur nein.” Es gibt mehr als zwei Milliarden Kinder auf der Welt. Wenn die alle zum Stall kommen, ist das nicht nur eine Zumutung für Maria, die gerade erst entbunden hat, sondern dann ist auch ein Corona-Superspreader-Event vorprogrammiert. Da wird sich das Bethlehemer Gesundheitsamt, das für die Kontaktverfolgung zuständig ist, schön bei Herrn von Schmid bedanken.
In der Weihnachtsbäckerei
Von Rolf Zuckowski, aka Der Kinderliederbarde aus der Hölle, 1987 geschrieben, romantisiert und bagatellisiert das Lied vollkommen unangemessen die Vorgänge in der Weihnachtsbäckerei. Das könnte damit zusammenhängen, dass ihm die Idee für das Lied kam, als ihm seine Kinder erzählten, wie sie mit der Mutter zusammen Plätzchen gebacken haben, das heißt also, Rolf Zuckowski hat noch nie eine Weihnachtsbäckerei von innen gesehen. Daher erfassen Verse wie „Zwischen Mehl und Milch macht so mancher Knilch eine riesengroße Kleckerei” nicht einmal im Ansatz, dass die Küche nach dem Plätzchenbacken mit Kindern aussieht wie nach einer aus dem Ruder gelaufenen WG-Party: auf dem Boden sind irgendwelche Flüssigkeiten verschüttet, der Tisch ist mit pulverigen Substanzen bedeckt und an den Wänden kleben Lebensmittel. In der Corona-Zeit wirkt das Lied sogar noch befremdlicher: Ein dreiviertel Jahr lang haben wir unsere Kinder ermahnt, Abstand zu ihren Freundinnen und Freunden zu halten und sich sorgfältig “Happy Birthday” singend die Hände zu waschen und dann ermuntert sie der olle Rolle, sich in großen Gruppen in der Küche zu versammeln und mit ihren dreckigen Pfoten im Teig rumzukneten. I don’t think so, Herr Zuckowski! (*Karl Lauterbach wackelt mit dem erhobenen Zeigefinger.*)
It’s the most wonderful time of the year
In den 1960er Jahren von Edward Pola und George Wyle geschrieben, beschreibt der Song, der bis heute zu den erfolgreichsten Weihnachtsliedern in den USA zählt, wie wundervoll und zauberhaft und traumhaft die Weihnachtszeit doch ist. Wir alle wissen, dass es dieses Jahr notwendig und wichtig ist, dass wir uns nicht mit den Großeltern treffen, Gottesdienste meiden, nicht gemeinsam singen und uns im Social Distancing üben, aber das macht Weihnachten sicherlich nicht wundervoll und zauberhaft und traumhaft. Von daher streichen Sie das Lied besser von ihrer Weihnachts-Playlist. (*Christian Drosten hebt entschuldigend die Hände.*)
Last Christmas
1984 von George Michael geschrieben, ist es seitdem unmöglich, diesem Song in der Vorweihnachtszeit zu entrinnen, weil es eines der am häufigsten gespieltesten Weihnachtslieder der Welt ist. Gleichzeitig ist es eines der verhasstesten Weihnachtslieder der Welt, denn wir müssen uns Jahr für Jahr das Gejammere von George Michael anhören, dass er am letzten Weihnachtsfest sein Herz verschenkt hat und die Angebetete nichts Besseres zu hatte, als es weiterzugeben. Meine Güte, George, komm’ drüber weg! Das ist mehr als 35 Jahre her! Überleg‘ dir lieber mal, wie die Frau sich fühlen muss, die seit mehr als drei Jahrzehnten von einem Typen gestalkt wird, der ihr jedes Weihnachtsfest versaut. Dieses Jahr ist der Titel des Liedes aber besonders verstörend, denn wer will in Zeiten einer globalen Pandemie schon etwas von einem letzten Weihnachten hören.
Oh, Tannenbaum
1824 von Ernst Anschütz geschrieben, geht das Lied auf ein Liebesgedicht von Joachim August Zornack zurück, der den immergrünen Baum als Symbol der Beständigkeit der Unbeständigkeit eines untreuen Mädchens gegenüberstellte. Oh, Tannenbaum ist also gewissermaßen das Last Christmas des 19. Jahrhunderts. Aus Corona-Perspektive ist das Lied unbedenklich, denn bisher sind noch keine Fälle dokumentiert, in denen sich Menschen an Pflanzen oder Bäumen angesteckt habe. (*Corona-Virus: „Hold my beer!“) Aber angesichts der globalen Klimakatastrophe scheint das Lied trotzdem aus der Zeit gefallen zu sein. Wer würde heute noch „Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein auch im Winter, wenn es schneit” texten? Erstens gab es seit gefühlt 20 Jahren in Deutschland keine weiße Weihnacht mehr und zweitens grünen Tannenbäume aufgrund der jährlich wiederkehrenden Rekordtemperaturen und wegen des ausbleibenden Regens nicht einmal mehr im Sommer, sondern vertrocknen ganzjährig.
Santa Claus is coming to town
US-amerikanischer Weihnachtshit aus den 1930er Jahren, der die Ankunft des Weihnachtsmanns in der Stadt ankündigt und damit die Kinder zu besserem Betragen nötigen will. Nicht nur wegen dieser pädagogisch fragwürdigen Botschaft, sondern auch unter Corona-Gesichtspunkten ist das Lied kritisch zu hinterfragen. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO soll der Weihnachtsmann zwar immun gegen das Corona-Virus sein, aber qua Alter und Body-Mass-Index zählt er definitiv zur Hochrisikogruppe und sollte besser mit dem Hintern daheimbleiben. Außerdem sollen die Querschwurbler und Corona-Leugner nicht auf die Idee kommen, sie könnten auch durchs Land reisen, um die Verwandtschaft zu besuchen, denn dann verteilen sie überall das Corona-Virus. („Warum darf ich nicht mit 20 Menschen Weihnachten feiern, wenn der Weihnachtsmann sogar 40 Millionen Haushalte besucht? Und warum liegt Opa auf der Intensivstation und muss beatmet werden?“)
Stille Nacht
Zeitlos populäres Weihnachtslied, das Anfang des 19. Jahrhunderts von dem Hilfspfarrer Joseph Mohr vertextet und von Franz Xaver Gruber, seines Zeichens Organist und Dorfschullehrer, vertont wurde. Von den beiden sind keine weiteren Chart-Erfolge bekannt, was Stille Nacht zum erfolgreichsten One-Hit-Wonder des 19. Jahrhunderts macht. Auch wenn weitere Hits ausblieben, brachten es Mohr und Gruber zu einem beträchtlichen Vermögen, weil sie das Lied bis zu ihrem Lebensende bei zahlreichen Eröffnungen von Wochenmärkten, Möbelschreinereien und Kutschhäusern aufführten. Für das diesjährige Corona-Weihnachten hat das Lied außerdem eine wichtige Botschaft parat, denn der Titel „Stille Nacht” deutet darauf hin, dass das Weihnachtsfest schweigend und allein verbracht wird. Dann wird niemand angesteckt, keiner erkrankt und alle sind happy. (*Sandra Ciesek hebt beide Daumen.*)
Vom Himmel hoch, da komm ich her
Beliebtes Weihnachtslied, das in keinem Weihnachtsgottesdienst fehlen darf. Geschrieben wurde es 1535 von Martin Luther, der sich nach der Übersetzung der Bibel und dem Schreiben seiner 95 Thesen anscheinend mit dem Texten von Weihnachtsliedern über Wasser halten musste. In einer Zeit, in der sich ein tödlicher Virus auf der ganzen Welt ausbreitet, scheint das Lied aber nicht ganz angemessen zu sein. Was soll beispielsweise die gute neue Mär sein, die der Engel bringt? Dass es bis 2022 dauert, bis alle Impfwilligen geimpft sind? Oder dass sich fast 50 Prozent gar nicht erst impfen lassen will? Oder dass es eine Virus-Mutation gibt, die bis zu 70 Prozent ansteckender sein könnte? Gute Mär, my ass! Und wenn die Menschen meinen, sie müssten an Heiligabend im Gottesdienst eng an eng beieinandersitzen und ihre Aerosole durch die Luft prusten, weil sie maskenlos Weihnachtslieder grölen, dann kommt der Engel nicht vom Himmel herabgestiegen, um irgendwelche Nachrichten zu verkünden, sondern um die älteren Gemeindemitglieder abzuholen. (*Armin Laschet schaut verdutzt.*)
We wish you a merry Christmas
Traditioneller Christmas-Charol aus dem 16. Jahrhundert, den ärmere Leuten an den Haustüren der begüterteren Mitbürger:innen darboten, in der Hoffnung, im Gegenzug eine Essensspende zu erhalten. Unbestätigten Gerüchten zufolge ist das Lied Teil einer viralen Marketing-Kampagne der Feigenpudding-Industrie, denn es heißt mehrfach „Oh, bring me a figgy pudding”, bis schließlich sogar unverhohlen mit Belagerung gedroht wird, die erst beendet wird, wenn der geforderte Feigenpudding rausgerückt wurde. („We won’t go until we get some.”) Nicht nur, weil es den Straftatbestand der Nötigung erfüllt, ist das Lied dieses Jahr besonders fragwürdig. Während ein tödliches Virus grassiert, ist es sicherlich keine gute Idee in größeren Gruppen von Haus zu Haus zu ziehen und Essen bei fremden Leuten abzugreifen. (*Karl Lauterbach liegt wimmernd in Embryonalstellung auf dem Boden.*)
Ich wünsche Ihnen allen ein geruhsames Weihnachtsfest. Feiern Sie verantwortungsbewusst, freuen Sie sich darüber, wenn Sie im Warmen sitzen können, seien Sie dankbar, wenn Sie im Übermaß zu essen zu trinken haben und bleiben Sie und Ihre Liebsten vor allem gesund.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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