Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
12. Juni 2023, Berlin
Nach unserem Irland-Urlaub steht die Resozialisierung in den Erwerbsarbeit-Alltag an. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, nachdem wir tagelang bei bestem Wetter durch die irische Landschaft gewandert sind und unser Sozialleben abgesehen von vereinzelten Kontakten mit anderen Wander*innen sowie B+B-Gastgeber*innen in erster Linie aus Begegnungen mit Kühen und Schafen bestand.
Auch kulinarisch ist die Wiedereingliederung eine Herausforderung. Eine Woche lang gab es morgens Würstchen, Speck, Rührei und Pancakes und abends stärkten wir uns in irischen Pubs mit Burgern und Pommes oder Fish & Chips. Meine Frau hielt es heute Morgen aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen nicht für nötig, mir ein ähnliches Frühstückangebot zu unterbreiten. Ich möchte das nicht direkt als Zeichen mangelnder Wertschätzung und Zuneigung interpretieren, empfinde es aber dennoch als äußerst bedauerlich.
Stattdessen muss ich mir selbst Haferflocken machen. Zumindest mein Cholesterinspiegel freut sich darüber.
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Seit unserer Rückkehr gestern Abend ist unser Flur voll mit der Urlaubswäsche, die nach und nach abgearbeitet werden muss. Ursprünglich waren es vier stattlichen Haufen, sortiert nach Farbe und Waschtemperatur, plus ein Wäschekorb, der so voll ist, dass er nur noch zu erahnen ist. Nach kurzer Zeit stürzten die Wäschehaufen ein, vereinigten sich miteinander und verwandelten den Flurboden in ein Meer aus Schmutzwäsche.
Dies wird der Tochter zum Verhängnis. Als sie aus dem Bad kommt, watet sie durch die Klamotten, bis sie mit bloßem Fuße in den gut getarnten Wäschekorb tritt und über ihn fällt. Mit vollem Körpereinsatz beschützt sie während des Sturzes Laptop und Handy, die sie in ihren Händen hält. Dafür schlägt sie sich ihr Knie auf und zieht sich am Zeh eine Schnittwunde zu. Mit dieser blutet sie den halben Flur und das Gästezimmer voll. Nach einer kurzen Begutachtung der Blessuren kommt meine Frau zu dem Schluss, dass die Fußwunde genäht werden muss. (Sehr zum Unwillen der Tochter.)
Selbstverständlich ist es 22 Uhr, so dass die Tochter nicht in die Arztpraxis um die Ecke gehen kann, sondern wir müssen in die Notaufnahme. Und mit „wir“ meine ich meine Frau. Aufgrund ihrer Herzgeschichte verfügt sie über mehr medizinische Kompetenz und im Umgang mit Krankenhauspersonal als ich. Außerdem hat sie mir heute kein Frühstück mit Rührei und Pancakes angeboten. Da hat sie noch etwas gut zu machen.
Dennoch habe ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Um mich nützlich zu machen, hänge ich Wäsche auf. Anschließend sortiere ich die Haufen im Flur neu und ordne sie so an, dass keine Unfallgefahr mehr von ihnen ausgeht. Zumindest vorläufig.
Meine Frau schickt derweil eine Nachricht. Sie dürfe nicht mit in die Notaufnahme, sondern müsse davor warten. (Sehr zum Unwillen der Tochter.)
Es ist kurz nach 23 Uhr. Ich bin müde. Normalerweise liege ich um diese Uhrzeit im Bett. (Seit einer Stunde, um genau zu sein.) Ich finde es aber nicht okay, zu schlafen, während Frau und Tochter im Krankenhaus ausharren müssen.
Ich mache im Wohnzimmer den Fernseher an. Damit das nicht als vergnüglicher Zeitvertreib missinterpretiert werden kann, schaue ich mir eine 3Sat-Dokumentation über Wälder und Bäume an. Das macht mich noch müder.
Nächste Nachricht aus dem Krankenhaus. Der Fuß der Tochter soll noch geröntgt werden, um auszuschließen, dass etwas gebrochen ist. Dann soll genäht werden. (Immer noch zum Unwillen der Tochter.)
Halb eins. Ich gehe doch ins Bett. Aber nicht zum Schlafen, sondern ich lese. Mein Handy, dass normalerweise keinen Zutritt zu Schlafzimmer hat, lege ich auf den Nachttisch und stelle es auf volle Lautstärke, um auf keinen Fall zu verpassen, sollte meine Frau sich melden. Aber das wird ohnehin nicht passieren, denn ich bleibe ja wach.
Um kurz nach zwei schrecke ich aus dem Tiefschlaf hoch, als Frau und Tochter nach Hause kommen. Auf das Röntgen wurde doch verzichtet, aber nicht auf das Nähen. Der Unwillen der Tochter darüber hat sich inzwischen gelegt.
Meine Frau mustert mich und sagt: „Du siehst auch ganz schön fertig aus.” Ob das eine Momentaufnahme oder eine generelle Feststellung ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Dazu bin ich zu fertig.
13. Juni 2023, Berlin
Als ich den Computer hochfahre und das Mail-Programm öffne, entdecke ich eine erfreuliche Nachricht: Eine Gewinnbenachrichtigung von Lotto Berlin. Schnell gehe ich auf die Lotto-Berlin-Seite, um herauszufinden, wie hoch der Gewinn ausgefallen ist.
Ich bin ein durch und durch realistischer Mensch, der nicht zu blauäugigem Optimismus neigt. Daher rechne ich selbstverständlich nicht mit einem 6er mit Zusatzzahl und einem 25-Millionen-Euro-Gewinn. Nach dem Irland-Trip und aufgrund einer fälligen Quartals-Steuervorauszahlung steckt unser Konto in tiefroten Zahlen. Quasi bis zur Halskrause. Da käme ein hoher dreistelliger Eurobetrag recht gelegen. Oder noch besser ein niedriger vierstelliger Betrag. Wobei ich auch eine fünfstellige Summe nicht ablehnen würde.
Es sind aber nur 10,90 Euro. Oder zwei Guiness in einem irischen Pub.
Mit leichter Enttäuschung erzähle ich der Tochter von unserem mickrigen Gewinn. Die meint aber, das seien immer 10,90 Euro mehr; als wir vorher hatten. Damit hat sie sicherlich recht. Aber es sind auch 1.500 Euro weniger, als ich gerne hätte.
14. Juni 2023, Berlin
Übermorgen hat mein Vater Geburtstag. Er wird 80. Bei so einem Jubliäum musst du dir geschenkemäßig etwas einfallen lassen. Da ist es nicht einfach mit einem Buch oder einer Flasche Wein getan. Bei einem 80. Geburtstag muss da schon etwas mehr kommen.
Früher war das einfacher. Als Kita-Kind konntest du ein Bild schenken. Du hast einfach irgendetwas aufs Papier gekritzelt, gesagt „Das ist ein Hund“ und alle waren zufrieden. Mit Ende 40 kannst du das nicht bringen und ein selbstgemaltes Bild verschenken. Außer du bist Gerhard Richter, dann geht das.
Mein Bruder schlug vor, dass wir einen Besuch in einem Restaurant im Elsass schenken. Essens-Gutschein hört sich erstmal nicht wahnsinnig originell an, aber erstens handelt es sich um ein sehr renommiertes Sternerestaurant, zweitens ist es dementsprechend recht teuer und drittens verbinden wir damit eine gewisse Familientradition. Wir waren dort bereits zur Silbernen Hochzeit meiner Eltern – mein Bruder und ich luden uns damals selbst ein –, dann zu ihrer Goldenen – diesmal luden wir sie ein – und somit wäre es schön, das nächstes Jahr zur Diamantenen ein drittes Mal zu wiederholen.
Nachdem mein Bruder die Idee beigesteuert und die Korrespondenz mit dem Restaurant übernommen hatte, erklärte ich mich – etwas leichtfertig – bereit, einen Gutschein zu basteln. Pinterest-inspiriert will ich in einem Kästchen eine kleine Restaurant-Szene mit zwei Figürchen, die an einem Tisch sitzen und essen, nachstellen.
Im Bewusstsein meiner mangelhaften handwerklichen Fähigkeiten hielt ich es für keine gute Idee, mich in der Kunst der Holzschnitzerei zu versuchen. (Es reicht, wenn ein Familienmitglied pro Woche in die Notaufnahme muss.) Stattdessen soll mein Miniatur-Restaurant mit Spielzeug-Mobiliar und -Figuren ausgestattet werden.
Zu diesem Zwecke laufe ich nun durch die Spielwarenabteilung bei Karstadt und suche nach passenden Playmobil- oder Lego-Figuren und Restaurant-Möbeln. Der stationäre Handel mit Spielzeug scheint nicht besonders gut zu laufen. Der gesamte Karstadt ist schon nicht gerade überbevölkert, die Spielwarenabteilung ist vollkommen menschenleer. Außer mir ist dort niemand. Keine andere Kundschaft und auch keine Verkäufer*innen. Ich fühle mich ein wenig deplatziert.
Nach kurzem Suchen finde ich das Playmobil- und Lego-Sortiment. Das ist erheblich umfangreicher und vielfältiger als noch zu meiner Kindheit. Gleichzeitig ist es sehr actiongetrieben und vom Jugendwahn besessen. Es gibt Ritter, City Action, Piraten, Drachen, Dinosaurier, Stuntshows, Western und schnelle Autos. Ein entspanntes Restaurant- Setting, in dem zwei leicht ergraute Figürchen speisen, ist nicht zu finden. Aus einer Fantasy-Reihe gibt es lediglich einen weißhaarigen Druiden, aber der scheint mir nicht ganz passend zu sein.
Inzwischen ist ein zehnjähriger Junge gekommen. Er schaut sich Star-Wars-Figuren an. Wenn ich vorher schon dachte, ein graubärtiger Endvierziger, der durch Regale mit Puppen und Stofftieren stromert, wirft einige Fragen auf, fühle ich mich in Anwesenheit des Knaben erst recht wie ein Perversling.
Eine junge Verkäuferin erscheint. Entweder will sie mich beraten oder im Auge behalten, falls ich dem Jungen Süßigkeiten anbiete und in einen weißen Lieferwagen locke. Bevor sie die Polizei ruft, verlasse ich das Kaufhaus, um woanders mein Ich-bastle-einen-kreativen-Gutschein-Glück zu versuchen.
In der Fußgängerzone entdecke ich ein Geschäft für Bastelbedarf. Vielleicht habe ich dort mehr Erfolg. Zumindest bin ich nicht allein in dem Laden. Außer mir zähle ich neun weitere Personen. Acht davon sind Verkäuferinnen.
In einem Regal gibt es tatsächlich Setzkästen, dazugehörige Bastelbögen sowie kleine Silikon-Figürchen. Eine Restaurant-Setting gibt es zwar wieder nicht, aber wenigstens eine Geburtstags-Szene mit Girlanden, mehrstöckiger Torte und feiernden Gästen. Daraus lässt sich kein kreativer Restaurant-Gutschein anfertigen, für einen semi-kreativen Geburtstags-Gutschein sollte es jedoch reichen. Mit dem kann ich vielleicht nicht auf Pinterest punkten, aber vielleicht bei meinem Vater.
Auf dem Weg zur Kasse komme ich an den Ständern mit Glückwunschkarten vorbei. Es gibt überraschend viele Motive für 80. Geburtstage. Sie haben alle gemeinsam, dass auf der Vorderseite eine riesige 80 prangt. Fast schon obszön groß. Ich bin nicht überzeugt. Mein Vater weiß ja, dass er 80 wird. Da muss er das nicht nochmal extra in fünfzehn Zentimeter Größe nachlesen. Stattdessen entscheide ich mich für eine Karte mit dem Aufdruck „Es ist ein Junge!“
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)