Eine kleine Wochenschau | KW05-2023

Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.


30. Januar 2023, Berlin

Auf dem Weg zum Supermarkt kommt mir ein groß gewachsener, schwarzer Mann entgegen. Er telefoniert und läuft dabei auf meiner Seite des Bürgersteigs. Laut der Straßenverkehrsordnung gilt auf der Straße das Rechtsfahrgebot und nach meinem – zugegebenermaßen laienhaftem – Rechtsverständnis gilt dann auf dem Gehweg ein Rechtsgehgebot. Also müsste der Mann mir Platz machen.

Auf dem Bürgersteig auf die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung zu pochen, ist aber unangenehm deutsch. Oder alterweißermannig. Oder beides. Wenn ich nicht zur Seite gehe, denkt der Mann außerdem womöglich, ich mache das, weil er schwarz ist, und hält mich für einen Rassisten. Das möchte ich selbstverständlich nicht.

Also gehe ich auf die linke Bürgersteigseite. Allerdings etwas zu sehr. Nun laufe ich fast auf der Bordsteinkante. Jetzt denkt der Mann bestimmt, ich weiche so weit aus, da ich Angst habe, er als Schwarzer wolle mich ausrauben, und deswegen hält er mich erst recht für einen Rassisten. Ein Eindruck, den ich doch unbedingt vermeiden will.

Daher ziehe ich wieder etwas nach rechts. Jedoch erneut zu sehr, so dass ich beinahe in seiner Gehspur lande. Jetzt sieht es so aus, als machte ich nur widerwillig Platz und als wollte ich ihn rempeln. Deswegen wird er mich nun ganz bestimmt für einen, Sie wissen schon, Rassisten halten.

Entsprechend korrigiere ich meinen Gehweg ein weiteres Mal. Endlich nehmen wir den allseits sozial akzeptierten Abstand zueinander ein und er hat keinen Grund, mich für einen Rassisten zu halten. Ohnehin denkt er wahrscheinlich nur: „Was stimmt mit dem Penner nicht? Warum läuft der die ganze Zeit Schlangenlinien? Ist der morgens um 9 schon betrunken?“ Aber wenigsten denkt er nicht, ich sei ein Rassist. Vielleicht aber doch. Ein besoffener Rassist.

31. Januar 2023, Berlin

In unserem Briefkasten liegt ein großes, braunes Kuvert. Von meinen Eltern. Wie üblich haben sie sämtliche Kanten des Umschlags mit Tesafilm abgeklebt. Der Umschlag ist quasi vakuumversiegelt. So kann ihn niemand einfach öffnen. Das schließt mich allerdings ein. Ich kann den Umschlag nur mit Hilfe einer Schere öffnen und hoffe dabei, den Inhalt nicht zu zerschneiden. Das Kuvert enthält allerdings kein Bargeld oder Aktien oder andere Wertpapiere, wie die Tesafilm-Sicherheitsvorkehrungen vermuten lassen, sondern die heimatliche Presseschau, die uns meine Eltern regelmäßig zukommen lassen. Die hat ja auch einen Wert. Zumindest einen ideellen.

  • Einer der Artikel berichtet über das Curry-Wurst-Festival in Neuwied, das meine Eltern besucht haben. Da soll noch einer sagen, dass auf dem Land kulturell und kulinarisch nichts geboten wird.
  • Außerdem enthält der Umschlag eine Beilage aus der Brigitte mit Tipps zum Führen eines Haushaltsbuchs. Nach dem Motto „Weniger ausgeben, mehr sparen“. Wahrscheinlich haben meine Eltern das mitgeschickt, weil ich kürzlich unseren Shopping Ban im Januar erwähnt habe.
  • Ein anderer Artikel dreht sich um das Thema Aufräumen. Es geht da nicht um Ratschläge à la Marie Kondo, wie du richtig ausmistest, indem du alles wegwirfst, was keinen joy sparkelt, sondern um Konflikte zwischen Ordnungs-Fanatikern und unordentlichen Chaoten und wie diese vermieden werden können. Ich bin mir unsicher, in welcher der beiden Rollen meine Eltern mich sehen und in welcher meine Frau.
  • Das Heftchen der evangelischen Gemeinde in Westerburg kündigt ein Konzert meines ehemaligen Lateinlehrers an. Er ist Teil eines Gitarrenduos mit einer Frau, die beiden nennen sich Murphy’s Law. Ob das daran liegt, weil sie ausschließlich irische Musik im Repertoire haben, oder weil sie sich sehr oft verspielen, bleibt in dem Bericht unklar.
    Ich bin mir auch nicht zu 100 Prozent sicher, ob es sich auf dem Foto tatsächlich um meinen ehemaligen Lateinlehrer handelt. Wir hatten ihn in der 9. und 10. Klasse. Damals war er ziemlich jung, aber das ist über 30 Jahre her. Seinerzeit trug er eine braune Lockenmähne, die mit etwas Wohlwollen an Bob Dylan erinnerte. (Was durchaus gewollt war.) Der Mann auf dem Foto hat graues Haar, das länger ist und weniger lockig. Meine Frau meint fachmännisch, die Locken seien rausgekämmt. Dadurch erinnert die Frisur mit wenig Wohlwollen an einen ergrauten Chewbacca. (Ein Effekt, der wahrscheinlich nicht gewollt ist.)

01. Februar 2023, Berlin

Der Januar ist geschafft. Endlich. Mir wird wohl kaum jemand widersprechen, wenn ich sage, dass der Januar der schlimmste Monat des Jahres ist. Er ist dunkel, kalt und nass, ohne Aussicht auf Weihnachten und ohne Plätzchen. Dafür bist du pleite – wegen der Aussicht auf Weihnachten im Dezember – und musst dich mit guten Vorsätzen wie mehr Sport und keine Süßigkeiten rumschlagen. Dafür, dass wir den Januar überstanden haben, werden wir mit dem Februar belohnt. Der ist, was Dunkelheit, Kälte und Nässe angeht, nicht wesentlich attraktiver als der Januar, dauert dafür aber nur 28 Tage.

02. Februar 2023, Berlin

Auf meinen Spaziergängen komme ich regelmäßig an einem außerordentlich hippen Friseur-Laden vorbei, der in einer außerordentlich unhippen Straße liegt. An der Wand hängen Schallplattencover und während dort Haare gewaschen, geschnitten und gefärbt werden, macht ein DJ Musik. Nicht indem er eine Spotify-Playlist abspielt, sondern so richtig mit Plattenspieler und Mischpult. Faszinierend.

Trotzdem ist der Laden eher nichts für mich. Dort wird bestimmt nicht meine Musik aufgelegt und auch nicht meine Frisur geschnitten. Da ist alles etwas zu cool, zu hip und zu trendy. Das spricht aber nicht gegen den Laden und sein Konzept, sondern gegen mich und meinen Geschmack.

03. Februar 2023, Berlin

Meine Frau und der Sohn sind über Nacht in Greifswald. Wegen eines Judoturniers. Morgen finden die Nordost-Deutschen Meisterschaften statt. Ich bin heute also Strohwitwer.

Wenn ich abends mal allein bin, denke ich immer, das ist eine gute Gelegenheit, um die Filme zu schauen, die meine Frau nicht mag. Allerdings haben wir einen sehr ähnlichen Filmgeschmack. Fast schon einen identischen. (Das klingt nach unangenehmer Pärchenkackscheiße, als hätten wir Partner-Funktionsjacken und säßen abends beim Fernsehglotzen in einheitlichen, ballonseidenen Jogginganzügen auf dem Sofa.)

Somit ist meine Filmauswahl gar nicht so groß. Am liebsten würde ich eigentlich Supernatural schauen. Aber das geht natürlich nicht. Das ist ja unsere gemeinsame Serie. Ein Seitensprung ist in einer Beziehung vielleicht verzeihlich, aber allein eine Folge der gemeinsamen Serie zu schauen, ist durch nichts zu entschuldigen. Das ist ein Vertrauensbruch, der gewissermaßen direkt zum Scheidungsanwalt führt.

04. Februar 2023, Berlin

Samstag. Da steht bei uns traditionell der Wochenendputz an. Normalerweise sauge ich die Wohnung und meine Frau putzt Bad und Küche. Da sie nicht da ist, muss ich das heute allein machen. Das ist gar nicht so einfach. Zum einen wegen meiner stark ausgeprägten Unlust, zum anderen weil um 10 Uhr der Video-Livestream des Judo-Turniers beginnt.

Möglicherweise denken Sie jetzt: „10 Uhr? Da hätte der Kerl doch genügend Zeit, um sich um den Haushalt zu kümmern.“ Vom Elfenbeinturm der Theorie aus betrachtet, haben Sie vielleicht recht. Aber ganz sicherlich nicht in der der Praxis aka die harte Realität. Wer möchte schon an einem Samstag vor 10 Uhr die komplette Wohnung saugen und putzen? Ich auf jeden Fall nicht. (Stichwort „stark ausgeprägte Unlust”)

Außerdem fällt „saugen vor 10 Uhr an einem Samstagmorgen“ unter asoziales Verhalten. Hier im Haus wohnen schließlich hart arbeitende Menschen. Die haben ein Recht darauf, samstags auszuschlafen und nicht von Staubsaugerlärm geweckt zu werden. Okay, es gibt auch zwei Studierenden-WGs. Die arbeiten vielleicht nicht ganz so hart. Aber die wollen wahrscheinlich am allerwenigsten um 10 Uhr geweckt werden.

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Zur Wahrung des häuslichen – und meines persönlichen – Friedens trinke ich stattdessen Kaffee und lese das Internet. Um 10 Uhr starte ich den Live-Stream. Die Gewichtsklasse des Sohns ist erst irgendwann später dran. Somit könnte ich mich theoretisch doch noch um die Wohnung kümmern. Praktisch schüttelt die Unlust den Kopf.

Ohnehin bin ich viel zu aufgeregt. Der Sohn hat heute das letzte Mal die Chance, sich im Juniorenbereich für die Deutschen Einzelmeisterschaften zu qualifizieren. Dafür muss er mindestens Dritter werden. In den letzten Jahren ist er daran immer mehr oder weniger deutlich gescheitert.

Ich schaue mir ein paar der anderen Gewichtsklassen an. Quasi zur mentalen Einstimmung auf die Kämpfe des Sohns. Und um das Bad nicht putzen zu müssen.

Kurz nach zwölf startet endlich die Gruppe des Sohns. In den zwei Stunden hätte ich nicht nur unsere Wohnung, sondern auch die mehrerer Nachbar*innen putzen können. (Zum Beispiel die Studierenden-WG) Aber es geht heute schließlich um die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft. Da können wir keine Ablenkung durch Putzen, Saugen und andere Haushaltsnichtigkeiten gebrauchen.

Die Gegner des Sohns sehen ziemlich groß aus. Was daran liegt, dass sie ziemlich groß sind. Die sind alle 16,17, produzieren literweise Testosteron und trainieren fünf Mal die Woche. Ein paar der Jungs sind solche Schränke, denen sagst du als Eltern nicht mehr, dass sie gefälligst mal ihr Zimmer aufräumen sollen.

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Der erste Kampf des Sohns geht los. Die Chancen auf einen Sieg sind eher so mittel. Der andere war letztes Jahr bei den Deutschen Meisterschaften. Allerdings weiß der Sohn das nicht, so dass er sich nicht von den sportlichen Meriten seines Gegners einschüchtern lassen muss. Die beiden schenken sich nichts und keiner kann sich entscheidende Vorteile erarbeiten.

Nach vier Minuten regulärer Kampfzeit geht es in die Verlängerung. Das erhöht die Siegchancen des Sohns nicht gerade. Seit Mitte November war er ständig krank und seine Hand war verletzt. So konnte er kaum regelmäßig trainieren und weist gewisse konditionelle Defizite auf. So richtig frisch sieht sein Gegner allerdings auch nicht mehr aus. Bei jeder Unterbrechung dauert länger, bis die beiden aufstehen, ihren Anzug richten und den Gürtel binden. Nach drei Minuten nutzt der Sohn eine Unachtsamkeit seines Gegners und wirft ihn auf den Rücken.

Geschafft. Ich glaube, ich habe beim Mitfiebern mindestens genauso viel Kalorien verbrannt, wie der Sohn beim Kämpfen.


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44 Kommentare zu “Eine kleine Wochenschau | KW05-2023

  1. Hallo Christian,
    hab nichts Besonderes zu erzählen, nur den Kommentar, dass ihr einen verdammt guten Seriengeschmack habt! Supernatural ist seit 15 Jahren meine absolute Lieblingsserie. 👍
    Liebe Grüße aus dem Münsterland
    Uschi

    • Hallo Uschi, wir haben ja erst im letzten Oktober mit Supernatural angefangen. Sind aber trotzdem schon bei Staffel 9. (Und haben ihm Dezember pausiert.) Ich weiß nicht, ob das für die Serie oder gegen uns spricht. LG, Christian

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