Wegen unseres anstehenden Urlaubs gibt es nicht erst zum Sonntag-, sondern schon Freitagabend meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
04. Juli 2022, Berlin
Impressionen auf dem Weg zum Einkaufen:
- Vor einer Kita stehen zwei bullige, stiernackige Männer mit Gesichtstätowierungen und Rocker-Lederwesten. Sie unterhalten sich über die Vor- und Nachteile von verschiedenen Kinderhochstühlen.
- Eine Frau kommt mir entgegen, die ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Niveau ist keine Creme“ trägt.
- An der Straßenecke unterhalten sich zwei Männer auf Arabisch. Zum Schluss verabschiedet sich der eine mit einem fröhlichen „Tschüssikowski!” Bin mir nicht sicher, ob das ein Zeichen für Multi-Kulti im besten Sinne ist oder ob die beiden bei der Integration ein wenig überperformt haben. Nun ja, zumindest tragen sie keine Krachledernen und Trachtenjankerl.
- Ein kleines Mädchen schaut sich ein Werbeplakat für einen Rasierapparat an und erklärt seiner Mutter mit ernster Miene: „Damit entfernt man sich das Gesicht.“
- Auf einer Bank sitzt ein verwirrter Mann und brüllt: „Wir müssen mit dieser Scheiße endlich aufhören!“ Vielleicht ist er auch gar nicht verwirrt, sondern der einzige Mensch mit Durchblick.
05. Juli 2022, Berlin
Schraube abends ein Schuhregal zusammen Das hatte ich vor ein paar Wochen im Internet gekauft, damit bei uns im Flur nicht immer alle Schuhe kreuz und quer rumliegen. Komme mir ein bisschen spießig vor. Ein Schuhregal aufstellen, damit im Flur Zucht und Ordnung herrscht. Was kommt als nächstes? Besorge ich mir ein Kissen für die Fensterbank, damit ich es bequem habe, wenn ich rausschaue und Falschparker notiere?
06. Juli 2022, Berlin
Zeugnistag. Der Sohn hat die Notenbandbreite von Eins bis Vier ausgenutzt. Die Einsen hat er in den nicht ganz so systemrelevanten Fächern Sport und Kunst, die Vieren dagegen in Fächern mit höherem sozialem Status: Mathematik, Latein und Altgriechisch.
Mit der Benotung in Latein und Altgriechisch ist der Sohn nicht ganz einverstanden. Er ist der Meinung, dass es da durchaus Spielraum für eine Drei gegeben hätte. Wie es sich für Eltern gehört, sind meine Frau und ich auf der Seite des Lehrers und erklären dem Sohn, dass es seinerseits sicherlich auch Spielraum für mehr Engagement und Leistungsbereitschaft gegeben hätte. Aber eigentlich ist uns das auch egal. Im Grunde ist ein Zeugnis doch nur ein Stück Papier mit Zahlen.
Was uns aber nicht egal ist: Der Sohn verzichtet auf unser traditionelles Zeugnisessen. Normalerweise gehen wir am Zeugnistag immer Burger essen. Seit fast 13 Jahren. Diesmal will der Sohn aber lieber direkt nach der Schule mit seinen Klassenkamerad*innen feiern gehen. Das ist ihm anscheinend wichtiger, als Zeit mit seinen Eltern zu verbringen. Was er genau feiern will, weiß ich auch nicht. Vielleicht die Einsen in Sport und Kunst.
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Die neue Schuhbank wird vom Rest der Familie sehr gut angenommen. Die Schuhe liegen nicht mehr kreuz und quer im Flur rum, sondern direkt vor und neben dem nahezu leeren Bänkchen.
Vielleicht sollte ich mal einen familieninternen TED-Talk anbieten: „Wie stelle ich Schuhe auf eine Schuhbank?“ Der käme wahrscheinlich genauso gut an wie meine früheren Life-Coach-Vorträge: „Wie bediene ich einen Lichtschalter?“, „Wie falte ich Kartons klein, bevor ich sie in die Papiertonne werfe?“ oder „Wie drücke ich die Klinke runter, wenn ich eine Tür zumache?“
07. Juli 2022, Berlin
Ich gehe kurz nach 18 Uhr zum nahegelegenen DHL-Shop. Am Dienstag hatten wir einen Brief bekommen, dass dort ein Paket zur Abholung bereitliegt, das uns wegen Abwesenheit nicht zugestellt werden konnte. Vor dem Laden erstreckt sich eine Warteschlange von gut 30 Metern Länge. Die Laune der Wartenden ist eher so mittel. Sie würden lieber zuhause ihren Feierabend genießen, als sich hier die Beine in den Bauch zu stehen.
Ein Mann vom Typ „Ich bin immer gut gelaunt“ kommt vorbei und ruft: „Gibt’s hier irgendwas umsonst?“ Ich schätze für ihn ein paar Backpfeifen, wenn er noch so einen Spruch klopft. Die gereizte Stimmung in der Warteschlange vollkommen falsch einschätzend – oder ignorierend –, legt der Mann nach: „Ihr müsst mal lachen!“ und tut genau dies. Es ist sein Glück, dass niemand seinen Platz in der Schlange aufgeben möchte, denn sonst würde der Typ jetzt von einem geifernden Mob durch die Straßen Moabits gejagt.
Nach 25 Minuten bin ich so weit nach vorne gerückt, dass ich endlich den Paketshop betreten kann. Der ist trotz geöffneter Tür ziemlich stickig. Vor mir sind noch drei andere Personen. Das heißt aber nicht, dass ich schnell drankomme. Das wissen die beiden Paketshop-Angestellten zu verhindern. Eine Mittfünfzigerin ist für die Kasse, den Etiketten- und Briefmarkendrucker sowie den Computer zuständig, ist aber anscheinend mit keinem der Geräte sonderlich gut vertraut. Ein junger Mann von Anfang/Mitte 20, der wie ein Boxer ein Handtuch um den Hals trägt, hat die Aufgabe, Päckchen und Kartons einzuscannen und von einer Ecke des Ladens in die andere zu tragen, wobei für mich kein System erkennbar ist, nach dem er die Pakete verteilt. (Für ihn möglicherweise auch nicht.)
Seine Kollegin kümmert sich mit bewundernswerter Seelenruhe ganz individuell um jede einzelne Kundin und jeden einzelnen Kunden und scheint nicht mitzubekommen, dass sich die Stimmung in der Warteschlange irgendwo zwischen Meuterei auf der Bounty und Führerbunker im Frühjahr `45 bewegt. Gerade erkundigt sie sich bei einer jungen Frau, ob sie ihren Umschlag als Großbrief, Maxibrief, Päckchen oder doch als Büchersendung verschicken will, und erklärt ihr mit großer Liebe zum Detail, wie sich diese verschiedenen Optionen auf Porto und Versicherungsstatus auswirken.
Der Handtuch-Mann rubbelt sich derweil sein verschwitztes Haar trocken und ext eine 1,5-Liter-Flasche Cola. Die Kassen-Frau versucht nun, einen QR-Code einzuscannen, den ihr ein Kunde auf dem Handy hinhält, damit sie dann das Retouren-Etikett ausdrucken kann. Allerdings arbeitet der Drucker nicht zu ihrer Zufriedenheit – und auch nicht zu der des Kunden und zu meiner ebenfalls nicht. Ich überlege, anzubieten, das Etikett von Hand zu zeichnen, um den Vorgang zu beschleunigen.
Im Hintergrund seufzt der Handtuch-Mann. Er hat gerade einen riesigen Wagen mit Paketen entdeckt, die alle noch bearbeitet werden müssen. „Das war’s wohl mit pünktlich Feierabend“, stöhnt er. „Ach, Morgen ist auch noch ein Tag“, antwortet seine Kollegin. Allmählich komme ich mir vor wie ein Komparse in einer miesen 90er-Jahre-RTL-Sitcom. „Hier geht die Post ab!“ mit Mariele Millowitsch und Axel Stein.
Die Kassen-Frau klärt nun den Kunden vor mir auf, welche Möglichkeiten es gibt, einen Brief als Einschreiben zu verschicken. Als Standard-Einschreiben, als Einwurf-Einschreiben, als eigenhändiges Einschreiben, als Rückschein-Einschreiben oder als Wert-Einschreiben. Der Kunde scheint mit der Fülle der Informationen überfordert zu sein und muss sehr lange – sehr, sehr lange – überlegen, bevor er sich für das Standard-Einschreiben entscheidet.
Der Handtuch-Mann zuckt nervös mit den Augen. Vielleicht flattern aber auch meine Lider mit der Geschwindigkeit eines Kolibri-Flügelschlages und ich bilde mir nur ein, dass der Handtuch-Mann zwinkert.
Nach gut 45 Minuten Wartezeit bin ich endlich dran. Mit Tränen der Rührung in den Augen überreiche ich der Kassen-Frau den Brief, der uns über die Lagerung des Paketes hier im Shop informiert hat, sowie meinen Ausweis und die Vollmacht meiner Frau, mit der sie mir gestattet, Päckchen für sie nach Hause zu tragen.
Die Kassen-Frau verschwindet mit dem Brief im Hinterzimmer. Durch die geöffnete Tür sehe ich, wie sie von links nach rechts läuft und dann kopfschüttelnd von rechts nach links. Sie ruft den Handtuch-Mann, der geht in ein anderes Zimmer und kommt nach kurzer Zeit ebenfalls kopfschüttelnd und mit leeren Händen zurück. Die Kassen-Frau läuft nun mit einer Trittleiter von links nach rechts und danach zurück von rechts nach links, bevor sie wieder an den Tresen kommt. „Das Paket scheint nicht da zu sein“, erklärt sie. Dabei macht sie nicht den Eindruck, dass ihr das besonders unangenehm ist. „Ich schau mal im Computer nach“, kündigt sie an, wobei sie fröhlich lacht.
„Das kann schon mal passieren“, erklärt mir unterdessen der Handtuch-Mann. Ich überlege, ob er persönlich dafür verantwortlich ist, dass das mal passieren kann, so dass es gerechtfertigt wäre, ihn anzubrüllen. Da das aber wahrscheinlich nicht der Fall ist und es außerdem nicht zu meinem Selbstbild als entspannter, links-liberaler Zeitgenosse passt, unterbezahlte DHL-Shop-Hilfsarbeiter anzuschreien, lasse ich es bleiben.
Die Kassen-Frau tippt derweilen umständlich und langsam die tausendstellige Sendungsverfolgungsnummer in den Computer. „Ach so“, sagt sie plötzlich. „Hier steht, dass das Paket schon zugestellt wurde. Am 04. Juli.“ Das ist einen Tag bevor wir den Brief bekommen haben.
Mühsam beherrscht frage ich, warum dann in dem Brief steht, dass das Paket hier lagert. „Das kann schon mal passieren, dass ein Paket dann doch noch ausgeliefert wird, obwohl es schon hier war“, erklärt der mir der Handtuch-Mann. Da er dafür wahrscheinlich auch nicht verantwortlich ist, nehme ich Abstand davon, ihn an den Schultern zu packen und ordentlich durchzuschütteln und anzubrüllen, ob hier irgendwo eine verschissene versteckte Kamera installiert ist. Desgleichen verzichte ich darauf, mich in Embryonalstellung vor den Verkaufstresen zu legen und zu weinen, sondern verlasse den Laden als gebrochener Mann.
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Schwer genervt mache ich mich auf den Heimweg. In der Tanzschule gegenüber des DHL-Shops findet gerade bei geöffnetem Fenster ein Kurs statt. Eine Gruppe junger Männer schuhplattlert gemeinsam. Mein Gemüt ist schlicht genug, dass das meine Stimmung hebt. Wer kann schon schlecht gelaunt sein, wenn er ein paar Männern zuschaut, wie sie sich zum Rhythmus eines bayerischen Volkslieds auf die Oberschenkel und Knöchel patschen. Ich auf jeden Fall nicht.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Aber was ist denn jetzt mit dem Paket? Wurde es zugestellt? Ist es verschollen? Du kannst doch nicht in den Urlaub fahren und die Leser*innen mit diesem Cliffhanger zurücklassen!
Das könnte echt in unserem dhl Kiosk gewesen sein 😅 ich bewundere jedesmal die Mitarbeiterin, die jedem Kunden geduldig erklärt welche Versand Optionen er hat und dann sogar Briefe und Pakete umverpackt oder in jeder Ecke des Ladens nachschaut ob nicht doch noch selbstklebende Briefmarken auf dem Bogen mit Blümchen Motiv zu finden sind, weil der Kundin der Leuchtturm so gar nicht gefällt…. Während alle in der Schlange zusehen und kurz vorm Explodieren sind.
Wenn ich komme atmet sie immer auf, habe immer an die zehn Pakete. Alle qr Codes auf dem Handy alphabetisch sortiert parat und alles tiptop vorbereitet 😉. Für mich ist der Post Besuch ein Resilienz Training… Atemübungen, die Dinge positiv sehen, Geduld haben, die Menschen so nehmen wie sie sind…. Ein hartes Training 😅👍
Schönen Urlaub!