24. Februar 2023, Berlin
Fastentag Nummer 4. Das Fastenhoch war immer noch nicht da. Ich liege morgens im Bett, bin super kaputt und es kostet mich unfassbar große Überwindung, aufzustehen und nicht dem Verlangen nachzugeben, den ganzen Tag im Bett liegen zu bleiben.
Ich mache mir einen Tee, setze mich aufs Sofa und lese im Internet. Vielleicht bleibe ich hier den ganzen Tag sitzen.
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Das morgendliche Laufen klappt dagegen überraschenderweise recht gut. Zumindest im Vergleich zu gestern. Vielleicht hat sich mein Körper doch mal bequemt, die Ketone zu produzieren. Durch meine geschärften Sinne nehme ich allerdings auch die Gerüche der Dönerbuden, Bäckereien und Asia-Imbissen intensiver wahr. Das ist nicht ganz so schön.
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Der Rest des Tages ist umso beschwerlicher. Ich bin die ganze Zeit hungrig und muss permanent an Essen denken. Im Internet schaue ich mir Fotos von Leberkässemmeln, Bulettenbrötchen, Rösti-Gerichten und Burgen an. Dazu höre ich schwedische Kinderlieder auf Spotify. Es wird Zeit, dass das Fasten vorbei ist.
Damit meine Frau auch etwas von meinem Leiden hat – das fällt unter die schlechten Zeiten einer Ehe –, schicke ich ihr die Essensbilder. Sie antwortet, dass sei wie Foodporn. Allerdings auf niedrigem Niveau. Weniger 9½ Wochen, sondern mehr Auf der Alm da gibt’s koa Sünd.
25. Februar 2023, Leipzig
Der Wecker klingelt um 5 Uhr. Eine Uhrzeit, zu der ein klingelnder Wecker nie schön ist, aber schon gar nicht an einem Samstag. Wir müssen so früh aufstehen, weil wir heute nach Leipzig wollen. Der Sohn kämpft dort bei der U18 Deutschen Meisterschaft. Er wird heute sicherlich einen anstrengenderen Tag als wir haben: Deswegen möchte ich wegen des frühen Aufstehens nicht jammern. (Oder nur ein bisschen.)
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Aber nicht nur der Sohn hat einen großen Tag, sondern ich auch: Meine Fastenkur ist vorbei. Leider bedeutet das nicht, dass ich mir ein Full English Breakfast mit Bohnen, Spiegelei, Würstchen und frittierten Tomaten und Pilzen reinzimmern kann. Nein, am Aufbautag soll sich der Körper erstmal ganz langsam wieder an feste Nahrung gewöhnen. Somit besteht mein Frühstück lediglich aus einem geschnittenen Apfel, was nur so semi-befriedigend ist. Beziehungsweise gar nicht befriedigend.
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Durch das Fasten sind unsere Energiereserven vollkommen aufgebraucht. Wie ein greises Ehepaar schläppeln meine Frau und ich zur U-Bahn-Station. Am Zoologischen Garten müssen wir eine steile Treppe hoch gehen. Ich bin kurz davor, bei der Hälfte eine Pause einzulegen, um Kraft zu sammeln.
Glücklicherweise sitzen wir im Zug nach Leipzig 70 Minuten lang und können uns ausruhen. Vor uns hockt eine Gruppe von Sportstudent*innen. Sie sind Anfang 20 und strotzen nur so vor Vitalität und Energie. Der Kontrast zu uns könnte nicht größer sein.
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Das Turnier verläuft für den Sohn nach dem Motto „Dabei sein ist alles“. Er hatte sich Anfang der Woche im Training wahrscheinlich den kleinen Zeh gebrochen. Das ist nicht gerade optimal, um erfolgreich eine Deutsche Meisterschafat zu bestreiten. Er hat zwei Kämpfe, die er beide verliert. So hoch wie das Niveau in seiner Gewichtsklasse war, wäre er auch mit ungebrochenem kleinem Zeh wohl eher nicht auf den vorderen Plätzen gelandet. Das ist aber nicht weiter schlimm. Er hat sich wacker geschlagen und es war trotzdem ein tolles Erlebnis.
Schlimm ist dagegen, dass es beim Hallen-Imbiss Buletten-Brötchen mit Senf gibt und ich keins essen darf.
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Vor der Abfahrt unseres Zuges laufen meine Frau und ich durch den Leipziger Hauptbahnhof. Dort gibt es drei Burger Läden, zwei Pizza-Restaurants, drei Bäckereien, einen indischen und zwei asiatische Imbisse, ein Sushi-Restaurant, eine Eisdiele, eine Crêpes-Station, einen Döner-Laden und vier Stände, an denen du belegte Brötchen und Teilchen kaufen kannst. Von den anderen Geschäften bekomme ich nichts mit.
Am Bahnsteig kostet es mich sehr viel Selbstbeherrschung, einem kleinen Mädchen, das neben uns steht und eine Ditsch-Pizza isst, ihr diese nicht aus der Hand zu reißen und mir in den Mund zu stopfen.
26. Februar 2023, Berlin
Heute früh trinke ich das erste Mal seit einer Woche wieder Kaffee. Er riecht phantastisch, aber schmeckt etwas gewöhnungsbedürftig. Danke für Nichts, Fasten.
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Ich telefoniere mit meiner Mutter. Sie ist nicht gut drauf. Das ist sehr selten. Eigentlich ist sie einer der fröhlichsten Menschen, die ich kenne. Sie hat aber einen guten Grund für ihre Missstimmung. Während wir in dieser Woche durch das Fasten unser Leid selbst über uns gebracht haben, kam über sie vollkommen unverschuldet großes Pech.
Am Donnerstag ging sie zur Apotheke und auf der dreistufigen Treppe am Eingang stand vor ihr ein älterer Mann. Dieser verlor das Gleichgewicht und kippte nach hinten. Meine Mutter drehte sich zur Seite, stürzte dabei selbst und fiel auf Knie und Schulter. Obendrein landete der Mann auch noch auf ihr. Das missfiel ihrer Kniescheibe und sie zerbrach. Meine Mutter wurde ins Krankenhaus gebracht, wo sie am Abend operiert wurde.
Dieser Vorfall würde allein reichen, um einem aufs Gemüt zu schlagen. Meine Mutter liegt nun aber bereits zum vierten Mal in den letzten drei Jahren im Krankenhaus. Nie wegen extrem dramatischer oder gar lebensbedrohlicher Eingriffe, aber irgendwann ist es auch mal gut.
Meine Mutter hasst es außerdem, das Zimmer mit fremden Menschen zu teilen. Anscheinend hat sie dieses Mal eine besonders anstrengende Zimmernachbarin. Das kann sie mir am Telefon aber nicht wirklich erzählen, denn das würde besagte Zimmernachbarin mithören, was sie wahrscheinlich nicht weniger anstrengend machen würde.
Bis Mittwoch muss meine Mutter noch durchhalten. Dann darf sie nach Hause. Dort hat sie dann ein Einzelzimmer und bekommt eine exklusive 1-zu-1-Betreuung durch meinen Vater.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
diesmal habe die die kleine Wochenschau nach den Zeilen “Schlapp wegen zu wenig Essen” nur überflogen. Das kann nicht gesund sein und das will ich dann auch nicht lesen. Außerdem, das Leben soll ein Genuss sein und nicht Selbstkasteiung. Deinen sanften (aber hoffentlich genussvolle) Umstieg , der offenbar ohne ungesunde Diät oder völliger Verzicht auskommt, hat doch funktioniert. Also warum dann dieses unnötige, offenbar für den Körper überaus stressige Fasten?
Lieben Gruß
Andi
Ich musste teilweise lachen. Fasten ist also wirklich nichts für mich. Denn ohne Essen werde ich ungemütlich und wenn ich schon fasten würde, wäre ich einsam, denn keiner würde mich ertragen können :D
Zwei Tage nur Gemüse-und/oder Obstsäfte sowie warme Suppen find ich aber interessant, nur..mein Schweinehund zeigt mir nen Vogel.
…schließe mich meinem Vorredner an… Fasten… – never… 😬
Aber das von dir getriggerte Kopfkino war wieder herrlich — “…meine Frau und ich schläppeln zur U-Bahn…”🤣
Und ich finde, man merkt häufig in der Wochenschau, dass ihr Beiden anscheinend ein gutes Team seid — schön ! :-)
Grüße von jemandem, der schon 32 Jahre (eigentlich auch recht erfolgreich!) verheiratet ist – macht weiter so !