Es ist 8.30 Uhr und der Sohn begleitet mich heute beim Laufen. Beach Body ist begeistert. „Endlich jemand, der motiviert ist und Energie hat“, freut er sich. Allerdings dreht der Sohn nach drei Kilometern um und läuft alleine zurück. Ich glaube, er ist genervt, dass ich die ganze Zeit sinnlos vor mich hinlabere und mich mit irgendjemandem unterhalte.
Beach scheuch mich die Strandpromenade entlang, vorbei an den Surfschulen und dem Drachenstrand bis zum FKK-Bereich. „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du hier eine Augenweide sein“, prophezeit mir Beach. Ich glaube ja eher, wenn Beach mit mir fertig ist, werde ich auf der Intensivstation landen. „Da werden die Ladies richtig steil gehen“, fährt er fort. Wenn ich mich recht entsinne, bin ich vor fünf Jahren auch schonmal am FKK-Strand vorbeigejoggt. Die Nacktbaderinnen dort waren alle eher ältere Semesterinnen und, um es einigermaßen respektvoll auszudrücken, hatten sehr viel Quadratzentimeter Haut, die sie freizügig zeigten. Daher möchte ich mir nicht vorstellen, wie diese Damen „steil gehen“ werden, wenn ich nackert an ihnen vorbeirenne. (Notiz an die Frau: Selbstverständlich würde ich mir auch nicht vorstellen wollen, wie die Damen „steil gehen“, wenn es sich um Victoria-Secret- oder Sports-Illustrated-Models handelte.)
Außerdem muss ich bei FKK immer an eine Dokumentation über einen Nudisten-Campingplatz denken, die ich vor ein paar Jahren mal gesehen habe. Dort haben die Camperinnen und Camper alles nackt gemacht. Fahrrad fahren, Rasen mähen, Wäsche aufhängen, Volleyball spielen, Einkaufen gehen. („Darf’s noch eine Hartwurst mehr sein?“ „Ja bitte. Und sind die Melonen noch im Angebot? Da greife ich immer gerne zu.“)
Als ich eine Dreiviertelstunde später die Bäckerei betrete, bin ich auf jeden Fall froh, Klamotten zu tragen. (Nicht zuletzt, weil ich mir beim nackt Einkaufen das Verstauen des Wechselgeldes etwas kompliziert vorstelle.) Da der Sohn mich nicht begleitet, bekomme ich auch heute kein Gratis-Brötchen. Dafür gibt es aber zu meiner großen Freude wieder Camping-Wecken. Die Verkäuferin möchte trotzdem nicht von mir umarmt werden. Wahrscheinlich weil mein Laufshirt ein wenig müffelt.
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Beim Frühstück sind die Kinder einigermaßen entsetzt, als sie feststellen, dass kein Nutella auf dem Tisch steht. Wir erklären ihnen, dass auf Camping-Wecken Marmelade viel besser schmeckt als Nutella und wir deswegen keins gekauft hätten. Die Kinder schauen uns an, als hätten wir komplett den Verstand verloren und sollten am besten entmündigt werden, damit sie bei einem gesetzlichen Vormund aufwachsen könnten, bei dem es Nutella zum Frühstück gibt.
Um die beiden zu besänftigen, biete ich ihnen stattdessen Heidelbeer-Quark an, den ich heute Morgen angerührt habe. „Das ist total lieb, vielleicht heute Abend“, antwortet die Tochter. Ihr Blick sagt allerdings: „So lange es hier kein Nutella gibt, kannst du dir deinen Drecks-Quark in die Haare schmieren.“
Nach dem Frühstück steht erstmal die Operation „Luftmatratze“ an. Der Sohn hatte sich gestern direkt nach der Ankunft eine gekauft, um in den nächsten vierzehn Tagen darauf gemütlich im Meer zu chillen. (Wahrscheinlich inspiriert von diesem aberwitzigen Inselmarketing-Slogan „Friesische Karibik“.) Da der Chillfaktor auf einer schlaffen Matratze aber zu wünschen übriglässt, muss sie noch mit Luft gefüllt werden. Und da wir keine Luftpumpe haben, muss dies per Mund geschehen.
Da ich über das Lungenvolumen eines rachitischen Rotkehlchens verfüge und schon beim Aufblasen eines Luftballons scheitere, bin ich keine große Hilfe. Der Sohn pustet zweimal in die Matratze und dann ist ihm schwindelig. (Erst als wir kurze Zeit später zum Strand aufbrechen, erholt er sich auf wundersame Weise von seinem Schwächeanfall.) Daher obliegt es der Frau und der Tochter, die Luftmatratze aufzublasen. Nach ungefähr zehn Minuten merke ich an, es wäre schön, wenn wir bald mal loskämen. Überraschenderweise verstehen die beiden das nicht als motivierenden Ansporn, sondern werfen mir zornige Blicke zu.
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Gegen 11 Uhr erreichen wir schließlich den Strand. Das erste Mal gemeinsam mit den Kindern. Ich vermeine in den Gesichtern der anderen Mütter und Väter eine gewisse Häme zu erkennen. „Jetzt ist es vorbei mit der abendlichen Sauferei im Strandkorb, ihr Loser!“ rufen sie uns mimisch zu.
Heute Vormittag ist es wieder sehr heiß und fast windstill. Alle Körperfunktionen fahren auf Sparflamme runter und alles läuft nur noch verlangsamt ab. Das Hinsetzen in den Strandkorb, das Umblättern des Buches, das Trinken aus der Wasserflasche. Einfach alles. Für die Notizen zu diesem Absatz habe ich zum Beispiel ungefähr 25 Minuten benötigt.
Im Strandkorb der Anwaltsfamilie rechts von uns ist die Stimmung, sagen wir, etwas „angespannt“. Der Sohn ist, präpubertär bedingt, schlecht gelaunt. Seine Mutter ist genervt, es sei nicht zum Aushalten, wie er den ganzen Tag hier am Strand rummotzt, nächstes Jahr würden sie in die Berge fahren. Darauf erwidert er, dann würde er halt in den Bergen rummotzen. Seine Eltern nehmen diese Antwort zum Anlass, um zu erörtern, ob er eigentlich schon alt genug ist, um ihn ins Ferienlager zu schicken. Beide sind der Meinung „Ja, ist er.“
“Hast du mein Bild auf Instagram gesehen?”
“Ja, aber ich hab es nicht gelikt.”Die Tochter disst wie eine Rapperin.
— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 30. Juli 2018
In Strandkorb 180 gibt es schon wieder neue Bewohner. Ein älteres Ehepaar um die 70, das als erstes ein Berlin-Fähnchen an ihrer Strandbehausung befestigt. Reflexartig fange ich an, in einem Mannheimer Dialekt zu reden. Nicht, dass die beiden uns aus landsmannschaftlicher Verbundenheit noch ein Gespräch aufdrücken. Die Frau meint, das sei totaler Quatsch, denn wir berlinerten ja überhaupt nicht. Da könnten die beiden gar nicht heraushören, dass wir auch in Berlin wohnen. Außerdem solle ich unverzüglich mit diesem bescheuerten Mannheimerisch aufhören, sonst würde sie rüber zu dem Anwalt gehen und sich wegen einer Spontan-Scheidung auf Föhr beraten lassen.
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Der Sohn probiert unterdessen die Luftmatratze im Meer aus, kommt aber schon kurze Zeit später wieder zurück. Er moniert, dass die ganze Zeit Wasser darauf schwappt, was er darauf zurückführt, dass sie nicht prall genug mit Luft gefüllt ist. Er fragt seine Mutter, ob sie noch ein wenig Luft hineinblasen könne. Bevor sie etwas sagen kann, nehme ich die Sache in die Hand. Die anderen Strandbesucherinnen und -besucher sollen ja nicht denken, ich wäre nicht Manns genug, um so eine lächerliche Matratze aufzupusten. Sicherheitshalber verstecke ich mich aber im Strandkorb, damit mich niemand beobachten kann. Und das ist auch gut so, denn bei meinen Pusteversuchen, entweicht mehr Luft aus der Matratze als hineingeht. Egal, es muss ja nicht jeder alles können.
Da das Chillen für ihn erstmal ausfällt, nötigt der Sohn die Frau, mit ihm ins Wasser zu gehen, um Frisbee und Beach-Tennis zu spielen. (Ich selbst bin vom Aufblasen der Luftmatratze noch zu erschöpft.) Nach einer guten Stunde kommt die Frau entkräftet zum Strandkorb zurück. Ich soll sie ablösen, der Sohn möchte mit mir im Wasser den Beach-Tennisball zuwerfen.
Langsam und bedächtig, wie es die Strandbesucherinnen und -besucher von mir kennen, gehe ich also ins Meer. Zentimeter für Zentimeter arbeite ich mich voran, bis ich wenigstens kniehoch im Wasser stehe. Neben mir steht ein Mann, der augenscheinlich mit dem gleichen Problem kämpft wie ich. „Das ist aber auch immer eisig hier an der Nordsee“, sagt er in breitem Sächsisch. „Da dauert es bei mir ewig bis ich losschwimmen kann.“ Ich nicke meinem Schicksalsgefährten zu. Dann macht er einen Hechtsprung ins Wasser und krault davon. Arschloch! (Ich meine natürlich „Körperöffnung unterhalb des Steißbeins“.)
Wahrscheinlich hat der Typ keine Kinder. Denn an allen Stränden weltweit ist bei Familien das gleiche Phänomen zu beobachten: Die Kinder stürmen problemlos und vergnügt ins kalte Wasser, die Mamas und Papas kriechen dagegen im Zeitlupentempo ins Meer und knurren ihre Söhne und Töchter in barschem Ton an, sie sollen sie gefälligst nicht nass machen. Das ist wahrscheinlich ein seit allen Zeiten geltendes Familiengesetz. Ich rechne beispielsweise damit, lediglich einen Pflichtteil zu erben, weil ich anno 1981 im Dänemarkurlaub meinen Vater vollgespritzt hatte, bevor er sich richtig an die Wassertemperatur gewöhnen konnte.
Irgendwann habe ich es dann doch ins Meer geschafft und der Sohn und ich werfen uns den kleinen Ball zu. Das wird ihm aber schnell zu langweilig und er stellt die Regel auf, dass wir den Ball nur noch mit zwei Fingern fangen dürfen. Da ich darin nicht besonders geschickt bin, plumpst der Ball andauernd direkt vor meinem Gesicht runter und das salzige Meerwasser spritzt mir so oft in die Augen, bis diese gerötet sind wie bei einem albinotischen Kaninchen.
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Nach dem Abendessen gehen wir nochmal alle zusammen runter an den Strand. Da können die anderen Eltern mal sehen, dass wir auch im Strandkorb saufen können, wenn wir Kinder dabei haben. (Hoffentlich zeigt uns der Anwalt nicht an.)
Nach unserer Rückkehr findet die obligatorische Kniffelrunde statt. Damit die anderen nach meinem gestrigen Sieg nicht die Lust verlieren, halte ich mich heute Abend einfach ein wenig zurück und werde Dritter. Die Frau wirft den ersten Kniffel in der Familienrunde und übernimmt die Gesamtführung. Bis morgen.
Vor dem Zubettgehen erzählt noch jede/r, was heute am besten war:
- Sohn: Das Chillen am Strand
- Tochter: Das Faulenzen am Strand
- Frau: Das Lachen abends im Strandkorb
- Ich: Das glückliche Gesicht der Tochter, als sie mir beim Joggen entgegengelaufen kam
Gute Nacht!
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Christian Hanne, Jahrgang 1975, hat als Kind zu viel Ephraim Kishon gelesen und zu viel “Nackte Kanone” geschaut. Mit seiner Frau lebt er in Berlin-Moabit, die Kinder stellen ihre Füße nur noch virtuell unter den elterlichen Tisch. Kulinarisch pflegt er eine obsessive Leidenschaft für Käsekuchen. Sogar mit Rosinen. Ansonsten ist er mental einigermaßen stabil.
Sein neues Buch “Wenn ich groß bin, werde ich Gott” ist im November erschienen. Ebenfalls mehr als zu empfehlen sind “Hilfe, ich werde Papa! Überlebenstipps für werdende Väter”, “Ein Vater greift zur Flasche. Sagenhaftes aus der Elternzeit” sowie “Wenn’s ein Junge wird, nennen wir ihn Judith”*. (*Affiliate-Links)
und mal ehrlich, so derbe gutes wetter hat es doch seit jahren nicht mehr an der küste gegeben,
also alles richtig gemacht.
viel spaß weiterhin.
und vielen dank für die blogeinträge :-D
Ich glaube, das letzte Mal vor fünf Jahren. Da waren wir auch auf Föhr und hatten 14 Tage 25 Grad aufwärts.
Moin Moin, wir sind gestern von Föhr heimgekommen und konsumieren Deinen Blog jetzt noch gern quasi als Urlaubsverlängerung vor dem geistigen Auge und amüsieren uns dabei köstlich. Obendrein sind wir gespannt, ob Ihr mit den Kindern im Maislabyrinth auch den Löwen findet, der dieses Jahr besonders gut versteckt ist. 🦁 Und die Wattwanderung wird sicherlich auch ein weiteres Highlight. 🦀
Vielen Dank. Das Maislabyrinth ist auf jeden Fall schon eingeplant.