Zum Sonntagabend gibt es meine semi-originellen Gedanken und semi-spannenden Erlebnisse aus der abgelaufenen Woche. Manchmal banal, häufig trivial, meistens egal.
20. Dezember 2021, Berlin
Nach meiner Booster-Impfung am Samstag hatte ich in der Nacht zum Sonntag ordentlich Fieber und habe den gestrigen Tag größtenteils im Bett verbracht. Heute geht es mir aber insgesamt wieder ganz gut. Außer dass ich übertrieben viel schwitze.
Ich stehe in der Postfiliale, um die letzten Weihnachtspakete aufzugeben, und transpiriere, als hätte ich gerade den Marathon des Sables durch die marokkanische Sahara absolviert. Der Schweiß läuft mir niagarafallartig die Schläfen hinunter und ich fürchte, dass ich gleich knöcheltief in einer Pfütze stehe. Aber wahrscheinlich bilde ich mir meine abnormale Schweißproduktion nur ein. Für die Frau hinter dem Schalter bin ich sicherlich ein ganz gewöhnlicher Mensch, der eine ganz gewöhnliche Menge Schweiß schwitzt.
Zumindest rede ich mir das ein, denn sonst müsste ich sofort die Filiale verlassen und mir eine neue suchen. Am besten in einem anderen Kiez. Oder noch besser in einer anderen Stadt.
21. Dezember 2021, Berlin
Meine Frau weist mich beim Unterschreiben der Weihnachtspost darauf hin, dass ich einer ihrer Tanten versehentlich alles Gute für 2020 gewünscht hätte. Ich überlege kurz, das nicht zu korrigieren und einfach so zu lassen. Es wäre doch schön, wenn wir die Uhr auf Ende 2019 zurückdrehen könnten, als wir noch nichts von Corona wussten, als es noch keine Lockdowns, kein Home Schooling, keine Virusmutanten und noch keine verquerdenkenden Impfgegner gab.
Und wenn wir schon bei unrealistischen Zeitreise-Phantasien sind, würde ich noch ein paar Wochen früher nach Wuhan auf den Tiermarkt zurückreisen und diese scheiß Fledermaus töten. (Sorry, Batman.)
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Der Sohn ist sehr unzufrieden. Während in Brandenburg schon die Weihnachtsferien begonnen haben, muss er heute noch Mathe schreiben. Wahrscheinlich befürchtet er, dass er sich nicht nur mit dem Corona-, sondern auch mit dem Mathematik-Virus infizieren könnte.
22. Dezember 2021, Berlin
Auf dem Heimweg vom Einkaufen komme ich in unserer Straße an einem kleinen Kind auf seinem kleinen Fahrrad vorbei. Neben ihm kniet sein Vater und erklärt ihm liebevoll zugewandt und engelsgeduldig, wie bei dem Rad die Rücktritt- und die Handbremse funktionieren und wie sie zu bedienen sind. Vielleicht ein klein wenig zu ausführlich, zu ausschweifend und zu detailgenau für einen Vierjährigen.
Der leere Blick des Bubs deutet darauf hin, dass er schon seit einiger Zeit auf Durchzug gestellt hat und dass all diese Informationen in seinem Kopf eine Halbwertszeit von wenigen Zehntelsekunden haben. Wahrscheinlich hofft er, dass sein Papa endlich die Klappe hält, damit er lospesen kann. Denn wenn du vier bist und auf deinem Rad sitzt, kannst du dich nicht mit irrelevanten Nichtigkeiten wie der Funktionsweise von Bremsen aufhalten, sondern musst losfahren, um die Welt zu erobern. Oder zumindest den Weg bis zur Kita.
23. Dezember 2021, Berlin
Gehe morgens nochmal zum Supermarkt, um die wirklich allerletzten Besorgungen vor dem Weihnachtsfest zu machen. So wie gestern schon. Und vorgestern. Und morgen nochmal.
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Ich habe ein schlechtes Gewissen. Ich bin meinem arabischen Frisör fremd gegangen. Mit einer türkischen Frisörin zwei Straßen weiter. Dieser Schritt ist mir nicht leichtgefallen, aber ich war bei den letzten Besuchen doch zu sehr genervt, dass mir der arabische Frisör die Haare immer viel kürzer geschnitten hat, als ich es wollte. (Okay, ich hätte ihm das auch einfach sagen können, aber ich bin immer noch ein Mann und Männer reden nicht über Probleme, sondern gehen einfach.)
Nach dem Besuch bei der türkischen Frisörin bin ich sehr zufrieden mit meiner neuen Frisur. Sie ist genau so, wie ich es mir gewünscht habe. Hinten und an den Seiten kurz und oben etwas länger, damit ich mir einen Scheitel kämmen kann. Perfekt!
Die Frisur hat allerdings einen Nachteil: Ich muss nun in den nächsten Tagen immer riesige Umwege gehen, weil ich Angst habe, an dem Laden meines arabischen Frisörs, der vielleicht gar nicht mehr mein arabischer Frisör ist, vorbeizugehen, und er schaut dann gerade raus und sieht mich dann mit meinen frisch geschnittenen Haaren und ist dann enttäuscht und am Boden zerstört und fängt vielleicht sogar an zu weinen. Das wäre mir sehr unangenehm.
24. Dezember 2021, Berlin
Heiligabend startet so richtig besinnlich, wenn du vormittags erstmal gemeinsam mit deiner Frau zur Teststation flanierst, um dir von einer wildfremden Person die Naseninnenwand mit ein Stäbchen massieren zu lassen. Bis hoch zum Kleinhirn.
Fünfzehn Minuten später wird wenigstens die frohe Botschaft verkündet: Wir sind negativ. (Leider nur durch eine schnöde E-Mail und nicht durch einen himmlischen Engelschor, der singt: „Fürchtet euch nicht, euch ist ein negatives Testergebnis erschienen!“)
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Bei der abendlichen Bescherung stellt sich heraus, dass die Kinder dieses Jahr anscheinend brav waren, denn sie bekommen Geschenke. Die Tochter unter anderem ein DNA-Kit, mit der du herausfinden kannst, woher deine Vorfahren stammen. Hoffentlich kommt nicht raus, dass wir gar nicht ihre Eltern sind.
Meine Frau erzählt freudestrahlend, sie habe sich auch so ein Kit bestellt. Hoffentlich kommt nicht raus, dass wir Geschwister sind.
Der Sohn hat sich zur Verschönerung seines Zimmers ein paar metallene Poster gewünscht, auf die Bilder und Zitate aus bekannten Filmen abgedruckt sind. Zum Beispiel aus Rocky:
„It ain’t about how hard you hit. It’s about how hard you can get hit and keep moving forward; how much you can take and keep moving forward. That’s how winning is done!“
Schöner Spruch. Vielleicht ein wenig pathetisch, aber solange es den Sohn zu übermenschlichem Durchhaltevermögen motiviert, wenn er für die nächste Latein-Arbeit büffelt, soll es mir recht sein.
Auf einem anderen Poster steht ein Spruch von Leonardo di Caprio aus Wolves of Wall Street:
„Work until your bank account looks like a phone number.”
Ob der Sohn wohl weiß, dass es Menschen in Deutschland gibt, die vierstellige Telefonnummern haben? Meine Eltern zum Beispiel. Aber wenigsten beginnt sie mit einer 8. Da würde sich unser Girokonto ziemlich freuen. Vor allem nach den ganzen Weihnachtseinkäufen.
25. Dezember 2021, Westerburg
Wir fahren zum 1. Weihnachtsfeiertag zu meinen Eltern in den Westerwald. Ein wenig mulmig ist uns schon zumute, aber wir sind alle geboostert – mit Ausnahme des Sohns, der noch zu jung ist – und außerdem haben wir uns in den letzten Tagen so oft getestet, dass meine Nase wahrscheinlich denkt, sie ist in einer Beziehung mit einem Teststäbchen.
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Im Zug sitzt auf der Strecke von Frankfurt nach Limburg auf den Plätzen neben uns eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Die circa vierjährige Tochter genießt auf der Fahrt unbegrenzte Screen-Time – sehr smarter Move von den Eltern – und schaut hypnotisch gebannt irgendeinen Film auf dem Handy ihres Vaters.
Auf dem Schoß der Mutter sitzt ein ungefähr sechs Monate altes Baby. Es scheint mit der Gesamtsituation nicht vollkommen zufrieden zu sein und quengelt und brummelt mit zunehmender Lautstärke vor sich hin. Dann hält es kurz inne und donnert geräuschvoll in die Windel. Und dann gleich nochmal. Ich bin in dem Moment sehr froh über meine FFP2-Maske, die meine Nase hermetisch abriegelt.
Das Baby schaut jetzt auf jeden Fall wesentlich zufriedener drein. Wie heißt es doch so schön: „Wenn’s Arscherl brummt, ist’s Herzerl gsund.” oder wie der Judo-Trainer des Sohns immer sagt: „Alles raus, was keine Miete zahlt.”
26. Dezember 2021, Westerburg
Meine Eltern haben sich beim Frühstück ordentlich ins Zeug gelegt. Unter anderem gibt es original italienisches Nutella, das sie bei Freunden geordert hatten, die kürzlich in Italien waren. Dort schmeckt das Nutella nussiger und ist von der Konsistenz irgendwie cremiger. Deswegen kostet es auch erheblich mehr.
Bei unserem letzten Besuch im Westerwald im Herbst hatte ich im Keller ein Nutella-Glas entdeckt, das schon seit über einem Jahr abgelaufen war. Das hat aber auch noch gut geschmeckt. Wahrscheinlich kann ein Lebensmittel, dass zu 99 Prozent aus Zucker und Fett besteht, nicht schlecht werden.
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Gute Nachricht aus dem Spam-Ordner. Mir wird mitgeteilt, dass ich bei der Euro Millions International Global Sweep Stake 2,5 Millionen Euro gewonnen habe. Und das, obwohl ich nie bei dem Euro Millions International Global Sweep Stake mitgespielt habe. Wie viel Glück kann ein Mensch haben? Damit ich an meinen Millionengewinn komme, muss ich lediglich noch einen internal security check absolvieren. Der kostet 250 Euro. Vielleicht lieber doch nicht.
In einer anderen Mail bietet mir die Firma Ketogen Original einen hoch dosierten Fettverbrenner an, mit dem ich in einem Monat 14 Kilo verlieren kann. Ich weiß nicht, ob ich dankbar oder beleidigt sein soll.
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
Hier auf dem Land gibt es sogar noch dreistellige Telefonnummern!
Aber zum Glück gibt es ja auch noch die Vorwahl! 😁
Wären wir nach Weihnachten nicht alle dankbar, wenn die (über die Feiertage) zugenommen 14 Kilo schnell wieder weg wären?
*italienischer Nutella
Schließlich immernoch “die”
Wir kaufen das italienische Nutella immer auf dem Rückweg von Kroatien her in einer Autobahnraststätte kurz vor Bergamo, so im 10-Kilo-Glas.