Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
09. Oktober 2022, Bonn/Berlin
Nach einem gemütlichen Frühstück fahren meine Frau und ich zurück nach Berlin. Was sehr positiv ist: Nach dem gestrigen Marathon hält sich mein Muskelkater in den Beinen doch sehr in Grenzen. Wahrscheinlich hat die Regeneration durch das langsame Tempo und meine vielen Gehpausen bereits während des Laufs ab Kilometer 32 eingesetzt.
04. Oktober 2022, Berlin
Inzwischen ist für die Tochter die Uni in Carlow richtig losgegangen. In Geschichte hat sie unter anderem einen Kurs mit dem schönen Titel Re-imagining early and medieval Ireland. Da die Tochter bisher keinerlei Kenntnisse der irischen Geschichte hat, ist es für sie weniger ein re-imagining, sondern mehr ein imagining des frühen und mittelalterlichen Irlands.
Die Tochter befürchtet, dass sie sich als einzige Nicht-Irin blamieren könnte, weil die anderen Studierenden alles schon aus ihrem Geschichtsunterricht kennen. Ich glaube aber, das wird nicht der Fall sein. Zumindest ich hatte nach der Schule nur ein sehr begrenztes Wissen über die frühe und mittelalterliche deutsche Geschichte.
Eigentlich konnte ich mich nur daran erinnern, dass die Herrscher und Könige damals alle merkwürdige Namen hatten. Zum Beispiel Otto der Große. Der war wahrscheinlich eher klein und musste das mit seinem Beinamen überkompensieren. Oder August der Starke. Sicherlich ein Schwächling, der als Kind immer verdroschen wurde. Oder Pippin. Den Namen fand ich besonders lustig. Was in erster Linie zeigt, dass ich einen sehr einfachen Humor habe. Ich dachte damals, mit dem Namen Pippin bist du das Mobbing-Opfer Nummer 1. Da bleibt dir gar nichts anders übrig, als König zu werden.
05. Oktober 2022, Berlin
Auf dem Weg zum Supermarkt werde ich Zeuge einer Begegnung zwischen einem weißen Yorkshire Terrier und einem dunkelbraunen Pitbull. (Nicht der halstuchtragende Michel aus Cassis, sondern ein teutonischer Verwandter.) Als die beiden auf gleicher Höhe sind, rastet der Yorkshire Terrier vollkommen aus. Er bellt, knurrt und fletscht die Zähne. In einer Mischung aus Wagemut und vollkommener Selbstüberschätzung will er sich in den Kampf mit dem ungefähr dreimal so großen Rivalen stürzen.
Den Pitbull lässt das kalt. Er macht einen eher amüsierten Eindruck. Könnten Hunde spöttisch grinsen, würde er das tun. Wahrscheinlich überlegt er gerade, ob er einen oder zwei Happen benötigt, um den Yorkshire Terrier aufzufressen, und was er dann zum Hauptgang essen soll. (Hoffentlich nicht mich.)
06. Oktober 2022, Berlin
Heute kommt der Schornsteinfeger, um die Feuermelder zu kontrollieren. Ich hatte keine Zeit, vorher aufzuräumen. Deswegen sieht es im Flur etwas chaotisch aus. Ich könnte sagen, dass wir gerade renovieren. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich das nicht schon letztes Jahr erzählt habe.
Stattdessen könnte ich dem Schornsteinfeger die Augen verbinden und als erstes ins Zimmer des Sohns führen. Dort sind im ganzen Raum so viele Klamotten verstreut, als hätte eine Gruppe paarungswütiger Biber einen Kleiderständer begattet. Danach hatten die notgeilen Biber anscheinend Hunger, haben Müsli gegessen und die Schalen mit den Cerealien-Resten im ganzen Zimmer verteilt. Wenn sich der Schornsteinfeger das angeschaut hat, kommt ihm der Flur wie ein Showroom von Schöner Wohnen vor.
07. Oktober 2022, Berlin
Vor einem Asia-Imbiss in der Parallelstraße sitzt eine Familie. Der ungefähr achtjährige Sohn isst mit Stäbchen Röstzwiebeln. Erstaunlicherweise kann er das wirklich. Wenn ich dagegen mit Stäbchen Sushi esse, muss ich mir immer schnellstmöglich das ganze Stück auf einmal in den Mund schieben – egal wie groß es ist. Ich bin motorisch einfach nicht in der Lage, gesittet davon abzubeißen, ohne dass der Rest komplett runterfällt und der Tisch in kürzester Zeit aussieht, als wäre eine Fischbombe in einem Reisfeld explodiert. (Oder eine Reisbombe auf einem Fischmarkt.)
08. Oktober 2022, Berlin
In meinen Instagram-Feed wird mir ein Video gespült, in dem eine Frau Tipps gibt, wie Eltern ihre Kinder ins Bett bringen können. Ohne Schreien und ohne die Kinder zu manipulieren, wie sie betont. Ich schaue mir das Video an, obwohl ich nicht zur Zielgruppe gehöre. Bei Teenagerkindern fragst du dich ja eher nicht, wie du sie ins Bett bekommst, sondern wie du sie dazu bringen kannst, selbiges zu verlassen.
Der erste Ins-Bett-bring-Tipp lautet „Ein Lied summen“. Je nach Qualität des elterlichen Gesummes kann das unter Umständen grausamer sein, als das Kind die ganze Nacht schreien zu lassen. In dem Video funktioniert das aber ganz hervorragend. Die Mutter summt dem auf ihrem Schoß sitzenden Kind ins Ohr, das klettert danach ohne Widerworte in sein Bett. Möglicherweise denkt es, alles ist besser, als das schiefe Gesumse von Mutti auch nur eine Sekunde länger zu ertragen.
Tipp Nummer 2: „Lavendel versprühen“. What? Im Video sprüht die Mutter Lavendel im Schlafzimmer rum. Anschließend bekommt das Kind einen freundlichen Klapps auf den Windelpo und springt fröhlich ins Bettchen. Anscheinend ist dieses „Ratgeber“-Video um ein Phantasy-Filmchen. Zumindest was den Realitätsgehalt angeht. Hätte ich, als die Kinder noch kleiner waren, Lavendel im Kinderzimmer versprüht, hätten sie kurz interessiert geschaut, was Papa da für eine merkwürdige Sprüh-Flasche hat, und sich dann weiterhin standhaft geweigert, ins Bett zu gehen.
„Austoben“ ist der dritte und letzte Tipp. Veranschaulicht wird dies durch eine Sequenz, in der die Mutter und das Kind ausgelassen auf dem elterlichen Bett hüpfen. Zehn Sekunden später krabbelt das Kind ohne weitere Diskussion in sein Bett. Das ist natürlich vollkommen unrealistisch. Von der Rumtoberei ist das Kind sehr wahrscheinlich so aufgekratzt, dass es gar nicht daran denkt, ins Bett zu gehen. Wenn du als Eltern allerdings Glück hast, bist du vom Toben so kaputt, dass du sofort einpennst und nicht mitbekommst, wie dein Kind die Nacht zum Tag macht.
Falls Sie Interesse an weiteren unnützen Einschlaf-Tipps haben, kaufen sie einfach eines meiner Bücher. Oder alle. Oder überweisen Sie mir einfach so 30 Euro.
09. Oktober 2022, Berlin
In meinem Spam-Ordner informiert mich eine Mail, dass die Domain ichichich.de zum Verkauf steht. Eine URL, die für Einzelkinder interessant sein könnte. Falls jemand Interesse hat, leite ich die Mail gerne weiter.
10. Oktober 2022, Berlin
Der Sohn hatte heute eine Exkursion. Mit seinem Philosophie-LK hat er das Humboldt-Forum besucht. Der Sohn erklärt, es sei ganz interessant gewesen, aber er hätte sich die Ausstellung gerne ohne Führung angeschaut, um mehr Zeit zu haben. Meine Frau schlägt vor, er könne ja einfach noch mal allein hingehen. Daraufhin murmelt der Sohn, sooo interessant sei das jetzt auch nicht gewesen, und widmet sich seinem Handy.
11. Oktober 2022, Berlin
Heute ist Stell-dich-deinen-Ängsten-Tag. Heißt das, ich muss heute zum Zahnarzt gehen, irgendwo anrufen, eine fremde Person auf der Straße ansprechen oder die Wohnung verlassen, obwohl ich höre, dass schon eine der Nachbar*innen im Treppenhaus ist?
12. Oktober 2022, Berlin
Der Sohn hat in der Schule Club der toten Dichter angeschaut. Als Hausaufgabe müssen sie nun selbst ein Gedicht schreiben. Eine ziemlich schwierige Aufgabe, finde ich. Vor allem für die Lehrerin, die das dann lesen muss.
Teenager*innen leiden ja für gewöhnlich an unerwiderter Liebe, der Welt und sich selbst. Gleichzeitig neigen sie zu Pathos und haben keine Scheu vor schwülstigen Formulierungen. Da kommt dann schnell ein Gedicht mit ein paar Paarreimen à la Liebe und Triebe, Pein und allein oder dem All-time-Klassiker Herz und Schmerz. Ich hoffe, die Deutschlehrerin trinkt, wenn sie sich das zu Gemüte führt, wenigstens hochwertigen Rotwein.
In der zehnten Klasse musste ich in Deutsch auch mal ein Gedicht verfassen. Im Bestreben meine Schul-Freizeit-Balance zu optimieren, machte ich es mir einfach und schrieb einfach einen unbekannten Grönemeyer-Song aus seiner frühen Schaffensphase ab. Ich bekam eine 1 darauf. (Herbert Grönemeyer wird es sicherlich freuen, dass meine Deutschlehrerin sein Frühwerk zu schätzen wusste.)
Bis heute habe ich deswegen ein bisschen ein schlechtes Gewissen. (Vor allem weil ich mich sogar nicht schämte, „mein“ Gedicht vor der Klasse vorzutragen.) Frau B. , falls sie das hier lesen sollten: Es tut mir leid!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin-Moabit. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Im September erscheint sein neues Buch “Papa braucht ein Fläschchen”. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
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