Eine kleine Wochenschau | KW39-2022 (Teil 2)

Teil 1


Ich lief allein weiter und wollte sehen, wie weit ich komme. Zunächst wurde ich sogar etwas schneller, aber nur unwesentlich und auch nur für eine kurze Zeit. Das Solo-Laufen war doch etwas demotivierend.

Auf Höhe der 32-Kilometer-Markierung dachte ich das erste Mal, eine kurze Gehpause wäre schön. Irgendwann wieder loslaufen müssen, wäre aber eher unschön. Ich joggte also weiter.

Erneut unternahm ich einen Versuch, mich zu pushen, indem ich mich mit ein paar Kindern abklatsche. Inzwischen hatte ich große Zweifel, dass sie großen Spaß daran haben. Wahrscheinlich haben sie heute Nacht Albträume, in denen sie von einem weißbärtigen Zausel verfolgt werden, der röchelnd grunzt: „Kommt zu Vaddi. Der will nur abklatschen.“

###

Bei Kilometer 33 kam mir der Gedanke, das Rennen zu beenden und ich wurde ihn erstmal nicht mehr los. Allerdings war ich noch neun Kilometer vom Ziel entfernt. Da musste ich aber auf jeden Fall hin, weil dort in der Nähe der Bahnhof ist, von dem aus wir zurück nach Bonn fahren wollten. Dann konnte ich auch weiterlaufen.

Die Lächel-Schild-Frau tauchte erneut am Streckenrand auf. Ich kam mir ein wenig wie bei dem Hasen und dem Igel vor. Zu einer Gesichtsregung fühlte ich mich nicht mehr in der Lage.

Bei Kilometer 35 erklärten mein Kopf und mein Körper, wenn wir das Rennen schon nicht beenden, sollte ich mir das mit der Gehpause doch noch einmal überlegen. Da mir keine guten Gegenargumente mehr einfielen, willigte ich ein.

###

Nun muss ich mich allerdings damit beschäftigen, wann ich wieder ins Laufen übergehe. Sobald ich mich fitter fühle? Das ist vielleicht erst morgen der Fall. Oder im November.

Ich beschließe, 200 Schritte zu gehen, dann 200 Schritte zu laufen, wieder200 Schritte zu gehen, anschließen 250 Schritte zu laufen, nach 200 weiteren Gehschritten 300 Laufschritte einzulegen und das immer weiter zu steigern, bis ich keine Gehpausen mehr mache. Zu meiner eigenen Überraschung funktioniert das sogar. Zumindest bis ich auf ungefähr 500 Schritte laufen komme. Anschließend fehlt mir der Wille, die Laufdistanzen zu erweitern. Im Gegenteil werden sie sogar zunehmend kürzer.

Bei Kilometer 38 stehen meine Frau, Arne und seine Tochter und feuern mich an. Zu dem Zeitpunkt bin ich glücklicherweise mal wieder im Laufschritt unterwegs. Wobei es für Außenstehende möglicherweise nicht nach Laufen aussieht, sondern nach breakdancender Schildkröte.

Kurz danach sehe ich schon wieder die Frau mit ihrem Smile-Schild. Inzwischen bin ich überzeugt, dass es sich um eineiige Vierlinge handelt, die sich entlang der Marathonstrecke verteilt haben. An ein Lächeln meinerseits ist nicht zu denken.

###

Körper und Geist überzeugen mich von einer weiteren Gehpause. Ich habe den Eindruck, dass immer wenn ich gehe, besonders viele Menschen an der Straße stehen. Weil auf den Startnummern auch die Vornamen stehen, rufen sie Sachen wie „Christian, du machst das super!“ und „Es ist nicht mehr weit, du schaffst das, Christian!“

Ich komme mir aber nicht so, als würde ich etwas super machen. Im Gegenteil. Das Gehen fühlt sich eher nach Scheitern an und ist irgendwie demütigend. Also verfalle ich wieder in eine Art Traben, allerdings in einem Tempo, dass sich auf dem Niveau von Ü70-Nordic-Walker*innen bewegt. (Von unfitten Ü70-Nordic-Walker*innen.)

###

Mit zunehmender Renndauer wächst die Erdanziehungskraft proportional an. Ich bekomme meine Füße kaum noch vom Boden gehoben und trippel-rutsche langsam voran. Hoffentlich erscheint nicht gleich mein Vater und ruft: „Schlurf‘ nicht so, Junge!“

Am 40-Kilometer-Schild, das ich gehend passiere, steht ein Helfer im roten Köln-Marathon-T-Shirt. „Jetzt setzt du die Arme ein, Christian, und dann wird wieder gelaufen“, ermahnt er mich in strengem Ton. Der Typ ist ungefähr 1,90 und sehr, sehr durchtrainiert. Daher verzichte ich darauf, ihm klarzumachen, dass ich 47 bin und mir von niemandem vorschreiben lasse, wie ich mich fortzubewegen habe. (Außer vielleicht von meinem Vater, wenn er mir sagt, ich solle nicht schlurfen.) Stattdessen laufe ich wieder los.

###

Nun sind es nur noch 1.000 Meter bis zum Ziel. Das Verlangen nach einer weiteren Geh-Einlage wird immer stärker. In dem Moment erblicke ich neben mir einen jungen Läufer. Laut seiner Startnummer heißt er René. Er ist Anfang, Mitte 20 und in einem noch erbarmungswürdigeren Zustand. Ich sehe aus wie ein 90-jähriger Bewohner des Altersheims „Meerblick“, der sich beim Seniorensport übernommen hat, aber im Vergleich zu René wirke ich wie das blühende Leben. Er hat Krämpfe in den Beinen, humpelt, stöhnt bei jedem Schritt jämmerlich und sein Gesicht kann nur – und das schreibe ich mit größtmöglichem Mitgefühl – als schmerzverzerrte Fratze bezeichnet werden.

René wird meine Rettung sein, beschließe ich. Indem ich ihn motiviere, ins Ziel zu kommen, werde ich es selbst schaffen.

Ich verlangsame meinen Schritt und sage: „Okay, René, wir beide bringen das jetzt gemeinsam zu Ende. Es sind weniger als 1.000 Meter. Die bringen wir auch noch hinter uns.“ René sagt nichts, was ich als Zustimmung werte.

Alle 100 Meter sage ich ihm – und mir – die Restentfernung an. „Keine Schmerzen, René, keine Schmerzen!“, rufe ich ihm zu. Ganz wie ich es bei Rocky gelernt habe. Unter normalen Umständen wäre mir das peinlich – René sicherlich auch –, aber jetzt und hier sind keine normalen Umstände.

Wir biegen auf die Zielgerade ein. Noch 200 Meter. René humpelt, ich rede auf ihn ein. Die Zuschauer*innen jubeln und hauen auf die Bande, ich animiere sie, „René“ zu skandieren.

Nach knapp 4:25 Stunden überquere ich zusammen mit René die Ziellinie. Wir lachen, klatschen uns ab und umarmen uns. So hat der Lauf doch noch ein etwas versöhnliches Ende und der Marathon war nur ein mittelgroßes, aber kein totales Desaster. Danke, René! Und Arne und ich gehen das Projekt Marathon einfach nächstes Jahr noch einmal an.


Alle Beiträge der Wochenschau finden Sie hier.


Sie möchten informiert werden, damit Sie nie wieder, aber auch wirklich nie wieder einen Familienbetrieb-Beitrag verpassen?

Die kleine Weihnachtsfibel – Teil 4: Wo gesungen wird, da lass dich nicht nieder, es ist immer noch Corona, verdammte Scheiße nochmal!

Will bei Ihnen vor lauter Lockdown, AHA-Regeln und Kontaktbeschränkungen auch keine rechte Weihnachtsstimmung aufkommen? Dann hilft vielleicht meine kleine, mehrteilige Vorweihnachtsserie. Wenn Sie die lesen, freuen Sie sich bestimmt auf das Weihnachtsfest. Oder haben danach erst recht keinen Bock mehr.

Teil 1: Who-is-who im Xmas-Game?
Teil 2: Geschenke, Geschenke. Oder: Geben ist seliger als nehmen.

Teil 3: Weihnachten geht durch den Magen
Teil 4: Wo gesungen wird, da lass dich nicht nieder, es ist immer noch Corona, verdammte Scheiße nochmal!

###

Nur noch einen Tag und dann ist auch schon Weihnachten. Die Geschenke sind – hoffentlich – alle gekauft, die Plätzchen gebacken, der Weihnachtsbaum organisiert und die Zutaten für das Weihnachtsessen besorgt. Für die richtige Stimmung fehlt nur noch die richtige Musik. Damit Ihre Weihnachts-Playlist auch Corona-konform ausfällt, habe ich ein paar Tipps für Sie zusammengestellt. Viel Spaß beim Hören!

Weiterlesen

Die kleine Weihnachtsfibel – Teil 3: Weihnachten geht durch den Magen

Will bei Ihnen vor lauter Lockdown, AHA-Regeln und Kontaktbeschränkungen auch keine rechte Weihnachtsstimmung aufkommen? Dann hilft vielleicht meine kleine, mehrteilige Vorweihnachtsserie. Wenn Sie die lesen, freuen Sie sich bestimmt auf das Weihnachtsfest. Oder haben danach erst recht keinen Bock mehr.

Teil 1: Who-is-who im Xmas-Game?
Teil 2: Geschenke, Geschenke. Oder: Geben ist seliger als nehmen.

Teil 3: Weihnachten geht durch den Magen
Teil 4: Wo gesungen wird, da lass dich nicht nieder, es ist immer noch Corona, verdammte Scheiße nochmal!

###

Weihnachten ist nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch der stetigen Nahrungsaufnahme. Durch Völlegefühl, Sodbrennen und Verstopfung können wir das Leid und die Beschwerlichkeiten nachempfinden, die Maria, Josef und das Jesuskind im Stall von Bethlehem erdulden mussten. In diesem Sinne widmet sich der heutige Weihnachtsfibel-Beitrag der adventlichen und weihnachtlichen Kulinarik. Wie immer, bekommen Sie interessante Hintergrundinformationen, die Sie sonst nirgendwo finden (und zwar aus gutem Grunde), und obendrein vielleicht auch die ein oder andere Anregung, was Sie über Weihnachten alles essen und trinken können.

Viel Spaß, guten Appetit und Prost!

Christstollen, der: Ursprünglich eine Speise für die Fastenzeit vor Weihnachten (What?), die lediglich aus Mehl, Wasser und Rapsöl gebacken wurde. Weil das kacke schmeckte, hatte jemand die geniale Idee, Zucker, Butter und Eier hinzuzufügen. Dadurch wurde der Stollen sündhaft lecker, weswegen die Kirche darauf bestand, => Zitronat und => Orangeat unterzumischen. Soll durch Form und das äußere Weiße eine Versinnbildlichung des in Windeln gewickelten Jesuskinds darstellen. Eine Assoziation, die den Verzehrvorgang ins leicht Perverses spielen lässt, aber zumindest ist es leckerer als den Leib Christi in Form einer trockenen Oblate zu essen.

Weiterlesen

Die kleine Weihnachtsfibel – Teil 2: Geschenke, Geschenke. Oder: Geben ist seliger als nehmen.

Will bei Ihnen vor lauter Corona, AHA-Regeln und Kontaktbeschränkungen auch keine rechte Weihnachtsstimmung aufkommen? Dann hilft vielleicht meine kleine, mehrteilige Vorweihnachtsserie. Wenn Sie die lesen, freuen Sie sich bestimmt auf das Weihnachtsfest. Oder haben danach erst recht keinen Bock mehr.

Teil 1: Who-is-who im Xmas-Game?
Teil 2: Geschenke, Geschenke. Oder: Geben ist seliger als nehmen.

Teil 3: Weihnachten geht durch den Magen
Teil 4: Wo gesungen wird, da lass dich nicht nieder, es ist immer noch Corona, verdammte Scheiße nochmal!

###

An Weihnachten sollten selbstverständlich nicht die Geschenke im Mittelpunkt stehen, denn es ist das Fest der Liebe und Besinnlichkeit, an dem wir Zeit mit der Familie, Verwandten und Freunden verbringen. (Selbstverständlich maximal fünf Personen aus zwei Haushalten!) Aber verkündigen Sie mal an Heiligabend, dass das gemeinsame Beisammensein Geschenk genug sei und es ansonsten nichts gäbe. Da weicht die Liebe und Besinnlichkeit schnell einer fröstelnden Kälte und insbesondere bei den Kindern kippt die Stimmung ins Unweihnachtliche.

Das Geschenkebesorgen ist aber gar nicht so einfach. Es fehlen sowohl Zeit als auch Ideen und irgendwann das Geld. Außerdem ist der Druck dieses Jahr besonders groß, können Ihre Geschenke aufgrund des bevorstehenden Lockdowns nicht umgetauscht werden! Damit das Weihnachtsshopping für Sie nicht in totalen Stress ausartet, habe ich eine kleine Übersicht mit zeitlosen und besonders aktuellen Präsenten erstellt, von denen Sie vielleicht ein paar Inspirationen bekommen, was Sie Ihren Liebsten unter den Weihnachtsbaum legen können.

Weiterlesen

Die kleine Weihnachtsfibel – Teil 1: Who-is-who im Xmas-Game?

Will bei Ihnen vor lauter Corona, AHA-Regeln und Kontaktbeschränkungen auch keine rechte Weihnachtsstimmung aufkommen? Dann hilft vielleicht meine kleine, mehrteilige Vorweihnachtsserie. Wenn Sie die lesen, freuen Sie sich bestimmt auf das Weihnachtsfest. Oder haben danach erst recht keinen Bock mehr.

Teil 1: Who-is-who im Xmas-Game?
Teil 2: Geschenke, Geschenke. Oder: Geben ist seliger als nehmen.

Teil 3: Weihnachten geht durch den Magen
Teil 4: Wo gesungen wird, da lass dich nicht nieder, es ist immer noch Corona, verdammte Scheiße nochmal!

###

Im Advent und an Weihnachten tauchen so viele Akteure – und überraschend wenige Akteurinnen – auf, dass es gar nicht so leicht ist, den Überblick zu behalten. Damit Sie bei Weihnachts-Quizzen oder penetranten Kinderfragen nicht ins Schwimmen geraten, habe ich Ihnen als serviceorientierter Info-Blog, in dem Unwissenheit und Inkompetenz zuhause sind, ein „Who is who im Xmas-Game” zusammengestellt. Hier finden Sie fundierte Hintergrundinformationen zu den wichtigsten Haupt- und Nebendarstellern der Weihnachtszeit. Bitte, gern geschehen!

Weiterlesen